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Monatsarchiv für Dezember 2011

29. Dezember 2011 12:00:34

… so oder so: Missverständliches

„Engel“ -Bestattungen, Invalidenstraße 1a, 10115 Berlin und Engel-Bestattungen, Schönstraße 1a, 13086 Berlin. http://www.engel-bestattungen.de/kontakt.html

 

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Alltägliches

 

23. Dezember 2011 21:39:32

… ein Kurzkrimi: Lissy’s Sturz

Roy hatte etwas Jungenhaftes und Gutmütiges an sich. Beides war erkennbar in seinem Gesicht vereint. Er nahm das Leben (auch in seinem Beruf als Programmierer, in dem er sehr gut verdiente) so wie es kam. – Dieser Dezembersonntag ließ sich gut für ihn an, denn die Wege waren schneefrei, die Luft feucht, aber nicht kalt. Seiner üblichen Runde mit dem Mountainbike stand also nichts im Wege. Von der Invalidenstraße bog er hinter dem Bundeswirtschaftsministerium auf den Weg entlang des Berlin-Spandauer-Schifffahrts-Kanals ein und fuhr, vorbei an den westwärts der Wasserstraße gelegenen Lagerhallen – teilweise alten, dennoch schönen Klinkerbauten, zwischen denen das Unkraut seit Jahren wuchert – zügig Richtung Wedding. Roy passierte den Invalidenfriedhof und obwohl ihn Geschichte eigentlich kaum interessiert, wollte er sich schon längst einmal mit einigen der auf den Grabsteinen verewigten Namen, mit sehr unterschiedlicher Herkunft, beschäftigen. Dann radelte er an den Vierstöckern in der Kieler Straße vorbei, wo ihn die Drahtgitter der Balkone jedes Mal wieder an die Käfighaltung von Hühnern erinnerten. Schon kamen rechterhand die, selbst heute noch modern wirkenden, Bauten der ehemaligen Schering AG in den Blick. An der Stelle, wo der Weg die Brücke an der Sellerstraße unterquert und zum Wasser hin stark abschüssig wird, fuhr er langsamer. Unmittelbar hinter dem Brückenfundament sprang plötzlich ein vermummter Mann aus dem Gebüsch hervor, stieß ihn mit voller Wucht um, so dass er mit seinem Rad auf den Uferbeton stürzte und beinahe in den trüben Kanal gefallen wäre.

Lissy – Krankenschwester von Beruf – tastete mit beiden Händen vorsichtig Hals und Wirbelsäule des muskulösen Mannes ab. Ihre Hände gingen sehr sanft vor, was mit ihrem Gesichtsausdruck korrespondierte, der beinahe so etwas wie Erleichterung ausstrahlte.“Ich muss trotz des Helmes irgendwas abbekommen haben, kann den Kopf nicht mehr richtig heben“, flüsterte Roy und ein leises Stöhnen erfüllte den Raum, der von Kerzen erleuchtet war. „Wenn ich den Kerl nur erkannt hätte, aber als ich wieder zu mir kam, war er weg.“ Lissy küsste den Nacken des vor ihr liegenden Mannes an verschiedenen Stellen, als ob sie dadurch den Schmerz lokalisieren und lindern wollte. Roy liebte diese aparte Frau mit der sportlichen Gestalt und sie wusste es. Nur ihr deutliches Interesse für schönes Leben und Luxus verstörte ihn manchmal, genauso wie ihr zuweilen rätselhafter oder abwesender Blick. – „Du musst nochmal zum Arzt; wenn der Notarzt auch keine Gehirnerschütterung festgestellt hat – es ist zu riskant – man wird eine MRT-Untersuchung von Hals und Wirbelsäule machen müssen. Wir dürfen“, lächelte Lissy ihren Freund hingebungsvoll an, „unseren Urlaub nicht gefährden – es wird jetzt schwierig, noch einen Termin zu bekommen, aber ich rede mal mit Torsten.“ Roy zuckte bei diesem Namen zusammen. „Ausgerechnet dein Ex, dieser Besserwisser“, kam es aus ihm heraus. Lissy lachte jetzt laut auf. „Er weiß nichts von dir, aber es wird sein letzter Dienst für uns beide. Und vergiss nicht: Torsten ist ein guter Arzt.“ Roy wusste das, aber er ahnte auch, warum Lissy immer noch an diesem Mann hing.

