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24. April 2008 23:45:22

… BB5: Re-Arts aller Länder vereinigt euch im Tagesprogramm der Berlin Biennale

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Blick in den Ausstellungsraum der Neuen Nationalgalerie während der Berlin Biennale 5

Was ist eigentlich los mit den Künstler/innen, die bei den Berlin Biennale Ausstellungen gezeigt werden? Wo ist das Interesse für die Gegenwart? Fast alle schauen nach hinten in die Geschichte von Orten, lesen verdeckte Spuren und machen diese für heutige Augen wieder sichtbar. Das mag ganz interessant sein, aber wohl besonders für Leute, die die (eigene) Geschichte als etwas ganz neues begreifen, um sie dann als Geschichten zu erzählen und aufzunehmen. Geschichte wird so zu Mythen umgebaut und auf dieser Ebene ist das Material der Vergangenheit für Künstler attraktiv und zugänglich. Die offizielle Geschichtsschreibung ist eben immer ein selektiver, kulturell geprägter Akt der Interpretation und eine Konstruktion der nachkommenden Generationen. Geschichtsschreibung ist somit eine kreative Leistung, sie hat Werkcharakter und drum machen sich verstärkt immer mehr Künstler ans Werk. Die beiden Kuratoren der Biennale 5 Adam Szymczyk und Elena Filipovic setzen voll auf diese aktuelle Richtung der nach hinten gerichteten, (regressiven?) Kunst, und sparen Künstler, die aus sich heraus (progressiv?) arbeiten, ziemlich konsequent aus.

Die Folgen? Bei der Pressekonferenz zur 68-Ausstellung in der Akademie der Künste hörte ich, wie ein Journalist seine Kollegin fragte: „Und, die Biennale gut überstanden?“ Ihre Antwort: „Schnell wieder vergessen!“ Das ist merkwürdig. Die Künstler stemmen sich gegen (das eigene) Vergessen und die Journalisten vergessen sie gerade deshalb möglichst schnell. Vielleicht liegt es daran, dass …

… die bearbeiteten Sujets meistens einfach schon zu durchgenudelt sind. Ein eklatantes Beispiel dafür wäre jedenfalls die Arbeit von Susanne Kriemann zum „Schwerbelastungskörper“ in Tempelhof, der ein Testobjekt der Nazis darstellt, an dem sie die Untergrundfestigkeit hinsichtlich der Baupläne zur „Welthauptstadt Germania“ ausprobierten. Diese Geschichte kennt wirklich jeder, der in Berlin ein bisschen historisches Bewusstsein hat. Sie wird sicher auch in der Ausstellung „Mythos Germania“, die seit neuestem hinter dem Mahnmal für die ermordeten Juden Europas als Touristenattraktion aufgebaut wurde, breitgetreten und sie ist dementsprechend – unkünstlerisch (oder was könnte das richtige Wort sein? Für Touristen aus Erlangen ist es vermutlich „faszinierend“). Im Programmbuch „Tag“ der Biennale liest man (ironischerweise) als ersten Satz dazu: „Kaum jemand dürfte der unverwüstliche 12650000 Kilogramm schwere Betonriese im Stadtteil Tempelhof bekannt sein …“ Naja, wenn man sich mit der Unbekanntheit mal nicht täuscht, und das Thema Unverwüstlichkeit passt irgendwie auch nicht. Erstens ist das Ding von sich aus wüst und zweitens zeigt es auch schon deutliche Spuren der Zersetzung und Auflösung. Man wird das unter Denkmalschutz stehende Bauwerk demnächst renovieren müssen, damit auch zukünftige Künstlergenerationen daran noch ihre persönlichen Geschichtserfahrungen erleben können. Wäre ja alles nicht so schlimm, wenn man anhand Susanne Kriemanns Arbeit nun irgendeine neue Erkenntnis gewinnen könnte, doch die einzige Erkenntnis (außer der exakten Gewichtsagabe), die ich dabei hatte, war, dass Frau Kriemann nun auch den Schwerbelsatungskörper kennt. Schön für sie, denke ich mir da – kann ich, genau wie die Journalistin, schnell wieder vergessen.

Auch der Ausstellungsort Neue Nationalgalerie scheint für die meisten darin ausstellenden Künstler so ein faszinierender Ort zu sein, in dem sie das Bedürfnis entdecken, sich selbst gegenüber der Geschichte zu positionieren. Natürlich ist Mies van der Rohes Bau eine Ikone der modernen Architektur, dessen reine Konzeptionalität auch heute noch viel Kraft verströmt. Manche Künstler finden darin (oder fürchten sich vor) eine(r) Spiritualität der Moderne, die von dem tempelartigen Bau auszugehen scheint. Folgerichtig beziehen sich die Arbeiten reihenweise auf die Miessche Arbeit, oder auf die seiner Frau, oder auf die moderne Architektur an sich oder es wird sonst irgendeine Brücke gefunden, die sich zur Neuen Nationalgalerie schlagen lässt.

