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16. Oktober 2011 21:08:58

… weiße Welt: Im Wartezimmer

Sie hantieren an und in Körperteilen, sowie mit Substanzen, über die Mann (und Frau) nicht mehr wissen wollen als unbedingt nötig, es sei denn, sie wären eine Romanfigur von Charlotte Roche. Aber es passiert eben manchmal, so wie der penetrant riechende Kollege, der über den Durst trinkende und dann ausfallend werdende Nachbar, die Läuse in der Kita oder der unbotmäßige, am falschen Ort entweichende, Furz.

Im Wartezimmer eines jener Ärzte saßen an diesem Tag einige ältere Frauen und Männer. Auch ein etwa Vierzigjähriger hoffte – sein abwehrendes Gesicht schien zu sagen: Ich gehöre hier definitiv (noch) nicht her – darauf, möglichst schnell aufgerufen zu werden. Ältere Ehepaare kommen häufig zusammen, wobei die Frau ihren Mann oft nur begleitet um ihn seelisch zu unterstützen, denn sie ist fast immer der tapferere Teil eines alten Ehegespanns. Es geschieht daher – wie auch hier – dass der Mann ihr die Hand hält, damit der Mut zu ihm hinüberströme. Aber nicht nur das; die Frauen sind auch praktischer. Während er sich im Geiste vielleicht schon ausmalte, wie ihm der Arzt bug- und heckseitig auf den Grund geht, unterbreitete sie, noch im Wartezimmer, vielfältige Ideen und Vorschläge für den folgenden Einkauf und das anschließende Mittagessen. Anwesende hörten so ungewollt mit und konnten die eine oder andere Idee für den eigenen Speiseplan übernehmen.

Die meisten Männer kommen jedoch allein hierher, weil sie diesen Moment und Ort aus vielerlei Gründen mit niemandem teilen wollen. Betreten sie den Warteraum, wird ein Platz eingenommen, die Zeitung hervorgeholt und in stummer Würde des Aufrufs geharrt. Es gibt Männer, die nach der Untersuchung, sofern problemlos, ihre Streitlust wiedergewonnen haben und dann gegenüber der Schwester – die stets darauf hinweist, dass sie nichts dafür kann – auf die Bürokratie und die langen Wartezeiten im Gesundheitswesen schimpfen. Andere hingegen tauen erst in diesem Moment auf und zeigen ein entspanntes, lächelndes Gesicht. Zu welcher Liebenswürdigkeit sie fähig sind, wird sichtbar, wenn sie der Schwester Komplimente machen und mit einem Scherz, der nicht immer verstanden wird, die Arztpraxis verlassen. Das Lob haben sich die jungen Damen hier auch deshalb verdient, weil sie einerseits mit robuster Freundlichkeit agieren, andererseits notwendige, technische Anweisungen mit nonchalanter Diskretion geben, was den Herrn, sofern er nicht schwerhörig ist, erfreut.

Dass es auch schneller und weniger diplomatisch geht, hörte ich gestern beim Überholen einer Mittdreißigerin. Sie kam mit der, lautstark in ein Mobiltelefon gerufenen Frage „Wie jeht et nu dir und deiner Kackerei“ sehr direkt auf den Punkt. Was ist die rot-schwarze Regierungsbildung in Berlin und die Krise des Euro schon gegen eine solch elementare Frage?

 

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