Der Termin im Krankenhaus Friedrichshain kam erwartungsgemäß noch kurzfristig zustande. Die Schwester gab Roy einen Fragebogen zum Ausfüllen und wies anschließend darauf hin, dass die Untersuchung ca. 20 Minuten dauern würde. Außerdem: Da diese Technik – Roy war, immerhin war es neue Medizintechnik der Firma Siemens, über die Aussage der Schwester etwas erstaunt – nicht unerhebliche Geräusche produzieren würde, müsse er während der Untersuchung Ohrstopfen tragen, die ihm die Schwester aushändigte. Als er sich dann auf den Schlitten legte, wurde sein Kopf arretiert und trug nun eine Art Helm. In diesem Moment kam Torsten herein, begrüßte höflich den vor ihm liegenden Patienten und übernahm nun selbst das weitere, während sich die Schwester in das Wochenende verabschiedete. Kurz bevor der Schlitten  in die Anlage, die wie ein offener Rachen auf Nahrung zu warten schien, einfuhr, hörte Roy den Arzt noch fragen: „Haben Sie denn inzwischen etwas über diesen Mann erfahren, der Sie vom Fahrrad gestoßen hat?“ Obwohl Roy die Stimme von Torsten akustisch bereits leicht verzerrt wahrnahm, glaubte er einen ironischen Unterton heraus zu hören. Aber da war er bereits mit seinem Oberkörper in der Maschine.

In den ersten Sekunden war es totenstill. Roy konnte sich nicht bewegen. Es war extrem eng in dieser Röhre und der Abstand von seinem Gesicht bis zur oberen Wandrundung betrug höchstens zehn Zentimeter. Der Mann musste seinem Gehirn befehlen, Ruhe zu bewahren, um seine Platzangst zu überwinden. Dann setzte das rhythmische Klopfen der Maschine, verursacht durch elektromagnetische Wellen und Magnetfelder, ein – es war trotz der Ohrstopfen noch erschreckend laut. Dann änderte sich schlagartig die Frequenz der Klopftöne, aber die Lautstärke war nicht weniger unangenehm. Dann folgte erneut ein Wechsel der Klopfrhythmik.- Roy war angespannt, aber er konnte kein System heraushören und spürte, wie Beklemmung in ihm aufstieg. – Woher wusste dieser Torsten eigentlich von diesem Detail, er hatte in der ärztlichen Voruntersuchung doch einen ganz anderen Grund für den Sturz angegeben?? – Plötzlich hörte Roy die Geräusche kaum noch, etwas anderes, furchtbar Schreckliches erfasste ihn, trieb ihm den Schweiß aus allen Poren und lähmendes Entsetzen befiel ihn …

Torsten und Lissy waren auf dem Weg zum Flughafen Tegel. Sie war, was er natürlich sofort merkte, an diesem Tag in ambivalenter Stimmung. Um sie aufzumuntern, erzählte er ihr von dem Weihnachtsbaum-Kauf für seine Mutter: „Der hatte nur elende Krücken auf seinem Platz zu liegen. Dann hat mir der Verkäufer – ich glaube, ein Pole, während die Bäume aus Dänemark sein sollen, ich glaub’s nicht – einen brauchbaren gezeigt. Die Chefin wollte mir, da ich sie zappeln ließ, 15% Rabatt geben. Ich sag zu ihr, die nehm ich gern, aber der Verkäufer soll mir noch das Stammende dünner hacken, denn der Baumständer meiner Mutter ist ein uralter. Was meinst du, wie die Cheftanne geguckt hat.“ Das waren diese Geschichten, die Torsten liebte und manchmal auch Lissy. – „Hast du sein Konto abgeräumt“, fragte er nach kurzer Pause und sein ebenmäßiges, intelligentes Gesicht blieb völlig regungslos dabei. „Ja“, antwortete sie zögernd und schaute ihn dabei nachdenklich an, was ihrem schönen Gesicht etwas Klassisches verlieh. „Du brauchst keine Angst haben. Da, wo wir hinkommen, hab ich vorgesorgt.“ – „Er ist ein ehrlicher Mensch“, schob Lissy nach. „Und ein Dummkopf dazu“, trompetete ihr Ex-Freund nun plötzlich, sonst hätte er nicht auch noch seine Lebensversicherung zu deinen Gunsten ergänzt.“ Ich muss diese Frau halten, schwor er sich.

