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Monatsarchiv für November 2013

24. November 2013 18:31:21

…neugierig auf: Epochenwende

Zwei Tendenzen markieren das Ende einer kulturellen Epoche: einsetzende Historisierung und das Auftauchen des Eklektizismus als kultureller Leitstil. Nicht von ungefähr läutete Lady Gaga neulich das Ende einer solchen Epoche in Berlin ein, und zwar mit ihrem lächerlichen Feuerwerk unterschiedlichster Stile gekoppelt an ein tiefsitzendes Bedürfnis nach Anerkennung als Künstlerin, und schlau wie sie zu sein glaubt, meint sie zu wissen, dass sie nicht in New York, wo Geld und Kunst auf ewig untrennbar verwoben sind, sondern in Berlin, wo der Künstler noch als solcher reüssieren kann, geadelt werden würde. Da war sie zu spät dran, haucht jedoch ihren Odem über eine Szene, die mehr und mehr von dem lebt, was vor 20 Jahren als Menetekel an der Wand stand: anything goes. Hier in Berlin geht zur Zeit alles, und Hauptsache du bist dabei. Kein Fokus, keine gebündelte Energie, viel Spaß bei der Abendgestaltung entweder im abgefucktesten oder dem teuersten Loch der Stadt – das scheint die einzige verbliebene kulturelle Entscheidung.

Dazu erfährt das Nachtleben der Vor- und Nachwendezeit Berlins seine gründliche Historisierung, denn nichts hat hier offenbar so viel Eindruck hinterlassen, so viele Geschichten, Anekdoten und Histörchen produziert, Wunden geschlagen und Promis produziert wie die endlose Party Berlins. Keine Literaturgeschichte, keine Theatergeschichte, keine Baugeschichte, noch nicht einmal eine politische oder Sozialgeschichte Berlins der letzten 40, 50 Jahre liegt vor – aber eine detaillierte Historie von Sex,Drugs and Rock´n´Roll in der Mauerstadt vom ersten Westberliner Bundeswehrflüchtling bis zum jüngsten australischen Partymacher. Von Felix Denk / Sven von Thülen: Der Klang der Familie – Berlin, Techno und die Wende (Suhrkamp 2012) über Ulrich Gutmair: Die ersten Tage von Berlin – Der Sound der Wende (Tropen 2013) bis hin zu Wolfgang Müllers kompendiumhaft daherkommendem und schlitzohrig wegschleichendem Wälzer Subkultur Westberlin 1979-1989 (Philo Fine Arts 2013), (zu schweigen von Ulrike Sterblichs Kleinmädchen-Pipifax Die halbe Stadt, die es nicht mehr gibt – eine Kindheit in Berlin (West) (Rowohlt, 2012) – allesamt wuchten sie mehr oder weniger schwer wiegende Denkmäler der Berliner Feierkultur zwischen die Buchdeckel.

So könnte eine Geschichte Berlins in jeweils „angesagten Szene- Örtlichkeiten“ von 1974 bis heute aussehen: Chez Romy Haag -> Dschungel -> Cafe M -> Exil -> SO36 -> Fabrikneu -> Paris Bar -> Kumpelnest -> Ex´n´Pop -> Rumbalotte -> Kaffee Burger -> Risiko -> Penny Lane´s -> Metropol -> Eimer -> Tresor -> Bunker -> 90 Grad -> berlintokyo -> Cookie -> E Werk -> Sniper -> WMF -> Berghain -> WestGermany -> White Trash -> ://about blank -> King Size Bar ::: natürlich fehlen die und der und das, klar.

