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Archiv der Kategorie ‘Alltägliches‘

28. März 2017 10:06:25

…und mehr davon

 

 

26. März 2017 11:20:24

…Es geht voran.

 

 

23. März 2017 09:27:46

…Well done!

 

 

13. November 2016 21:38:50

…gottseidank: Auch der Teufel nicht.

mephisto_wilson_2016

Vielleicht war es die erste Einlassung zum Thema auf einer Berliner Bühne, vielleicht nicht, als der Schauspieler Christopher Nell in seiner Rolle als Mephistopheles in Robert Wilsons Faust-Inszenierung am Berliner Ensemble am Sonntag in der Studierzimmer-Szene („Das also war des Pudels Kern!“) den Namen des frischgewählten US-Präsidenten unterbrachte: „Das Etwas, diese plumpe Welt / So viel als ich schon unternommen. / Ich wusste nicht ihr beizukommen / Mit Wellen, Stürmen, Schütteln, Brand – / Geruhig bleibt am Ende Meer und Land!“ Aus Brand wurde Trump, der Reim war dahin, aber eines klar – noch nicht einmal wenn der Teufel sich seiner annimmt, wird er der Welt beikommen. Das ist tröstlich. Ob am Ende Meer und Land ruhig bleiben, hängt auch von anderen ab: Du musst dich um die Demokratie kümmern, sonst wird sie dich verlassen.

Im übrigen war es eine Freude, Robert Wilson wieder dabei zuzuschauen, wie er mit seinem Konzept der vollen Gleichwertigkeit aller Elemente – Licht, Ton, Text, Bühnenbild, Kostüme, Maske, Musik – immer erneut den Kampf aufnimmt gegen die gängige diktatorische Dominanz des Textes auf den Bühnen. Und auch mit diesem Faust I + II trägt er einen gloriosen Sieg davon. Möglicherweise ist diese stark durchironisierte Version jedoch der Abgesang einer Epoche; es scheint nämlich ernst zu werden, die ironische Haltung der vergangenen dreißig Jahre wird da nicht mehr die richtige sein.

 

 

5. September 2016 13:50:52

… ein Diagramm: Wie sind Nichtwähler*innen zu verstehen?

Wahlergebnis-MeckPomm-2016-mit-Nichtwaehlern

Wenn die „Nichtwähler*innen“ in den Grafiken zum Wahlergebnis in Mecklenburg-Vorpommern dargestellt würden, fielen die Analysen der Politprofis vielleicht etwas realistischer aus. Überall ist zu hören, dass „die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes“ kein „weiter so“ mehr wollten, weswegen sie ihren Unmut dadurch ausdrückten, dass sie die AfD wählten – nicht um deren Politikvorstellung zu unterstützen, sondern um den „etablierten Parteien“ einen Denkzettel zugeben.

Was für ein Quatsch: Mehr als 85 % der Menschen hatten kein Bedürfnis Rechtsextreme zu wählen. Sie wollten weder einen umständlichen Denkzettel verfassen, noch sonst wie ihre Dummheit ausstellen. Die allergrößte Gruppe scheint der Politik einfach keine Aufmerksamkeit zu schenken, was man eher mit einer generellen Zufriedenheit und nicht mit dem Gegenteil erklären kann. Umfragen, die repräsentativ alle Bürger*innen im Land erfassen – und nicht nur die, die zum Wählen gehen! – haben für MeckPomm bestätigt, dass eine übergroße Mehrheit mit der Entwicklung des Landes zufrieden ist. Diese Menschen sind zuversichtlich genug, sich einfach nicht um Politik zu kümmern.

Damit will ich auf keinen Fall das Problem kleinreden, dass immer mehr Menschen in Deutschland offen rechtsextreme Positionen vertreten, sondern deutlich machen, dass die üblich gewordene Verallgemeinerung „das Volk“ hätte die Politik generell abgewatscht, nicht zutrifft. 

