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Archiv der Kategorie ‘Freizeit‘

24. Juni 2011 07:50:07

… alarmierend: Chinesen im Monbi!

Jetzt ist es soweit. Die Chinesen sind im Monbijoupark eingefahren. Ihre Autos, glänzende Imitate deutscher Edel-Karossen, haben einen Platz hoch oben auf dem extra aufgebauten Gerüst neben dem Atelierhaus, welches den zentralen Ausstellungsort für „based in Berlin“ bildet. Das Thema ist die Berliner Gegenwartskunst, die an folgenden, weiteren Adressen und noch bis zum 24. Juli 2011 betrachtet werden kann: KW Institute for Contemporary Art (Auguststraße), Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof, Neuer Berliner Kunstverein (Chaussestraße 128/129) und Berlinische Galerie. Weitere Details siehe hier: http://www.basedinberlin.com/

Was mir – unvollständig – im Atelierhaus auffiel: Ralf Pflugfelders „Untitled“, eine interessante Holzkonstruktion, die an die ersten Flugapparate (Lilienthal) erinnert und eine vertrackte Situation darstellt: Das Gerüst passt gerade so in den Raum hinein. Bewegung ist nicht möglich und ein Scheitern jeder Absicht zwangsläufig. Warum auch nicht. – Befremdet war ich, in einer Fotoportraitreihe ein paar abgehalfterte Politiker zu sehen. Was sollen die in dieser Ausstellung? – Die gesammelten Intenet-Video-Mitschnitte der Tanzenden von Matthias Fritsch „We, Technoviking“, 2010, sind wenig berührend und nichts neues. – Was mich bei der Gegenwartskunst wundert: Warum setzt sich z.B. niemand mal mit der hohlen Penetranz dieser „sozialen Netzwerke“ des Internets auseinander, zum Beispiel in der Form eines öffentlichen „Freunde“-Löschens?

Auf der oberen Plattform des Gerüstes sind dann die drei chinesischen Autos aufgestellt, die wohl BMW-Marken nachgebaut wurden. Zunächst mal ganz nüchtern: In der Realwirtschaft wird China zum wichtigsten Markt für die deutschen Autobauer. Da wird der deutsche Autokäufer ja wohl irgendwann auch kein Extra-Design, vielleicht auch keine Extra-Technik, mehr erwarten können! Aber hier: Ist das Kopieren, der glänzende Nachbau des Originals, neue Kunst oder werden hier nur die alten, weiterentwickelten Warhol’schen Suppendosen vorgezeigt?

Das Podest befindet sich übrigens in nahezu ebenbürtiger Höhe mit dem Dach des kunstschweren Bode-Museums. Was für eine Ironie! Oder soll es gar keine sein?

 

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19. Juni 2011 21:06:54

… Häupter: Gekrönte und ungekrönte

Im Erdgeschoss des Kulturkaufhauses Dussman in der Friedrichstraße residiert seit geraumer Zeit eine Königin. Die ägyptische Pharaonin Hatschepsut hält, hier in Gestalt einer Sphinx, Hof und lässt sich von den Besuchern bewundern. Diese Herrscherin hatte bereits vor ca. 3500 Jahren, also lange vor einer Diskussion über Frauenquoten, das Zepter und die Macht, in dem damals wohl zivilisiertesten Land der Erde, in der Hand. Dies gilt, obwohl man hin und wieder bei Ägyptologen liest oder von Touristenführern hört, dass sie meist in Gestalt eines Mannes, also als Pharao, auf den Zeichnungen der inzwischen erschlossenen Grabmale dargestellt worden ist. Hatschepsut, ein wunderbarer Name, der sich – fällt mir gerade ein – vielleicht auch als Markenname für Nasentropfen sehr gut anhören würde, war jedenfalls eine gekrönte Königin.

