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Monatsarchiv für Dezember 2010

30. Dezember 2010 16:53:05

… Von oben: „Die Möwe“ im Deutschen Theater

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Die Möwe
von Anton Tschechow; Regie: Jürgen Gosch (Premiere 20.12.2008, Deutsches Theater Berlin); Foto: Matthias Horn; Auf dem Bild: Meike Droste (Mascha), Kathleen Morgeneyer (Nina Michailowna Saretschaja ), Christoph Franken (Semjon Semjonowitsch Medwedenko)

Immer wieder Tschechow. Die Berliner lieben ihn. Nach „Onkel Wanja“ (2009 mit kräftigem Spiel in den Sophiensaelen), dem umjubelten „Onkel Wanja“ im Deutschen Theater, dem sehr konzentriert aufgeführten „Krankenzimmer Nr. 6“ (erneut DT), nun „Die Möwe“ – wiederum in der Schumannstraße. Wenn ein Stück wie dieses – Regie Jürgen Gosch, der leider im Juni 2009 verstarb – schon ein längeres Weilchen vor vollem Haus gespielt wird, dann ist es gut geraten. Dennoch ist das nur bedingt tröstlich, wenn, wie jetzt, nur noch Plätze im zweiten Rang zu bekommen waren. Man schaut von ganz oben den Schauspielern auf die Köpfe, sieht die Mimik kaum und konzentriert sich – aus Not wird Tugend – auf die Stimmen, den Klang, die Sprache, die Bewegung.

Da fielen mir zuerst der Literat Trigorin (Alexander Khuon) und der Arzt Dorn (Peter Pagel) auf. Beide waren wohl zufrieden mit ihrem Dasein, ob quirlig, aufbrechend, von sich selbst angetan der eine oder praktisch, ländlich, unspektakulär handelnd der andere. … Weiterlesen

 

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27. Dezember 2010 02:24:13

… am Fluss: Thomas Rauchfuß im Rio Grande

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Seit Februar des Jahres heißt die Straße am Westufer der Oberbaumbrücke nicht mehr Groebenufer. Sie war bis dahin nach Otto Friedrich von der Groeben (1657-1728) benannt, der im ehemalig kurbrandenburgisch annektierten Ghana einen Sklavenverschiffungshafen errichtete, von wo aus über 30000 Afrikaner verschifft und verkauft wurden. Statt dem schändlichen Kolonialismus auf diese Weise noch nachträglich und fortgesetzt Ehre zukommen zu lassen, erinnert der neue Straßenname „May-Ayim-Ufer“ nun an eine Pionierin der afro-deutschen Kulturbewegung. Und das ist gut so!

An diesem Ort, an dem die jetzt wieder vollständig renovierte Doppelanlegestelle aufgebaut wurde, residiert das Restaurant Riogrande geführt von Edith Berlinger und Dietmar Schweitzer, dem österreichischen Pärchen, das durch das Horváth am Paul-Linke-Ufer und das Jolesch (inzwischen abgegeben) in der Muskauer Straße reichlich Erfahrung mitbringen. Schon im Jolesch hing sehr lange ein imposanter neoexpressiver Triptychon von Thomas Rauchfuß, auf dem eine Gesellschaft rund um ein auf dem Tisch liegendes, blutend aufgeschlitztes Schwein feiert. Nun am neuen Ort hängen wieder drei Bilder, auch sie gehören zusammen, sind aber doch einzelne Bilder. … Weiterlesen

 

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26. Dezember 2010 02:01:40

… nicht Sarrazinland: Genetik, Religion und Teihabegerechtigkeit

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Vorhin sah ich die Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten zwischen all den staatstragenden „Ehrenamtlichen“ und da fühlte auch ich mich von den warmen Worten angesprochen, ein paar abschließende Gedanken zusammenzufassen.

Der folgende Text bezieht sich auf verschiedene Gegebenheiten, Sendungen und Events, die alle schon ein bisschen länger zurückliegen, doch deren thematischer Zusammenhang am Ende dieses Jahres so aktuell ist wie nie. Bei den Veranstaltungen in Berlin war ich selbst in geringem Umfang beteiligt, oder zumindest anwesend, so dass ich mir erlaube aus eigener Sicht einen Beitrag zum großen Debattenthema des Jahres 2010 zu leisten. Das Thema könnte lauten: „Was wird aus dem unbestreitbaren Multikulti-Staat Deutschland?“ oder provozierend in sarrazinscher Manier: „Lassen sich Muslime in einen demokratischen Staat (wie die Bundesrepublik) integrieren?“ … Weiterlesen

 

