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2. Februar 2011 19:24:46

… Bitte: Journalisten voran!

Die Medienlandschaft in Berlin und Deutschland befindet sich zweifellos im Umbruch. Die Zeitungen kämpfen um Auflage und manchmal um’s Überleben. Das Internet eröffnet völlig neue Möglichkeiten der Kommunikation, erfasst abwandernde traditionelle, aber auch neue Leserschichten, ermöglicht eine bisher nicht gekannte Geschwindigkeit in der Berichterstattung, hat aber auch Schattenseiten hervorgebracht. Diese äußern sich z.B. darin, dass manche Leser glauben, sich im Dunkel der Anonymität ihrer Kopfgeburten und Aggressionen entledigen zu können, während andererseits Anbieter von Internetseiten mit der Begründung, ein gutes soziales Werk zu tun, das exzessive Sammeln persönlicher Daten mit einem geschäftlichen Ziel verbinden wollen. Hier sind Änderungen im System(?) unausweichlich und die Meinung der Experten gefragt. Wer aber ist ein Experte, wer ein guter Journalist?

Die Berliner Blätter berichten in diesen Tagen – um nur zwei Beispiele zu nennen – über die Räumung in der Liebigstraße 14 und die geplante Umgestaltung der Kastanienallee. Der TAZ von heute war die Entwicklung in der Liebig sogar einen Life-Ticker wert, der einen gemischten Eindruck aus Tagebuch, Kriegsberichterstattung und politischem Dschungelcamp vermittelt. Schlagzeilen kann man mit den beiden genannten Ereignissen zweifellos machen – mit Besetzung, Protest, Gewalt, Gentrifizierung jederzeit – weil es auch wichtige, exemplarische Themen für die Großstadt Berlin sind, die sozial immer gespaltener wird.

Zeitungsjournalisten verfertigen wunderbare Analysen über die Lage der Welt im allgemeinen und die Berlins im besonderen. Jedoch: Was ist aber mit den konkreten Themen, die jedem Berliner täglich auf den Nägeln brennen, ihn beschäftigen und beeinträchtigen. Warum geht nicht mal einer von den Zeitungsprofis bei so einem Thema richtig konkret in die Tiefe?
Beispiel Nr. 1: Kosten im Gesundheitswesen. Eine Packung Neo Angin Halstabletten kosteten Mitte Januar 2011 in meiner Apotheke 8,10 € (das sind 15,85 DM!!). Wie kann es sein, dass 24 Stück dieser Tabletten so teuer sind? Hat sich schon einmal ein Jounalist mit der Frage beschäftigt, wie hoch die Herstellungskosten für Medikamente sind und wieviel der Hersteller, der Großhändler bzw. Lieferant und die Apotheke dabei verdienen? Millionen Deutsche werden durch ein kostenmäßig ausuferndes Gesundheitssystem täglich und über Gebühr zur Kasse gebeten. Wäre das nicht mal eine knallharte und konkrete Recherche wert?
Beispiel Nr. 2: Versicherungen und Banken. Millionen Deutsche haben Lebensversicherungen abgeschlossen, viele mit Auszahlungen am Laufzeitende. Wieso ist es den Versicherungsunternehmen immer noch möglich, ihre Verträge bzw. Policen so schwammig zu lassen und dem Kunden keine klaren Aussagen zu liefern. Einfache Fragen: Betrag X wird eingezahlt. Wieviel Provision/Kosten nimmt sich die Versicherung? Wieviel bleibt für den Kunden? Wo ist die Transparenz?! Vor kurzem lief in den Medien eine Werbung mit einem DT-Schauspieler, der im Spot sinngemäß meinte: Sie sollen mich nicht verunsichern, sondern versichern. Was nützt ein Ombudsmann, der, wenn man später unzufrieden ist, nur punktuell helfen kann. Warum klemmt sich nicht mal ein Wirtschaftsjournalist dahinter und geht in medias res.
Beispiel Nr. 3: Die Verträge des Landes Berlin mit der S-Bahn und im Zusammenhang mit der Privatisierung der Wasserbetriebe haben ständigen und zum Teil gravierenden Einfluss auf das Alltagsleben der Berliner, aber auch für ihr Familienbudget. Berlin hat mit die höchsten Wasserpreise in Deutschland und was die S-Bahn und den Winterbetrieb 2009 und 2010/11 betrifft, erübrigt sich jede weitere Ausführung. Es wäre vom Grundsatz her nicht vorstellbar, das durch das Land Verträge abgeschlossen wurden, die zu Lasten der Allgemeinheit, das heißt der Bürger dieser Stadt gehen würden. Der S-Bahn-Vertrag ist vor einiger Zeit neu verhandelt worden, nur: Auch dieser Winter war ein Drama für die Berliner. Insofern besteht schon ein Interesse daran, was denn nun in diesem Vertrag drinsteht und was vielleicht geändert werden müsste. Welcher Journalist beschäftigt sich mal mit diesem Thema?