Wir alle dürfen der sprachlichen Verzerrung der Fakten nicht auf den Leim gehen. Die Medien reden immer den Skandal und den Umbruch herbei – das war bei den Höchstergebnissen der Piraten nicht anders. Nur dass es bei den rechten Recken ungleich gefährlicher ist. Wenn es in zwei Wochen in Berlin ein Ergebnis zu beurteilen gibt, mögen wir daran denken …

Artikel dazu bei Die Welt lesen …

Um die Relationen zu wahren

Ungefähr zwei Promille der Deutschen haben in Mecklenburg-Vorpommern AfD gewählt. Das ist zwar nicht schön, aber es zeigt vor allem, dass nicht einmal im Ansatz das Gerede von „der Bevölkerung, die in großen Teilen gegen die praktizierte Flüchtlingspolitik aufgestanden ist“ gerechtfertigt ist.

MV-Wahlergebnis-2016

Also liebe Politstrategen: Ganz ruhig bleiben, schön auf dem Boden des Grundgesetzes bleiben und bestenfalls zum Wohle aller Menschen, die in Deutschland sind, weiterarbeiten!

 

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Alltägliches

 

24. März 2016 12:33:48

….kühl: Roland Schimmelpfennigs erster Roman

Man sagt, es gebe außer historischen Krimis keine guten neuen Berlin-Romane. Hier ist einer: Roland Schimmelpfennigs „An einem klaren, eiskalten Januarmorgen zu Beginn des 21. Jahrhunderts“ – ein Blitzlichtroman, der für einen kurzen Moment eine Luke aufmacht, durch die wir das Gewusel der großen Stadt sehen, bevor sie wieder zugleitet. Dahinter gehen, schlendern, laufen, schießen, stolpern vorbei: ein Junge und ein Mädchen auf der Flucht aus Brandenburg, Agnieszka und Tomasz aus Polen, Jacky und Charly aus dem Späti, die zornige Nadine, die Väter, die Mütter, und und und, allesamt Getriebene und Festgezurrte gleichermaßen, denn die Gegenwart pulsiert, während die Vergangenheit eine Last ist, von der sich niemand befreien kann. Nur der Wolf aus dem Osten schnürt frei.

<br />Der Zufall regiert, nur der Wille hat ihm etwas entgegenzusetzen. So ergeben sich Geschichten, wie sich in Schimmelpfennigs Stücken immer Geschichten erst langsam zusammenfügen, aus Hingetupftem, aus Begegnungen, aus dem Zusammenspiel von Zufall und Notwendigkeit, the possibilities are endless, wie Onkel Lou singt, hier herrscht die Demokratie der Möglichkeiten, bedroht nur – Schimmelpfennig ist nicht naiv – von Egoismus, Gier und den sozialen Fliehkräften. Der angemessene Stil ist ein kühler impressionistischer Realismus des Partikularen, seine Begleitmusik ein untergründiges Vibrieren. Man muss Geduld haben mit diesem Schreiben, es ist nicht hektisch, es gleitet, es liest Dinge auf unterwegs, es verharrt – nichts ist endgültig, panta rhei, jemand macht kurz das Licht an, wir werfen einen Blick, machen uns ein Bild, dann wird es erneut dunkel.

<br />Von Roland Schimmelpfennig waren in Berlin seit der Uraufführung von „Vor langer Zeit im Mai“ im Jahr 2000 an der Schaubühne zahlreiche Stücke zu sehen, zur Zeit hat das Deutsche Theater noch „Wintersonnenwende“ und „Idomeneus“ im Repertoire. (Foto: Heike Steinweg)

 

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Alltägliches

 

23. Februar 2016 12:57:14

…immer noch da: Peter Handke

„Alles schon gesagt, bloß noch nicht von allen“, eine alte Weisheit, die man müde und ernüchtert aus vielen Elternabenden mitnimmt und die sicher auch gelten wird, so sollte man meinen, für ein spätes Bändchen über die Gruppe 47, und eigentlich auch bloß über eine der zwanzig Tagungen zwischen 1947 und 1967, die berühmteste allerdings, vor 50 Jahren, 1966 in den USA: Jörg Magenaus „Princeton 66 – Die abenteuerliche Reise der Gruppe 47“ (Klett-Cotta, 223 S., €19,95). Von wegen, das Buch ist exzellent, weil Magenau das Fragliche perfekt auf den Punkt bringt, weil alle – auch und vor allen die Könige – ihr Fett wegkriegen, und weil es einen wundervoll feinen ironischen Ton hat.

