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Archiv der Kategorie ‘Alltägliches‘

16. Mai 2011 11:59:03

… gemischtsprachig: Schlecker mit dem neuen Claim an vorderster front der Kulturvernichtung.

schlecker

Natürlich ist die Erfindung eines Claims immer ein Spiel mit extremen Verkürzungen, assozierten Aufladungen und sprachlichen Doppeldeutigkeiten, das manchmal lustige Ergebnisse erzeugt. Nun haben sich die Schlecker-Drogeriemärkte an einem neuen Logo samt neuem Werbespruch versucht und herausgekommen ist: „For you. Vor Ort.“ Was soll man dazu sagen?

Es sind jedenfalls die zwei schlimmsten Textermoden der letzten Jahre vereint:
1) english if you can.
2) So viele Satzzeichen wie möglich.

Die HORIZONT hat den Marketingchef Volker Schurr gefragt was das soll:

Schlecker führt mit „For You. Vor Ort“ erstmals einen Claim ein. Fürchten Sie nicht, dass dieser Mix aus Deutsche und Englisch die Leute verwirrt? Der Claim soll mit einem Augenzwinkern vermitteln, was Schlecker ist: Der sympathische Nahversorger. Nein, mit Verwirrung rechnen wir nicht. Der Claim polarisiert, keine Frage. Das soll er aber ganz bewusst. Wir wollten keinen glattgelutschten, „geföhnten“ Claim. Wir haben verschiedene Claims getestet und dieser hat mit Abstand am besten abgeschnitten.

Dagegen hat die selbe HORIZONT ihre Online-Leser befragt und dabei kam heraus, dass 77 % den Claim „furchtbar“ finden.

Ich gehöre in diesem Fall zur Mehrheit.

 

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16. Mai 2011 11:20:15

… wo der Müll singt: Das Park Sound Project soll unsere Parks schöner machen

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Sie stehen einfach so am Wegesrand, wie kleine orangene Männchen mit breiten Mäulern, die zeitlebens beharrlich versuchen, den ihnen anvertrauten Müll aufzunehmen, auch wenn ihr Fassungsvermögen fast jedes Wochenende über die Maßen belastet wird. Über Nacht aber bekamen ein paar von ihnen im Schnelledurchlauf neue Kleider und eine Gesangsausbildung, wodurch sich ihr Arbeitsalltag ab heute nun deutlich verändert. Den Einwurf von jeglichen Materials müssen die nun grün gewordenen Männchen mit dem Trällern einer fröhlichen Melodie quittieren. Aus den Müllschluckern wurden Sängerknaben. Das ist das Park Sound Project.

Technisch gesprochen hört sich das so an: Es funktioniert mit Solarstrom. Ähnlich wie bei einem Parkscheinautomaten ist oben auf dem Mülleimer ein Solar-Panel. Die Abspielautomatik wird durch einen Wärmesensor ausgelöst, welcher leichte Veränderung der Temperatur wahrnimmt. Bei den Mülleimern ist das die Hand des Einwerfenden. Im Grunde genommen das gleiche Prinzip wie der Sensor einer Haustürbeleuchtung. Wenn Die Mülleimer voll sind, verändert sich die Temperatur nicht mehr, also erklingt keine Musik bis der Eimer wieder geleert wurde.

Bei meinem morgendlichen Hundespaziergang durch den Görli sah ich zwei grüne und 15 orangene Mülleimer. Die Musiker unter den Abfallbehältnissen stehen in der Nähe der Eingänge, so dass möglichst viele Menschen an ihnen passieren. D.h. die Aktion dürfte tatsächlich vielen Menschen auffallen, doch sind die Eingänge nun gerade die Orte, an denen die wenigsten Menschen etwas wegzuschmeißen haben. Erfahrungsgemäß quellen die Mülleinmer im Inneren des Parks nach den Wochenenden über und versinken in einem stinkenden Berg von Grillabfall, der ab Montag von den Krähen langsam abgetragen wird, bis dann irgendwann die Müllabfuhr kommt, um die Reste einzusammeln.