Fazit: Man hat in Deutschland oft den Eindruck, dass über das Spektakuläre, Abnorme, Glänzende, Oberflächliche besonders gern und viel geredet und geschrieben wird. Die lebenswichtigen Dinge werden aber oft in aller Stille und möglichst ohne große Öffentlichkeit abgehandelt. Insofern dienen Demokratie und Medien – ob sie das wollen oder nicht – mit ihren bisher praktizierten Riten und Instrumenten auch dem Wunsch einiger, bestimmte Dinge im dunklen zu lassen. Letzteres kann aber nicht im Interesse der Mehrheit sein. Es wäre Aufgabe von Berufsjournalisten, auch in komplizierte, ökonomische Fragen und Themen stärker hinein zu leuchten, oder?

 

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4 Reaktionen

  1. Joachim

    »… 8,10 € (das sind 15,85 DM!!)…«
    was ist das eigentlich in:
    Belgischem Franken
    Finnischer Finnmark
    Französischem Franken
    Griechischem Drachmen
    Irischem Pfund
    Italienischer Lira
    Luxemburgischem Franken
    Niederländischem Gulden
    Österreichischem Schilling
    Portugiesischem Escudo
    Spanischer Peseta?

  2. Birgit

    Nun ja – die Krise der Medienlandschaft liegt ja nicht daran, weil die Journalisten unmotiviert oder gar ignorant den Problemen der Welt gegenüber sind.
    Aus meinem Bereich (Design) kann ich sagen, dass der Markt mittlerweile so kaputt ist (mehr Angebot als Nachfrage und niedrigere Preise als zur Erzeugung nötig sind – so ähnlich wie bei den Milchbauern, nur eben durch Hartz IV subventioniert,- meine ich damit), dass Qualitätsjournalismus fast nirgends mehr überhaupt im Budget ist. Und mittlerweile ist er sogar auf ausgewiesenen Portalen im Sonderangebot erhältlich (spredder).

    Übermäßig jammern möchte ich darüber jetzt hier nicht – eine Lösung habe ich auch nicht parat – und sehe im eigeninitiativen Online-Journalismus nicht unbedingt eine Alternative, die Familien ernähren kann.

    Ich befürchte, das sind unzweifelhaft Indizien dafür, dass das kapitalistische Klima angezogen hat – (siehe euren Arzneimittel Themenvorschlag – einmal krank werden kostet heutzutage erstmal 50 €). Nun ja, wir leuchten also weiter in die monetär unspektakulären Themen rein und installieren einen Paypal-Button.

    Grüße
    b

  3. Jürgen Pahl

    @Birgit: Nur Mut. Trotzdem, zur Auflockerung was für den Tag:
    „Mal so – mal so

    Zwei Wasserfälle wurden interviewt:
    „Wie können Sie sich gegenseitig leiden?“
    Da sagten sie:
    „Nun ja, mal schlecht, mal gut.
    Wir müssen das
    von Fall zu Fall entscheiden.“

    Hansgeorg Stengel – 1980

  4. Reimund Noll

    Sehr richtig gesagt bzw. geschrieben, allerdings leider keine neue Erkenntnis. Die Gründe sind auch bekannt: 1. Die Redaktionen finanzieren nur wenige Hintergrundrecherchen (diese sind eben sehr zeitaufwendig, zumal die oben angesprochenen Themen sehr komplex sind). 2 . Deutschland ist nie das Land des Investigational Journalism gewesen wie die USA. 3. Mancher Verlag möchte es sich mit seinen großen Werbekunden nicht vergraulen.
    Sehr gut fand die Idee aus der USA, von der ich vor einiger Zeit las, nämlich die langfristige Finanzierung einer professionellen Non Profit Presse zu betreiben. Was daraus geworden ist, weiß ich nicht, aber ich denke, das wäre der richtige Weg.

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