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21. November 2016 15:43:39

… noch demokratisch: Das Ergebnis des globalen Wahljahrs 2016

Persönlichkeit entscheidet

„Wahlkampf“ – dieser Begriff steht seit dem Jahr 2016 für etwas anderes als zuvor. Bislang ging die Gesellschaft davon aus, dass wahlkämpfende Politiker/innen von Dingen reden, die sich auf ihr politisches Handeln beziehen, oder zumindest auf das ihrer Gegner/innen. Das ist vorbei. Ab jetzt ist Wahlkampf einfach die Zeit, in der manche alles tun, um zu gewinnen. Inhalte, Fakten, Programme sind unwichtig geworden, es geht nur noch um Übereinstimmung von Form und Mensch. Wer Dinge so sagt, dass man das Gefühl hat, der meint das so wie er/sie es sagt, ist im Vorteil. Dabei ist vollkommen gleichgültig was gesagt wird. Egal ob absurder Blödsinn, ausgrenzende Ideologie oder groteske Vorhaben – Glaubwürdigkeit hat sich von Vernunft gelöst.

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Viele Menschen wählen Kandidatinnen oder Kandidaten, einfach deshalb, weil sie denen abnehmen, was sie sagen – unabhängig ob sie der gleichen Meinung sind, oder nicht. Lieber wird ein Idiot (idiosynkratischer Egomane) gewählt, als jemand, bei der/dem man unsicher ist, ob er/sie vielleicht doch eigentlich, was anderes meint als er/sie sagt.

Bewertet wird Auftritt, Körpersprache und die Mimik – was früher lediglich entscheidend für das Zuschreiben von persönlicher Sympathie war, wird jetzt als entscheidend für die Befähigung zum Ausüben eines politischen Amtes wahrgenommen. Nach dem klassischen Verständnis des Politischen ist damit die Wahlentscheidung aus dem eigentlichen politischen Raum entschwunden.
Auch das ewige Gequatsche von der großen Komplexität der Verhältnisse, die man dem Wahlvolk nicht zumuten könnte, weswegen Politiker/innen am besten gar nicht über Faktisches reden sollten, sondern lieber Gefühle ansprechen mögen, ist nur eine Ausrede für Hinterzimmerentscheidungen, die der öffentlichen Debatte entzogen werden sollen.
An die Kandidatinnen und Kandidaten werden nun von vielen Wähler/innen andere Anforderungen gestellt – dieselben wie an ihre Kumpels. Man kennt das doch aus dem Freundeskreis oder der Familie: Da sind auch welche dabei, deren Meinung oder gar Haltung man zu vielen Details nicht teilt, aber trotzdem hat man eine gute Einschätzung der Persönlichkeit, der betreffenden Person. „He’s a good man“ sagt der Amerikaner in so einem Fall, und damit ist die notwendige Verbindung hergestellt, die heute Wählbarkeit bedarf.

Viele Politiker/innen machen allerdings eine andere Beobachtung, oder ziehen die falschen Schlüsse. Sie glauben nach wie vor, andere Parteien und deren Personal würden gewählt, weil sie populistisch dem einfachen Volk nach dem Mund reden würden. Doch ich bin mir sicher, diese Interpretation der Beobachtung, trifft nur bei einem kleinen Teil der Wählerschaft zu. Wir alle haben doch die Stimmen von Menschen gehört, die nach einer Wahl erklären, dass sie Donald Trump, den Brexit oder die AfD nur gewählt haben, weil sie keiner anderen Partei mehr glauben, was sie sagen.

Es geht um Kommunikation

Die „einfachen Leute“ verstehen sich als eine Art Lügendetektor gegenüber der politischen Kommunikation der Eliten. Sie nehmen damit eine Gegenposition zu denen ein, die mit ihrer Diplomatie, der ewigen Ironie und ihren mitschwingenden Metaebenen auf einem Abstraktionslevel kommunizieren, das jeden Bodenkontakt vermissen lässt. „Die da unten“, die sich gemeinhin als „Volk“ verstehen, rufen „denen da oben“ zu: Merkt ihr noch was? Wir glauben euch nicht. Ihr könnt nicht für uns reden und nicht für uns entscheiden. Denn wir sprechen eine andere Sprache.