In Tegel hatten sie noch etwas Zeit und obwohl sie die Sicherheitskontrollen überzogen fanden und das Getue der dort Beschäftigten ihnen regelmäßig auf die Nerven ging, nahmen sie sich die Zeit, vor dem Abflug noch ein Bier zu trinken, denn die kostenfreie Bewirtung während der Flüge hatte inzwischen ein homöopathisches Niveau erreicht. Lissy schaute aus den Augenwinkeln in Torstens Gesicht. Sie hatte ihn, obgleich ihr nie der Gedanke an Heirat kam, immer bewundert ob seines Selbstbewusstseins, seiner Klugheit, seines sicheren Geschmacks und ein wenig auch wegen seiner Arroganz, die er immer dann zeigte, wenn etwas total von seinem Standard abwich. Dieser Mann, soviel war ihr klar, war rigoros, aber er könnte ihr auch für die Zukunft etwas bieten. Nun, sie hatte sich jetzt entschieden.

Als die Polizei beide am Check-in-Schalter festnahm, ging sein Blick sofort zu ihr. Der Gesichtsausdruck war der gleiche verächtliche wie damals, als ein erfahrener Kollege aus seinem Krankenhaus die einfache Operation verpfuscht hatte, was wirklich niemand für möglich gehalten hätte. „Ich war im Krankenhaus“, entgegnete Lissy fast tonlos. Das war’s dann für dich. Außerdem liebe ich Roy.“

Aufgrund Fluchtgefahr blieben jedoch beide in Untersuchungshaft. Torsten wegen Mordverdacht, zumindest schwerer Körperverletzung in zwei Fällen und Lissy wegen Beihilfe. Dass sich diese schöne Frau in letzter Minute für Roy entschieden und ihn aus dieser MRT-Anlage befreit hatte, belastete sie nun schwer. Der Mann, der sie einmal liebte, hatte sich entschlossen, bei der Polizei zu allen Punkten auszusagen und dabei auch erwähnt, wie sie sich seine finanziellen Ersparnisse erschlichen hatte. Für Lissy, deren gewollt flirrendes Doppelleben zwischen zwei Männern nun zu Ende ging, war all das zum Jahresende ein Sturz aus ungeahnter Höhe.

 

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23. Dezember 2011 00:20:54

… Friedrichstraße: Halblange Anbahnung

Der heutige Donnerstag, tagsüber ein nichtwinterlicher, mutierte zum Abend hin in einen beinahe frühlingshaften, nieselregnerischen. Die Bürgersteige entlang der Friedrichstraße sind dennoch leidlich ausgelastet und – um den Bahnhof herum – sieht man auch heute wieder die Anbahner. Sie bringen Protest, Mitleid, Interesse und anderes vor und an den Vorbeigehenden. Sie machen auf die geschundene Natur aufmerksam oder zeigen mit Fotos auf Unrecht und Unmenschlickeit. Die Anbahner werben um die Aufmerksamkeit der Passanten und ihr Geld.

Unmittelbar am U-Bahn-Eingang steht ein baumlanger, junger Mann, der die Berliner Zeitung anpreist. Vor ihm, sie reicht ihm nicht mal bis zur Brust, eine junge Frau, modern gekleidet, Typ Annett Louisan. Sie muss den Kopf mächtig in den Nacken legen, um zu dem Anbahner aufzublicken. Er kann, so ich ihn von weitem sehe, unmöglich von einem Zeitungs-Abo reden, dazu schaut sie viel zu verzückt nach oben. Irgendetwas Nettes süßholzraspelt ihr der Dirk Nowitzki unter den Abo-Werbern vor. Erst als ich – auf Höhe der beiden – an ihnen vorbeimarschiere, kommt die entscheidende Frage: „Na, was hälts Du denn nun von einem Probe-Abo der Berliner Zeitung?“

Da ich hinten keine Augen habe und meine Ohren mit denen der Fledermäuse nicht konkurrieren können, bleibt das Ende dieser Anbahnung leider offen.