Einige Meter weiter treffen wir – immer noch im Kaufhaus Dussmann unterwegs – auf einen ungekrönten König, dem dieser Tage ein ganzer Tisch für die Ergebnisse seines bisherigen musikalischen Werkes eingeräumt wurde. Über Bob Dylan, der am 24. Mai 70 Jahre alt wurde, ist schon fast alles geschrieben worden, so dass mir nur eines festzuhalten bleibt: Als er anfing zu singen, hörten ihm heutige Großmütter und Großväter in Sehnsucht und Verwirrung zu; nun spielt er immer noch, jetzt aber auch für die Enkel.

Am gestrigen Abend stieg an der Straßenbahn-Haltestelle Bahnhof Friedrichstraße eine festlich, überwiegend in Schwarz, gekleidete fünfköpfige Familie aus, deren Ziel das Maritim-Hotel war. Dort fanden Abi-Abschlussbälle statt, darunter auch einige von den Klassen, die von einer Berliner Firma betrogen worden waren. Während der Vater mit den zwei Mädchen vorauseilte, blieb die Mutter mit dem Jungen etwas zurück. Plötzlich nahm sie die Hand ihres, sie um einen Kopf überragenden Sohnes und begab sich – noch auf der Halteinsel der Straßenbahn – mit ihm in Tanzposition, zog ihn an sich und zeigte ihm die Tanzhaltung. – Sie und andere Mütter waren gestern abend nicht der Mittelpunkt der Feier, aber sie gehören auch zu den ungekrönten Guten. Sie haben ihre Kinder auf den abschließenden Tanz begleitet, aber auch nach dem Abitur werden viele der 18/19-Jährigen den eigenen Schritt nicht ohne Umwege und Hilfe finden.

 

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18. Juni 2011 14:52:35

… interkulturell: Menschen und Tiere

Das Haus, in dem ich wohne, ist ein ruhiges. Selbst Geburtstagsfeiern oder andere Feten verlaufen zumeist mit gedämpftem Geräuschpegel. Vielleicht ist der Bildhauer aus dem Vorderhaus symptomatisch für das gesamte Klima unter den Leuten. Wenn wir uns mal im Treppenhaus begegnen, wird zurückhaltend, aber freundlich, gegrüßt. Dabei würde mich schon mal interessieren, warum er immer die Frauen in seine Wohnung abschleppt. Genauer gesagt, sind es Skulpturen, oft lebensgroß, die dann irgendwann in seinem Zimmer, welches man von der Straße aus sehen kann, erscheinen und zu denen der Beobachter – wenn er nicht genau hinschaut – denken könnte, Menschen hätten sich im zweiten Stock zu einer Ausstellungseröffnung in unterhaltender Runde versammelt.

Mein Gegenüber im Hinterhaus pflegt das Multikulturelle: Zu seinem Haushalt zählen diverse Fische in einem prächtigen Aquarium und zwei edle Katzen – tippe auf Perser. Alle scheinen sich prima zu verstehen. Jedenfalls war noch nie Lärm zu hören, der darauf schließen ließe, dass die Katzen, die sehr mondän erscheinen und ungestört sowohl Tisch, als auch Kühlschrank meines Nachbarn zu ihrem Laufsteg auserkoren haben, den Fischen zu nahe getreten wären.

Des Nachbarn Fenster zum Hof ist allerdings mit einem Netz gesichert, welches mich an ein Handballtor erinnert. So sitzen die Damen Katzen des öftern auf dem Fensterbrett und betrachten von höherer, vernetzter Warte das Hofgeschehen. Ab und zu geht ihr Blick zu dem Grünfinken, der, insbesondere morgens, sein einfallsloses und monotones Fiepen ertönen lässt oder nach oben zum Mauervorsprung, wo der Amselhahn abends sein reichhaltigeres Repertoire in – zumindest für Ohren menschlicher Zweibeiner – wohlklingender Weise vorträgt. Einige Jahre brüteten die Amseln auf dem Hinterhof an der Wand mit dem stark gewachsenen Efeu. Nun hat der Wohnungsverwalter das Grün zurückschneiden lassen, weil es bereits in die Fenster hineinwuchs. Diese Aktion der Menschen kostete die Amseln ihren Nistplatz. Einmal waren Elstern über das Gelege der Amseln hergefallen und hatten eines der, noch nicht flugfähigen, Jungvögel totgepickt. Der, das mehrfache Anfliegen der Elstern und das aufgeregte Käckern der Amseln beobachtende, Mensch hatte einige Male mit lauten Rufen zugunsten der Amseln eingegriffen, konnte aber, da nicht ständig vor Ort, letztlich am Gang der Dinge nichts mehr ändern.

