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2. Mai 2008 18:33:50

… verwirrend und vorbei: 1 Mai 2008, Tag der was eigentlich?

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Das Geschehen in Kreuzberg rund um den 1. Mai ist schon recht verwirrend. Zunächst wurde man von einem dumpfen Grollen aus dem Bett geworfen und der erste verschlafene Interpretationsversuch des Lärms ging wohl bei den meisten dahingehend, dass ein paar aufgeweckte, mit Trommeln versehene Demonstranten einen Überraschungs-Coup gelandet haben könnten – doch weit gefehlt: Die Verdianer zeigten den Berlinern schon früh am Morgen, was für aufgedonnerte Motorräder sie sich leisten können; eine schicke chromblitzende Maschine nach der anderen. In den Vorjahren zeigten sie einem ja gerne, was für neue Mittelklassewagen sie gerade gekauft hatten. Verdi wollte bestimmt die gewerkschaftsinternen Mitbestimmungsrechte der Motorradfahrer mal gebührend würdigen. Diejenigen, die den Donnerzug betrachten und hören konnten, durften beim Anblick der motorisierten Schlachtrösser darüber nachdenken, warum die Preise für öffentliche Dienstleistungen (genannt Gebühren) … … im Vergleich der letzten Jahre stärker angestiegen sind, als die Preise aller privaten Dienstleistungen. Wer nun dachte, es liege an den hohen Löhnen für die Beschäftigten der öffentlichen Dienstleister (und damit potenziellen Verdi-Mitarbeiter), dachte viel zu kurz. Die haben eher verschwindende Lohnanhebungen im gleichen Zeitraum verzeichnet. Wer steckt also das Mehr an Geld ein? Zur Finanzierung von schicken Motorrädern reichte es anscheinend trotz dieser ungeklärten Frage und das Demonstrieren am 1. Mai ist ja auch mehr eine traditionelle Einstellungssache, als zur Durchsetzung von konkreten Forderungen gedacht. Mit viel gutem Willen also irgendwie nachvollziehbar.

Kaum nachvollziehbar dagegen, warum am Abend davor ausgerechnet die Scheibenwischer des relativ ollen Kleinwagens einer Freundin demoliert wurden, wo doch nebenan zwei deutlich gehobenere Modelle der Marken Audi und Mercedes zur Verfügung gestanden hatten. Da stimmt irgendwas mit der Zuordnung zwischen Fahrzeugen, Demonstranten, Randalierern und Klassenfeindbildern nicht mehr ganz. Vermutlich wurden diese seltsamen Verwerfungen vom Globalisierungsdruck ausgelöst, der sich hier halt mal etwas unkonventionell entlud.

Das 1. Mai-Straßenfest ist dagegen deutlich leichter zu verstehen. Echte und ideelle Kreuzberger aller Länder treffen sich, um möglichst viel Müll zu produzieren. Damit das leichter fällt, werden einfache Speisen und Getränke von mehrheitlich türkischen Händlern gereicht und überall wird erheiternde Musik gespielt. Das macht allen Spaß und man betrinkt sich friedlich interkulturell. Irritierend hier nur die starke Polizeipräsenz, die mit auffrückender Stunde mehr und mehr bedrückend wurde. Da kommen Polizisten aus dem ganzen Bundesgebiet (mit denen aus Kölln kam man natürlich schnell ins Gespräch), um auf die paar radikalisierten Spinner aufzupassen, die ebenfalls aus ganz Deutschland anreisen. Dabei ist das Ganze doch nicht mehr (das haben die Köllner sofort erkannt) als ein großer alternativer Carneval (nicht Krawall!), der im Datum zwei Monate nach hinten geschoben wurde, weil es im Februar für Räuber und Gendarmespielchen einfach noch zu kalt ist. Ungemütlich wurde es dann allerdings zu späterer Stunde trotz der angenehmen Temperaturen doch noch (und nicht nur weil der Würgeengel geschlossen hatte): Auf dem Weg von einer Bar zur nächsten geriet man im Dreieck Skalitzer-, Adalbert und Oranienstraßen doch leicht in den nicht wirklich deeskalierenden, polizeilichen Verschiebebahnhof. Unmissverständliches behelmtes Schubsen mit den Worten „Gehen Sie weiter in diese Richtung!“ gab vor, wohin der Weg zu gehen hatte, egal in wie friedlicher Mission man gerade in der anderen Richtung tätig werden wollte. Derart herumgeschubst, wird man auch im Nachhinein das Gefühl nicht los, dass ohne die Polizeipräsenz und damit einhergehendes Feindbild einfach alle ruhig ihres eigentlichen Weges gehen würden und so wie so überhaupt nichts passieren würde.