 

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22. Dezember 2011 14:12:25

… drauf: Glücksstück von Helena Waldmann im Radialsystem

Man wird vorweihnachtlich empfangen: der Blick fällt in eine Art Manege überstanden von einem gold glitzernden Beduinenzelt, ein fröhlich gepfiffener Loop aus dem Intro von Mr. Bojangles ertönt. Es ist ein Ort zum glücklich sein. Die Tänzer treten auf, lächeln charmant, alles swingt verführerisch, alles ist ganz leicht. Doch irgendwann wird dieses Glück doch ein bisschen langweilig, man fragt sich, ob das schon alles war, was an Glück möglich ist und so allmählich verändert sich die Wahrnehmung des Angenehmen in eine Endtäuschung. Wut kommt auf, darüber, dass andere vielleicht noch glücklicher sind, dass man das eigene Glück nicht halten kann, oder auch darüber, dass man es sich selbst durch Zweifel, Ehrgeiz oder Neid zerstört. Diese gesellschaftlich verordnete Pflicht zum Glücklich-sein kann schön richtig nerven. Überall diese Ratgeber und das allgemeine Streben nach Glück, koste es was und schade es wem es wolle. Man kann wahnsinnig werden darüber …

Besonders gefallen hat mir die Musikauswahl und die Interpretationen von einzelnen Stimmen oder Stimmsätzen: da wird eine Trompete zum Weinen eines Babys, um das sich ein Vater fürsorglich kümmert, ein Bläsersatz zur wütenden Publikumsbeschimpfung und ein Gesang zu gnadenlosen Befehlen von erbarmungslos glücklichen Nussknackern. Auch die Einzelleistungen des vier Tänzer (André Soares, Brit Rodemund, Moo Kim und Tobias M. Draeger) waren ebenso mitreißend dynamisch wie sinnlich gefühlvoll, wobei besonders Moo Kim nicht von dieser Welt zu sein scheint: er tanzt einfach grandios energetische Solos.

Es war ein großes Glück, dieses Stück zu sehen und es bleibt zu wünschen, dass es wieder mal zu sehen sein wird.

 

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21. Dezember 2011 13:12:26

… wortklauberisch: Der Gott des Gemetzels von Roman Polanski

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Vier gepflegte New Yorker, jeweils als Elternpaare von zwei Jungs, treffen sich in der Wohnung des einen Paares, um die Probleme zu klären, die dadurch entstanden, dass der eine Junge dem anderen bei einer Rauferei unter Freunden mit einem Stock zwei Zähne ausgeschlagen hat. Schon nach wenigen Sätzen ist klar, dass dabei sehr unterschiedliche Ansichten zu den Themen Schuld, Verantwortung und Erziehung aufeinander treffen. Hinter einer ausnehmend höflichen und vorsätzlich freundlichen Fassade dreht sich das Gespräch recht schnell ins ebenso persönlich Verletzende wie grundsätzlich Ideologische. Ein brillant ätzender Satz toppt den vorigen und bald lösen sich die paarweise verteilten Fronten auf: man solidarisiert sich mal nach Geschlecht, Herkunft, sozialer Schicht bis sämtliche Bande feinsäuberlich zerrissen sind. Es wäre an sich furchtbar deprimierend, wie mies diese Großstädter aufeinander losgehen, wenn nicht die Schauspieler allesamt großartig und die Dialoge dieser Theateradaption von Yasmina Reza so treffen komisch wären.

Gesehen im Kino International

 

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Kino

 

17. Dezember 2011 22:05:51

… sakra: Der blaue August oder Bayern in Berlin

Bayern hatte bis vor noch gar nicht so langer Zeit den einzigen Ministerpräsidenten unter den Kabarettisten. Diese Auftritte sind leider vorbei, jetzt kommt nur noch Bierernstes von dort unten. Die heimatdurchtränkte CSU verlor über den rauchgeschwängerten Tischen der Bierzelte in den letzten Jahren die absolute Stimmenmehrheit (einzig vergleichbar mit dem Aussterben der Dinosaurier) und selbst der einst nach Berlin und in die weite Welt entsandte KT wirft nur noch undankbare Schatten auf seine bergige Heimat.