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Berühmt wurde die Tagung ja nicht, weil sie das einzige „Auswärtsspiel der deutschsprachigen Literatur“ blieb, sondern weil am abschließenden Sonntag dieser schüchterne Österreicher mit der „schmächtigen Statur eines Kleiderbügels“, Peter Handke, der zuvor schon aus seinem ersten Roman „Die Hornissen“ gelesen hatte, dieser Vierundzwanzigjährige, der die Alten bislang etwas enttäuscht hatte, weil man sich dieses neue kulturelle Ding, über das alle redeten und das er doch verkörperte, wie man gehört hatte, diesen „Pop“, etwas anders vorgestellt hatte, aufrührerischer, markanter, lebendiger, weil dieser Handke also am Sonntag nochmal aufstand und der Gruppe und gleich der ganzen deutschen Literatur schnell und zack die Leviten las: „Ich bemerke, dass in der gegenwärtigen deutschen Prosa eine Art Beschreibungsimpotenz vorherrscht“ – ein unglücklich gewählter Begriff, wenn man seine analytische Seite nimmt, denn Handke meinte eigentlich das Gegenteil: nicht dass keiner mehr beschreiben könne, sondern dass alle nur noch beschrieben! Perfekt gewählt allerdings dann doch, denn der schreibenden Elite (außer Böll, Walser und Koeppen waren alle da) mit dem Vorwurf der, räusper, Impotenz zu kommen, holla! – „Man sucht sein Heil in einer bloßen Beschreibung, was von Natur aus schon das Billigste ist, womit man überhaupt nur Literatur machen kann. Wenn man nichts mehr weiß, dann kann man immer noch Einzelheiten beschreiben.“ Und dann: „Es ist eine ganz, ganz unschöpferische Periode in der deutschen Literatur doch hier angebrochen.“ Vorne erstarrten Grass, Enzensberger, Weiss, Johnson, Lettau, Handkes späterer Erzfeind Reich-Ranicki, Jens, und wie sie alle hießen.

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Was wollte der Schnösel eigentlich? Das sollte sich anderthalb Monate später in Frankfurt zeigen, als sein neues Stück „Publikumsbeschimpfung“ am 8. Juni im Theater am Turm Premiere hatte. Regie: Claus Peymann [hier eine Fernsehaufzeichnung der Inszenierung]. Da lag es dann auf der Hand: Er wollte eine „Hinwendung zur Sprache und ihren Bedingungen“, wollte „Ideologiekritik betreiben, lange bevor dies … zur Großdisziplin werden würde“, denn wie Handke selber gleich in der Zeitschrift konkret dazu schrieb, „Es wird vernachlässigt, wie sehr die Sprache manipulierbar ist, für alle gesellschaftlichen und individuellen Zwecke“.
Fünfzig Jahre später ist er immer noch da, Peter Handke, sein neuestes Stück „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“ hat am Samstag im Wiener Burgtheater Premiere; Regie: wieder Claus Peymann.
Und derzeit kann sich, wer will, an den Berliner Theatern sein eigenes Handke-Festival zusammenstellen: „Kaspar“, sein Spiel über die Zurichtung des Menschen per Sprache, hat das Berliner Ensemble im Repertoire, sein später Geniestreich „Immer noch Sturm“ ist immer mal wieder auf der Hinterbühne der Kammerspiele des Deutschen Theaters zu sehen, „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“ dann als Gastspiel im Mai am Berliner Ensemble. (Im Spielzeitheft 2015/16 des DT ist für den 24. März die Premiere einer Inszenierung der „Publikumsbeschimpfung“ in der Regie von Jette Steckel verzeichnet – auf der Homepage nicht mehr. Schade.)
Und vorher natürlich unbedingt Jörg Magenaus exzellentes Buch lesen!

 

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Alltägliches

 

19. November 2015 14:37:06

… relativ: ”Transcendence“ im English Theatre Berlin über Albert Einstein, Max Planck und darüber wie der Nobel Preis verhandelt wird

Erschreckend wie viele gesellschaftliche Aspekte in den 1920er Jahren den heutigen Verhältnissen ähnlich sind: Die Zeiten scheinen im Umbruch zu sein, verlässliche Systeme brechen zusammen, die Finanzmärkte spielen verrückt, der Nationalismus erscheint vielen als Lösung der globalen Probleme. Dazwischen sind einige Forscher/innen, die in großen Schritten den technologischen Fortschritt begehen – heute spricht man vom Einsatz „disruptiver Technologien“. Erschreckend ist dieser Befund deshalb, weil wir wissen, dass nach der Zeit des Experimentierens im letzten Jahrhundert der europäische Faschismus die Oberhand gewann und die Nazis sich mit ihrer Schreckensherrschaft über alle andern erhoben.

