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Archiv der Kategorie ‘Kunst‘

2. Mai 2017 14:09:05

… epistemologische Verzückung!

Die Kuratorin der Ausstellung „Retreat into Darkness“ von Ivana Franke in der Schering Stiftung, Elena Agudio,  unternahm den Versuch, uns dorthin mitzunehmen, wo das Kunstwerk über sich hinausweist, setzte ihr Baby in den Kinderwagen und ging ins philosophische Dickicht. Dort stieg sie kühn voran und stieß uns mit der Nase auf den Begriff  der „epistemological rupture“ – oder war´s doch „rapture“, akustisch war das nicht zu unterscheiden. Eine Fragestellung, die sich so sollte man meinen, in der mutigen Konfrontation mit dem Kunstwerk lösen lassen sollte. Wir betreten einen dunklen Raum, aus dem sich nach ein paar Minuten visueller Adaption Lichtpunkte herausschälen, deren Anordnung sich vor unseren neugierigen Augen je nach Perspektive verändert. Lichtbögen aus einzelnen Punkten, Formen, die sich verändern, entziehen, näher kommen. Und Frankes Installation ist tatsächlich scharfsinnig und treffend, wie sie die Verlässlichkeit unseres sonst so zuverlässigen Sehsinns in Frage stellt. „Zauberhaft“, sagt Dr. H, will´s dann aber genau wissen und sucht nach den Lichtquellen. Die sehr zuvorkommenden Mitarbeiterinnen müssen uns und alle anderen davon abhalten, in das Kunstwerk zu tapsen, es wird eng, ein falscher Fehler und die Sache geriete bedenklich ins Wanken. Der Herr neben mir adaptiert schlecht und schnauft. Aber zurück zur erkenntnistheoretischen Entscheidung, rupture oder rapture?  Sollten wir wirklich einen epistemologischen Bruch vor Augen haben, eine philosophische Revolution also von unberechenbarer Tragweite, nicht nur einen Bruch im Erkennen sondern gleich auch noch in der Theorie des Erkennens, sollten diese hübschen Lichtbögen dazu in der Lage sein? Nein, das können sie nicht können, das müssen sie auch nicht wollen, das sollten sie auch nicht dürfen. Es muss sich also doch um epistemologische Begeisterung, einen erkenntnistheoretischen Rausch gar, wenn nicht sogar um Verzückung handeln, was wir hier erleben und vor Augen haben. Rapture also, klar. Fand das Baby der Kuratorin auch. Zauberhaft.

Schering Stiftung. IVANA FRANKE / Retreat into Darkness. Towards a Phenomenology of the Unknown (bis 16. Juli 2017). www.scheringstiftung.de

 

 

17. September 2016 21:27:47

… außerhalb der Kategorien: Die Kunstmesse Positions in der Berlin Art Week 2016

Texte zur Promotion von Kunstmessen sind meistens Kunstwerke im Verbinden des Unverbundenen und in sofern ganz nah am eigentlich Wortsinn des Textens – dem Schaffen von Texturen. Auf der Website des Berlin Art Week steht über die „Positions Berlin“: „Bei den hier ausgestellten Kunstwerken geht es nicht darum, den Trends hinterher zu laufen, sondern um Relevanz und Aktualität. Starke junge und etablierte zeitgenössische Arbeiten sowie Werke der klassischen Moderne werden nebeneinander präsentiert, überholte Kategorisierungen schüttelt die Messe somit ab und eröffnet lieber neue Perspektiven.“

Auffällig beim Gang über die Messe sind ganz klassische Galerien, die trotzdem neu Perspektiven anbieten:

Die Sardac Gallery aus London baut in der Präsentationsbox einen überzeugenden Kunstraum für Stephen oder Steve Goddard. Seine versehrten Schädel bringen die menschlichen Wundmale des frühen letzten Jahrhunderts eindrücklich mit den menschlichen Verwerfungen der Gegenwart zusammen. Die Menschen, die heute vor den traumatisierenden Kriegen flüchten, kommen genau aus den Ländern, die am Ende des 1. Weltkriegs nach den Machtinteressen des Westens auf dem Reißbrett entworfen wurden. Der Schrei nach Empathie kommt einem in der dunkelbraunen Galeriebox trotz des ganzen Kunsttrubels drumherum erstaunlich nahe.