Des ungeachtet ist die bayrische Exportoffensive nach Berlin, befördert durch die bayrische Vertretung in der Hauptstadt, nie zum Stillstand gekommen. Dass auf der diesbezüglichen Website das Wort Botschaft in Anführungszeichen gesetzt wurde, soll Ironie vortäuschen, ist aber ein krachlederner Fehler. Denn: Nirgends ist das Selbstwertgefühl so ausgeprägt wie in Bayern und wo sonst noch kann man derart fein ziselierte Meinungsäußerungen hören, wie von bayrischen Politikern oder Funktionären des FC Bayern München. Dennoch: Was wäre Berlin ohne bayrische Küche, ohne den preußisch zurechtgestutzten Ableger des Oktoberfestes, was wird Hertha ohne den bayrischen Trainer (der Klubleitung stünde etwas mehr Selbstbewusstsein gut) und wie sähen die Berliner inbesondere ohne ihn aus – August?

Der blaue August, Nachname Lenz, ist so um die 1,70 m groß. Man findet ihn, obwohl er kaum auffällt, – gleichzeitig – zu Dutzenden in Berlin – auf Bahnsteigen, an Hausecken, in Warenhäusern oder Supermärkten. Neben dem Blau finden sich noch andere Farben in seinem roboterhaften Erscheinungsbild, manchmal leuchtet er wie ein durchgeknallter Spielautomat. Er ist der eigentliche bayrische Favorit in Berlin, ohne ihn geht vieles nicht, daher sollten wir – zumal er immer die Klappe hält – darüber nachdenken, ihm die Ehrenbürgerwürde anzutragen. Die Anfrage wäre zu richten an das Bankhaus August Lenz in München, dessen Geldautomaten dafür sorgen, dass wir flüssig bleiben.

 

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Alltägliches | Freizeit

 

14. Dezember 2011 19:04:13

… dezemberlich: Bekennerschreiben

Leute, schaut auf diese Stadt! Der Berliner Senat, mühelos in verborgener Kleinarbeit vorbereitet, nach außen hin aber gewohnt lässig – proudly presents: Eine neue Maßeinheit – das Braun. Ein Braun (in Zahlen: 1) ist die Zeit zwischen der Ernennung und dem Ausscheiden eines Senators und wurde nach dem Eichometer, das im Keller des Roten Rathauses installiert wurde, auf genau elf (in Zahlen: 11) Tage festgelegt. Wie wegweisend und kooperativ Berlin wieder arbeitet, zeigt sich daran, dass diese neue Einheit auch für Minister, Parteivorsitzende und Generalsekretäre, Trainer aller Art, Intendanten, vor allem aber für die Bearbeitungszeit in der Verwaltung genutzt werden kann. Für die Prüfung einer Steuererklärung (also, wenn der Bürger ein Rückzahlung erwartet) könnte man zehn Braun in Ansatz bringen. Ja, hier wurde know how kreiert, dass andere Bundesländer übernehmen könnten, wenn sie  nicht selbst schon genug Ärger haben. Wie geht es nun, dezemberlich gefragt, in unserer Stadt weiter: Rot (+Purpur!)/Schwarz oder sexy?

Keine Ahnung, denn Berlin ist ja vor allem die Stadt der Touristen. Wir anderen leben hier nur und schätzen die alltäglichen Abläufe und Höhepunkte. So gefallen mir z. B. die DPD-Fahrer ausnehmend gut. Die klingeln eine Nanosekunde an der Haustür, aber noch vor Ablauf dieser Zeitspanne sind sie wieder weg, drücken einem Kioskbesitzer die Sendung in die Hand und vergessen dabei, den Zettel im Briefkasten des eigentlichen Empfängers anzubringen. Denn: Die Bewegung ist alles, das Ziel nichts. Oder unsere Politessen mit ihren schmucken Uniformen und adretten Frisuren: Sie machen einen großen Bogen um Firmenfahrzeuge, die Eingänge blockieren und um Kampfhundebesitzer, deren Lieblinge ihre Beißerchen maulkorbfrei zeigen. Nur der private Falschparker steht auf ihrer cash-Liste und hat eine reale Chance für die Aufnahme in eine Sünderdatei.