Als Merkmal des Authentischen setzt das Volk oft auf Kraftausdrücke und die eventuell historisch angerissenen Dimensionen sind ihnen „scheißegal“. „Lügenpresse“ ist so ein Wort. „Drain that swamp“ ist so ein Slogan. Beide Ausdrücke sehen die geschichtlich geschulten Eliten als Hinweis auf die faschistoide und nationalistische Ausrichtung der Bewegung. Doch diese Hintergründen sind kaum jemandem, der die Sprüche im Munde führt, bekannt. Vorzuwerfen sind sie unbedingt den Parteistrategen, die bewusst das Nazi-Vokabular wieder in aller Munde sehen wollen. Doch die einfachen Leute interessieren diese Hintergründe nicht, denn davon wissen sie nichts und nichts davon haben sie gemeint. Sie haben gemeint: „Hört uns zu!“

Die Eliten haben vielerorts verlernt emphatisch zuzuhören, sie richten lieber über Gehörtes, weil sie so stolz darauf sind, dass sie selbst problematische Metaebenen in allem erkennen können. Ich gehöre sicher auch zu denen, die häufig anderen sagen, was sie alles in der Kommunikation falsch machen, statt dass ich versuche, zu erkennen, was andere eigentlich sagen möchten. Das wäre aber Kommunikation auf Augenhöhe. Gespräche ohne Belehrungen.

Für für Politiker/innen heißt das aber nicht, dass sie selbst mit Kraftausdrücken um sich werfen müssen, um als glaubwürdig wahrgenommen zu werden. Es heißt aber schon, dass schlechte Deals nicht als gute verkauft werden dürfen. Es heißt auch, dass keine beschönigende Sprache verwendet werden darf. Und es heißt, dass man es ihnen ansehen sollte, wenn ihnen etwas unangenehm ist.

Lässt sich Glaubwürdigkeit und Diplomatie verbinden?

Die größte Herausforderung dabei dürfte sein, trotzdem irgendwie diplomatisch sein zu können. Manchmal gelingt das. Die erste Stellungnahme von Angela Merkel zur Wahl des Präsidenten Trump war so ein Moment. Merkel machte keinen Hehl daraus, dass sie den Stil des Wahlkampfs abstoßend fand, und dass eine Partnerschaft mit dem neuen Präsidenten nur auf der Basis von gemeinsamen Werten funktionieren kann. Dazu passend gibt es kein Lächeln und keine freie Rede. Ihr ist klar, jedes Wort wird weltweit interpretiert, denn sie gilt jetzt für viele als „Leader of the free world“.
Manchmal geht es auch total schief. Der Flüchtlingspakt mit Erdogan – auch genannt „der Türkei-Deal“ – ist so eine Kommunikationskatastrophe. Alle wissen, dass es ein schlimmer Deal ist – weil sämtliche Voraussetzungen für so ein Abkommen nicht erfüllt werden können – und trotzdem tun alle Beteiligten so, als wäre es eine Lösung. Da tritt das Problem klar zu Tage: Ein Scheiß-Deal wird als Erfolg verkauft.

Hätte Angela Merkel die Situation anders lösen können? (Achtung: Ich möchte jetzt nur über die kommunikative Situation nachdenken und mal außen vor lassen, ob dieser Deal überhaupt hätte geschlossen werden dürfen – ich meine nämlich nein!) Die Antwort auf die Frage: Vielleicht. Ein Weg, diesen Deal zu erklären, hätte sein können, das Ergebnis nicht als Erfolg, sondern als absolute Notlösung darzustellen. Sie hätte sagen können, dass sie notgedrungen diesen Deal gemacht hat, weil sie keine andere Lösung dafür gesehen hat, die Anzahl der Menschen abzusenken, die an den Grenzen Deutschlands nach Asyl begehren, weil sie keine andere Chance gesehen hat, die öffentliche Meinung nicht noch weiter gegen die Regierung aufzubringen. Diese (und weitere) Faktoren hätten sie dazu gebracht, einen Deal abzuschließen, der viele Nachteile für Deutschland und noch mehr für die Geflüchteten bringt. Dieser Deal ist aber trotzdem das Beste, was im Moment möglich war.

Mit einer solchen Erklärung könnte die Gesellschaft einschätzen, wie es zu dem entsprechenden politischen Handeln gekommen ist. Alle könnten nachvollziehen, was dafür und was dagegen gesprochen hat, und alle könnten eine eigene Gewichtung der verschiedenen Einflussfaktoren machen, um dann entweder auf das gleiche Ergebnis zu kommen, oder anderer Meinung zu sein.