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21. Dezember 2010 09:33:47

… nachdenkend: Über Tucholsky

Nach ihm sind in Berlin heutzutage Schulen, Straßen, Büchereien und sogar Gaststätten benannt, letzteres hätte ihm vielleicht besonders gefallen. Kurt Tucholsky wurde am 9. Januar 1890 im Stadtteil Moabit geboren. Er liebte seine Stadt und die Menschen, wenn auch nicht jedermann und zu allen Zeiten. Das er, trotz gutbürgerlicher Umgebung, in der er aufwuchs, auch von den einfachen Leuten wusste, zeigt z.B. sein Gedicht „Danach“, das auch heute noch viele kennen. Aber auch dem – alle Gesellschaftsordnungen überlebenden – gemeinen Arschkriecher (Homo Sapiens Anusensis) hat er mit „Karrieren“ (1930) ein paar markante, bleibende Zeilen hinterlassen. Was mir bei Tucholsky besonders gefällt: Dass er in seinem Schaffen auch ab und an mal berlinerte, so wie u.a. in seinem, ebenfalls zeitlosen, Gedicht „Beit Friehstick“ (1931) so wunderbar vorgeführt. Alles in allem: Der Mann hat als Journalist und Schriftsteller sein Wort immer dort eingesetzt, wo ihm etwas auf- oder gefiel, aber auch dort, wo irgendetwas stank. Politisch war der „… kleine, dicke Berliner …“ (Kästner) ganz und gar nicht gemütlich, wenn es gegen Duckmäusertum, manch sogenannten Konservativen, Kadavergehorsam, Spießertum, Beamtenanmaßung, einäugige Justiz, Militarismus (hierzu u. a. das eindringliche „Drei Minuten“ aus dem Jahr 1922) und insbesondere den heraufziehenden Faschismus ging. Seine Texte in den 20-er und 30-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts waren mal Florettstiche, oft aber Säbelhiebe gegen die Herrschenden und ihr Verwaltungspersonal.

Er schrieb ein manchmal ironisches, immer reiches, insgesamt exzellentes Deutsch, welches sogar verstanden wurde.  Von seinen Gegnern nur zu gut, deshalb hassten sie ihn auch. Seine Romane (erfreulich kurz, dennoch gut), Reportagen, Feuilletons, Rezensionen (verwiesen sei auf seine Reihe „Auf dem Nachttisch“, wo er unregelmäßig Bücher damals aufstrebender Schriftsteller, wie z.B. B.Traven besprach) und Gedichte sind auch heut noch höchst lesenswert, einige sogar aktueller denn je. „Soldaten sind Mörder“, schmetterte er in „Der bewachte Kriegsschauplatz“ unter dem – er schrieb unter weiteren – Pseudonym Ignaz Wrobel 1931 aus der Zeitschrift „Die Weltbühne“ den Generälen an den Kopf. Was könnte man dem heute, bezogen auf die vielen toten Zivilisten in den Kriegen von Nahem Osten, Irak und Afghanistan, entgegenhalten? Nichts.

Tucholsky schrieb nicht nur gut und viel – es wurde auch publiziert und so lebte er zumindest zeitweise in gesicherten ökonomischen Verhältnissen. Das hinderte ihn – das Gegenteil von einem Sozialromantiker – nicht daran, sich mit den Problemen der Arbeiter und ihrer Familien schreibend immer wieder intensiv zu beschäftigen (z.B. „Bürgerliche Wohltätigkeit“ – 1929) und für sie Partei zu ergreifen. Das unterschied ihn übrigens auch von manchen heutigen Zeitgenossen (mit stabilem Einkommen), die sich mit den Kategorien Armut, Benachteiligung und Solidarität möglichst nur zu den angesagten Charity-Tagen beschäftigen wollen.

Tucholsky war ein vielseitiger Schreiber. Obwohl selbst ein linker Demokrat, hat kaum jemand davor oder danach die Demokraten (Sozialisten) so auseinander genommen, wie er,  z.B. in „Der Geschlechtslose“ (1924) oder „Feldfrüchte“ (1926). Andererseits: Wem gelang schon bis dahin eine so originelle und luftige Großstadtliebesgeschichte, obwohl sie ja im brandenburgischen handelt, wie „Rheinsberg – ein Bilderbuch für Verliebte“ (1912). Wer sonst noch hat dem Fühlen und Sprechen der einfachen Berliner ein so zurückhaltendes und gleichzeitig berührendes Denkmal gedichtet, wie er, in „>Mutterns Hände“ (1929).