Baby by Steve Goddard

Ein von galerie sardac (@sardacgallery) gepostetes Foto am

Die kleine Galerie Mönch aus der Berliner Vorstadt beim Übergang nach Spandau zeigt einen jungen interessanten Künstler, der offene Fäden von Moholy Nadge und Roman Signer aufnimmt. Friedrich Gobbesso baut Experimentieranlagen in denen Wasser, Licht, Töne undSchwarzpulver aufeinandertreffen und erzeugt so Fotogramme, die Abbilder des Unsichtbaren sind: Wir sehen Schwingungen und Kraftlinien.

fritzgobesso-wellenstrukturen

Ich freue mich auf die Vernissage im Nachgang zur Positions in der Galerie schon am 1. Oktober.

 

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16. September 2016 14:42:42

… arty: Zum Reinkommen in die Berlin Art Week 2016 – Die Berliner Liste 2016

Wie fast in jedem Jahr arbeite ich mich bei den Kunstmessen während der Berlin Art Week von Tag zu Tag qualitativ nach oben. D.h. der Weg führt dieses Jahr vom Kraftwerk mit der nicht offiziell zur Art Week gehörenden „Berliner Liste„, die sich als „Kunstmesse für Endecker“ versteht über den Postbahnhof, wo die „Positions Berlin Art Fair“ stattfindet zur „abc art berlin contemporary“ in den Hallen am Gleisdreicek. Das fühlt sich dann an wie eine Wanderung, bei der man im Tal anfängt und aus dem man manchmal einen schönen Blick genießen kann, dann über Pässe und Höhenwege geht, die schon viel Schönes haben, um dann später in der Gipfelregion ein paar wirklich spektakuläre Ein- und Aussichten zu genießen.

Im Sinne einer Wanderkarte für Nachgehende erwähne ich kurz die bisherigen Höhepunkte des ersten Teils der Route:

Über die Berliner Liste sollten Interessierte schnellen Schrittes gehen und können gezielt ein paar Galerien und Künstler aufsuchen, ohne sich lang ablenken zu lassen. Mir sind aufgefallen:

Kalashnikovv Gallery aus Johannesburg, South Afrika – Die Galerie wird demnächst in Berlin neu eröffnen und ausschließlich Künstler/innen aus Afrika vertreten. Damit füllt die Galerie wahrscheinlich die letzte existierende Lücke im Berliner Kunstmarkt und dafür wird es in diesem Fall auch endlich Zeit! Die Galerie zeigt auf der Berliner Liste unter anderen den Künstler Jason Bronkhorst, dessen Bilder mühelos aus allen anderen herausstechen. Für mich die stärksten Bilder auf der ganzen Messe! Ich bin sehr gespannt auf die Eröffnung der Galerie im Herbst.

 

Die Künstlerin Marie-Lou Desmeules dürfte schon einigen bekannt sein, weil ihre Kunst schon ziemlich durch die sozialen Netze gepusht wurde. Sie ist eine der Vertreterinnen des neueren Body Paintings, das grundsätzlich die Kleidung mit als Malgrund verwendet. Bei Ihren Promi-Portraits wird wunderbar überhöht, in welch selbstsüchtigen Abhängigkeitsverhältnis die Beteiligten (Promi und Künstlerin) bei diesem Prozess stehen. Künstliche Bedeutungsaufladung durch Kunstüberformung. Eigentlich verlieren alle dabei einschließlich der Betrachtenden und das hat gemeinsame Größe, denn wir sind ja alle längst jenseits der Peinlichkeit.


Bei Urban Spree Galerie ist Hendrik Czakainski zu sehen, der in Berlin auch schon im Rahmen des Andropozän Projekts im HKW prominent zu sehen war. Seine Modellbauten von ausufernden Slam-Siedlungen sind gleichermaßen faszinierend und bedrückend. Für mich einer der Künstler, der den Trend zur stark dreidimensional erweiterten Leinwand überzeugend anführt.