 

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13. Juni 2011 21:35:56

… zu Pfingsten: Originales und Originelles

Es ist immer interessant, nach dem Denken, Fühlen und Handeln der Menschen zu fragen. Was bewog zum Beispiel den Hauseigentümer in der Revaler Straße, an seine Hauswand den, aus einem Ovid-Zitat herrührenden, Spruch „Tempora si fuerint Nubila solus eris“ (Wikipedia: „Im Unglück wirst du allein sein“) anbringen zu lassen? Hatte er, um nur zwei Möglichkeiten anzuführen, bereits beim Kauf die Vorahnung, dass er seinen Kredit nie würde zurückzahlen können oder schwante ihm bereits zu diesem Zeitpunkt, dass seine Frau ihn verlassen würde?

Ebenso unbekannt sind die Motive jenes Sprayers, in erwähnter Straße auf einem Hausdach, dass von der Fussgängerüberführung am S-Bahnhof Warschauer Straße gut sichtbar ist, den Spruch „DEUTSCHLAND VERRECKE!!! KOPI BLEIBT!“ für die lesende Nachwelt zu hinterlassen. Vielleicht hat der Mann weder Arbeit noch Wohnung und seine Wut ist groß. Möglicherweise führt er aber auch ein ganz zufriedenes Leben und zieht mit seinen Spraydosen durch’s Land.

Auf dem vormaligen RAW-Gelände, südlich der Revaler Straße, welches den Eindruck eines in Auflösung befindlichen Lagerplatzes macht, scheint es überwiegend glückliche Menschen zu geben. Während sich am gestrigen, frühen Abend einige gutgelaunte Bewohner, mit einer Flasche Bier in der Hand, von der Sonne den Nebel des Vorabends aus den Köpfen vertreiben ließ, gingen andere ihrem Beruf nach und bedienten Gäste. Dass auf dieser besonderen friedrichshainischen Enklave deutsche Edelautos u.a. mit den Kenzeichen WI… und ERH… herumstanden, irritierte nicht nur auf den ersten Blick.

Beeindruckend war der Menschenstrom, der sich – ameisenkolonnengleich – vom S-Bahnhof Warschauer Straße hin zum gleichnamigen U-Bahnhof, weiter über die Oberbaumbrücke nach Kreuzberg und andererseits die Warschauer hoch bewegte, wobei  ein kleiner Teil der Menge auch in die touristisch überfrequentierte Simon-Dach-Straße abbog. Nur vereinzelt waren Pfingstausflügler hingegen in der Oberbaumcity vertreten. Hier, an der leider geschlossenen Zwinglikirche und den historisch interessanten, sanierten Industriebauten (heute BASF, früher NARVA, ganz früher Osram und Wasserwerke) mit dem ersten Hochhaus Berlins in der Rotherstraße, waren die Bewohner des Viertels überwiegend unter sich.

Sehr eng unter sich war man am Sonnabend im Schienenersatzverkehr von Storkower Straße Richtung Schönhauser. Der Busfahrer gab sich große Mühe, mitfahrende Touristen, vielleicht auch ein paar neue Zuzügler zu erschrecken. Er fuhr schnell, bremste scharf und brachte seine Durchsagen mit Grabesstimme und ohne jede Emotion über das Mikrofon. Busfahrer und Politessen sorgen ja ab und zu dafür, dass die Begeisterung der Einheimischen und Besucher für Berlin auch mal abgekühlt wird. Zu Stadt-Originalen werden beide Berufsgruppen damit aber noch lange nicht.