Tucholsky – weil hoch gebildet und kompromisslos, zudem Einzelkämpfer – gehörte zu jenem Typ von Leuten, die sich letztlich in keiner Partei (obwohl kurzzeitig SPD/USPD-Mitglied) wohl fühlen, die aber auch keine Partei haben will. Obwohl er in den letzten zehn Jahren seines Lebens überwiegend im Ausland lebte, waren seine Analysen und Prognosen der deutschen Verhältnisse präzis und beinahe beängstigend wahr. Er wirkte bis 1932 mit Stimme und Schreibgerät gegen die, welche Deutschland in die Katastrophe führten, versuchte aber auch jene aufzurütteln, die „nur mitliefen“. Das gerade letzteres überwiegend erfolglos blieb, deprimierte ihn. Am meisten litt Kurt Tucholsky zeitlebens wohl darunter, dass sein Wunsch nach politischen Veränderungen nicht den entscheidenden Widerhall fand, der ihm auf literarischem Gebiet zweifellos beschieden war.

Mit der Machtergreifung der Nazis wurden auch seine Bücher auf dem jetzigen Berliner Bebelplatz verbrannt. Anschließend vergaßen ihn die meisten Deutschen für einige Jahre.

Zuletzt verließ den streitbaren, aber zunehmend innerlich einsamen und kranken Mann der Mut und er schwieg, am Ende aus seinem (faktischen) Exil in Hindas/Schweden. Am 21. Dezember 1935, also heute vor 75 Jahren, schied Tucholsky aus dem Leben und wurde in Mariefred, nicht weit von „seinem“ „Schloss Gripsholm“ (erschienen1931) beerdigt.

(Fakten und Daten vor allem aus: Kurt Tucholsky, Gesammelte Werke, Band 1-10, rororo, Sonderausgabe 1995)

 

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18. Dezember 2010 15:12:39

… Achtung: Berlin am Ende

Wer rettet uns vor Schnee und Eis,
erstarrten Senatoren
und – Flugzeuglärm? – mir wird ganz heiß –
ein Trauma ward geboren. 

Erlöst mich von der Group Man Blue
und Weihnachts-Kauf-Gesängen.
Vor-Wahl-Gesäusel schnürt mich zu –
will halbgares verdrängen.

Die S-Bahn – wie ein alter Hund –
dient selbstlos uns seit Jahren.
Jetzt lahmt sie. Ist das schon ein Grund,
sie nicht mehr zu bewahren?

Kultur und Kunst, so peu a peu,
durchbebte Vernissage.
Berlin ist jetzt das Kunstmilieu.
Boulette und Staffage.

Halt’s Maul, du Stadtgeräusch, schweig still,
das Jahr läuft ab in Bälde.
Und wer partout den Krach noch will,
zieht um nach Blankenfelde.

Die Zeit ging weg wie guter Wein,
doch macht sie nicht besoffen.
Das neue Jahr – bald bist du mein –
kommt nüchtern. Und wir hoffen.

 

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Alltägliches

 

13. Dezember 2010 17:10:43

… zweimal Benn: einmal gut, einmal nicht

Zwei neue Bücher zu Benn, Biografisches. Man nähert sich skeptisch diesen Sachen, da alles gesagt scheint, Neues kaum zu erwarten und die Kanonisierung Benns endgültig vollzogen ist – obwohl oder gerade weil er so lange Zeit so unkanonisierbar schien. Aber seit Theweleits Kanonade mit Blumen, seit der feurigen Biographie von Fritz J. Raddatz und Helmut Lethen weiß jeder, dass die Trias der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Rilke – Brecht – Benn heißt. Wer von den Jahrgängen 1900 bis 1950 dazukommt, wird sich herausstellen, es sieht außer für Enzensberger für niemanden gut aus. Wir bitten die Anhänger Celans, Nelly Sachs’ oder Bachmanns, die Kärtchen einzureichen. (Bobrowski? Rühmkorf?)

Joachim Dyck verfolgt „Benn in Berlin“, das riecht nach veritabler Biographie, hat Gottfried Benn doch den allergrößten Teil seines Lebens (1886 bis 1956) in Berlin verbracht (1904 bis 1956, sieht man von soldatischen Pflichten in zwei Kriegen sowie von zwei Jahren Hannover ab). Dyck malt tatsächlich das übliche Bild, alles bekannt, vielleicht hat er noch winzige Details dazugetuscht, belanglos, denn das Buch hat eine ganz andere Stoßrichtung – es versucht eine Art später Entnazifierung Benns durch pures Verschweigen. Das ist peinlich weil unnötig, hat Benn doch gerade durch seine Haltung zur Kernfrage des Deutschseins im 20. Jahrhunderts –Totalitarismus / Politisierung der Künstler und Intellektuellen / Habitus des Verschweigens – den Status erreicht, den er unwideruflich hat.

Jeder weiß, dass das deutsche Debakel, die deutsche Katastrophe und das deutsche Verhängnis mitten durch den ewig müden Arzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten Gottfried Benn ging. Und seither weiß jeder, … Weiterlesen

 

 

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