Und ich möchte auf Xavier Krylik aufmerksam machen, der in streng konzeptioneller Kühle mehrere Ebenen der urbanen Gegenwart in seinen Bildern übereinander schichtet. Den Grund bilden entweder die eher abseitige Architektur Berlins oder gleich vermüllte Ecken in den Kiezen. Dort gefundene Gegenstände – oder sind sie doch eher aus der großen 3D-Datenbank des Web? – legt er präzise frei, sortiert sie säuberlich nebeneinander und projiziert darauf omnipräsente (Marken-) Zeichen unserer Warenwelt und der Protestkultur.

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25. Mai 2016 17:25:42

… jenseits: Miriam Vlaming zeigt die Ausstellung „Eden“ in Leipzig

„Eden“ – ein Begriff, in dem der Ursprung der Welt (Genesis) und die unendliche Ewigkeit (Apokalypse) paradiesisch zusammenfallen. Er repräsentiert den Ort, wo alles herkommt und alles hingeht und die Kunstgeschichte ist voll von Interpretationen dieses Gedankenbildes. Miriam Vlaming zeigt in vielen Bildern Bezüge zu berühmten Werken etwa von Lucas Cranach d. Älteren mit „Adam und Eva im Paradies“Hieronymus Bosch mit dem Tryptichon „Garten der Lüste“ oder Henry Rousseau mit „Der Traum“ und stellt sich damit selbst-bewusst in die Reihe dieser Meister-Künstler.

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Sie zieht das entrückte Sujet aber auch auf die Schlachtfelder des aktuellen irdischen Paradies’, an den Ort, der von den abrahamitischen Religionen als Wiege der Menschheit angesehen wird und im heutigen vorderen Orient verortet wird: Israel – Syrien – Persien. Diese „fruchtbarer Halbmond“ genannte Region erscheint aus heutiger Sicht alles andere als paradiesisch, sondern zeigt sich als Schauplatz erbitterter Glaubens- und Systemkriege, vor denen Millionen von Menschen fliehen, weil fanatischer Hass, Rassismus und Menschenverachtung ein friedliches Zusammenleben zwischen den Kulturen derzeit dort unmöglich machen. Der Frieden scheint nun im tendentiell ungläubigen Westen zu finden zu sein, wo allerdings trotz überbordendem Wohlstand eine großer Teil der Menschen mit Angst und Ablehnung auf die Ankommenden reagiert. Fremdheit, Selbstentfremdung und Fremdschämen treffen aufeinander.

Bei Miriam Vlaming kulminiert solcherlei menschliche Historie und moderne Geichzeitigkeit in überlagernden Schichtungen. Alltägliche Familienfotos und mythische Traumbilder fallen als phänotypische Geschichte zusammen auf die Leinwand. Sie fokussiert dabei auf Handlungsweisen, deren prozessuale Gesetzmäßigkeiten eine ewige Konstante in der Menschheitsgeschichte darstellen. In merkwürdig exotischen und doch vertrauten Ritualen sehen wir Menschen, die sich gemeinsam schmücken, verkleiden, baden, feiern oder auch mal ganz im Jetzt zusammen „chillaxen„.

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Sie verwischt das Merkmal Herkunft und macht dadurch eine Zuordnung der Dargestellten unmöglich: Sehen wir auf dem Bild mit dem Titel „Initiation“ Afrikaner beim traditionellen Stammestanz, eine besoffene Gruppe junger Männer beim Jungesellenabschied im Rheinland, eine extreme Gruppe des Ku-Klux-Can, oder eine gemischte Gruppe von Einheimischen und Geflüchteten bei einem Willkommensfest einer dörflichen katholischen Kirche? Man weiß es nicht – alles wäre möglich – vielleicht auch alles auf einmal, denn sie zeigen sich höchst komplex als einfache Menschen.

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Mit der Arbeit „Human Nature“, die aus zwölf Gesichtsstudien besteht, die unsere Menschlichkeit in unterschiedlichen Melanin-Dichten auffächert, wagt sich Miriam Vlaming auf das verminte Feld der Physiognomik. Doch reflektiert sich hier keine verquere Rassenlehre, die sich an Unterschiedlichkeiten festbeißt, sondern die tiefere gemeinsame Natur, wenn nicht gar gemeinschaftliche Spiritualität, tritt hervor.