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Dass Angela Merkel sich dafür entschieden hat, auch weiterhin schlechte Lösungen als Erfolg darzustellen, wurde im Interview bei Anne Will deutlich, in dem sie erklärt, dass sie 2017 wieder als Kanzlerkandidatin für die CDU antreten wird. Frau Merkels Kriterium für diese Entscheidung ist nur, ob sie sich selbst noch kräftig genug fühlt, den Politzirkus weiter zu leiten. Sie eröffnet keinerlei Vision, sondern will nur weiterhin die schwierigen Verhältnisse verwalten. Das ist Managerdenke in Reinform: Inhalte sind gleichgültig, wichtig ist die Performance. Das hat mit dem eigentlichen Sinn von Politik nichts mehr zu tun.

Ich denke, die Menschen im Land sind reif für die oben beschriebene Ehrlichkeit gegenüber Verhandlungsergebnissen – sie könnten auch Misserfolge einordnen. Alle Menschen sind daran gewöhnt damit klarzukommen. Aber bei den Medien habe ich große Zweifel. Sie bestehen darauf, dass alles als Erfolg verkauft wird. Doch irgendwer in der politischen Sphäre muss jetzt mal den Ausgang aus diesem euphemistischen Ränkespiel finden, der nicht zu den Trumps dieser Welt führt.

Aufmerksamkeit für Ehrlichkeit

Ich bin sicher, dass eine abwägende Erklärung, die aufzeigt welche Kröten geschluckt werden mussten, in den Medien als totales Versagen der Kanzlerin gewertet worden wäre. Es hätte wieder einmal geheißen, dass „die Kanzlerin politisch geschwächt“ sei – all das Geschwätz, das die Journalist*innen im Berliner Dunstkreis der Regierenden so aus den Metaebenen lesen. Wie oft hören wir „Nachrichten“ ohne jeden Inhalt, die sich darauf beschränken einzuschätzen, wer gerade gegenüber wem, im Vorteil oder Nachteil sei. Als wären Nachrichten das gleiche wie Sportreportagen: „Ein überstürzter Vorstoß von Gabriel, bei dem er die anderen Stürmer nicht mitnimmt.“ Oder schlimmer wie live-Übertragungen von Eltern, die ihren Kindern beim Spielen im Sandkasten zusehen: „Der kleine Horst hat das Förmchen von Angie weggenommen. Jetzt hat er einen politischen Vorteil.“

Dieses Geblubber ohne Haltung ist einer medialen Entwicklung geschuldet, die vor allem Aufmerksamkeit als Währung begreift, aber nicht versteht, wie eben diese Aufmerksamkeit entsteht. Sie entsteht durch starke oder minimale Kongruenz von Form und Inhalt. Wenn Donald Trump sich selbst als tapferen Ritter darstellt, der dem Establishment mal ordentlich den Marsch bläst, dann passt Form und Inhalt zusammen und es entsteht große Aufmerksamkeit. Wenn Angela Merkel strahlend verkündet, dass der Türkei-Deal eine tolle Sache ist, dann passt Form und Inhalt nicht zusammen und es entsteht eine hohe Aufmerksamkeit, weil es offensichtlich unwahr ist.

Beide Aussagen bekommen sehr leicht große Wucht und erzeugen einen Nachklang bei den Menschen: Trump – der sagt wie es ist. Merkel – die verarscht uns. Was kommt wohl besser an?
Aber ist das die zentrale Frage: Wie sollten Politiker/innen mit der Öffentlichkeit und den Menschen kommunizieren? So oder so? Nein, das kann nicht alles sein. Wir können nicht ausblenden, dass der eine den Proto-Faschismus propagiert und, dass seine Konzepte auf Diskriminierung aufbauen. Leider lässt die andere aber einen gleichwertigen Verve oder eine entsprechend mitreißende Leidenschaft für Demokratie und Menschenrechte vermissen. Und damit ist das eigentliche Thema benannt: Die Krise der Demokratie.

Ist die Demokratie ein Wirtschaftssystem?

Viele Menschen nehmen das System der Demokratie nur noch als Selbstbedienungsladen für die Eliten wahr. Demokratie gilt bei denen als die Grundvoraussetzung, um die Massen auszuzehren und den Reichen noch mehr Gewinne zuzuführen. Das ist gemeint mit dem „korrupten System“. Fast schon traditionell kann man diese Sicht der Gesellschaft sowohl im rechten wie im linken Spektrum antreffen, aber erschreckend und neu ist, dass eine unter Druck stehende Mittelschicht auch zu dieser radikalen Abwertung der Demokratie tendiert. In den Umfragen schwindet die Anzahl der Menschen, die in der Demokratie die beste Regierungsform sehen. Statt dessen gewinnen autoritäre Führerfiguren wie Erdogan, Putin und Trump an Ansehen.