 

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1. Juni 2011 18:41:07

… fremdreferenziell: Die Blaubeere

Bald ist es wieder soweit. Hartnäckige Beerenfreunde begeben sich in die waldreiche Umgebung Berlins, dem Fuchsbandwurm und der Zecke trotzend. Das bei einer solchen Pirsch auch philosophische Erkenntnisse in den Sammlerkorb purzeln, zeigt das nachfolgende Naturprodukt, welches gleichermaßen durch gemobbte Arbeitnehmer, unglücklich Verliebte, Copy and Paste-Opfer, unentdeckte Talente und politische Hinterbänkler bedenkenlos konsumiert werden kann. Nebenwirkungen sind nicht bekannt.

Was lernt der Mensch beim Blaubeerpflücken?
Zunächst einmal muss er sich bücken!
Muss wenigstens zwei Stunden suchen
für einen guten Blaubeerkuchen.

Gut sichtbar sind die kleinen, hellen,
die sollen uns den den Weg verstellen,
hin zu den dunklen, großen, schönen,
Blaubeeren, die uns dann versöhnen.

Erkenntnis Nummer Zwei kommt später:
Die Blaubeer ist nur ein Vertreter.
Ein Gleichnis für das Menschenleben
hat uns hier die Natur gegeben:

Bemerkt werden die lauten Leute.
Das Grelle drängt nach vorn – bis heute.
Versteckte Klasse kann beglücken,
nur selten – wie beim Blaubeerpflücken.

 

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Alltägliches | Freizeit

 

24. Mai 2011 18:24:26

… Augenblicke: Marathongeschichten

Der 26. September 2010 war ein kühler und regnerischer Tag. Von der Abgabe der Laufbeutel bis zum Starterfeld des 37. BerlinMarathon brauchte man ca. 25 Minuten Wegezeit, was ich für zu lang halte (ähnlich wie die Wartezeit im „Zieltrichter“, bis einem die Medaille umgehängt wurde). Das Starterfeld der ca. 40000 war in sechs große Blocks eingeteilt, die sich auf der Straße des 17. Juni, mit Gittern zum Tiergarten hin abgegrenzt, aufgebaut hatten. Die Läufer standen sehr beengt und nach Abgabe des Startschusses vergingen, wie bei allen Großläufen, einige Minuten, ehe alle Teilnehmer mit ihrem Chip die Startlinie und somit den Beginn der elektronischen Zeitmessung, erreicht hatten. Für mich war 2010, trotz vieler Vorsätze, der erste „heimische“ Marathon. Meine bisherige Abneigung resultierte vor allem aus der Tatsache, dass die Strecke vollständig auf Asphaltbelag zu absolvieren ist. Trotz einer für mich akzeptablen Zeit von 4:06:03 war ich mit dem Verlauf nicht zufrieden, da meine Beinmuskeln bereits ab km 27 „fest“ waren. Da konnte mich auch die begeisterte Anteilnahme der Berliner, wie der Touristen und die dichte Atmosphäre eines Stadt-Marathons nur noch teilweise aufmuntern.