Das Park Sound Project möchte die Botschaft geben: „Lasst uns abfallfreie Flächen hinterlassen, denn auch morgen sitzt, singt oder spielt hier niemand gern im Müll.“Diese Botschaft ist sicher unterstützenswert, doch habe ich das Gefühl, dass es die Abfallsituation im Görli und im Mauerpark noch viel mehr entlasten würde, wenn man mehr und vor allem andere Abfallcontainer aufstellen würde. Wer die Mengen schon mal gesehen hat, die nach einem heftigem Grill-Wochenende im Park liegen, weiß, dass da nicht nur mehr kleine Eimer her müssen, sondern dass ganz andere Müllkonzepte erdacht werden müssen. Ich glaube mit zusätzlichen größeren Containern (getrennt nach Müllsorten, und einem extra Container für die oft noch heiße Kohle, um die regelmäßigen Müllbrände zu vermeiden) wäre dem Park mehr geholfen. Was nach einer Win-Win-Situation aussieht (für Parkbetreiber und Musiker), ist vielleicht doch leider eine letzlich wirkungslose Imagekampagne, wenn nicht gar eine akustische Lärmbelästigung.

Nachtrag (am 31.5.2011):

muellschutz
Leider glaube ich nicht an einen all zu großen Einfluss, des hier Niedergeschriebenen auf die Welt außerhalb des Blogs, doch oh Wunder, wenige Tage nach dem Post erschien im Park eine neuartige Form von Müllbehältnis. Oben mit Krähenschutzklappe, ansonsten ganz aus verzinktem Gitter. Das entspricht fast genau meiner Empfehlung! Diese Form von Müllbehältnis sollte flächendeckend und in verschiedenen Farben zum Sortieren des Mülls (vorallem in Asche und Restmüll) aufgestellt werden. Weiter so!

 

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12. Mai 2011 13:56:33

… anti: Touristen und Kreuzberg

Berlin does not love you

Mit dem Einspieler „Wir müssen draußen bleiben“ wurde in den ARD-Tagesthemen mit leicht ironischem Unterton berichtet, wie wenig begeistert alt eingesessene Kreuzberger, die ja ihrerseits auch alles nur Wahlberliner sind, auf Touristen aus aller Herren Länder reagieren. „Berlin does not love you“ schallt es von kreisrunden Aufklebern, die in übler Absicht arglosen Touristen auflauern, um ihnen hinterrtücks mit ausgrenzender Ablehnung entgegenzuschlagen, so im Beitrag zu hören.

Tatsächlich gibt es eine nicht ganz unbegründete ablehnende Unterströmung, gegen die absolute Tourismusvermarktung der Berliner Kieze, wobei deutlich zu sagen ist, dass sich diese Haltung eher gegen die hiesigen Profiteure, als gegen die Touristen selbst richtet. Denn es ist nicht zu leugnen, dass sich einzelne Stadträume wie z.B. der Wrangelkiez in wenigen Jahren extrem verändert haben, natürlich nicht nur zu deren Ungunsten, wobei aber der unangenehme Nebeneffekt auftritt, dass die Mieten in den Kiezen extrem rasch ansteigen. So entsteht ein Verdrängungsprozess, der das typische Kiezleben, das ja gerade für Touristen so attraktiv sein soll, in wenigen Jahren zum absterben bringt, und gegen Billig-Restaurants global-einheitlicher Ausprägung ersetzt.

Und an dieser Stelle beginnt dann doch die Touristen-Schelte, denn es ist festzustellen, dass vielen Besuchern der lokale Bezug der touristischen Attraktionen vollkommen egal ist. Viele wollen einfach nur Spaß haben, andere Touristen treffen, sich die Birne zusaufen, Burger fressen und dabei schlechte Musik hören – „international style“ zu lokalen Tiefstpreisen. Es scheint das ausgemachte Ziel dieser jungen internationalen Fun Communiy zu sein, die Berliner Innenstadt flächendeckend mit Scherben zu überziehen (scheiß auf die lokale Sitte der Pfandflasche), nachts laut und grundlos herumzugröhlen (Kreuzberger haben für ihre öffentlichen Äußerungen hingegen meist ernste Anliegen), alles abzufotografieren (wo wir doch extra unsere Häuder bei Google-Maps haben verpixeln lassen) und in die Grünflächen zu kotzen (Berliner betreten erfahrungsgemäß die innenstädtischen Grünflächen ohnehin nur widerwillig, von daher ist dieses Detail noch am wenigsten störend).