Das nagelneue Bilderbuch dazu fackelt nicht lange mit dem Titel: Nachtleben Berlin 1974 bis heute (hg. von Wolfgang Farkas, Stefanie Seidl und Heiko Zwirner |Metrolit 2013). Vierzig kurze Statements – mehr oder weniger launische Interviews, irrlichternde Essays, flackernde Auslassungen über Macher, Trends und Orte; von Romy Haags erstem Club in der Schöneberger Fuggerstraße bis zur King Size Bar in der Friedrichstrasse und alle legendären Etablissements dazwischen – und natürlich viele Photos, die zum größten Teil, der Sache und ihrer Dokumentation angemessen, mehr mit gelegentlichem Knipsen als mit Fotokunst zu haben. Wer sich allzu gut erinnert, war bekanntlich nicht dabei – dieser Band ist die Hilfestellung.
Es hat etwas Deprimierendes, die Macher der Szene(n) vor allem der letzten zehn Jahre in diesem Buch zu vernehmen: Entweder man ist stolz darauf, in heroisch-antibürgerlicher Attitüde das Abgefuckteste vom Dreckigsten als Ambiente anbieten zu können – oder umgekehrt, man kam im und mit dem Nightlife zu Karriere, Geld und Ruhm. Und im Zuge dieser Entwicklung hat das Partyleben Berlins einen entscheidenden Schritt gemacht – es ist vom Nebensächlichen zum Wesentlichen geworden: die Party dehnt sich über nahezu die gesamten 24 Stunden des Tages aus, sie hält so viele Leute wie nie zuvor in Brot, sie ist der Verkaufsschlager der Stadt, sie erobert endlos und krakenhaft einen Ort nach dem anderen, und nicht von ungefähr dämmert dabei einigen, dass eben dieses Nachtleben der vielbeschworenen und –verfluchten Gentrifizierung mehr als nur Vorschub leistet.
Eine Epochenwende vollzieht sich allerdings nur in den seltensten Fällen mit schlagartiger Radikalität wie etwa 1945; Überschneidungen sind die Regel, aufblitzende Zeichen, lesbare Signaturen. Wo zeigt sich also heute das Neue Berlin, wie könnte es aussehen? Man darf gespannt sein, wozu die mächtige Internationalisierung der Kulturszene im Verbund mit einer starken Segmentierung der Subkulturen – kleine Jazzclubs, Hauskonzerte, winzige Bars und Kaschemmen für eine Handvoll Leute, improvisierte Orte für Comedy oder Burleske oder Punk oder Bildende Kunst oder Kochkurse oder oder oder – führen werden. Wir bleiben am Ball!

 

 

23. November 2013 13:48:55

… am Zug

U1 – U4

 

Autor:

Kategorie:

Text ohne Takt

 

21. November 2013 10:37:08

… in Topform

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Autor:

 

9. November 2013 12:00:34

… Albert Camus 100

Albert Camus wäre vorgestern 100 geworden, hätte seinem Wagen am 4. Januar 1960 nicht ein absurd plazierter Baum im Wege gestanden, der ihn urplötzlich mit „der einzigen unausweichlichen Fatalität des Lebens“, dem Tod konfrontierte. Sein Appell, uns Sisyphos als glücklichen Menschen vorzustellen, verhallt im Zeitalter allumfassenden Hedonismus und flächendeckender Ironie eher ungehört.

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Camus’ Philosophie des Absurden war ein loderndes Leuchtfeuer in der gottlosen Steppe zwischen Auschwitz und Hiroshima. Als er starb, war sie bereits Auslaufmodell. Seine Romane hingegen sind kanonisiert.
Permanente Revolte? Keine Zeit, muss einkaufen. Obwohl gerade dieser Aspekt seines Denkens angesichts der Einlullstrategien des zeitgenössischen Konsumismus und einer ganz anders gearteten drohenden Zerstörung der Welt aktueller denn je ist.

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Und die Götter wohnen auch nicht mehr da, wo sie mal waren.