Das wäre noch verkraftbar, wenn nicht diejenigen, die für die offene Gesellschaft stehen (wollen), diesen Job so schlecht machen würden. Spätestens seit dem Wahlkampf von Bill Clinton mit dem Solgan „It’s the economy, stupid“ (1992) wissen alle, dass auch die gemäßigte Linke (Sozialdemokraten aller Art) sich zum Umsetzungspartner für Wirtschaftsinteressen gemacht hat. Der Lobbyismus gilt als notwendiges und legitimes Mittel, um die demokratische Willensbildung zu formen. Das Ergebnis ist allen bekannt: Globalisierung, Freihandel, schwindende Mittelschicht, Prekarisierung von Erwerbsarbeit, soziale Spaltung, extreme Umweltbelastungen und Klimawandel, Mega-Gewinne für Superreiche. Keine Spur vom „Trickel Down Effekt“, auf dem die Neoliberalisierung ideologisch aufbaut. Die Politik im Namen der Demokratie ging mindestens 30 Jahre lang global in die falsche Richtung. Das System, in dem das Volk formal der Souverän ist, hat das Volk ärmer gemacht und die Führenden reicher.

Allerdings wurden auch gute Dinge im Namen der „Liberalisierung“ erreicht: z.B. die weitgehende Gleichberechtigung von Mann und Frau und vielerorts die Anerkennung von Gender-Vielfalt – man kann es kaum glauben – auch weniger kriegerische Auseinandersetzungen auf der Welt. Wir müssen uns davor hüten, diese Dinge aneinander zu messen und dürfen nicht fragen, was bringt denn Gender-Vielfalt, wenn alle ärmer werden. Dies steht nicht in Abhängigkeit zueinander. Doch natürlich wird beispielsweise das „Gendern“ inzwischen von vielen als Symptom des Eliten-Sprechs wahrgenommen. (Trotzdem werde ich nicht aufhören zu gendern, denn ich halte es für richtig. Sprache definiert Realitäten. Vermutlich auch die Realität, dass dieser Text nur Menschen erreicht, die dem liberalen Milieu zuzuordnen sind.)

Durchschnittsmenschen in unserer Gesellschaft konnten sich im letzten Jahrhundert ziemlich sicher sein, dass ihre Leben sich zum Besseren entwickelten, wenn sie so einigermaßen mitspielten. Heute sind dieselben Menschen unsicher, ob sie ihren Lebensstandard halten können. Die Prognosen sind eher schlecht. Das sind die Menschen, die der Demokratie wirklich gefährlich werden können, wenn sie nicht mehr an sie glauben können. Wenn in der Mitte der Gesellschaft die Einsicht, dass nur im System der Demokratie Gleichberechtigung hergestellt werden kann, nicht mehr verankert ist, sind wir am Ende angekommen. Es gibt überall Verbitterung über die Verhältnisse, die Menschen fühlen sich gedemütigt und ausgeschlossen. Und es gibt Protagonisten, die von den Verbitterten akzeptiert werden, um für sie zu sprechen, weil auch ihnen Verachtung und Arroganz entgegenschlägt. Selbst wenn einer wie Trump in keiner Weise Teil der Lebenswirklichkeit derjenigen ist, die ihn wählen, es reicht aus, dass auch er von Menschen verachtet wird, die gendern.

Führt Protestwählen zu mehr Teilhabe?

Soll man wirklich diejenigen an der Demokratie beteiligen, die sie nicht wollen? Bisher waren die Eliten doch ganz zufrieden, dass große Teile der Wahlberechtigten nicht an den Wahlen teilgenommen haben. „Politikverdrossenheit“ nannte man das und nahm es hin, weil es die Menschen im eigenen Umfeld nicht betraf. Es hat nicht weiter gestört, weder beim wirtschaftsorientierten Durchregieren noch beim alltäglichen Leben der Großstädter. Doch jetzt sieht es plötzlich anders aus. Inzwischen hört man die Stimmen der bislang Stimmlosen nicht nur in den sozialen Medien, sondern es klingelt auch in den Wahlurnen, bei Parteien, die sich aufmachen, gegen die etablierten Verhältnisse aufzumarschieren.

