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11. Februar 2008 00:02:34

… konspirativ: Die transmediale-Ausstellung verstrickt sich im Konzeptionellen

Standard Time von Datenstrudel

Die selbstgebaute Zeit von Datenstrudel.

Medienkunst lebt fast immer von der dahinter stehenden Idee. Schade, wenn man nichts davon mitbekommt. Glücklicherweise erschlich ich mir (unwissentlich!) die Dienstleistung einer Führung durch die transmediale-Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt, denn nach einem ersten eigenen Rundgang blieben doch die allermeisten Arbeiten für mich im Unklaren. Nun könnte dies bei dem Grundthema „conspire“ ja sogar gewollt sein, doch stellt sich die Frage nach dem Sinn einer Ausstellung, wenn die meisten Besucher (den Anderen ging es genauso – ich fragte einige) aus der Konspiration des Verstehens ausgeschlossen werden. Die Tür zur wissenden Gruppe kann in dieser Ausstellung nur durch die Vermittlung eines „Mediaguides“ geöffnet werden, wenngleich auch dieser meist nicht wirklich zur umfassenden Auskunft befähigt ist, da auch dem Team kaum Informationen aus den Händen der Künstler zur Verfügung steht. Überhaupt scheint es einige organisatorische Probleme bei der Zusammenstellung gegeben zu haben. Bei einer Arbeit fehlte während der ersten Tage die notwendige Datenbankverbindung, bei einer anderen …

… kamen die Ausstellungsobjekte nicht rechtzeitig nach Berlin, bei einer dritten und vierten funktioniert die Technik nicht oder nicht ganz usw. Das sind Umstände, die auf eine ebenso nicht ganz professionelle kuratorische Vorarbeit schließen lassen. Weiter drängt sich die Vermutung auf, dass die Künstler selbst Informationen zu oder über ihre Werke nur sparsam verbreiten wollen. Wie dem auch sei, als Ergebnis gibt es entweder keine oder eher verwirrende Beschriftungen. Und das ist schade, denn es sind doch ein paar Arbeiten dabei, die nach ein wenig Aufklärung recht interessant sind.

So findet man z.B. in einer Box ein dunkles und seltsam eckiges Blechobjekt, dessen möglicher Verwendungszweck kaum zu entschlüsseln ist. Dazu wird im Raum ein kraziger Ton eingespielt. Außen an der Box läuft eine kurze Videoschleife aufgenommen von einer Standkamera. Mit etwas Glück bemerkt man in der Auenlandschaft im Film ein helles Boot, das langsam und lautlos durchs Bild tuckert. So so, denkt man und geht weiter. Doch hört hört, hinter dem Projekt „be prepared, tiger“ steckt mehr: Das Blechobjekt im Raum ist das Boot im Film, was man wegen der seltsamen Belichtung wirklich kaum erkennen kann. Dieses Boot ist außerdem ein mit Stealth-Technologie ausgerüstetes Spionagefahrzeug, das für eine mögliche Radarüberwachung „unsichtbar“ ist. Die Künstlergruppe Knowbotic Research baute es nach, weil die tamilische Extremistengruppe Tamil Tigers, die auf Sri Lanka gewaltsam für die Unabhängigkeit der hinduistischen Minderheit kämpft, den Einsatz eines solchen Boots in einem Propagandavideo zeigte, das über das Internet verbreitet wurde. Es soll von Nordkorea finanziert sein und als ein Zeichen der militärischen Überlegenheit Wirkung zeigen. Nun gibt es auf Sri Lanka weder mögliche Einsatgebiete für ein solches Boot, noch wird auf dortigen Flüssen intensiv mit Radar Überwachung betrieben und hochseetüchtig ist das Boot ohnehin nicht. Wenn es irgendwo mit echten Augen zu sehen ist, fällt es hingegen extrem auf. Auf diese Ansammlung von Absurditäten setzten die Künstler ihr Projekt und drehen es noch ein Bisschen weiter. Das Boot wurde im Hafen von Duisburg gezeigt, auf einem österreichischen Tümpel gefilmt und schließlich im Internet zum Verkauf angeboten. Man betreibt also großen Aufwand um das Geheime möglichst breitzutreten. Ein Thema, dem noch einige andere Arbeiten nachspüren (z.B. „Symbology“ von Trevor Peglen) und das als Vorlage für ein Kommunikationskonzept bestens getaugt hätte.

