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4. März 2008 21:05:29

… Gesellschaft im Matsch: Theseus in der Komischen Oper Berlin

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Theseus ist die zweite Barockoper von Georg Friedrich Händel im laufenden Programm der Komischen Oper Berlin. Wie bei Oreste folgt die Geschichte im Prinzip der griechischen Vorlage, wobei man bei diesem Werk wirklich manchmal das Gefühl hat, dass halt irgendeine intrigante Geschichte vertont wurde, damit es einen Grund gibt, in den höchsten Tönen zu singen. Da die typischen Da Capo Arien eigentlich nur ausgedehnte musikalische Zustandsbeschreibungen auf der immer wieder gleichen Textzeile sind, wird die Geschichte fast ausschließlich in den kurzen Übergängen zwischen den Arien vorangebracht. Genau in diesem Hin und Her von völligem Stillstand und ruckartigem Voranschreiten, liegt die Schwierigkeit beim Inszenieren einer solchen Oper. Bei Oreste gelang das hervorragend, indem das Schauspiel ganz kontinuierlich fast unabhängig vom Rhythmus der Arien und Rezitative entwickelt wurde, die Aufführung von Theseus räumt den Arien hingegen ruhende Plateaus ein, was musikalisch sicher ein Gewinn, in der Spannungskurve des Schauspiels dagegen eine Belastung ist, denn dieses Werk ist groß und lange dreieinhalb Stunden lang. Es wird getragen von den ausnahmslos hervorragenden Sänger-/innen, wobei sicher Stella Doufexis als Medea der stimmliche Star der Aufführung ist.

Das verdrehte Libretto sei als Einstieg möglichst kurz skizziert: Theseus der ziemlich abgerockte Titelheld kämpft in der Ferne während zuhause …

… am Hofe die feine Gesellschaft wegen Unterforderung Intrigen spinnt. König Ägeus, für den sich Theseus in die Schlachten wirft, macht sich an Agilea, die Frau des Kämpfers rann, obwohl der König die Hochzeit schon Medea, der Exilantin aus Kolchos, versprochen hat. Medea hat neben Theseus als einzige Existenzdruck, denn sie muss sich in die fremde Gesellschaft einheiraten, da sie als Mörderin nicht in ihre Heimat zurückkehren kann. Doch der lüsterne König hat die Vorstellung, er könne die wilde Medea ganz locker an den ebenso schrägen Theseus abschieben und dafür dessen schöne Agilea einkassieren. Er merkt weder, dass Agilea ihn auch trotz der verführerischsten Versprechungen nicht möchte, noch realisiert er, dass Medeas übernatürliche Kräfte seinen Intriegen spielend trotzen. Im Libretto gibt es noch zwei weitere Charaktere (das Paar von Clizia und Arkane) die aber eigentlich alles nur komplizierter machen und ständig mit ihrem Wollen und Können kompromitiert oder instrumentalisiert werden. Am besten man beachtet sie nicht weiter. Finalment kommt es zu einer großen Party der Glücklichen, bei der alle gewinnen außer der ausgerenzten Medea, deren Macht zur vollständigen Zerstörung der allgemeinen Freudenwallung durch eine geheimnisvolle, höhere Macht (in der Inszenierung durch eine Fliege!) ausgebremst wird. Es gibt also viele Gewinner und eine Verliererin, wobei die Pfründe höchst unmoralisch verteilt werden, so dass es ein wahres Jauchzen ist.

Die Zusammenarbeit zwischen dem inszenierenden Benedikt von Peter und dem musikalisch leitenden Alessandro de Marchi muss sehr intensiv gewesen sein. Viele einzelne Stellen, Phrasierungen oder kurze Passagen werden sehr fein und passend aus der Musik heraus in die Aufführung interpretiert. Da lacht Agilea einmal den König mit einer Koloratur aus, oder sie widmed sich in einer anderen dem tonreich quitschenden Polieren einer Tasse, der König dreht seine Siegessicherheit in die Überspanntheit eines Popstars, indem nur ein paar Töne in eine jazzige Tonart geschoben werden und vieles mehr. Als Theseus aus der Schlacht siegreich zurückkommt, wird der donnernde Empfangchor mit viel Hall und Echo (vom Band) ins Unwirkliche verzerrt, wodurch sowohl die Falschheit der höfischen Gesellschaft, wie auch die Unfähigkeit des traumatisierten Kämpfers zur Resozialisierung sehr gut illustriert wird. So macht Händels barockes Ondulieren auch heute noch Spaß zumal die progressive Aufführung diese Aktualisierungen braucht. Doch wozu muss man dann noch mit Originalinstrumenten im Orchestergraben sitzen? Da passen (neumodisch gesprochen) Sound und Visuals einfach nicht ganz zusammen und der Kontrast zwischen altem Klang und neuer Optik ist kein ausgleichender Gewinn.

Benedikt von Peter verlegt die Handlung aufs Schlachtfeld nach dem Kampf, d.h. eigentlich kehrt nicht Theseus nachhause, sondern die Gesellschaft kommt zu ihm ins abstoßend kalte Matschloch des Krieges. Auf dieser glitschigen Grundlage werden die schmutzigen Pläne der Akteure zu tatsächlichen Schmierereien. Nur Theseus, der das Leben in Kampfstiefeln gewöhnt ist, lässt das alles ziemlich kalt. Er hängt wie ein Morphinist im Schützengraben, kommt mit den überspannten Leuten nicht ganz klar, vergreift sich an seiner (einstmals) Geliebten, die ihn kaum wiedererkennt, doch für ihn erscheint das alles, wie die ganz normale Fortsetzung des Krieges. (Wer übrigens Kate Blanchet im Film „I’m Not There“ über Bob Dylan gesehen hat, wird denken, sie steckt auch in dieser Frauenrolle des Theseus.) Das geht inszenatorisch sehr gut auf, auch wenn man manchmal den Faden verliert.

Der fünfte Akt wirkt dann allerdings völlig überzogen. Die Handlung wird nun nur noch medial übertragen. Die Berichterstatter ziehen wie bei einer Homestory über Celebrities bei Hofe ein. Alle Akteure sehen aus, als wären sie in der Entourage einer Paris Hilton und die Inszenierung verkommt zur reinen Ironie. Dieser Übertragung muss man dann leider viel zu lange folgen. Bei einer derart entschieden ablehnenden Haltung gegenüber dem behämmerten Libretto des letzten Aktes, hätte man ihn auf eine Viertel Stunde zusamenkürzen sollen, dann wäre es sehr erfrischend.

Weitere Aufführungen 14. | 22. März, 05. April und 23. Juli

 

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