In einem weniger großvolumigen Rahmen startete am 21. Mai 2011 der 39. GutsMuths-Rennsteiglauf in Thüringen – insgesamt waren 14220 Teilnehmer dabei, darunter 2011 auf der Super-Marathon-Strecke (72,7 km), 2812 Läufer beim Marathon (43,5 km) und 5881 auf der Halbmarathon-Distanz. Der Rennsteiglauf – auch größter Cross-Marathon Europas genannt – war bereits vor 30 Jahren ein Kultlauf und er ist es noch heute. Wer ihn einmal mitgelaufen ist – auch viele Berliner sind jedes Jahr mit Begeisterung dabei – wird immer wieder kommen und sich neben der sportlichen Herausforderung, der perfekten Organisation, der stets guten Stimmung auch am Maiengrün des Thüringer Waldes erfreuen. Der diesjährige Marathon, traditionsgemäß mit dem Schunkeln des „Schneewalzers“ zehn Minuten vor dem Start in Neuhaus am Rennweg eingeleitet (und am Abend nach dem Lauf immer mit einer gewaltigen Sause im Zielort Schmiedefeld beendet) war wettermäßig ebenfalls nicht einfach, da es auf den ersten Kilometern sehr schwül war und auf dem letzten Abschnitt wolkenbruchartige Niederschläge auf das Läuferfeld niedergingen. Für mich war es der 23. Marathon auf dem Rennsteig, den ich diesmal auf dem 1350. Platz beenden konnte. Übrigens: Die schnellsten Berliner bei diesem Lauf – Katrin Schütze mit 4:10:30 bei den Frauen und Stephan Splanemann mit 03:28:24 bei den Männern.

Den beeindruckendsten Moment erlebte ich – schon als Zuschauer – im Stadion von Schmiedefeld, als auf der 73 km-Strecke nach 11 Stunden nochwas zwei Läufer aus dem Gehörlosenlaufverein Essen auf die Zielgerade einbogen. Während der eine mit seinen Kräften am Ende war und nur noch mit Mühe seine Beine voreinander setzen konnte, lief sein Sportsfreund ein paar Schritte vorneweg und versuchte ihn mit lebhafter Mimik und Gestik zu animieren, auch die letzten Meter noch zu schaffen, was auch gelang. Im Ziel angekommen konnten sich beide vor Freude kaum lassen und umarmten einander minutenlang.

 

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12. Mai 2011 13:56:33

… anti: Touristen und Kreuzberg

Berlin does not love you

Mit dem Einspieler „Wir müssen draußen bleiben“ wurde in den ARD-Tagesthemen mit leicht ironischem Unterton berichtet, wie wenig begeistert alt eingesessene Kreuzberger, die ja ihrerseits auch alles nur Wahlberliner sind, auf Touristen aus aller Herren Länder reagieren. „Berlin does not love you“ schallt es von kreisrunden Aufklebern, die in übler Absicht arglosen Touristen auflauern, um ihnen hinterrtücks mit ausgrenzender Ablehnung entgegenzuschlagen, so im Beitrag zu hören.

Tatsächlich gibt es eine nicht ganz unbegründete ablehnende Unterströmung, gegen die absolute Tourismusvermarktung der Berliner Kieze, wobei deutlich zu sagen ist, dass sich diese Haltung eher gegen die hiesigen Profiteure, als gegen die Touristen selbst richtet. Denn es ist nicht zu leugnen, dass sich einzelne Stadträume wie z.B. der Wrangelkiez in wenigen Jahren extrem verändert haben, natürlich nicht nur zu deren Ungunsten, wobei aber der unangenehme Nebeneffekt auftritt, dass die Mieten in den Kiezen extrem rasch ansteigen. So entsteht ein Verdrängungsprozess, der das typische Kiezleben, das ja gerade für Touristen so attraktiv sein soll, in wenigen Jahren zum absterben bringt, und gegen Billig-Restaurants global-einheitlicher Ausprägung ersetzt.

Und an dieser Stelle beginnt dann doch die Touristen-Schelte, denn es ist festzustellen, dass vielen Besuchern der lokale Bezug der touristischen Attraktionen vollkommen egal ist. Viele wollen einfach nur Spaß haben, andere Touristen treffen, sich die Birne zusaufen, Burger fressen und dabei schlechte Musik hören – „international style“ zu lokalen Tiefstpreisen. Es scheint das ausgemachte Ziel dieser jungen internationalen Fun Communiy zu sein, die Berliner Innenstadt flächendeckend mit Scherben zu überziehen (scheiß auf die lokale Sitte der Pfandflasche), nachts laut und grundlos herumzugröhlen (Kreuzberger haben für ihre öffentlichen Äußerungen hingegen meist ernste Anliegen), alles abzufotografieren (wo wir doch extra unsere Häuder bei Google-Maps haben verpixeln lassen) und in die Grünflächen zu kotzen (Berliner betreten erfahrungsgemäß die innenstädtischen Grünflächen ohnehin nur widerwillig, von daher ist dieses Detail noch am wenigsten störend).