Also: Was wir wollen sind Flugpreise, die die echten Kosten dieser Technologie widerspiegeln und damit so teuer werden, das nur noch berechtigte Anliegen einen internationalen Flug rechtfertigen, so dass dann die Touristen zu uns kommen, die wir Kreuzberger sehr gerne bei uns empfangen, bewirten und mit denen wir gerne feiern.

scherben

Dazu die kleine Presseschau:
TagesspiegelSpiegelFocus

 

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8. Mai 2011 23:29:58

… Berliner Kleinod 1: Britzer Garten

Der Britzer Garten, 1978-85 gr0ßzügig angelegt und an Berlins grüner, südlicher Flanke gelegen, zeigt sich in diesen Tagen von seiner freundlichsten Seite, die sich vor allem dadurch auszeichnet, dass neben den anderen Farben, das Grün die Herrschaft über dieses hügelige Wiesenmeer, das ergänzt wird von kleinen, durch Menschenhand erschaffenen Seen – die u.a. von großen Amurkarpfen bevölkert werden – übernommen hat; ein Gelände auf dem Hügel, Blumenbeete – in denen fast verblühte Tulpen, Vergissmeinnicht, Stiefmütterchen und Gänseblümchen einträchtig und ungeordnet beieinander stehen – Kinderspielplätze, Bänke an stark frequentierten Wegen, aber auch in lauschigen, stillen Ecken, in denen Einzelne oder Paare versunken vor sich hin lesen oder einander zuwenden, Holzbrücken der sonderbarsten Konstruktion, darunter die „rhizomatische“ Hauptbrücke, beschnittene Hecken und Sträucher, die Plätze umsäumen, auf denen phantasie- und geheimnisvolle Brunnenskulpturen installiert wurden, Spielplätze und Planschbecken, wobei man in einem der letzteren eine archimedische Schraube – Arbeitsinstrument aus uralter Zeit – für Kinder zur Benutzung gebaut hat und locker -zwischendrin viele Bäume – gestaltet wurde; wo neben zahlreichem Volk in den unterschiedlichsten Sprachen der Großstadt Berlin, Familien, alte Menschen im Rollstuhl, auch alle anderen communities dieser Stadt zu ihrem Recht kommen – mit Ausnahme der Radler, Grillfreunde und Sonntags auch der Skater, die nicht auf das Gelände dürfen – und unterwegs sind, gelegentlich eine Pause an einem der zahlreichen Kioske einlegend, um z.B. Rixdorfer Fassbrause – die in Bad Liebenwerda produziert wird – zu konsumieren, mit der Parkeisenbahn fahrend oder an jenem, in Südlage gelegenen, Hang vorbeizuschlendern, auf dem Rebstöcke der bekannteren Sorten (u.a. Dornfelder) und der eher nicht so bekannten (u.a. Blauer Affenthaler) zum Experiment angebaut werden und wo die Besucher schließlich, ohne alles gesehen oder gar kennengelernt zu haben, das 90 Hektar große Gelände mit der Erkenntnis wieder verlassen, dass hier etwas Einmaliges und Wunderbares für Berlin und darüber hinaus erschaffen wurde. Eintritt: z.Zt. drei Euro. Jahreskarte: 20 Euro.

 

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5. Mai 2011 21:49:32

… dramatisch: „Mütter und Töchter“

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Im Kinosaal der Kulturbrauerei saßen gestern abend genau 21 Zuschauer um sich den Film „Mütter und Töchter“ (Mother and Child, 2009) von Rodrigo Garcia anzusehen. Der Film ist dramatisch und – wen wundert’s bei den Amerikanern – auch kräftig melodramatisch. Worum geht es?