Noch bis 20 Juni 2016 in der Galerie Dukan, Spinnereistraße 7, Halle 18.I in 04179 Leipzig

 

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Kunst | Malerei | Skulptur/Plastik

 

26. Januar 2015 00:33:20

… ein Klangkörper: Monsterfrau und Fritz Bornstück in der Zwitschermaschine

Die Performer bauen auf …

MF: Schickst du was?
FB: Ja permanent ungefähr 6 Dezibel
MF: Ja schön – jetzt …
FB: Was? ich kann dich nicht verstehen.

Nein, währenddessen miteinander sprechen geht nicht. Zu laut. Oder zumindest laut genug für eine andere Art der Kommunikation: Die eine – Monsterfrau alias Lena Wicke-Aengenheyster – spricht mit dem Körper, der andere – Fritz Bornstück – mit ein paar kleinen Potentiometern. Gemeinsam am Jammen. Zum ersten Mal seit sie keine Kinder mehr sind.

Mit dem Körper im Raum auf den Klang einwirken, den Körper dem Klang aussetzen, im Körper nach Resonanzen suchen, nachspüren und diese wieder in Bewegung fließen lassen. Dabei geben einige Sensoren Koordinaten und Bewegungsimpulse als Signale in einen mehr oder weniger steuerbaren elektronischen Aufbau, der fiepend, kratzend, blubbernd Töne produziert. Die getanzte Interaktion mit der Technik ist nicht direkt wie das Spielen eines Instruments zu verstehen, sondern eher wie ein verzweifelter Versuch dem Körperlichen durch die technischen Fortsätze eine weitere Ausdruckssphäre zu geben, die über Sprache und Gesang hinausgeht. Der verbogene Körper und der verzerrte Ton. Beides wirkt gegenseitig aufeinander ein. Stimme, Signal, Interferenz, Modulation, Effekt. Mal mit Beat und dem Gestus des DJs der seine Tänzerin in Bewegung bringt, mal die Sängerin die sich selbst experimentell (aus)steuert. Natürlich spielt Monsterfrau mit der stereotypen Körperlichkeit der Frau in der Pop-Musik: Der Spaß am Sich-Produzieren, an der sexualisierten Verrenkung, vom körperlichen Blödsinn, über die Bewegungszeichen-Kommunikation mit Außerirdischen bis zu einer Art Tempeltanz zur Huldigung des Lärms. Und nebenbei entsteht so was wie Musik.

Miterlebt: 25.1.2015 – Zwitschermaschine, Potsdamer Str. 161, 10783 Berlin

 

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9. Mai 2014 18:26:16

… im Licht: Miriam Vlaming mit „Muse“ in der Galerie Martin Mertens

Schon durchs Schaufenster strahlen zwei großformatige Arbeiten nach draußen. Auf beiden Bildern steht eine Gruppe Menschen in gemaltem Licht, doch die Farb- und Raumstimmungen könnten kaum unterschiedlicher sein.

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Step into the desert (230 x 170 cm)

Die eine Gruppe – eine Familie über drei Generationen – steht im Freien, vielleicht irgendwo im mittleren Westen Amerikas, das Land ist staubig trocken und wie der Boden steht auch die Gruppe unter Spannung. Da ist der „alte Herr“ im Zentrum, links von ihm die Teile der Familie, die sich ihm zugehörig fühlen, seinen Schutz und seine Autorität anerkennen und rechts – etwas abseits – steht der Ausreißer. Ein halbstarker vom Typ James Dean oder Andy Warhol, der den Bruch mit den Traditionen herausfordert. Man spürt es zieht ihn weg vom Land, hinein ins Ungewisse. Seine kleine Schwester hält die Spannung nicht aus, verbirgt ihr vielleicht weinendes Gesicht in den eigenen Händen. Eine Momentaufnahme, die wie eine Familienaufstellung im gleißenden Sonnenlicht wirkt. Ein analysierender Blick durch ein Brennglas zum Thema Ablösung/Befreiung/Selbstwerdung.