Also: Was wir wollen sind Flugpreise, die die echten Kosten dieser Technologie widerspiegeln und damit so teuer werden, das nur noch berechtigte Anliegen einen internationalen Flug rechtfertigen, so dass dann die Touristen zu uns kommen, die wir Kreuzberger sehr gerne bei uns empfangen, bewirten und mit denen wir gerne feiern.

scherben

Dazu die kleine Presseschau:
TagesspiegelSpiegelFocus

 

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8. Mai 2011 23:29:58

… Berliner Kleinod 1: Britzer Garten

Der Britzer Garten, 1978-85 gr0ßzügig angelegt und an Berlins grüner, südlicher Flanke gelegen, zeigt sich in diesen Tagen von seiner freundlichsten Seite, die sich vor allem dadurch auszeichnet, dass neben den anderen Farben, das Grün die Herrschaft über dieses hügelige Wiesenmeer, das ergänzt wird von kleinen, durch Menschenhand erschaffenen Seen – die u.a. von großen Amurkarpfen bevölkert werden – übernommen hat; ein Gelände auf dem Hügel, Blumenbeete – in denen fast verblühte Tulpen, Vergissmeinnicht, Stiefmütterchen und Gänseblümchen einträchtig und ungeordnet beieinander stehen – Kinderspielplätze, Bänke an stark frequentierten Wegen, aber auch in lauschigen, stillen Ecken, in denen Einzelne oder Paare versunken vor sich hin lesen oder einander zuwenden, Holzbrücken der sonderbarsten Konstruktion, darunter die „rhizomatische“ Hauptbrücke, beschnittene Hecken und Sträucher, die Plätze umsäumen, auf denen phantasie- und geheimnisvolle Brunnenskulpturen installiert wurden, Spielplätze und Planschbecken, wobei man in einem der letzteren eine archimedische Schraube – Arbeitsinstrument aus uralter Zeit – für Kinder zur Benutzung gebaut hat und locker -zwischendrin viele Bäume – gestaltet wurde; wo neben zahlreichem Volk in den unterschiedlichsten Sprachen der Großstadt Berlin, Familien, alte Menschen im Rollstuhl, auch alle anderen communities dieser Stadt zu ihrem Recht kommen – mit Ausnahme der Radler, Grillfreunde und Sonntags auch der Skater, die nicht auf das Gelände dürfen – und unterwegs sind, gelegentlich eine Pause an einem der zahlreichen Kioske einlegend, um z.B. Rixdorfer Fassbrause – die in Bad Liebenwerda produziert wird – zu konsumieren, mit der Parkeisenbahn fahrend oder an jenem, in Südlage gelegenen, Hang vorbeizuschlendern, auf dem Rebstöcke der bekannteren Sorten (u.a. Dornfelder) und der eher nicht so bekannten (u.a. Blauer Affenthaler) zum Experiment angebaut werden und wo die Besucher schließlich, ohne alles gesehen oder gar kennengelernt zu haben, das 90 Hektar große Gelände mit der Erkenntnis wieder verlassen, dass hier etwas Einmaliges und Wunderbares für Berlin und darüber hinaus erschaffen wurde. Eintritt: z.Zt. drei Euro. Jahreskarte: 20 Euro.