Warum nur? Warum können die Künstler nicht aus sich selbst heraus, aus ihrem Alltag heraus, aus der politischen Lage, eben aus der Gegenwart heraus arbeiten? Sind sie alle schon so sehr im Kunstzirkus gefangen, dass das Ausstellen in der Neuen Nationalgalerie selbst zum Hauptthema und zum einzigen Interesse der Künstler und ihrer Kunst wird? Muss jeder Ort und jedes Gebäude, in dem man seine Arbeiten zeigt, von seiner Geschichte her bearbeitet werden und muss man sich unbedingt darauf beziehen? Kann man die Orte und Bauwerke nicht einfach benutzen und sein eigenes Ding darin machen?

Nicht, dass das alles uninteressant oder gar schlecht wäre, was auf der Biennale zu sehen ist. Z.B. Goshka Macugas Arbeiten „Deutsches Volk“, „Haus der Frau 1“ und „Haus der Frau 2“ finde ich durchaus gelungen, sowohl inhaltlich wie ästhetisch. Sie wendet sich Lilly Reich zu, der Frau die langjährig an der Seite Mies van der Rohes lebte und arbeitete. Diese war eine bahnbrechende (heute würde man sagen) Interieur-Designerin, die im Rahmen von Werkbundausstellungen zusammen mit Mies Ende der 1920er Jahre auch staatstragende Ausstellungskonzepte entwickelte und umsetzte, sich dabei aber immer als unpolitisch empfand. Eine weitverbreitete Haltung die wenige Jahre später viel Unheil opportunistisch begleitete. Klar ist das ein Thema, das man auch aus heutiger Sicht aufrollen kann und es wurde hier wunderbar bearbeitet, in dem die Künstlerin wiederum andere Künstler und Designer für sich arbeiten ließ, aber warum dieses ständige Rekontextualisieren, das Relokalisieren, das Détournement, das Sampling, dieses fast schon verkrampfte sich auf die Kunstgeschichte beziehen?

Ich glaube es ist der Wunsch nach dem kuratorischen Arbeiten, denn der Kurator ist langsam einfach wichtiger als der (bildende) Künstler – er hat die mächtigere Position. Die bildende Kunst wird dabei immer mehr zu einer Kommunikationstechnik abgewirtschaftet, die zur Kunstvermittlung benutzt wird. Darum beziehen sich die Werke vieler jüngerer Künstler auch immer mehr auf Arbeiten früherer Generationen. Sie dienen sich den Kuratoren mit ihrem perspektivenverschiebenden Blick auf die bestehende Kulturlandschaft an und so wird die Kunst dem Design immer ähnlicher. Eine Entwicklung die ich (als Designer) eigentlich sehr spannend finde, aber wenn man wirklich fast nichts anderes mehr auf der gesamten Biennale zu sehen bekommt, wird es einfach langweilig. Die Stars der Branche (bildende Künstler nicht Kuratoren!) sind übrigens ganz frei von solchen Re-art-Bedürfnissen, doch die sieht man sicher nicht auf der diesjährigen Berlin Biennale.

Als ich das Motto „When things cast no shadow“ hörte, dachte ich spontan daran, dass das immer dann der Fall ist, „when things cast the light“. Doch solche selbstleuchtende Objekte oder gar Gedanken habe ich leider nicht gefunden. Von den Kuratoren war dann auch zu hören, dass ja gerade nachts die Dinge keinen Schatten werfen, und dass man das Thema halt genommen hätte, weil man kein Zitat von jemandem nehmen wollte. Da kann einem doch eigentlich nur noch ein geläufiges Sprichwort einfallen: „Nachts sind alle Katzen grau.“ (Das soll keine Aussage zum riesigen Nachtprogramm „Mes nuits sont plus belles que vos jours“ der Biennale sein, das zumindest einen vielversprechenden Titel trägt, denn das ging bisher völlig an mir vorbei.)

Hier gibt es ein Video mit Beiträgen der beiden Kuratoren und der Künstlerin Nairy Baghramian, deren Arbeit genau ins Re-Konzept passt (dabei kann sie es doch auch anders). Hoffen wir auf bessere Zeiten und einen interessanteren Zeitgeist in zwei Jahren!

 

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