Ich bekenne weiterhin: In dieser Stadt der Kreativen und Think Tanks soll der Teufel all jene holen, ob Firma oder Behörde, die – obwohl sie es sich leisten könnten – junge Leute und Absolventen für Praktika, Wochenendarbeit und Überstunden gar nicht oder nur erbärmlich bezahlen, ihnen nicht mal einen Arbeitsvertrag geben. Weiter: Sollen doch Hauseigentümer und Vermieter auf ihren notdürftig sanierten Wohnungen, die sie von Auszug zu Auszug immer teurer vermieten, sitzenbleiben. Und: Ich wünsche allen ein nachdenkliches Weihnachtsfest, die ihre Kunden betrügen, ob sie Banker, Arzt oder Gemüsehändler sind oder jene, die, national berauscht, vermeintlich Schuldige bei Minderheiten suchen und die wirklichen Übeltäter nicht sehen wollen.

Schließlich: Welcher Stellenwert für diesen Senat, mit dem wir noch viel erleben werden, und seinen Kultursenator große deutsche Literatur und das deutsch-deutsche Kulturerbe besitzt, zeigt die Nichtanwesenheit offizieller Vertreter bei der Beerdigung von Christa Wolf. – Für Ignoranten hilft vom Weihnachtsmann nur noch die Rute und am besten für 2012 vorsorglich gleich mit!

 

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10. Dezember 2011 11:19:30

… letzte Runde: Heidekraut und Tannengrün

Ab und an haben wir uns beim Training im Jahn-Sportpark oder bei einem Wettkampf getroffen. Achim war aufgrund seiner Länge, seines großen, mit wenigen, hellen Haaren bedeckten Kopfes und des, durch den nach vorn gebeugten Körper, besonderen Laufstils schon von weitem zu erkennen. Irgendwann aber kam diese Krankheit und sprang ihn an wie ein wildes Tier. Aber er lief weiter, als wollte er es abschütteln. Als es nicht mehr ging, war auch kein Laufen mehr. Vor einigen Monaten ist Achim gestorben – lange vor der Zeit für Menschen seines Alter, für jemanden wie ihn. Der Tod hatte sich einen von denen geholt, die immer aktiv waren und ihren Körper stählten. Er wollte sich nicht nachsagen lassen, dass man ihm auf diese Art und Weise entkommen könne. Gerecht wollte er erscheinen, der doch immer Ungerechte. – Am Rand der Tartanbahn im Sportpark haben Lauffreunde für Achim einen kleinen Stein beschriftet, umgeben von Heidekraut und Tannengrün. Und Runde um Runde laufen wir nun daran vorbei, diejenigen, die ihn kannten und jene, für die er fremd bleiben wird.

 

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Alltägliches

 

6. Dezember 2011 21:47:15

… Kaleidoskop des Lebens: „The Family of Man“

Gruppenbildnisse sind insofern etwas besonderes in der Malerei, da sie meist nach Auftrag entstanden und oft Repräsentationszwecken dienen sollten. Die Gemälde geben etwas vom sozialen Status der Dargestellten preis, sind aber auch Hinweis auf die Stellung des Malers und seines Verhältnisses zum Auftraggeber. Manchmal ist jedoch noch mehr zu sehen: So ist RembrandtsDie Anatomie des Dr. Tulp“ eines der interessantesten Gruppendarstellungen in der Malerei überhaupt, denn selten wird der Mensch so anschaulich wie hier zwischen Erkenntnis und Endlichkeit gezeigt. Ein anderes, ebenfalls bekanntes Gruppenbildnis stellt Goyas  – Die Familie Karls des IV“ dar. Der spanische Maler erfasste mit dem Bild offenbar nicht nur den Geschmack, sondern sogar das Wesen dieser damals Mächtigen. Goya hat weder das Imponiergehabe des Königspaares, noch, im besonderen, das Misstrauen, die Eitelkeit, ja Hässlichkeit auf dem Antlitz der Königin und das Kaulquappengesicht des Königs unterschlagen, so dass man sich fragt, wie er mit diesem Gemälde überhaupt die Akzeptanz seiner Auftraggeber erlangen konnte.

