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Monatsarchiv für Februar 2012

26. Februar 2012 11:59:25

… ineinandergedreht: Ein Stück über das Rennen zur Entdeckung der DNA Stuktur. Photograph 51 am English Theatre Berlin


Eine Frau in einem wissenschaftlichen Labor, damals in den 1940ern und 50ern: Das war irgendwie immer noch ein Fremdkörper, etwas Ungeheures, etwas das nicht in die Männer-Clubs passte, das störte und alles verändern wollte. Es war eine Bedrohung der geordneten Welt, die durch die beiden Weltkriege ohnehin schon zu sehr aus den Fugen geraten war.

Heute weiß fast jeder, wie die DNA-Struktur aussieht, die typisch doppelt verdrehten Spiralkörper, auf denen die Basenpaare geordnet sind, aus denen der Code des Lebens geschrieben ist. Es sind die Datenträger der Gene, die Substanz des Genoms, das was alles was wächst zu dem macht, was es ist. Gleichartig für Mensch, wie Tier, wie Bakterie, wie Pflanze. Was heute Allgemeinwissen ist, war damals das ganz heiße Forschungsgebiet der Wissenschaft und mehrere Teams versuchten der DNA (auf deutsch DNS = Desoxiribonucleinsäure) auf die Pelle zu rücken. Ganz vorne mit dabei war die junge, aufstrebende Forscherin Rosalind Franklin, die mit Röntgenaufnahmen experimentierte und auf diese Weise sehr aufschlussreiche Schattenbilder der Helixstrukturen erzeugte. Vom Leiter des Londoner King’s College protegiert kam die bereits rennomierte Doktorin an das Institut, an dem auch Dr. Wilkins arbeitete, der seit seiner Mitarbeit an der Forschung zum Bau der Atombombe in einer heftigen Sinnkrise war. Die Beziehung der beiden „Kollegen“ lief von Anfang an schlecht, da es ein heftiges Kompetenzgerangel darum gab, wer für wen auf welchem Forschungsfeld tätig war. Außerdem passten ihre Gewohnheiten nicht zusammen, Rosalind Franklin war eher akribisch, eigenbrödlerisch, misstrauisch und wurde auch noch institutionell von gemeinsamen Essen und anderen Freizeitbeschäftigungen ausgeschlossen. Wilkins dagegen war in seinen Kreisen bestens etabliert und redete gerne und viel mit befreundeten Wissenschaftlern. Neben dem unkooperativen Team in London forschte noch das weit unkonventionellere Team, bestehend aus James Watson und Francis Crick, in Cambridge am selben Thema. Doch besonders der jüngere Watson erkannte schnell, dass sie mit einem Modell der DNA-Struktur weltberühmt werden konnten. Die beiden legeten los, machten „some sience“. Im Gegensatz zur durchleuchtenden und rechnenden Rosalind Franklin, bogen Watson und Crick mit Drähten, Klammern und Hölzchen wenig oder gar nicht funktionierende Molekülmodelle zusammen. Ein solches bekam auch Franklins Kollege Wilkins zu Gesicht, der die beiden Gegenspieler dann unvorsichtiger Weise, und aus für ihn selbst später beschämenden Motiven, mit den weiterführenden Röntgenaufnahmen aus der Hand von Rosalind Frankling versorgte. Nur so gelang es ihnen, ihr berühmtes Modell zu konstruieren, das bis heute als der Durchbruch zur Entdeckung der DNA-Doppelhelix gilt. Im Fachmagazin NATURE, in dem die Erstveröffentlichung geschah, wurden drei Artikel zusammenhängend gezeigt. Auch Rosalind Franklin hatte ihre Berechnungen soweit gebracht, dass sie mit ihrem Artikel das Watson-Crick-Modell „bestätigte“, wobei deren Modell ja tatsächlich eher darauf „basierte“. 1962 bekamen aber nur die Männer Watson, Crick und Wilkins den Nobelpreis dafür. Rosalind Franklin war zu diesem Zeitpunkt schon an Krebs verstorben.

