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26. Juli 2011 08:48:28

… Stadtführer: Ecke Brunnenstraße

Die Brunnenstraße, die Invalidenstraße und auch die Veteranenstraße, gleichfalls der Ursprung ihrer Namen, gehen auf das 18. Jahrhundert und Friedrich II zurück. Die Quelle Gesundbrunnen einerseits und die militärischen Gegebenheiten Preußens andererseits führten schließlich zur Namensgebung. Für die Brunnenstraße – im Wedding war die Industriealisierung (z.B. AEG) Anfang des 20. Jahrhunderts besonders stark sichtbar – wurde um 1910 die erste und einzige Schwebebahn Berlins geplant, dann aber doch die U-Bahn gebaut. Heute ist die Brunnenstraße tatsächlich weder für das Einkaufen, noch für das Flanieren besonders zu empfehlen, höchstens für das Durchfahren. Die querende Invalidenstraße ist in ihrem westlichen Abschnitt zur Zeit Dauerbaustelle, während die kurze Veteranenstraße die Verbindung zur quirligen Kastanienallee und beginnenden Touristenzone herstellt.

An der Ecke Brunnen/Invalidenstraße dämmert ein leeres, dreigeschossiges Haus mit graubraunem Putz, der bereits an einigen Stellen abgefallen ist, vor sich hin. Direkt im Erdgeschoss – die hellbraun gefliesten Außenwände bilden den einzigen Schmuck dieses Gebäudes – befand sich ein Geschäft, in dem man Tischdecken aus Kunststoff kaufen konnte. Der Verkäufer muss ein wahrer Eremit gewesen sein, denn Kunden habe ich in diesem Laden nie gesichtet. Nun dienen die Schaufenster nur noch als Plakatwand. In Nachbarschaft dieses trostlosen Eckgebäudes befinden sich in der Invalidenstraße zwei leidlich sanierte Häuser, mit einem Bestattungsgeschäft (Jestorben wird imma) und einem Optiker, die beide die jüngsten Zeiten überdauert haben. Einige Meter weiter hat uns Meister Schinkel die architektonisch eher schlichte Elisabethkirche hinterlassen.

An der beschriebenen Kreuzung befindet sich nördlich der Veteranenstraße das 1904 als Warenhaus am Weinberg (einzige Berliner Kaufhaus von Jandorf, das den zweiten Weltkrieg unbeschadet überstand) erbaute prächtige Gebäude, welches zu DDR-Zeiten das Modeinstitut beherbergte. Wohl gibt es einen neuen Eigentümer; aber das Gebäude steht jetzt seit 21 Jahren leer. Kein Wunder, dass der gegenüber, am Rande des Weinbergsparkes sitzende Heinrich Heine, leicht spöttisch dreinblickt. Der kleine Park hinter ihm, in dem vor Jahren noch Drogendealer für Unruhe sorgten – ganz verschwunden sind sie nicht – ist inzwischen wieder stark frequentierter Erholungsort für die im Dreh wohnenden Berliner aller Art, insbesondere die Neuberliner, geworden. Wer sich im Sommer auf der westwärts abschüssigen Wiese sein Abendbier von der Sonne bescheinen lässt, wird die grüne Umgebung mit dem kleinen Seerosenteich schätzen.

Die südliche Brunnenstraße hat ihren Charakter noch nicht gefunden. Während der nördliche Teil, jenseits der Bernauer, bereits seit Jahren einen Mix aus mehr oder weniger florierenden Gaststätten, Internet- und Telefonläden, sowie Lebensmittel- und Friseurgeschäften anbietet, taumelt der südliche Abschnitt zwischen Geschäftseröffnung und -aufgabe, Gyros und Galerie, Antipasti und Antikapitalismus hin und her. Während es auf den Hinterhöfen der Nummer Sieben z.B. heißt: „REFUGEES WELCOME. TOURISTS PISS OFF“, hat nebenan im Vorderhaus das Geschäft einer größeren Bio-Kette eröffnet. Derweil an der Fassade der Hausnummer Zehn in übergroßen Buchstaben zu lesen ist: „DIESES HAUS STAND FRÜHER IN EINEM ANDEREN LAND“, werden in der Nummer Fünf viele derjenigen durch die Sozialstation Mitte/Prenzlauer Berg und die Volkssolidarität betreut, die in diesem teurer werdenden Berlin immer weniger eine Chance haben.

 

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