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12. November 2010 11:52:33

… viele (bunte) Bilder: Impressionen vom 4. europäischen Monat der Fotografie

Recent photographs by Evol + Just

Der Europäische Monat der Fotografie in Berlin ist kalenderunabhängig. Er beginnt im Oktober, dauert den ganzen November, und erstreckt sich teils bis zum Januar. Ebenso real und irreal wie die Zeit sind die Bildwelten der KünstlerInnen, die aktuell von über 140 Galerien und anderen Locations der Stadt gezeigt werden. Die vermutlich kleinste Ausstellung der 4. MdF-Edition – Life Lines von James Clancy – präsentiert sich mit neun Aufnahmen aus Cork und Dublin in der Botschaft von Irland. Die eindrucksvollen Beispiele für „ein Leben im Werden“ des irischen Fotografen sind daher auch nur während der Bürozeiten zu sehen.

Das Ambiente ist ein nicht unbedeutender Faktor beim kunstgoutierenden Zug durch die angebotenen Shows. Das Ephraim-Palais, als Teil des Stadtmuseums Berlin, zeigt Berlins vergessene Mitte: Stadtkern 1840 – 2010 und fasziniert mit Originalaufnahmen aus den Babyjahren der Fotografie, die das Verschwinden der (mittelalterlichen) Stadtmitte unter breiten Straßen rund um das Rote Rathaus, Alex und Fischerinsel sichtbar machen. Skurril, da man sich ja im Palais selbst in einem Gebäude befindet, das Ende des 19. Jahrhunderts einem Neubauprojekt weichen musste und nun im reinszenierten Nicolaiviertel seinen Standort hat.

Street Photography ist ein Schwerpunkt des Monats der Fotografie, der in diesem Jahr zum ersten Mal ein Thema vorgegeben hat: Moderne Zeiten, neue Bilder – Fotografie und Moderne. Die Berlinische Galerie zeigt – neben diversen anderen schönen Ausstellungen, die alle im Tageskartenpreis von € 8,– enthalten sind – Menschen. Dinge. Menschenwerk. Emil Otto Hoppé, 1925-29. Faszination Technik, Maschine Mensch. Hoppé, dessen Arbeiten vor 83 Jahren zum ersten Mal in Berlin ausgestellt wurden, steht mit vielfältigen Motiven – Portraits von Filmstars, die „Schönheit Berlins“ – und nicht zuletzt mit seiner Begeisterung für Industrieanlagen für eine zu seiner Zeit ungewöhnliche Bildsprache. Sein Nachlass galt viele Jahre als verschwunden. Nun lädt das Landesmuseum zur Wiederentdeckung seiner Kunst ein. Ebenfalls in der Berlinischen Galerie finden sich die Bilder des 1927 in Berlin geborenen Hannah-Höch-Preisträgers 2010 Arno Fischer. Hier ist die Stadt unmittelbar, präsent und vergangen. Fischers Serie Situation Berlin gilt heute als der bedeutendste fotografische Beitrag über die bald geteilte Stadt in der frühen Nachkriegszeit.

Die Klassiker der Straßenfotografie – Brassaï, Henri Cartier-Bresson, Robert Frank, Weegee u.a. – sind beim Kunsthandel Jörg Maass in der Charlottenburger Rankestraße zu bewundern (und zu erwerben). Die Ausstellung ist um die Schreibtische in den Büroräumen der Galerie gehängt. Die Mitarbeiterin sitzt am PC und telefoniert. Auch das mal ein anderes Ambiente: Ehrfurcht goes business in der Präsentation von Beispielen für Momentaufnahmen aus sechs Jahrzehnten.

Barbara Klemms Straßenbilder in der Kicken Gallery, Linienstraße 155, erinnern in ihrer Intensität an Robert Doisneaus wunderbare Inszenierungen im öffentlichen Raum. Die langjährige Redaktionsfotografin der FAZ ist eine Meisterin der subtilen Alltagsbeobachtung.
Die Besetzung des öffentlichen Raumes durch Graffiti und Kommentar dokumentieren die Recent photographs by Evol & Just. Authentizität generiert das schwankende Baugerüst für das Public Viewing in der Wilde Gallery (Chausseestr. 7), auf das man klettern muss, will man die ironischen und ungewöhnlichen Werke der beiden Berliner Street Art Künstler sehen. Authentisch auch die mit Bleistift auf die Wand geschriebenen Bildlegenden. Nebenbei: Die Wilde Gallery war der einzige Ausstellungsort von den etwa 15, die ich in den letzten drei Wochen besucht habe, in der man Besucher lachen hörte. Humor und Kunstgenuss finden sich aktuell scheinbar nur in der Street Art gepaart – wie ja auch der kürzlich angelaufene Kinofilm Bansky. Exit through the Gift Shop belegt.

Das Museum für Kommunikation zeigt Stefan Koppelkamms Ortszeit Local Time 1990-2004, und ist doch selbst ein Zeitort. Im Lichthof, gleich hinter dem Entrée, begrüßen einen drei Roboter, von denen einer Schild trägt, auf dem er sich entschuldigt, weil er kaputt ist und erklärt, dass er trotzdem „hier oben“ stünde, weil das doch netter sei, als im dunklen Keller. Wohl wahr! Auch sonst bietet das Museum Interessantes: eine Ausstellung über Gerüchte (noch bis 27. Februar 2011), alte Telefone, eine Ausstellung über Kommunikation und Macht, und eine über das Fernsehen, damals, heute, Ost, West. Ach ja, und die Fotos von Koppelkamm über die meine amerikanische Omi vermutlich gesagt hätte „Nothing to write home about“. Die sich im dokumentarischen Vergleich übenden Aufnahmen aus Berlin und Leipzig, 1990 und 2004, wirken allerdings ein wenig wie Zufallstreffer, die man nun in eine Ausstellung gepackt hat.
Eine reizvolle Retrospektive ist dem Deutschkanadier Fred Herzog (Jahrgang 1930) mit Photographs in der C/O Galerie gewidmet. Herzog verhalf der künstlerischen Farbfotografie in den späten 1950er und 1960er Jahren zum Durchbruch. Die 40 Kodachrome-Pionierarbeiten sind erstmalig in Deutschland zu sehen. Es sind nachdrücklich authentische und ganz bezaubernde Bilder, die die Betrachterin immer wieder unwillkürlich auf die Legende schauen lassen: Sie scheinen erst gestern entstanden zu sein, und sind doch schon 50 oder mehr Jahre alt. Wunderbar prägnant und ausdrucksstark.

Das Programm sowie weitere Infos zu diesen und noch viel mehr Fotoschauen im 4. Europäischen Monat der Fotografie finden sich unter http://www.mdf-berlin.de.

 

Kategorie:

Fotografie

 

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