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Mehr Informationen

Albert Einstein 1921Mit der Uraufführung „Transcendence“ im English Theatre Berlin bringt der Autor Robert Marc Friedman diese Zeit des Umbruchs mit vielen kurzen Szenen auf die Bühne. Albert Einstein arbeitet an seiner Allgemeinen Relativitätstheorie, Max Planck an der Quantentheorie und damit entsteht eine völlig neue Art des Denkens, die die Welt in den Grundwerten verändert erscheinen lässt. Das mathematisch-philosophische Spekulieren und Theoretisieren wird wissenschaftlich und löst das dagegen banal wirkende Messen und Überprüfen ab. Parallel explodiert das ästhetische Empfinden, was besonders in der Entstehung der „Neuen Musik“ ihren Widerhall findet. Autoren wie Franz Kafka gehen den Schritt vom Fabelhaften zum Psychodelischen, und Sigmund Freud fügt der Menschheit die dritte große Kränkung zu (nach 1. Kopernikus: Die Erde ist nicht der Mittelpunkt der Schöpfung – 2. Charles Darwin: Der Mensch ist nur ein weiterentwickelter Affe) nämlich in „Das Ich und das Es“, dass der Mensch noch nicht einmal Herr des eigenen Willens ist.

Gesucht wird also die Leitlinie, an der sich die Welt und jede/r Einzelne entlanghangeln könnte. Hilft der Rückgriff auf Kant noch? Was bedeutet relativ meine eigene Verantwortung? Gibt es eine gültige Ethik? Wer soll darüber verhandeln und wie soll man sich entscheiden, wenn man vor die Wahl gestellt wird: Mach mit und gestalte die Welt oder privatisiere als Gutmensch. Stellt man sich derzeit nicht genau diese Fragen wieder?

Im Stück werden solche Entscheidungsprozesse im Fokus der Vergabe des Nobel Preises verhandelt: Politische und strategische Interessen kämpfen im Nobel Komitee gegeneinander. Auch das kommt einem auch aus heutiger Sicht sehr bekannt vor, wenn man an die Vergabe des Friedens-Nobel-Preis für Obama und die EU denkt. Wer hatte da wohl mit welchem Interesse die Finger im Spiel? Und wie „neutral“ sind die Schweden da mit der Vergabepraxis?

Premiere von „Transcendence“: Freitag, 20. November 2015 im English Theatre Berlin (Sprache: englisch!)

Kleine Anmerkung: Günther Grosser, der auch Autor in diesem Blog ist, ist der Regisseur der Inszenierung. Ich bin bei der Produktion im Designteam beteiligt – alle Videoprojektionen und die Musikauswahl sind von mir.

 

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4. Oktober 2015 09:56:57

…. immer noch!! : 50 Jahre „Satisfaction“

Anfang Mai 1965 hatte der 21jährige Musiker Keith Richards, Gitarrist bei der englischen Rhythm and Blues-Kapelle The Rolling Stones, während der zweiten Amerikatournee des Quintetts die Idee zu einem neuen Song, dessen einleitende Akkorde und die erste Textzeile er am nächsten Tag seinem Bandkollegen Mick Jagger vorspielte. Jagger schrieb den Song zu Ende, ein paar Tage später nahm man eine akustische Version in Chicago auf, die endgültige mit elektrisch verstärkter Gitarre dann am 12. Mai in Los Angeles. Die Plattenfirma warf den Song noch im selben Monat als Single auf den Markt, ohne dass man Richards oder Jagger dazu gefragt hätte. Das Lied wurde zum Hit, zur Hymne, zur musikalischen Ikone.