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Johnny remember me (210 x 170 cm)

Die andere Gruppe ist völlig anderer Gestalt. Menschenähnliche Wesen auf einer Bühne – ist das eine kostümverliebte Goth-Rock-Band oder eine Art Totentanz im Zirkuszelt? Im grün-blauen Hintergrund spielen zwei Figuren auf Trommel und Klarinette und von links defilieren zwei Gestalten in die Mitte der Manege, angestrahlte von Scheinwerfern, so dass die Konturen im überzogenen Kontrast verschwimmen. Um sie herum scheint dingliches Licht zu schweben, wie eine Aura durchsetzt mit Lichtflecken von riesigen Glühwürmchen. Diese Gruppe zeigt keinen Konflikt, sondern eine Inszenierung. Eine Art Ritual gemacht für ein Publikum, das der Szene beiwohnen darf.

Auch die anderen Bilder der Ausstellung erscheinen als Spiel mit Licht und Lichtern: Lichtstimmungen, -strahlen, -reflexionen, Überblendungen, Beleuchtungen. Die Farben sind oft strahlend, machmal grell, im Dunklen verschattet aber stets farbig. Sie beleuchten das Ausstellungsmotto „Muse“ mehr mit Blick auf „Liebesbeziehungen“. Paare genießen das Leben, rauchend, tanzend, sich küssend.

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Smoke gets into your eyes (210 x 170 cm)

Miriam Vlaming setzt oft Personen in ihre Bilder, die aus privaten oder gefundenen Fotos entnommen sind, setzt sie in neue Kontexte, Räume und Beziehungen. Sie spiegelt fremde Leben ins eigene oder andersherum, malt persönlich und doch symbolisierend. Es sieht aus wie zufällige Schnappschüsse und doch verweisen die vielschichtigen Bilder mit ihren gemalten Mehrfachbelichtungen auf wirkungsmächtige Sehnsuchtsmomente, die eine ganze Lebensgeschichte beeinflussen.

Die Ausstellung von Miriam Vlaming in der Galerie Martin Mertens läuft noch bis Ende Juni.

 

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23. Februar 2014 19:27:42

… reinen Herzens: Sister Corita in der Circle Culture Gallery

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Corita Kent war unter dem Namen „Sister Mary Corita“ eine Nonne der katholischen Immaculate Heart Community aus Los Angeles, die als Künstlerin und politische Aktivistin großen Einfluss auf eine bestimmte Richtung der Pop Art hatte. Sie kann als spirituelle Ahn-Herrin von heutigen Gestalter/innen und Künstlerinnen wie Candy Chang, oder – in Bezug auf seine bekehrerischen Arbeiten – auch Stefan Sagmeister gelten, die mit ihrer Arbeit ebenso, wie Sister Corita schon lang vor ihnen, immer wieder an die großen Fragen des Lebens rühren. Mit der Sozialisation als Nonne in einem Orden, der sich der Untadeligkeit verschrieben hat, ist es wenig verwunderlich, dass die missionarische Botschaft hinter allem immer ist: „Tue Gutes!“

Typisch amerikanisch wird das Handeln an sich schon als grundsätzlich positiv bewertet. Es geht vorrangig um die Verbreit(er)ung einer Idee – wenn man es nicht gleich Ideologie nennen will. Passivität als Möglichkeit kommt in dieser „Philosophie“ nicht vor. Die Frage danach, ob dualistisches Denken, das die Welt in Gut und Böse teilt, wirklich so gut ist, wird nicht gestellt.

Immerhin war Sister Corita so breit aktiv, dass ihr Leben, mit dem einer Nonne nicht mehr ganz zu harmonisieren war. Sie trat aus dem Orden aus und gründete eine weltliche Kunst Schule, tat gut daran, Leute wie Alfred Hitchcock, die Eames-Brüder, John Cage und Bucky Fuller einzuladen, und arbeitete im Zeichen der Liebe mit farbenfrohen, halbabstrakten Siebdrucken bis in die 1980er Jahre.

In der Circle Culture Gallery ist jetzt die Retrospektive „Let the sunshine in“ noch bis zum 10. Mai zu sehen.