Ich glaube das beste Sicherheitskonzept wäre es, einen großen Schlachtplatz wie z.B. das weitgehend ungenutzte Maifeld hinter dem Olympia Stadion zu definieren, wo zum öffentlichen M-/Kl-assenkampf geladen wird. In den Wochen vor dem 1. Mai könnten sich Freiwillige für die Feldschlacht in die Gladiatorenlisten der staatlichen Seite eintragen (es ist ja nicht so, dass die Polizisten selbstbestimmte Lust auf den Stress am 1. Mai verspürten) und entsprechend der Anzahl der freiwilligen „Bullen“ werden Autonome aufs Feld gelassen (die autonome Seite würde sich ja nicht planvoll in eine zentralverwaltete Liste eintragen). Damit das Spektakel massengeschmack-kompatiblen Casting-Show-Charakter bekommt, muss alles live übertragen werden (man vergesse das Geschäft mit den Übertragungsrechten nicht), „embedded Reporters“ interviewen die talentiertesten Krieger mitten im Geschehen. Man könnte das Ganze privat organisieren und die Folgekosten für die erwartbaren Schädigungen an Körper und Seele der Kombatanten lassen sich vielleicht mit einer privaten 1.-Mai-Pflicht-Zusatzversicherung eindämmen. Problematisch ist daran allerdings,  dass der Nachweis der Versicherungspolice von den Autonomen vorher erbracht werden müsste. Vielleicht würde ein kleiner tätowierter Nachweis-Code die Akzeptanz dieser Maßnahme (gerade wegen des geschichtlichen Konfliktpotenzials) erhöhen. Bei gebotem radikalen Design mit jährlich wechslenden Style könnte man später die verblassenden Relikte früherer Kampftage wie Kriegsverletzungen herumzeigen. Alle 10 Jahre könnte man außerdem im Rahmen eines Reenactments am Originalschauplatz die mytische Schlacht von 1987 nachspielen, bei der damals Bolle abgefackelt wurde. Zukünftig müsste dann halt die neue Bolle-Moschee dran glauben (Gott vergebe dieses Wortspiel). Durch diese konzeptionell künstlerische Intervention in regelmäßigen Intervallen ließe sich die Authentizität und geschichtliche Aufladung des ansonsten stellvertretend stattfindenden Geschehens auf dem Maifeld erhalten.

Dass man von der Komplettvermarktung des Protestgeschehens nicht mehr sehr weit entfernt ist, zeigt der Film „1. Mai – Helden der Arbeit“, der nun in den Kinos läuft. Nur im Multiplex sitzen, Cola saufen, Nachos fressen und Krawall-Episoden-gucken ist aber doch irgendwie zu passiv. Auf der O-Straße stand gestern deshalb zur besseren Identifizierung mit dem Geschehen eine Straßenschlacht-Bildtapeten-Fotowand mit zwei Löchern drin bereit, um die eigenen Köpfe wahlweise als Polizist oder Autonomer ins brennende Originalsetting einzubauen. Frei nach dem Motto: „Real ist, was medial ist.“


Bild von saltyvin auf flickr
 

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