Karen (Annette Bening), mit 14 Jahren Mutter geworden und aus diesem Grund ihr Kind sofort zur Adoption freigebend, leidet ihr ganzes Leben unter diesem Schritt. Sie versucht ihre Schuldgefühle durch die Pflege der eigenen Mutter im Haus, aber auch durch überaus korrekte, strenge Arbeit als Physiotherapeutin in einem Krankenhaus zu kompensieren. Dabei stösst sie auch einen Kollegen, der sich ihr in Sympathie nähern will, anfangs rigoros vor den Kopf. Elizabeth (Naomi Watts), eben jenes zur Adoption gegebene Kind, lernen wir im Film als inzwischen erfolgreiche, taffe Anwältin kennen, die sowohl ihr Privatleben als auch ihre berufliche Karriere mit Energie und betongleichem Selbstbewusstsein steuert. Sie scheut nicht davor zurück, auch ihre Männer wie Freiwild zu behandeln und verschont dabei auch den Boss ihrer Kanzlei (Samuel L. Jackson) nicht. Lucy (Kerry Washington), voller Sehnsucht nach einem Kind, was sie selbst nicht bekommen kann, strebt mit ihrem Mann eine Adoption an – die aber trotz großen Einsatzes misslingt, weil es sich die leibliche Mutter im letzten Moment anders überlegt – trennt sich dann aber von ihrem Ehemann, nachdem dieser letztlich ein fremdes Kind ablehnt. Zwischen diesen drei starken Frauen entwickelt sich ein dramatisches Verhältnis, welches durch den Wunsch nach einem Wiedersehen, nach einem Kind und verstärkt durch Geschehnisse, die wahrlich nicht jeden Tag passieren, schließlich in die Katastrophe führt, aber auch eine überraschende Lösung erbringt.

Annette Bening und Naomi Watts bieten schauspielerische Leistungen der Spitzenklasse, die durch gute Kameraarbeit und zurückhaltende Musik noch befördert wird. Was an diesem Streifen zu bemängeln ist: Wie in manch einem amerikanischen Film wird auch hier die Realität und das Handeln der gezeigten Personen wie unter Hochglanzlack in einem Reinraum vorgeführt. Manchmal stört dieses demonstrative Pathos und die Künstlichkeit im Alltäglichen (wie wir es z.B. auch bei nahezu jeder Rede von Barack Obama vorgezeigt bekommen) empfindlich. Von diesem Vorwurf nehme ich aber Bening, Watts und noch zwei Männer, die in Nebenrollen agieren und nicht weiter auffallen, ausdrücklich aus.

 

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3. Mai 2011 15:30:27

… zu Menschen gerecht: Auftakt zum Wettbewerb für ein Logo für Menschenrechte

humanrightslogo_pk_spiekermann_westerwelle_mittermaier_dirie

Seit heute können Menschen aus allen Ländern bei einem internationalen Wettbewerb mitmachen, dessen Ziel es ist, ein global akzeptiertes Zeichen für die Menschenrechte zu finden. Zur Promotion fanden sich heute im Radialsystem unter der launigen Gesprächleitung des Komikers Michael Mittermeiers Bundesaußenminister Guido Westerwelle, die Menschenrechtsaktivistin Waris Dirie und der Designer Erik Spiekermann ein. Natürlich hoben alle hervor, wie wichtig es ist, ein schlagkräftiges Zeichen zu finden und legten dar, dass es der richtige Weg sei, dies in einem offenen Wettbewerb zu suchen. Zur Abstimmung wird nicht nur eine Jury herangezogen, sondern die Internetgemeinschaft aller Länder erarbeitet sich eine Vorauswahl, die von den Experten auf 10 zusammengeschrumpft wird, um dann im letzten Schritt, wieder die Web Crowd entscheiden zu lassen. Ich finde es gut und hab auch schon mitgemacht! Wer für meine Einreichung stimmen möchte, kann das hier tun.

Der Wettbewerb läuft bis zum 31. Juli.

www.humanrightslogo.net

 

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2. Mai 2011 19:21:46

… Fingeryoga: Angela Merkel hat ein Lieblings-Mudra

angelamerkelmudra

Neulich bin ich zu einem Geburtstagsumtrunk eingeladen und da flattert ein Wellness-Ratgeber-Geschenk auf den Tisch: „Mudras – Erfolg, Kreativität, Wohlbefinden“ von Gertrud Hirschi. So was ist natürlich beste Spontanlektüre für gemeinsames Improvisieren, doch da fiel mir das „Mudra für den Auftritt“ ins Auge. Diese typischste Handhaltung unserer Kanzler ist ein Mudra! Frau Merkel therapiert sich permanent öffentlich mit Fingeryoga. Das Mudra stärkt angeblich die Adrenalindrüsen, fördert das Selbstvertrauen und beruhigt bei Lampenfieber. Was sollen wir davon halten? Atmen Sie tief, langsam, rhythmisch und fein!