 

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21. April 2011 19:19:18

… Augenblicke: Laufkundschaft

Nett sehen sie aus. Fünf Mädchen nebeneinander. Aufgereiht, wie Hühner auf der Stange, sitzen sie im Cafe Einstein in der Kronenstraße/Ecke Friedrichstraße. Drei sind beschäftigt (natürlich mit Telefonieren). Die anderen zwei blicken nach draußen und freuen sich über die Aussicht durch die große Scheibe. Schon lange ist es Mode, dass sich der Gast in einem Cafe , manchmal drin, manchmal im Freiluftbereich, so setzen kann, dass er nach außen, zum Bürgersteig schaut. Nicht mehr der Besucher einer Lokalität, vielleicht in intimer Runde oder in geschäftlicher Anbahnung, kann durch vorbeischlendernde Passanten beobachtet, vielleicht sogar erkannt werden. Nein, jetzt wird der Gast – bei Bedarf – zusätzlich selbst zum Beobachter, Voyeur der vorbeiströmenden Menge. Nicht mehr Objekt, sondern Subjekt, selbstbewusster Darsteller im öffentlichen Zirkus. Ein kleines Alltags-DSDS-Casting für die Eitelkeit zwischendurch. – Andererseits sitzt man wie auf dem Präsentierteller. Die Leute sehen sofort, was ich mache. Mein Gesicht verrät ihnen, ob ich mich freue oder Kummer habe, vielleicht erahnen sie sogar, woran ich denke. Unheimlich.

Wenige Schritte weiter, in der Mohrenstraße vor dem Hilton-Hotel, bewegt sich eine zwanzigjährige Blondine mit Querstreifen-T-Shirt unruhig auf dem Bürgersteig hin und her, spricht Passanten an. Sie sammelt für die Kinder-Krebshilfe – der Ausweis baumelt ihr am Hals. Aufgetakelte Damen, ältere Touristen-Ehepaare, junge Männer mit (und ohne) gegeltem Haar, manche mit dienstreisendem Rollkoffer; Ausländer, die beim Anblick der Spendenbüchse keine Sprache mehr verstehen. Die Einnahmen einer halben Stunde fallen mager aus. Eine Erfolgsquote von 10% läßt bei der Sammlerin langsam die Schultern sinken. Und das an einem Apriltag wie heute, der die stechende Sonne eines noch verborgenen Sommers bereits vorweggenommen hat.

 

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12. April 2011 17:59:58

… nochmal Touristen: Ein andalusischer Hund* – Reisemomente

Touristen – eine Unterart der Fremden – stören immer, werden aber gebraucht. Ob in Berlin oder anderswo werden sie als das wahrgenommen, was sie sind: Mal Sand, aber natürlich oft auch Öl im Alltagsgetriebe der Einheimischen. Wer jedoch als Besucher eine fremde Gegend, ihre Menschen (manchmal auch sich selbst) etwas näher kennenlernen will, muss die ausgetretenen Pfade verlassen.

Tief im Tal und 30 Wanderminuten entfernt von dem landschaftlich außerordentlich beeindruckenden Hochplateau, auf dem die Stadt Ronda liegt, kauerte der Schäferhund im Gras und ließ keinen Zweifel daran, die Fremden nicht ungeschoren an seinem Territorium vorbeiziehen zu lassen. Da blieb nur der Rückweg in die Stadt auf dem Felsen, die von ihrer Lage, aber auch von den Geschehnissen und Legenden ihrer Geschichte und des Stierkampfes lebt und deren einst berühmten Gästen, wie Hemingway, Rilke, Orson Welles – und ihren Spuren – heute noch das Interesse von Touristen-Legionen gilt, denen man hier nur entfliehen kann, wenn man, abseits der Saison und abends, wenn die meisten wieder auf dem Weg in ihre auswärtigen Hotels sind, durch die kleine Stadt streift.