 

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15. Februar 2014 15:34:47

… zerschnitten: ACORN – A Tribute To Yoko Ono mit Performance von Lars Eidinger

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In der Ausstellung und Kunstaktion „ACORN – A Tribute to Yoko Ono“, die gestern Abend vom Projektraum Espace Surpus in der Wallstraße 85 veranstaltet wurde, versammelten sich einige Berliner Künstler/innen, um der großen Dame der Performancekunst eine Hommage zu bereiten. Denn es hat sich rumgesprochen, dass Yoko Ono eine der einflussreichsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts ist. Viele Künstler/innen fühlen sich inspiriert von ihren oft aus Handlungsanweisungen bestehenden Werken, die die Chance eröffnen, die Welt anders zu erfahren, wenn man tut, wie Yoko es vorschlägt. Es sind Arbeiten mit einer gewissen Nähe zur heutigen Kunsttherapie, die Techniken der paradoxen Intervention und des Reframings einsetzt. Nicht zufällig befruchtet Yoko Onos Denken auch besonders solche Künstler/innen, die das Gefühl haben, die Welt verbessern zu müssen/können. „Zieh deine Hose aus bevor du tanzt“ rät Yoko, Peaches macht es nebst Slow Motion-Video-Dokumentation und das Publikum schaut sich das Filmchen dann an. Wenn es Menschen hilft, mehr sie selbst zu werden, ist das wunderbar – ob das Video spannend ist, ist eine andere Frage.

Schiebt sich hingegen kein weiterer künstlerischer Wille zwischen Yoko Onos Idee und die performative Umsetzung, dann ist plötzlich spürbar, warum Yoko Onos Werk so großer Stellenwert in der Kunstgeschichte zugeschrieben wird. Lars Eidinger, Schauspieler-Star der Schaubühne, bringt Yoko Onos Performance-Klassiker „Cut Piece“ (von 1965) in den Raum – genau so wie sie es selbst einst getan hat. Die Handlungsanweisung ist: „Jede/r im Publikum darf, mit der zur Verfügung gestellten Schere, ein Stück aus der Kleidung des Künstlers schneiden. Immer eine/r nach der/dem anderen.“
Sofort geht der gierige Run los, alle wollen schnell ein Stück an sich reißen, wollen Teil der Kunst werden, wollen den Spirit spüren und vergrößern, wollen etwas haben vom Star. Zunächst ist es ein Spiel mit der Idee des Talisman oder des Fetisch – so wie früher die Menschen eine Locke ihre-r/s geliebten Partner-s/in mitnahmen, wenn sie sich für länger trennen mussten. Vielleicht fragt man sich im Inneren, warum mach ich da eigentlich mit, welcher Trieb bringt mich dazu, einen Fetisch besitzen zu wollen?
Und schnell verändert sich die Situation: Je mehr die Kleidung des Performers zerfleddert wird, je mehr die Nacktheit des entblößten Menschen hervor tritt, desto mehr Voyeurismus macht sich breit, mehr Fotos und Videos werden gemacht und man hört das Getuschel: „Sieht man schon seinen Bauchnabel?“ „Der hat ja auch ein bisschen Wampe.“ „Wer traut sich die Hose aufzuschneiden?“ „Warum machen eigentlich nur Frauen mit?“ „Mal sehen wie weit es geht?“.
Zwischendurch beschleunigt sich die Performance, große Stücke werden eingepackt, und dann, als es an die Unterwäsche geht, wird es plötzlich ganz leise im Raum, die Handlungen kommen allmählich zum Erliegen und im Gegenzug werden die Gedanken angetrieben: „Was haben wir da nur getan?“ „Wir haben diesen Menschen aus unserer Gemeinschaft vertrieben und ihn geschändet.“ „Warum machen wir eigentlich, wie uns gesagt wurde?“ „Warum hilft ihm denn niemand?“
Erleichterung macht sich breit, als Lars Eidinger erkennt, dass wohl nichts weiter passieren wird, und er beschließt die Performance zu beenden. Applaus. „Wen beklatschen wir da eigentlich?“ „Uns in unserer Durchtriebenheit?“ „Lars Eidinger für seinen Mut?“

Der Applaus gilt Yoko Ono, dafür, dass sie uns mal wieder die Augen geöffnet hat – ganz ohne irgendetwas zu erklären und ohne Didaktik – im emotionalen Erleben, das den Geist befeuert.

Die übrigen Arbeiten und Performances, bei denen sich die Künstler/innen auf Yoko Onos Einfluss berufen, lass ich nach dieser Erfahrung lieber unerwähnt.

