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13. Dezember 2010 17:10:43

… zweimal Benn: einmal gut, einmal nicht

Zwei neue Bücher zu Benn, Biografisches. Man nähert sich skeptisch diesen Sachen, da alles gesagt scheint, Neues kaum zu erwarten und die Kanonisierung Benns endgültig vollzogen ist – obwohl oder gerade weil er so lange Zeit so unkanonisierbar schien. Aber seit Theweleits Kanonade mit Blumen, seit der feurigen Biographie von Fritz J. Raddatz und Helmut Lethen weiß jeder, dass die Trias der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Rilke – Brecht – Benn heißt. Wer von den Jahrgängen 1900 bis 1950 dazukommt, wird sich herausstellen, es sieht außer für Enzensberger für niemanden gut aus. Wir bitten die Anhänger Celans, Nelly Sachs’ oder Bachmanns, die Kärtchen einzureichen. (Bobrowski? Rühmkorf?)

Joachim Dyck verfolgt „Benn in Berlin“, das riecht nach veritabler Biographie, hat Gottfried Benn doch den allergrößten Teil seines Lebens (1886 bis 1956) in Berlin verbracht (1904 bis 1956, sieht man von soldatischen Pflichten in zwei Kriegen sowie von zwei Jahren Hannover ab). Dyck malt tatsächlich das übliche Bild, alles bekannt, vielleicht hat er noch winzige Details dazugetuscht, belanglos, denn das Buch hat eine ganz andere Stoßrichtung – es versucht eine Art später Entnazifierung Benns durch pures Verschweigen. Das ist peinlich weil unnötig, hat Benn doch gerade durch seine Haltung zur Kernfrage des Deutschseins im 20. Jahrhunderts –Totalitarismus / Politisierung der Künstler und Intellektuellen / Habitus des Verschweigens – den Status erreicht, den er unwideruflich hat.

Jeder weiß, dass das deutsche Debakel, die deutsche Katastrophe und das deutsche Verhängnis mitten durch den ewig müden Arzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten Gottfried Benn ging. Und seither weiß jeder, dass man die Lyrik auf Rezeptblöcke am Mehringdamm in höchste Höhen treiben kann, während draußen Juden, Schwule und Kommunisten die Straße hinuntergetrieben werden. Diese Duplizität der radikalen Ereignisse und der Geschwindigkeiten ist essentieller Bestandteil der deutschen Kultur – auch der anderer Kulturen, aber hier hat sie einen eigentümlichen Gas-Geruch.

Benn hat den Nationalsozialismus für eine Chance gehalten, versuchte für sich die Verbindung von Nietzsche, Nihilismus und Nazis fruchtbar zu machen, fauchte die Emigranten an und bekräftigte noch wenige Tage nach der ersten Bücherverbrennung seine Entscheidung für die Nazis – merkte dann jedoch sehr sehr schnell, wohin diese als Hase verkleidete Bestie läuft, verstummte und ging als Wehrmachtsarzt in die berühmte ‚innere Emigration’. Nach dem Krieg saß er verbittert am Bayrischen Platz, schimpfte auf die zurückkehrenden Emigranten und wurde dann sehr schnell zum neuen Star der Adenauer-Ära (wo man sich mit Lyrik ein wenig Lametta gab und einem ein rauhbauziger Alter, der anscheinend nirgends so richtig dazugehört hatte, genau recht kam.)
Alles bekannt, alles durchgekaut, warum also jetzt plötzlich Benn zum von allen totalitären Ideologien Unbefleckten hochstilisieren? Dyck, Ehren-Vorsitzender der Gottfried-Benn-Gesellschaft, möchte ein nicht-kontaminiertes Idol. Das ist natürlich schwierig, die Faktenlage ist eindeutig. Theweleit hat schon vor 16 Jahren auf seine unnachahmliche psychoanalytisch-extemporierende Art das „Verhaltensnetz“ Benn beschrieben und ihn schließlich am Machtpol „Hitler als des Kunstgotts vorabkommandierter Prophet“ verortet und dabei Benns Haltung in der Preußischen Akademie der Künste 1932 und 1933, als es um den Rausschmiß insbesondere Heinrich Manns und die Einverleibung der Akademie in die neue Kulturpolitik und -bürokratie ging, detailliert nachgezeichnet. Dyck fährt nun zu diesem Punkt eine Retourkutsche, zeichnet Benn als lavierenden Schlaumeier, der die verbliebenen Möglichkeiten der Akademie auszuschöpfen sucht, sich schließlich der Übermacht beugen muss und sich enttäuscht abwendet. Das Bild überzeugt sogar, aber nur solange man sich nicht die Frage stellt, warum Dyck dazu Benns Einlassungen zugunsten des Nationalsozialismus geflissentlich unterschlägt – „eine Zeit, in der das neue Reich entsteht, an dem mitzuarbeiten der Führer, den wir alle ausnahmlos bewundern, auch die Schriftsteller berufen hat“ (Benn in der Deutschen Allgemeinen Zeitung 1934). Das ruiniert stante pede seine Argumentation, gibt ihr einen merkwürdigen revisionistischen Geruch.