Der fünfzigjährige, nur ca. 1,65 m hohe Mann mit dem noch vollen, schwarzen Haar, welches ungebändigt oberhalb seines verwitterten Gesichts begann, trug den förstergrünen Pullunder und Schlips seiner Firma. Erst in letzter Minute enterte er den Fahrersitz des Busses von Ronda nach El Puerto de Santa Maria (Kolumbus brach von hier zu seiner zweiten Amerika-Reise auf), um dann sogleich loszufahren. Zwanzig Minuten später stieg ein etwa gleichaltriger Fahrgast ein, der sich auf dem fahrernächsten Sitzplatz niederließ, um dann mit dem Busfahrer ein langandauerndes, lautes Gespräch zu beginnen, welches man auch als Duell bezeichnen kann. Sobald der eine – beider Laune verbesserte sich während der Unterhaltung ständig und sichtbar – seine Worte dem anderen entgegengebellt hatte, kam die Antwort wie eine kurze Salve aus einem Maschinengewehr zurück. Zwischenzeitlich hatte der Bus, es wurde langsam wärmer, den Nationalpark Grazalema hinter sich gelassen und steuerte ein Bergdorf an, das nur über Serpentinen erreichbar war, um dort zwei Fahrgäste aufzunehmen. Anschließend wendete der Fahrer das Gefährt, fuhr dabei bis auf einen Meter an den Abgrund heran und beorderte einen der neu eingestiegenen zum Richten des Außenspiegels nach draußen. Nach diesem kleinen Manöver, welches dem Mann sichtliches Vergnügen bereitete, wurde der Dialog mit dem Fahrgast fortgesetzt. Der Innenraum des Busses verwandelte sich aber mit der Zeit durch zunehmende Hitze (die Klimaanlage wurde erst kurz vor dem Ziel eingeschaltet), eine üppige Geräuschkulisse – zusätzlich durch das eingeschaltete, laut dudelnde, meist Werbung herausbrüllende, Busradio und laufendes Klingeln auf den Mobiltelefonen der Mitreisenden befördert – in ein akustisch suboptimales Milieu. Das wurde schließlich per Radioeinspiel durch den wehklagenden Singsang von Bob Dylan gekrönt, der eigentlich nicht so ganz in diese karge, aber schöne, andalusische Bergwelt, deren ausgedehnte Olivenbaumplantagen von weitem wie durch eine braune Decke mit grünen Noppen bedeckt aussah, hineinpasste.

Plötzlich, nach der Kurve, kamen die Madonna und ihr, sie auf dem Podest anbetender, ebenso lebloser Heiliger, direkt auf den Beobachter zu. Wenn die menschliche Karawane, die sich an diesem Freitag durch das abendliche Cadiz bewegte, einmal zum Stillstand kam, weil der das Mikrofon tragende Priester ein Gebet sprach, blieben auch die eng an eng hintereinander gereihten Männer, die das Podest trugen, stehen und gingen vom raumgreifenden Vorwärtsschritt in die schaukelnde Seitwärtsbewegung über, die zwar dem Ziel nicht näher führte, aber dem entfernt stehenden Beobachter die Illusion gab, die Madonna bewege sich. Vor ihr wurden auf langstieligen Silberständern rohrdicke Kerzen hochgehalten, denen, wiederum von einer Kohorte in schwarzen Anzügen steckender Männer getragen, der in Holz geschnitzte, gekreuzigte Jesus folgte. Die weihrauchqualmende Prozession führte durch enge Gassen, an Bars und Restaurants vorbei, aus denen Lärm von trinkenden und Fernsehfußball konsumierenden Männern drang. Der Menschenzug endete in der Alten Kathedrale, die vor Gold, Silber und Monstranzen förmlich überladen wirkte. Einheimische und Touristen füllten die Kirche, viele hatten ihre Handys und Fotoapparate gezückt oder machten sich auf andere Weise ihr Bild.

Die Maschine von Air Berlin schwebte im nächtlichen Himmel auf die Stadt hinunter. Unter dem Flugzeug leuchteten – wie Glühwürmchen – unzählige Lichter, die mal geordnet, meist jedoch chaotisch erschienen und doch nichts anderes bedeuteten, als der Ort, an den man nach einer Reise wieder zurückkehrt.

* Nicht der von Luis Bunuel.

 

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