 

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24. Januar 2014 18:22:57

… an der Schwelle zwischen Kunst und Wissenschaft: Pinar Yoldas in der Schering Stiftung

Pinar Yoldas An Ecosystem of Excess

Überall auf unserem Planeten findet sich Plastik. Alle wissen inzwischen von den großen Plastikmüllstrudeln in den Ozeanen, viele davon, dass man selbst in den entlegensten Winkeln der vereisten Hochgebirge Plastikteilchen findet, und manche, dass sogar in jeder menschlichen Zelle Plastiksubstanzen (chemisch erzeugte Polymere) nachweißlich sind. Plastik ist überall, um uns herum, in uns und in allen anderen Wesen dieser Welt. Archäologen werden in 10.000 Jahren das 20. Jahrhundert an einer dicken Plastiksedimentschicht erkennen und diese als Zeitmarker verwenden.

Kunststoffe üben also Evolutionsdruck (Selektionsdruck) auf alle Organismen auf der Erde aus. Mit anderen Worten: Diejenigen Lebensformen, denen es gelingen wird, die Plastikmoleküle zu ihrem Vorteil in ihre Organismen einzubauen, werden sich gegenüber anderen Spezies, die unter dem Plastik leiden, durchsetzen. Schon jetzt wird der Plastikmüll, egal wo er auftritt, von Bakterien besiedelt, die Kolonien und Biofilme darauf bilden. Manche Bakterien haben durch Mutationen auch Fähigkeiten erlangt, Polymere zu zersetzen und umzuwandeln.

Pinar Yoldas Kunst baut positivistisch auf der These auf, dass wir schon bald eine völlig veränderte Fauna auf unserem Planeten haben werden. Neuartige Organkonzepte werden als „Ecosystem of Excess“ auftreten: z.B. zur Verdauung von Plastik (=Plastivoren), zur Wahrnehmung von Plastik (=Plastosensorik) oder zur Reinigung des Plastiks von Schadstoffen (=Petronephros). Tiere werden Plastik „kreativ“ nutzen, vielleicht zur neuartigen Pigmentierung und Färbung des Gefieders oder zum Aufbau von elastischen Exoskeletten. Die in der Schering Stiftung ausgestellten Objekte bilden diese zukünftige Lebenswelt ab, wobei die Werke fast als logische Konsequenzen und nicht als Visionen erscheinen. Soll man davor erschrecken oder sich doch davon beruhigen lassen?

Am nachdenklichsten stimmte mich die quirlige „Plastiksuppe“. In einem Gefäß blubbert, als neuzeitliche Ursuppe, ein Gebräu vor sich hin, das genau in dieser Zusammensetzung als Nebenprodukt (= Abfall) eines ganz normalen Frühstücks entsteht: Der Rest eines Joghurtbechers, der Abrieb eines Schneidbretts, ein Teil einer Zeitungsverpackung, eine Borste einer Zahnbürste usw. – mit all diesem Zeug häufen wir täglich den Nährboden an, für Lebensformen, die uns verdrängen werden.

Pinar Yoldas: An Ecosystem of Excess, noch bis bis 4. Mai 2014
Schering Stiftung, Unter den Linden 32-34, 10117 Berlin, täglich (außer Di und So) 12–19 Uhr. Geöffnet am Sonntag, 4. Mai 2014! Eintritt frei
Eine Ausstellung in Kooperation mit der transmediale 2014 afterglow

 

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18. September 2013 21:58:50

… BubeDameKönigAss: 4 Männer Egos in der Neuen Nationalgalerie

Direktor Udo Kittelmann der Neue Nationalgalerie trieb die vier im Projekt „Paintig Forever“ kooperierenden Institutionen zum Thema Malerei. Er wollte unbedingt in seinem Museum zeigen, welche in Berlin entstehende Malerei für aktuelle Großsammlungen angekauft wird. Die Marktdynamik fasziniert ihn und er willigt ein – bewusst oder unbewusst – die Definitionsmacht über die Qualität von Kunst, damit endgültig den Sammlern zu übertragen. Brauchen wir das Museum, um den Menschen zu zeigen, was in großen Sammlungen aufgehäuft wird? Kittelmann glaubt schon. Er meint die Kunstkritik kann nicht übersehen, dass es Künstler gibt, die alleine mehr Geld einspielen, als Staatsmuseen an Jahresetat zur Verfügung haben. Darum kommt man nun nicht daran vorbei im Mies van der Rohe Bau darüber zu staunen, welche Kunstwaren marktkonforme deutsche Maler erzeugen. Unter dem Titel „BubeDameKönigAss“ werden die Künstler-Egos wie Trümpfe ausgespielt: Martin Eder (*1968) Michael Kunze (*1961) Anselm Reyle (*1970) und Thomas Scheibitz (*1968). Diese Ausstellung kann man am besten mit Reizwörtern beschreiben: Es ist geil, schräg, krass, mega-groß, fett und knallig. GELD als Energiequelle für den HYPE, als konstituierendes Merkmal für Kunst. Und es ist tatsächlich mitreißend, wenn man den Ekel überwinden kann, den der Protz erzeugt. Wie wenn man beim Kartenzocken einen Lauf hat.