 

 

3. November 2013 23:42:02

… dreimal im Leben. Arturo Pérez-Reverte präsentiert seinen neuen Roman

Zur ersten Begegnung kommt es 1928 auf einem Kreuzfahrtschiff, der Cap Polonio, auf dem der umtriebige Argentinier Max Costa als Eintänzer arbeitet. Eigentlich hat er es auf den Schmuck der reichen Damen an Bord abgesehen. Doch bei der jungen und schönen Musikergattin Mercedes (Mecha) Inzunza ist es mehr als das Perlencollier, das ihn reizt. Sie ist unwiderstehlich, und er lässt sich bei der Ankunft in Buenos Aires nur allzu gern darauf ein, ihr und ihrem Mann, dem spanischen Komponisten Armando de Troeye, zu zeigen, wo der echte Tango, El tango de la Guardia Vieja (wie das Buch im spanischen Original heißt)  gespielt und getanzt wird. Für De Troeye geht es um eine Wette mit Maurice Ravel, der erklärte, er würde einen Bolero schreiben, wenn es dem Kollegen aus dem klassischen Fach gelänge, einen Tango zu komponieren. Während der Musiker sich der Musik hingibt, sinkt Mecha in die Arme des armen Tänzers Max, der sich am Ende – Liebe hin, Leidenschaft her – trotzdem mit den Juwelen aus dem Staub macht.
Ende der 1930er Jahre begegnen Max und Mecha sich wieder. Armando sitzt in Spanien im Gefängnis, ein Opfer der Faschisten, es ist die Zeit des Bürgerkriegs. Mecha wartet in Nizza auf ihn. Max, der sich mittlerweile hauptsächlich als Kleinganove in Italien verdingt, wird vom Geheimdienst Mussolinis angeheuert, ein wichtiges Dokument aus einem Safe an der Côte d’Azur zu stehlen. Viel Geld wird ihm geboten, und er kann, wie meist, nicht nein sagen. Auch der faszinierenden Mecha kann er ein weiteres Mal nicht widerstehen. Vielleicht ist sie die Liebe seines Lebens? Doch wieder trennen sich ihre Wege. Mecha wird, nach dem Tod Armandos, den chilenischen Diplomaten Ernesto Keller heiraten. Ihr Sohn, Jorge Keller, macht sich schon bald als Schachgenie einen Namen. Die dritte Begegnung ist Sorrento in Italien. Es sind die 1960er Jahre, und Jorge bestreitet die Vorwettkämpfe der Schachweltmeisterschaft gegen den russischen Großmeister Mijail Sokolov. Gekämpft wird jedoch nicht nur mit sauberen Mitteln. Was Max Costa zunächst ziemlich egal ist: Er hat sich zur Ruhe gesetzt und verdient sich seine Rente als Chauffeur des renommierten Schweizer Psychiaters Dr. Hugentobler. Doch Mecha etwas abschlagen? Max kann es nicht. Zumal ihr Leben durch mehr als unerfüllte Leidenschaft ganz eng miteinander verwoben ist.

Arturo Pérez-Reverte, ehemaliger Kriegsberichterstatter und einer der bekanntesten spanischen Schriftsteller, präsentiert mit diesem großen Roman ein Alterswerk im besten Sinn. Er habe, so sagt er in einem Interview, die Idee zu dieser bewegten und bewegenden Geschichte schon seit über zwanzig Jahren im Kopf. Doch erst mit sechzig konnte er sie wirklich schreiben. Wie wird man alt und dennoch nicht traurig? Wie lebt man konsequent genau so, wie man es möchte? Wir gelingt es, die Leidenschaft eines wahren Tangos und einer echten Liebe, nie zu vergessen, selbst wenn Jahrzehnte die Begegnungen trennen? Ein schönes, romantisches, humorvolles, figuren- und action-reiches Buch, das sich, und auch das muss gesagt werden, in der gelungenen deutschen Übersetzung von Petra Zickmann (mit einem bezaubernden Cover unter dem Titel Dreimal im Leben bei Suhrkamp erschienen) fast noch schöner liest, als im Original.

Am Montag, den 4. November präsentiert Arturo Pérez-Reverte seinen Roman im Babylon. Die deutschen Passagen liest Boris Aljinovic. Mit dem Autor spricht Frank Wegner.

 

 

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