Benn war zu der Zeit noch antibürgerlicher Parvenu, hatte Ästhetisierung des Lebens auf der Fahne stehen (im riesigen Trümmerhaufen Nachkriegsberlin zwölf Jahre später sah gerade diese Sache dann wieder etwas anders aus), und soeben, 1932, hatte es mit der Aufnahme in die Preußische Akademie der Künste und weitreichender Anerkennung als Schriftsteller für ihn endlich einmal so richtig angefangen gut zu laufen, nach über 20 Jahren Undergroundlyrik, Pfennigbeträgen und Lesungen vor sieben Leuten in verrauchten Cafes alle drei Jahre. Da will er, kaum da oben angekommen, nicht schon wieder die Segel streichen, und die Nazis sind ihm lieber als die Kommunisten, also heult er vorsichtshalber mit den Wölfen – bis sie schon nach ganz kurzer Zeit ihn selber anspringen: Schreibverbot. Aus der Traum. Ästhetisiertes Leben hieß dann Einheitslook und auf die Schnauze, alles mit Blickpunkt Krieg.

All das ist bekannt, warum verschweigen? Und im Gegenzug immer wieder den jüdischen Freundeskreis Benns betonen, etwa dass eine „jüdische Wohnungsnachweisfirma“ ihm die Wohnung in der Bozener Strasse in Schöneberg gefunden habe etc?
Darüberhinaus macht Dyck die anderen schlechter als sie waren. Die üblichen Verdächtigen sind die Kommunisten – Egon Erwin Kisch und grrrr, apage satanas: Johannes R. Becher – sowie die russische Kulturbürokratie nach dem Krieg und alle Emigranten, die – aus durchaus nachvollziehbaren Gründen – nach 1945 so gut auf Benn nicht zu sprechen waren, etwa Alfred Döblin. Der war Literaturinspekteur der französischen Militärverwaltung – Oberst Döblin! – und erinnerte sich an ein paar Vorkommnisse im Jahr 1933, an Benns Haltung, und war entsprechend nicht gerade der, der Benn zur Speerspitze des deutschen Widerstands gerechnet hätte, war aber andererseits weit davon entfernt, Benn in irgendeine Pfanne zu hauen, nein, Döblin war ein Gentleman und er wußte, um welch großen Lyriker es sich bei Benn handelte. Bei Dyck wird er zu demjenigen, der Benn zum Nazi stempelt. Das ist Wadenbeißerei.

Wer „Benn in Berlin“ trotzdem haben muss, lasse sich vom hässlichsten Photo Benns auf dem Cover nicht abhalten.
Erfrischend anders Jörg Magenau in einem biografischen Essay der Reihe „Leben in Bildern“ des Deutschen Kunstverlages: souverän, inspiriert, frei von Vorurteilen, up to date. Wunderschön altmodisch die Bildgestaltung, riesige Sepia-Photos, und der schnelle Biographie-Essay ist eigentlich alles, was man braucht, wenn man wissen will, wer denn der dicke Herr war, der die Frauen reihenweise hinters Licht geführt hat, sich diese Gedichte abgerungen hat, 1944 den blutjungen Rekruten in der Landsberger Kaserne nachblickte und wußte, dass sie alle in den Tod marschierten, der in den frühen Jahren Else Lasker-Schüler schwer enttäuschte – Helma Sanders-Brahms hat uns das in einem brillant beißenden Buch bewiesen – , der auch spät, als alle schon wieder am Feiern waren, immer noch nicht bereit war zu glauben, dass alles besser wird, und nebenbei (Migräne, Arztberuf, wenig zu essen, ewig müde) solche Sachen schrieb wie die Autobiografie „Doppelleben“, einen der großen deutschen Texte des 20. Jahrhunderts. Dass man in Berlin keine Strasse nach ihm benannt hat und keine benennen wird, hat natürlich mit seinem Stallgeruch zu tun, ähnlich wie man Konrad Zuse soeben eine Strasse in Dahlem verweigert hat, weil er nicht daran gedacht hat, einmal wöchentlich „Ich bin kein Nazi“ in sein Notizbuch zu schreiben. Er hatte keine Zeit, er saß in einem Häuschen am Kreuzberg und war dabei, die größte technologische Revolution des 20. Jahrhunderts zu erfinden und weiterzuentwickeln – den Computer. Gut möglich, das diese beiden Grübler – Zuse allerdings 25 Jahre jünger – sich in einer Stehkneipe irgendwo zwischen Rathaus Schöneberg und Möckernbrücke gegenüberstanden. Und schwiegen.

Jörg Magenau: GOTTFRIED BENN. Deutscher Kunstverlag 2010; 64 S.; 19,90 €
Joachim Dyck: BENN IN BERLIN. Transit Buchverlag Berlin 2010; 151 S.; 16,80 €

 

 

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