Kann so Teilhabe entstehen? Natürlich nicht! Der Blick ins Programm der AfD sollte allen klar machen, dass deren Wirtschaftsvorstellungen alles nur verschlimmern wird. Irritierender Weise ist das auch einem großen Teil der Wählerschaft klar. Viele von ihnen wollen die AfD nicht in Regierungsverantwortung sehen, sondern sie wollen vorrangig, die bisher Regierenden auf sich aufmerksam machen. Und das funktioniert. Die „etablierten“ Parteien durchzuckt plötzlich eine ungeahnte Angst. Wahrscheinlich erstmals erleben viele Wähler/innen ein Gefühl der Selbstwirksamkeit bei der Stimmabgabe. Darum macht ihnen Protestwählen so ein gutes Gefühl. Das läuft der Idee einer demokratischen Wahl zwar zuwider, aber egal – an die Demokratie glauben sie ja nicht mehr.

Das pure Dagegensein hat aber keine Zukunft. Es ergibt keinen Sinn und es hilft niemandem. Leider machen gerade konservative Politiker/innen im Angesicht der aktuellen Wählerbewegungen dramatische Fehler. Viele von ihnen glauben, sie müssten nur auch ein bisschen anti-emanzipatorisch, auch ein bisschen ausländerfeindlich und auch ein bisschen populistisch daherreden und dann würden sie wieder gewählt. Sie erkennen die Motivation der zur AfD abgewanderten Wähler/innen einfach nicht und versuchen, den Stil der neuen Partei zu kopieren. Das ist aber grundverkehrt. Den widerlichen Stil der AfD mögen auch nur die tatsächlich Rechtsradikalen unter den Wähler*innen, die jeder/m schlechten Führer/in hinterherlaufen. Diejenigen, die nur aus Protest AfD wählen, lehnen die menschenverachtende Haltung der Partei ab. Sie wollen eigentlich etwas ganz anderes, nämlich ein politisches Angebot, das mehr Gleichberechtigung und mehr Sicherheit für den eigenen Lebensentwurf verspricht. Sie wählen nur AfD, weil sie den Parteien, die Jahrzehnte lang die Geschicke unseres Staatswesens geleitet haben, sagen wollen, dass die so wie bisher nicht mehr weiter machen können.

Leider sehen die Protestwähler/innen in diesem Missvertändnis keinen Grund, eben doch keine AfD zu wählen. Eine Proteststimme nützt aber nichts, wenn sie von der gewählten Partei missbraucht wird, und von der gemeinten Partei nicht verstanden wird.

Ein attraktives Angebot zur Teilhabe muss her

Wir brauchen eine neue Kultur der Beteiligung von allen. Ein demokratisches System muss im Stande sein, Teilhabe gerecht zu organisieren – das ist der eigentliche Sinn einer Demokratie. Das sollte auch die ordinäre Aufgabe von Parteien sein, sogar nicht mal nur von denen, die sich dem linken Lager zurechnen – bei diesen aber natürlich im Besonderen. Das bedeutet aber nicht, dass die Parteien aufhören sollen, ihre repräsentativen Aufgaben auszuführen. Sie müssen jedoch aufhören, sich anzumaßen, eigene Top-Down-Entscheidungen als Volkes Wille zu verkaufen. Bürger/innen müssen ins Besondere bei Dingen, die von ihnen (egal ob organisiert oder nicht) als Betroffene mit Leichtigkeit verstanden werden – z.B. alle lokalen Entscheidungen zu Stadtentwicklung usw. – viel stärker direkten Einfluss nehmen können. Buttom-Up-Entscheidungen müssen hier zur Regel werden.
Hingegen muss die Gesellschaft standhaft bleiben bei der Ablehnung von bindenden Plebisziten auf Bundesebene oder gar im EU-Kontext. Auf diesen Ebenen kann zu leicht ein Maß an Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit aufgerufen werden, dessen Wirksamkeit zurecht von unserer Verfassung begrenzt wird.

Und über dem Teich?

In den USA versucht nun Bernie Sanders nach der Wahl von Donald Trump die Refokussierung der demokratischen Partei umzusetzen, um diesem Ziel näher zu kommen. Das Schlagwort ist „Occupy Democrats“. Ich glaube das ist der richtige Weg, denn hier trifft der Protest die Gemeinten und er ist zentral kombiniert mit der Forderung zur Entmachtung von Wirtschafts-Lobbys.

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Auch unser großer Fussel-Philosoph Slavoj Žižek hat in seiner unnachahmlichen Art, was zum gleichen Themenkomplex gesagt, das sich lohnt zu hören:

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