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Anselm Reyle weiß genau, wie man den Markt bedient und er ist schlau genug haufenweise, meist vermutlich ironisch gemeinte aber doch irgendwie sehr gewissenhaft abgehakte, kunstgeschichtliche Anleihen einzubauen, so dass Kunsthistoriker gleich zu fabulieren anfangen – Ives Klein, Jasper Johns, Jeff Koons, Robert Rauschenberg und natürlich die namensverwandte Bridget Riley – stimmt ja alles! Mit seinem vielköpfigen und arbeitsteiligen Team produziert er Werke in Dimensionen, die über alle Arbeiten der genannten herausragen. In dieser Ausstellung werden nur Bilder gezeigt, aber Reyle arbeitet auch gigantös skulptural und baut Hallen-füllende Environments. Je größer, je besser. Zwei der aktuell wichtigsten Praktiken der Kulturindustrie werden perfekt kombiniert: Remixing und Eventisierung. Ob das Bestand hat ist eigentlich total egal, denn es macht zumindest alle Beteiligten reich.

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Martin Eder – mal dandyhaft, mal verlebt – ist ebenso geschickt im kombinieren von Reizthemen: völlig überzogen zuckersüßer Kitsch im Clash mit unterkühltem Sex, der wie in Frischhaltefolie abgepackt präsentiert wird. Eigentlich ist es eher beschädigte Geschlechtlichkeit als Sex. Und es wirkt irgendwie krank und fremd – als würde man Asiaten zugucken, die mit der Lupe im Anschlag in den Puff zum Tabledance gehen. Aber diese Bilder kitzeln einen schon im Inneren und sie werfen Fragen auf, die man nicht so leicht beantworten kann. Ist ein putziges Kätzchen nicht einfach unglaublich anziehend schön anzusehen, und noch schöner anzufassen? Will man es nicht sofort auf den Arm nehmen und lieb haben? Genau wie die Mädchen, die man da aus diesen schlimmen Bildern holen will, um sie mit aufgewärmten Frotteehandtüchern zu empfangen? Ist Schönheit noch mehr als ein globalisiertes Kulturgut? Massenkompatibel und kapitalistisch geprägt? Und kann oder soll man sich dem erwehren? Will man das überhaupt? Ich finde dieses Werk spannend!
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Thomas Scheibitz ist der konventionellste, gerade noch abstrakt arbeitende Maler in diesem Quartett. Seine Bilder sehen aus, als gehörte er einer anderen – älteren – Generation an, die noch Interesse an in der Kunst selbst liegenden Themen hat. Aber sein Werk ist auch nur im Zusammenhang mit seinen Skulpturen zu verstehen. Die pure Präsentation seiner Malerei erscheint mir sinnlos. Das ist sehr schade, denn als Künstler, der die Spannung zwischen Bild und Skulptur zuspitzen kann, finde ich ihn hoch interessant.

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Das Werk von Michael Kunze ist das einzige in dieser Runde, zu dem ich keinen schnellen Zugang finde. Ich versteh diesen dunklen Wimmelkosmos (noch) nicht – aber er vermitteln schon ein starkes Kunstgefühl. An dem hier zu sehenden Bild „Vormittag“ arbeitet er seit den 1990er Jahren kontinuierlich. In solche Kunst muss man sich einarbeiten und nachlesen und die Zeit hab ich derzeit nicht. Jedenfalls macht des Motto „Painting forever“ hier wirklich Sinn.

 

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