<br />The Rolling Stones 1965 in Oslo

The Rolling Stones 1965

Es war kohlschwarz: Eine rasiermesserscharfe Gitarre wiederholt ein simples Riff wieder und wieder, das Schlagzeug fällt ein und pumpt zusammen mit dem Bass den Rhythmus, bis der Sänger schließlich ohne um den heißen Brei herumzureden mit der Tür ins Haus fällt: „I can´t get no Satisfaction“. Das war eindeutig nicht mehr die musikalische Welt von Doris Day und auch nicht von Frank Sinatra, das war dieses rhythmusorientierte Zeugs aus den Schwarzenvierteln, das seit ein paar Jahren Furore machte. Die amerikanischen Plattenbosse und die Radioleute mochten es, wenn weiße Jungs schwarze Musik machten – das hielt die Schwarzen auf Distanz und füllte trotzdem mit ihrer Musik die Kassen. Elvis hatte es vorbildlich gemacht, Buddy Holly, Bill Haley, dann die englischen Jungs, die Beatles, die Kinks gerade mit „You Really Got Me“ und jetzt eben diese Rolling Stones. Der Civil Rights Act war erst ein paar Monate alt und heftig umstritten, Martin Luther King hatte einen Traum, klar, und in Selma, Alabama marschierten sie seit März diesen Jahres für ihr Wahlrecht, aber noch passten schwarze Hautfarbe und grüne Dollars nicht zusammen – allerdings ließ sich schwarze Musik sehr gut verkaufen, dieses frivole Gemisch aus Rhythmus, elektrisch verstärkten Instrumenten und doppeldeutigen Texten, das die Körper derer, die seit einiger Zeit Teenager hießen und einen sehr interessanten neuen Markt bildeten, in Schwung brachte, und so setzte man auf den Rhythm and Blues der weißen Jungs.
Der Song kletterte einen Monat nach seiner Veröffentlichung auf die Nummer 1 der US-amerikanischen Hitparaden, kurz darauf auch in England. In Deutschland dauerte es bis zum 15. Oktober, bis die Rolling Stones den knuddeligen italienischen Trompeter Nini Rosso mit „Il Silenzio“, seiner schwülstigen Version des Zapfenstreichs, von der Spitze der Hitparade verdrängten. Dort hielten sie sich sechs Wochen, bis sie dem ersten erfolgreichen Versuch weichen mussten, die neue sogenannte Beatmusik und den guten alten Schlager zu verbinden: Drafi Deutscher und seinem (grammatikalisch wackligen) „Marmor, Stein und Eisen bricht“.

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Alltägliches

 

1. Juni 2015 12:27:53

… kein Luxus-Sanierungsgebiet: Bizim Bakkal muss bleiben

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Seit ich die Wrangelstraße kennengelernt habe, fühle ich mich der Familie Çalışkan verbunden, die ich liebevoll und politisch unkorrekt „meine Gemüsetürken“ nenne. Im Frühsommer 1992 bin ich zum ersten Mal morgens bei herrlichem Sonnenschein durch ihre Ladentür gegangen und habe eine Netzmelone gekauft, die ich einige Häuser weiter zu einer Frühstückseinladung mitbrachte. Bei meiner Freundin kam die Melone zwar nicht gut an, weil Melonen grundsätzlich bei ihr nicht gut ankamen, aber ich war vollkommen begeistert: diese Frucht war tatsächlich reif und super aromatisch!

Heute, viele Jahre später, bin ich mit der Freundin von früher verheiratet und wohne, nach einigen Umzügen, gleich um die Ecke von eben diesem Gemüseladen „Bizim Bakkal“, was übersetzt „Unser Lebensmittelgeschäft“ heißt. In den 24 Jahren, in denen ich immer am liebsten mein Gemüse hier gekauft habe, habe ich mehr oder weniger die ganze Großfamilie kennengelernt – 4 Generationen. Sie alle haben mit und über diesen Laden ihr Leben in Berlin aufgebaut. Sie wohnen zum Teil in der Nähe oder haben benachbarte andere kleine Geschäfte eröffnet, die ihrerseits den Kiez gestalten und liebenswert machen.

Jetzt nach 28 Jahren hat der Gemüseladen die Kündigung bekommen! Das Haus wurde an einen Investor verkauft und der will Kasse machen. Es soll saniert und schöner werden und da ist kein Platz mehr für einen netten, kleinen Gemüseladen. Da es ein normaler Gewerbemietvertrag ist, kann fristlos gekündigt werden, und deshalb wird die Familie zum 1. 30. September rausgeworfen.