 

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21. April 2011 19:19:18

… Augenblicke: Laufkundschaft

Nett sehen sie aus. Fünf Mädchen nebeneinander. Aufgereiht, wie Hühner auf der Stange, sitzen sie im Cafe Einstein in der Kronenstraße/Ecke Friedrichstraße. Drei sind beschäftigt (natürlich mit Telefonieren). Die anderen zwei blicken nach draußen und freuen sich über die Aussicht durch die große Scheibe. Schon lange ist es Mode, dass sich der Gast in einem Cafe , manchmal drin, manchmal im Freiluftbereich, so setzen kann, dass er nach außen, zum Bürgersteig schaut. Nicht mehr der Besucher einer Lokalität, vielleicht in intimer Runde oder in geschäftlicher Anbahnung, kann durch vorbeischlendernde Passanten beobachtet, vielleicht sogar erkannt werden. Nein, jetzt wird der Gast – bei Bedarf – zusätzlich selbst zum Beobachter, Voyeur der vorbeiströmenden Menge. Nicht mehr Objekt, sondern Subjekt, selbstbewusster Darsteller im öffentlichen Zirkus. Ein kleines Alltags-DSDS-Casting für die Eitelkeit zwischendurch. – Andererseits sitzt man wie auf dem Präsentierteller. Die Leute sehen sofort, was ich mache. Mein Gesicht verrät ihnen, ob ich mich freue oder Kummer habe, vielleicht erahnen sie sogar, woran ich denke. Unheimlich.

Wenige Schritte weiter, in der Mohrenstraße vor dem Hilton-Hotel, bewegt sich eine zwanzigjährige Blondine mit Querstreifen-T-Shirt unruhig auf dem Bürgersteig hin und her, spricht Passanten an. Sie sammelt für die Kinder-Krebshilfe – der Ausweis baumelt ihr am Hals. Aufgetakelte Damen, ältere Touristen-Ehepaare, junge Männer mit (und ohne) gegeltem Haar, manche mit dienstreisendem Rollkoffer; Ausländer, die beim Anblick der Spendenbüchse keine Sprache mehr verstehen. Die Einnahmen einer halben Stunde fallen mager aus. Eine Erfolgsquote von 10% läßt bei der Sammlerin langsam die Schultern sinken. Und das an einem Apriltag wie heute, der die stechende Sonne eines noch verborgenen Sommers bereits vorweggenommen hat.

 

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15. April 2011 20:59:52

… rausgeplatzt: Stimme oder Rente oder Gesundheit!

Gestern lag meiner Tageszeitung eine ganzseitige Anzeige bei. Ich erwähne sie deshalb, weil ich bis jetzt erfolglos der Frage nachgehe: Was soll uns das?

Es geht um die Sozialwahl 2011. Die Anzeigenüberschrift lautet: „Ihre Stimme für Rente und Gesundheit“. Besser würde natürlich klingen: Ihre Rente für Gesundheit und Stimme – oder so. Wobei, man weiß ja nicht, ob überhaupt … Also: „Rund 48 Millionen Versicherte und Rentner bestimmen bei der Sozialwahl darüber, wer bei der Deutschen Rentenversicherung Bund und bei den Ersatzkassen der gesetzlichen Krankenversicherung die wichtigen Entscheidungen trifft“. Aha.

