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21. Dezember 2010 09:33:47

… nachdenkend: Über Tucholsky

Nach ihm sind in Berlin heutzutage Schulen, Straßen, Büchereien und sogar Gaststätten benannt, letzteres hätte ihm vielleicht besonders gefallen. Kurt Tucholsky wurde am 9. Januar 1890 im Stadtteil Moabit geboren. Er liebte seine Stadt und die Menschen, wenn auch nicht jedermann und zu allen Zeiten. Das er, trotz gutbürgerlicher Umgebung, in der er aufwuchs, auch von den einfachen Leuten wusste, zeigt z.B. sein Gedicht „Danach“, das auch heute noch viele kennen. Aber auch dem – alle Gesellschaftsordnungen überlebenden – gemeinen Arschkriecher (Homo Sapiens Anusensis) hat er mit „Karrieren“ (1930) ein paar markante, bleibende Zeilen hinterlassen. Was mir bei Tucholsky besonders gefällt: Dass er in seinem Schaffen auch ab und an mal berlinerte, so wie u.a. in seinem, ebenfalls zeitlosen, Gedicht „Beit Friehstick“ (1931) so wunderbar vorgeführt. Alles in allem: Der Mann hat als Journalist und Schriftsteller sein Wort immer dort eingesetzt, wo ihm etwas auf- oder gefiel, aber auch dort, wo irgendetwas stank. Politisch war der „… kleine, dicke Berliner …“ (Kästner) ganz und gar nicht gemütlich, wenn es gegen Duckmäusertum, manch sogenannten Konservativen, Kadavergehorsam, Spießertum, Beamtenanmaßung, einäugige Justiz, Militarismus (hierzu u. a. das eindringliche „Drei Minuten“ aus dem Jahr 1922) und insbesondere den heraufziehenden Faschismus ging. Seine Texte in den 20-er und 30-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts waren mal Florettstiche, oft aber Säbelhiebe gegen die Herrschenden und ihr Verwaltungspersonal.

Er schrieb ein manchmal ironisches, immer reiches, insgesamt exzellentes Deutsch, welches sogar verstanden wurde.  Von seinen Gegnern nur zu gut, deshalb hassten sie ihn auch. Seine Romane (erfreulich kurz, dennoch gut), Reportagen, Feuilletons, Rezensionen (verwiesen sei auf seine Reihe „Auf dem Nachttisch“, wo er unregelmäßig Bücher damals aufstrebender Schriftsteller, wie z.B. B.Traven besprach) und Gedichte sind auch heut noch höchst lesenswert, einige sogar aktueller denn je. „Soldaten sind Mörder“, schmetterte er in „Der bewachte Kriegsschauplatz“ unter dem – er schrieb unter weiteren – Pseudonym Ignaz Wrobel 1931 aus der Zeitschrift „Die Weltbühne“ den Generälen an den Kopf. Was könnte man dem heute, bezogen auf die vielen toten Zivilisten in den Kriegen von Nahem Osten, Irak und Afghanistan, entgegenhalten? Nichts.

Tucholsky schrieb nicht nur gut und viel – es wurde auch publiziert und so lebte er zumindest zeitweise in gesicherten ökonomischen Verhältnissen. Das hinderte ihn – das Gegenteil von einem Sozialromantiker – nicht daran, sich mit den Problemen der Arbeiter und ihrer Familien schreibend immer wieder intensiv zu beschäftigen (z.B. „Bürgerliche Wohltätigkeit“ – 1929) und für sie Partei zu ergreifen. Das unterschied ihn übrigens auch von manchen heutigen Zeitgenossen (mit stabilem Einkommen), die sich mit den Kategorien Armut, Benachteiligung und Solidarität möglichst nur zu den angesagten Charity-Tagen beschäftigen wollen.

Tucholsky war ein vielseitiger Schreiber. Obwohl selbst ein linker Demokrat, hat kaum jemand davor oder danach die Demokraten (Sozialisten) so auseinander genommen, wie er,  z.B. in „Der Geschlechtslose“ (1924) oder „Feldfrüchte“ (1926). Andererseits: Wem gelang schon bis dahin eine so originelle und luftige Großstadtliebesgeschichte, obwohl sie ja im brandenburgischen handelt, wie „Rheinsberg – ein Bilderbuch für Verliebte“ (1912). Wer sonst noch hat dem Fühlen und Sprechen der einfachen Berliner ein so zurückhaltendes und gleichzeitig berührendes Denkmal gedichtet, wie er, in „>Mutterns Hände“ (1929).

Tucholsky – weil hoch gebildet und kompromisslos, zudem Einzelkämpfer – gehörte zu jenem Typ von Leuten, die sich letztlich in keiner Partei (obwohl kurzzeitig SPD/USPD-Mitglied) wohl fühlen, die aber auch keine Partei haben will. Obwohl er in den letzten zehn Jahren seines Lebens überwiegend im Ausland lebte, waren seine Analysen und Prognosen der deutschen Verhältnisse präzis und beinahe beängstigend wahr. Er wirkte bis 1932 mit Stimme und Schreibgerät gegen die, welche Deutschland in die Katastrophe führten, versuchte aber auch jene aufzurütteln, die „nur mitliefen“. Das gerade letzteres überwiegend erfolglos blieb, deprimierte ihn. Am meisten litt Kurt Tucholsky zeitlebens wohl darunter, dass sein Wunsch nach politischen Veränderungen nicht den entscheidenden Widerhall fand, der ihm auf literarischem Gebiet zweifellos beschieden war.

Mit der Machtergreifung der Nazis wurden auch seine Bücher auf dem jetzigen Berliner Bebelplatz verbrannt. Anschließend vergaßen ihn die meisten Deutschen für einige Jahre.

Zuletzt verließ den streitbaren, aber zunehmend innerlich einsamen und kranken Mann der Mut und er schwieg, am Ende aus seinem (faktischen) Exil in Hindas/Schweden. Am 21. Dezember 1935, also heute vor 75 Jahren, schied Tucholsky aus dem Leben und wurde in Mariefred, nicht weit von „seinem“ „Schloss Gripsholm“ (erschienen1931) beerdigt.

(Fakten und Daten vor allem aus: Kurt Tucholsky, Gesammelte Werke, Band 1-10, rororo, Sonderausgabe 1995)

 

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