Im English Theatre Berlin wird das verdrehte Stück, bei dem ständig Personen von ganz unterschiedlichen historischen Orten (London, Cambridge, Amerika, Paris, Schweiz) innerhalb von einzelnen Sätzen verschränkt auftreten, vor allem durch die Lichtinszenierung entwirrt. Dies ist eine grandiose Analogie zur auf der Bühne durchgeführten Forschung mit Röntgenaufnahmen, deren kristaline Fotoergebnisse fast wie die Grundskizzen zum Bühnenaufbau wirken. Ebenso verschränkt wie sich im Laufe des Stücks die DNA-Struktur zeigt, wird auch das Rennen darum, wer als erstes über das Thema publizieren kann, inszeniert. Die gesellschaftlichen Codes der 50er-Jahre-Forschergemeinde werden sichtbar. Es ist ein zügiger Einakter (erst 2008 von Anna Ziegler veröffentlicht), ein sich zuspitzendes Sprech-Stück, bei dem besonders über die Randfiguren amüsante Sidekicks eingeworfen werden.

Photograph 51 am English Theatre Berlin – noch bis zum 10 März (immer 20:00 Uhr außer sonntags und montags).

 

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18. Februar 2012 00:19:48

… ein Entwurf: Anna Huber und Yves Netzhammer – Aufräumarbeiten im Wasserfall

Geometrie, Orthogonalität, Radien, Gelenkverkettungen in großer Präzision, Quadrate, Kugeln, Flächen, Räume.
Alles ist mit grundlegenden 3D Körpern bespielt, alles hat seine Ordnung, scheint in Ordnung. Kitschige Projektionen machen den Anfang: Eine große Sonne über einer heilen Welt – Kraniche fliegen über Berge, Dörfer, Einfamilienhäuser. Aber es ist eine kalte Konzeptwelt des Scheins, in der keine echten Menschen leben, sondern Gliederpuppen eingesetzt wurden, überwacht von Hubschraubern, umstellt von Gerüsten und Zäunen, die die Kulissen zusammenhalten. Hier ist nichts gewachsen, sondern alles gemacht und manches dabei nichts geworden. Diese Welt muss im Detail nachgearbeitet werden, mit riesigen Zahnbürsten geschrubbt werden, als wäre ihr Schöpfer unzufrieden mit dem gegenwärtigen Stand der Dinge. Und dann plötzlich ist da in mitten der Kunstwelt-Projektion ein Schatten von etwas Lebendigem, ein Mensch dringt darin ein, oder taucht vielmehr aus ihr auf, tritt in Kontakt und in den Dialog mit einer der Gliederpuppen. Diese zeigt voller Übermut gleich ein Kunststückchen, lässt ein paar ihrer Gliedmaßen fernab ihres Körpers durch den Raum tanzen, und doch ist gleich zu spüren, dass die echte Lebendigkeit der Tänzerin so viel mehr zu bieten hat. Die Tänzerin übernimmt nun die Eckigkeit der Gliederpuppe erkundet den Konzeptraum, als wolle sie ihn vermessen und austesten. Es wird eine Art Belastungsprobe für Mensch und Material, die so anstrengend ist, dass die lebende Tanzpuppe zwischendurch doch ganz aus der Rolle fällt, Pause machen muss, um sich um die körperlichen Bedürfnisse zu kümmern. Sie muss essen, trinken und darf dabei ganz Mensch sein. Die 3D-Puppe sieht in einer Mischung aus Irritiertheit und Neid dabei zu. Letztlich verliert die menschliche Tänzerin auch die Nerven, rafft die gesamte Geometrie der Bühneninstallation zusammen und gibt der Gliederpuppe den ganzen Konzeptmüll wie ein getragenes Kleid zur Wäsche zurück.

Die Zusammenarbeit der Tänzerin und Choreografin Anna Huber und des Bildenden Künstlers Yves Netzhammer erwies sich als sehr ergänzend und ungemein fruchtbar. Beide künstlerischen Handschriften sind deutlich und unverfälscht sichtbar und wirken zusammen gegenseitig erhellend. Das Tanzstück „Aufräumarbeiten im Wasserfall“ ist eine intensive Performance auf der Schnittstelle zwischen darstellender und bildender Kunst, mit reichlich Zitaten aus der Kunstgeschichte. Für Momente scheinen Oskar Schlemmers Figurinen, Luise Bourgeois Spinnen und Alexander Calders Kinetische Objekte mit in dieser verdrehten M. C. Escher-Welt zu sein, doch die formale Sprache der beiden Zeit- und Eidgenössischen Künstler ist immer stark genug, um die Performance zu einem eigenständigen Ästhetischen Erlebnis zu machen.

Sehenswert: in den Uferstudios im Wedding

 

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