Apropos Krankenversicherung. Einmal abgesehen von der Frage, ob es in Deutschland mehr Krankenkassen als, sagen wir, Bischöfe im Vatikan gibt (oder umgekehrt), hält mich die meinige – es war mal eine kleine, jetzt ist sie gewachsen – immer auf dem laufenden. Wenn ich sie vor Jahren mal ab und an brauchte, rief ich irgendwo in Westdeutschland an – denn in Berlin (warum auch) war diese Kasse nicht vertreten – und hatte sogleich jemanden am Ohr, der mir in der Regel schon deshalb nicht helfen konnte, weil ich seinen babbelnden Dialekt nicht verstand. Das war auch nicht weiter schlimm, denn Post bekam ich regelmäßig und keine Beitragserhöhung ging an mir vorüber. Mindestens alle sechs Wochen kam auch ein Hochglanzprospekt mit allerlei auserlesenen Informationen, die sich allerdings für das praktische Leben als unbrauchbar erwiesen. Was nützt mir z. B. der Hinweis, dass der Dichterbarde X oder der gewesene Leistungssportler Y gleichfalls Mitglied meiner Provinzkasse sind. Ich habe auch nicht allzu viel davon, wenn mir der, auf dem unvermeidlichen Foto, entgegengrinsende Vorstandsvorsitzende meiner Kasse salbungsvolle Worte für den Tag und möglichst noch die ganze Woche mitgibt. Auch ist mein Interesse gering ausgeprägt, in einem speziell präparierten Bergbauerndorf in den Karpaten eine Heukur zu absolvieren, nur weil meine Kasse dort so einen vorzüglichen Kontrakt abgeschlossen hat.

Seit wenigen Jahren hat meine Krankenversicherung nun eine Filiale in Berlin, zuerst jwd, dann aber in Mitte. Wenn ich dieses Büro besuche, breitet sich Frieden in meinem Herzen aus, denn hier finde ich Ruhe, Freundlichkeit, wenn auch nicht immer Antwort bzw. Entscheidung zu meinen Anliegen. Aber der Mensch kann nicht alles haben und so muss ich manchmal noch auf die Antwort der babbelnden Kollegen aus der Ferne warten.

Vor einigen Monaten hat meine Krankenkasse nun Hochzeit gefeiert, d.h. mit einer anderen fusioniert. Jetzt haben wir also zwei Vorstandsvorsitzende. Das ist doch ein Fortschritt, denn vier Ohren hören mehr als zwei und wenn der eine Manager sich mal irrt, dann gibt’s ja immer noch den anderen. Das die Kasse, ach Entschuldigung, wir, die Mitglieder, nun zwei Vorsitzende bezahlen, ist ja nur eine Petitesse angesichts der Tatsache, dass die Vierfaltigkeit von Krankenkassen-Ärzten-Apotheken-Pharmafirmen auch zukünftig so ertragreich funktionieren wird. Dem Wähler zur Sozialwahl 2011 – und natürlich auch mir -wünsche ich an dieser Stelle für die Zukunft vorsichtshalber Gesundheit und eine gute Zeit.

 

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12. April 2011 17:59:58

… nochmal Touristen: Ein andalusischer Hund* – Reisemomente

Touristen – eine Unterart der Fremden – stören immer, werden aber gebraucht. Ob in Berlin oder anderswo werden sie als das wahrgenommen, was sie sind: Mal Sand, aber natürlich oft auch Öl im Alltagsgetriebe der Einheimischen. Wer jedoch als Besucher eine fremde Gegend, ihre Menschen (manchmal auch sich selbst) etwas näher kennenlernen will, muss die ausgetretenen Pfade verlassen.

Tief im Tal und 30 Wanderminuten entfernt von dem landschaftlich außerordentlich beeindruckenden Hochplateau, auf dem die Stadt Ronda liegt, kauerte der Schäferhund im Gras und ließ keinen Zweifel daran, die Fremden nicht ungeschoren an seinem Territorium vorbeiziehen zu lassen. Da blieb nur der Rückweg in die Stadt auf dem Felsen, die von ihrer Lage, aber auch von den Geschehnissen und Legenden ihrer Geschichte und des Stierkampfes lebt und deren einst berühmten Gästen, wie Hemingway, Rilke, Orson Welles – und ihren Spuren – heute noch das Interesse von Touristen-Legionen gilt, denen man hier nur entfliehen kann, wenn man, abseits der Saison und abends, wenn die meisten wieder auf dem Weg in ihre auswärtigen Hotels sind, durch die kleine Stadt streift.

