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Monatsarchiv für Mai 2014

30. Mai 2014 10:10:05

… immer gerne: die Schweighöfers

Der kleine Schweighöfer trinkt jetzt mein Bier, jenes einfache legendäre untergärige Bier, das außerhalb Bayerns bislang nirgendwo Helles hieß, Export meistens oder Lager, wenn’s aus England kommt. Das Bier der einfachen Leute, in Halbliterflaschen; nicht diese kleinen Fläschchen mit dem Silberhalsband, früher, und dem bitteren gehopften Zeug, Pils. Da das Helle nun als Wegbier – für den Weg – den Berliner Nahverkehr inklusive der hin- und wegführenden Straßen sowie als Wegbier – das muss noch schnell weg, bevor ich gehe – die Bars der Stadt erobert hat, holten die Braugiganten fix ihre abgehefteten Export-Braurezepte wieder raus, und einer von ihnen hat gleich den kleinen Schweighöfer engagiert, damit er uns verschmitzt von großen Plakaten herunter anlächelt und die Flasche Helles hinhält. Verschmitzt, damit wir verstehen, dass das hintere Wort in dem Slogan „Die Nacht wird Hell“ natürlich englisch ausgesprochen werden muss, aber das haben die Werbefuzzis nicht gemerkt.

Der große Schweighöfer weiß, wie so was geht. Neulich hat er mich von der Bühne des Deutschen Theaters herunter immer wieder angebrüllt. Günther! Günther! Bis ich merkte, dass er Günter ohne h brüllt, er spielt dort nämlich in Demokratie, dem Stück über Willy Brandt und die Guillaume-Affäre, den Stasi-Führungsoffizier von eben jenem Guillaume, Günter; und so kommt er immer wieder angeschwebt – Drehbühne! – und brüllt mit diesem herrlichen sächsischen Einschlag eben „Günter!“ und gibt Instruktionen. Ich war sofort auf Alert, dieser mit sächsischem Zungenschlag veredelte Tonfall hat mich bei Passkontrollen an den Grenzkontrollstellen der Transitstrecke von und nach West-Berlin (Westberlin?) jedes mal auf dem Fahrersitz stramm stehen lassen. Das vergisst man nicht.

Während der große Schweighöfer bis vor kurzem wahnsinnig lange Haare, einen dicken Bart und einen kugelrunden Embonpoint hatte und damit auf der Bühne die verrücktesten Typen geben konnte, ist der kleine Schweighöfer immer ganz adrett und gibt damit den Heinz Rühmann seiner Generation. Der war auch immer bereit, mit unschuldigem Lächeln und Lied auf den Lippen für uns die härtesten Aufgaben zu übernehmen: das Mysterium Frau und die Tücken des Sozialen. Heute heißt das Sex und Konsum, und der kleine Schweighöfer bewältigt das ganz genauso bravourös und spielt dann zwischendurch den Schiller wie Rühmann den Willy Loman. Die große überzeugende Travestienummer hat er in Rubbeldiekatz auch bereits souverän absolviert; Rühmann musste dafür in den 1950er Jahren auf die gut abgehangene Klamotte Charleys Tante zurückgreifen. Im Übrigen trinkt er vermutlich gar kein Bier, eher Sauvignon Blanc wie der Rühmann früher Adenauers Möselchen.

 

 

9. Mai 2014 18:26:16

… im Licht: Miriam Vlaming mit „Muse“ in der Galerie Martin Mertens

Schon durchs Schaufenster strahlen zwei großformatige Arbeiten nach draußen. Auf beiden Bildern steht eine Gruppe Menschen in gemaltem Licht, doch die Farb- und Raumstimmungen könnten kaum unterschiedlicher sein.

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Step into the desert (230 x 170 cm)

Die eine Gruppe – eine Familie über drei Generationen – steht im Freien, vielleicht irgendwo im mittleren Westen Amerikas, das Land ist staubig trocken und wie der Boden steht auch die Gruppe unter Spannung. Da ist der „alte Herr“ im Zentrum, links von ihm die Teile der Familie, die sich ihm zugehörig fühlen, seinen Schutz und seine Autorität anerkennen und rechts – etwas abseits – steht der Ausreißer. Ein halbstarker vom Typ James Dean oder Andy Warhol, der den Bruch mit den Traditionen herausfordert. Man spürt es zieht ihn weg vom Land, hinein ins Ungewisse. Seine kleine Schwester hält die Spannung nicht aus, verbirgt ihr vielleicht weinendes Gesicht in den eigenen Händen. Eine Momentaufnahme, die wie eine Familienaufstellung im gleißenden Sonnenlicht wirkt. Ein analysierender Blick durch ein Brennglas zum Thema Ablösung/Befreiung/Selbstwerdung.

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Johnny remember me (210 x 170 cm)

Die andere Gruppe ist völlig anderer Gestalt. Menschenähnliche Wesen auf einer Bühne – ist das eine kostümverliebte Goth-Rock-Band oder eine Art Totentanz im Zirkuszelt? Im grün-blauen Hintergrund spielen zwei Figuren auf Trommel und Klarinette und von links defilieren zwei Gestalten in die Mitte der Manege, angestrahlte von Scheinwerfern, so dass die Konturen im überzogenen Kontrast verschwimmen. Um sie herum scheint dingliches Licht zu schweben, wie eine Aura durchsetzt mit Lichtflecken von riesigen Glühwürmchen. Diese Gruppe zeigt keinen Konflikt, sondern eine Inszenierung. Eine Art Ritual gemacht für ein Publikum, das der Szene beiwohnen darf.

Auch die anderen Bilder der Ausstellung erscheinen als Spiel mit Licht und Lichtern: Lichtstimmungen, -strahlen, -reflexionen, Überblendungen, Beleuchtungen. Die Farben sind oft strahlend, machmal grell, im Dunklen verschattet aber stets farbig. Sie beleuchten das Ausstellungsmotto „Muse“ mehr mit Blick auf „Liebesbeziehungen“. Paare genießen das Leben, rauchend, tanzend, sich küssend.

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Smoke gets into your eyes (210 x 170 cm)

Miriam Vlaming setzt oft Personen in ihre Bilder, die aus privaten oder gefundenen Fotos entnommen sind, setzt sie in neue Kontexte, Räume und Beziehungen. Sie spiegelt fremde Leben ins eigene oder andersherum, malt persönlich und doch symbolisierend. Es sieht aus wie zufällige Schnappschüsse und doch verweisen die vielschichtigen Bilder mit ihren gemalten Mehrfachbelichtungen auf wirkungsmächtige Sehnsuchtsmomente, die eine ganze Lebensgeschichte beeinflussen.

Die Ausstellung von Miriam Vlaming in der Galerie Martin Mertens läuft noch bis Ende Juni.

 

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