Als der Chef (2. Generation) mir das im Laden erzählt hat, war ich wirklich schockiert, denn an diesem Laden mache ich einen beträchtlichen Teil meines Heimatgefühls als Kreuzberger fest. Der Laden speist einen wesentlichen Teil des Wir-Gefühls hier im Kiez und deshalb geht es hier ums Grundsätzliche! Wird Bizim Bakkal verdrängt, werden wir verdrängt!

Dieser Kiez rund um die Wrangelstraße ist nicht einfach irgendein Investitionsgebiet, dessen Existenz der Bereicherung von Immobilienfirmen dient. Wenn die Gegend hier langsam prosperiert, dann entstand dieser Wertzuwachs durch unser Zusammenleben. Wir alle haben diesen Kiez aktiv gestaltet und deshalb haben wir den Mehrwert geschaffen, den wir nun als Rendite in Form von Menschlichkeit ausgezahlt bekommen wollen. Wir geben unsere Nachbarschaft nicht für Investoreninteressen preis. Wir lassen uns die Rendite nicht von jetzt aufspringenden Immobilienfirmen wegschnappen, sondern diese Rendite muss der Gemeinschaft derjenigen zu Gute kommen, die hier leben. Und zu Gute kommt es uns, wenn wir weiter hier leben können.

Zur Erklärung, was ich damit meine: Kurz nach der Einführung des Euro, haben wir von studio adhoc als Anwohner gemeinsam mit den Gewerbetreibenden des Wrangelkiez’ und dem gerade erst gegründeten Quartiersmanagement eine Werbeaktion gemacht, die unter anderem zum Ziel hatte, gegen den Verfall und den Leerstand von vielen Läden in der Gegend anzugehen. Wir wollten verhindern, dass die Straße immer weiter herunterkommt, und wollten die einzigartige, kleinteilige und multikulturelle Ladensituation und das damit verknüpfte Wesen der Straße erhalten. Auch „Bizim Bakkal“ war mit dabei. Es war in dieser Zeit noch nichts davon zu spüren, dass nur wenige Jahre später plötzlich alles irre hipp sein könnte. Damals ging es darum, sich gegen den Verfall zu stellen. Das haben wir alle gemeinsam geschafft – auch mit den Vermietern und Besitzern an unserer Seite.

Heute geht es darum, sich gegen den Ausverkauf zu stellen. Es darf nicht sein, dass auf Kosten der Gemeinschaft Kasse gemacht wird und dabei Familien, die hier Jahrzehnte lang wesentliche Säulen des Zusammenhalts waren, auf der Strecke bleiben!

Der Kiez ist jetzt extremem Gentrifizierungsdruck ausgesetzt. Die Mieten sind hier innerhalb weniger Jahre so stark gestiegen wie nirgendwo sonst in Berlin und viele Läden haben schon mehrfach den Besitzer gewechselt. Die Lebensmittelgeschäfte, über die sich die Einheimischen versorgen, verschwinden und alle Arten von Geschäften, die im weitesten Sinne auf Tourismus ausgelegt sind, kommen. Außerdem wurde und wird überall saniert – immer mit vollem Programm, denn nur dann kann man hinterher Phantasie-Mieten verlangen: Das Zauberwort heißt „Energetische Vollsanierung“. Darüber können geldgeile Investoren am besten alle Mieter rausekeln um dann die Wohnungen neu zu schneiden. Die neue, solvente Zielgruppe hat andere Ansprüche: schöne offene Küchen und große Bäder. Nur so können die Wohnungen dann meistbietend verkaufen oder vermietet werden.

Wir müssen uns jetzt wieder als Anwohner gemeinschaftlich dagegenstellen!
Seid dabei: Mittwoch den 3.6. auf der Wrangelstraße 77 bei Bizim Bakkal um 19 Uhr. Wir müssen zeigen, dass wir weiterhin Bizim Bakkal bei uns haben wollen!

bizimbakkal-wrangelstr-zettel1

Der Fall findet nun ein Echo in den Medien:

> Berliner Zeitung (online)

Nachtrag am 10. Juni:

Inzwischen hat sich die Nachbarschaftsinitiative > BİZİM KIEZ < gegründet, die versucht Bizim Bakkal zu retten. Jeden Mittwoch um 19:00 Uhr ist bis auf weiteres eine spontane Kundgebung und Informationsaustausch vor dem Laden in der Wrangelstraße 77. Weiteres auf der Website www.bizim-kiez.de

 

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