Der fünfzigjährige, nur ca. 1,65 m hohe Mann mit dem noch vollen, schwarzen Haar, welches ungebändigt oberhalb seines verwitterten Gesichts begann, trug den förstergrünen Pullunder und Schlips seiner Firma. Erst in letzter Minute enterte er den Fahrersitz des Busses von Ronda nach El Puerto de Santa Maria (Kolumbus brach von hier zu seiner zweiten Amerika-Reise auf), um dann sogleich loszufahren. Zwanzig Minuten später stieg ein etwa gleichaltriger Fahrgast ein, der sich auf dem fahrernächsten Sitzplatz niederließ, um dann mit dem Busfahrer ein langandauerndes, lautes Gespräch zu beginnen, welches man auch als Duell bezeichnen kann. Sobald der eine – beider Laune verbesserte sich während der Unterhaltung ständig und sichtbar – seine Worte dem anderen entgegengebellt hatte, kam die Antwort wie eine kurze Salve aus einem Maschinengewehr zurück. Zwischenzeitlich hatte der Bus, es wurde langsam wärmer, den Nationalpark Grazalema hinter sich gelassen und steuerte ein Bergdorf an, das nur über Serpentinen erreichbar war, um dort zwei Fahrgäste aufzunehmen. Anschließend wendete der Fahrer das Gefährt, fuhr dabei bis auf einen Meter an den Abgrund heran und beorderte einen der neu eingestiegenen zum Richten des Außenspiegels nach draußen. Nach diesem kleinen Manöver, welches dem Mann sichtliches Vergnügen bereitete, wurde der Dialog mit dem Fahrgast fortgesetzt. Der Innenraum des Busses verwandelte sich aber mit der Zeit durch zunehmende Hitze (die Klimaanlage wurde erst kurz vor dem Ziel eingeschaltet), eine üppige Geräuschkulisse – zusätzlich durch das eingeschaltete, laut dudelnde, meist Werbung herausbrüllende, Busradio und laufendes Klingeln auf den Mobiltelefonen der Mitreisenden befördert – in ein akustisch suboptimales Milieu. Das wurde schließlich per Radioeinspiel durch den wehklagenden Singsang von Bob Dylan gekrönt, der eigentlich nicht so ganz in diese karge, aber schöne, andalusische Bergwelt, deren ausgedehnte Olivenbaumplantagen von weitem wie durch eine braune Decke mit grünen Noppen bedeckt aussah, hineinpasste.

Plötzlich, nach der Kurve, kamen die Madonna und ihr, sie auf dem Podest anbetender, ebenso lebloser Heiliger, direkt auf den Beobachter zu. Wenn die menschliche Karawane, die sich an diesem Freitag durch das abendliche Cadiz bewegte, einmal zum Stillstand kam, weil der das Mikrofon tragende Priester ein Gebet sprach, blieben auch die eng an eng hintereinander gereihten Männer, die das Podest trugen, stehen und gingen vom raumgreifenden Vorwärtsschritt in die schaukelnde Seitwärtsbewegung über, die zwar dem Ziel nicht näher führte, aber dem entfernt stehenden Beobachter die Illusion gab, die Madonna bewege sich. Vor ihr wurden auf langstieligen Silberständern rohrdicke Kerzen hochgehalten, denen, wiederum von einer Kohorte in schwarzen Anzügen steckender Männer getragen, der in Holz geschnitzte, gekreuzigte Jesus folgte. Die weihrauchqualmende Prozession führte durch enge Gassen, an Bars und Restaurants vorbei, aus denen Lärm von trinkenden und Fernsehfußball konsumierenden Männern drang. Der Menschenzug endete in der Alten Kathedrale, die vor Gold, Silber und Monstranzen förmlich überladen wirkte. Einheimische und Touristen füllten die Kirche, viele hatten ihre Handys und Fotoapparate gezückt oder machten sich auf andere Weise ihr Bild.

Die Maschine von Air Berlin schwebte im nächtlichen Himmel auf die Stadt hinunter. Unter dem Flugzeug leuchteten – wie Glühwürmchen – unzählige Lichter, die mal geordnet, meist jedoch chaotisch erschienen und doch nichts anderes bedeuteten, als der Ort, an den man nach einer Reise wieder zurückkehrt.

* Nicht der von Luis Bunuel.

 

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