Bei Gruppenfotos geht es zunächst einmal um einen Moment, der aber auch wesentliches offenbaren kann. Zwei Beispiele: Das Foto (S. 109) von Arthur Witmann, einem US-amerikanischen Fotografen, zeigt eine Gruppe Menschen in einer offensichtlich unterhaltsamen Veranstaltung. Es bereitet große Freude, auf dieses lebensbejahende Bild zu blicken. Ein zweites Foto sei hier genannt: Vito Fiorenza hat vermutlich (S. 56) eine sizilianische Landarbeiterfamilie abgebildet – zwei Erwachsene und vier Kinder. Die Gesichter des Mannes und der Frau spiegeln große Wahrhaftigkeit und Offenheit wieder, in der Bescheidenheit und zugleich Zuversicht deutlich werden, obwohl die ebenfalls fotografierte Zimmereinrichtung auf ein eher einfaches, karges Leben schließen lässt. Diese Abbildungen und 500 weitere von berühmten, aber auch von weniger bekannten, Fotografen wurden aus tausenden weltweit ausgewählt und in die einmalige Sammlung von Edward Steichen aufgenommen, die er 1955 für eine Ausstellung im The Museum of Modern Art, New York, zusammenstellte. Die Exposition ging danach auf Reisen und ist seit 1994 als Dauerausstellung im Schloss Clervaux (Luxemburg) zu sehen.

Diese Fotos sind aber auch als Bildband (obige Seitenangaben beziehen sich darauf) „The Family of Man“ (zwölfter Nachdruck 2010) erhältlich. Es ist ein großartiges Buch, als Geschenk eine bleibende Erinnerung und seinen Preis von 18,00 € allemal wert! Vielleicht noch erhältlich in der Buchhandlung im Martin-Gropius-Bau bzw. auf Bestellung.

 

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1. Dezember 2011 22:45:02

… zu Ende gegangen: Christa Wolf

„Die Stadt, kurz vor Herbst noch in Glut getaucht nach dem kühlen Regensommer dieses Jahres, atmete heftiger als sonst. Ihr Atem fuhr als geballter Rauch aus hundert Fabrikschornsteinen in den reinen Himmel, aber dann verließ ihn die Kraft, weiterzuziehen. Die Leute, seit langem an diesen verschleierten Himmel gewöhnt, fanden ihn auf einmal ungewöhnlich und schwer zu ertragen, wie sie überhaupt ihre plötzliche Unrast zuerst an den entlegensten Dingen ausließen. Die Luft legte sich schwer auf sie, und das Wasser – dieses verfluchte Wasser, das nach Chemie stank, seit sie denken konnten – schmeckte ihnen bitter.
Aber die Erde trug sie noch und würde sie tragen, solange es sie gab …“

„… Der Tag, der erste Tag ihrer neuen Freiheit, ist fast zu Ende. Die Dämmerung hängt tief in den Straßen. Die Leute kommen von der Arbeit nach Hause. In den dunklen Häuserwänden springen die Lichtvierecke auf. Nun beginnen die privaten und öffentlichen Zeremonien des Abends – tausend Handgriffe, die getan werden, auch wenn sie am Ende nichts anderes bewirken als einen Teller Suppe, einen warmen Ofen, ein kleines Lied für die Kinder. Manchmal blickt ein Mann seiner Frau nach, die mit dem Geschirr aus dem Zimmer geht, und sie hat nicht gemerkt, wie überrascht und dankbar sein Blick ist. Manchmal streicht eine Frau einem Mann über die Schulter. Das hat sie lange nicht getan, aber im rechten Moment fühlt sie: Er braucht es.
Rita macht einen großen Umweg durch die Straßen und blickt in viele Fenster. Sie sieht, wie jeden Abend eine unendliche Menge an Freundlichkeit, die tagsüber verbraucht wurde, immer neu hervorgebracht wird. Sie hat keine Angst, daß sie leer ausgehen könnte beim Verteilen der Freundlichkeit. Sie weiß, daß sie manchmal müde sein wird, manchmal zornig und böse.
Aber sie hat keine Angst.
Das wiegt alles auf: Daß wir uns gewöhnen, ruhig zu schlafen. Daß wir aus dem vollen leben, als gäbe es übergenug von diesem seltsamen Stoff Leben.
Als könnte er nie zu Ende gehen.“

(Erster und letzter Abschnitt aus dem Roman „Der geteilte Himmel“ von Christa Wolf – Aufbau-Verlag, Berlin und Weimar, 1975)

 

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