Das Dokuprojekt „Chemtrails“ zeigt den umsichgreifenden Glauben, dass nicht jeder von einem Jet gezogener Kondensstreifen nur aus Wasserdampf besteht, sondern dass gezielt Chemikalien von den Fluggesellschaften oder anderen Mächten in die Atmosphäre geblasen würden. Seite diese Idee in der Welt ist, sehen Menschen weltweit die passenden Phänomene, fotografieren sie und überzeugen sich gegenseitig in Internet-Foren immer mehr von ihrer Theorie. Die künstlerische Arbeit des dokumentierens ist hier ein Projekt über die Macht von Ideen. Ähnlich wie das Phänomen, dass viele halluzinierende Menschen davon berichten, weiße Mäuse zu sehen. Wäre die Vorstellung verbreitet, dass Halluzinationen meist in Form von grünen Fliegen auftauchen, dann würden eben weniger Mäuse, sondern vermehrt Fliegen halluziniert.
Wie gesagt, wenn man von den Hintergründen erfährt, wird es interessant. Interessant ist allerdings auch, dass z.B. das Stealth-Boot-Projekt vor wenigen Monaten (November 2007) schon einmal in Berlin (in der Curators without Borders Galery) auftauchte und es auch auf anderen Festivals schon ausgiebig zu sehen war. Auch andere Künstler oder Konzertteilnehmer im Programm des transmediale Clubs sind fast schon regelmäßig hier zu sehen oder zu hören. Sollte ein Festival, wie die transmediale da nicht ein bisschen innovativer sein?

Auffallend ist, dass es auch bei der diesjährigen transmediale ein starke Gruppierung von Re-Analogisierern (oder Re-Analogisten?) gibt. In diesem Feld, das von Digitalskeptikern bestellt wird, wachsen Kunstwerke, die meist leicht zugänglich und humorvoll sind. Ein gutes Beispiel ist die, von einer Gruppe von Handwerkern, minütlich umgebaute „Digitaluhr“. Mit einer einfachen Lattenkonstruktion werden die typischen Digitalziffern, wie man sie von Armbanduhren kennt, real zusammengeschraubt und nach einer Minute wieder zerlegt, um die nächste Zahl aufzubauen. Synchron zur echten Uhrzeit, zu der man das Ganze betrachtet. Vor dieser Arbeit „Standard Time“ von Datenstrudel saßen die Besucher im Haus der Kulturen der Welt mit einem Lächeln im Gesicht und schauten zu, wie die Zeit vergeht. So einfach und schön kann Medienkunst sein, wenn Idee und Umsetzung zueinander stimmig sind. Da braucht es dann auch keinen Zusammenhang zum Grundthema „conspire“!

Bei einem Besuch der Ausstellung empfiehlt sich in jedem Fall das ausführliche vorherige Studium der Website.
Doch auch dann kann die Schau jemanden wie mich, der für Verschwörungstheorien zu organisationsskeptisch und für eine Ahnung von dunklen Mächten, die die Welt beherrschen möchten, zu naiv ist, in weiten Teilen nicht faszinieren. Es ist Kunst, die sich mit dem Phänomen auseinandersetzt, dass es für jeden verquasten Blödsinn jemanden gibt, der daran glaubt. Insofern bewegt sich die Ausstellung wirklich auf der medialen Höhe des Internets.

Noch bis zum 24. Februar im Haus der Kulturen der Welt.

 

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