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20. März 2010 20:17:23

… bestialisch: Walton Ford im Hamburger Bahnhof – Museum für moderne Kunst


Bula Matari, 1998, Aquarell, Gouache, Tinte und Bleistift auf Papier, 153,7 x 304,5 cm

Wenn ich ein Bild von Walton Ford sehe, stellt sich sofort eine gewisse Irritation ein, weil die innere historische Uhr, die immer versucht das Gesehene in eine Epoche zu packen, auf zwei Jahrhunderte gleichzeitig zeigt. Sehe ich ein historisches Bild aus dem 19. Jahrundert oder ein modernes? Manierierten Historismus oder ein konzeptionelles Gesamtwerk?

Die Sujets des Amerikaners speisen sich aus alten Büchern, Berichten und Briefen, die allesamt das Verhältnis zwischen Mensch und Tier betreffen. Das heute so aktuelle Thema, der unter dem Einfluss des Menschen schwindenden Biodiversität, wird von Walton Ford aus historischer Perspektive erzählt. Er bezieht seine Bilder auf ganz konkrete Vorfälle, in denen (zumindest in der historischen Beschreibung) sehr oft ein Tier als ein individuelles Subjekt mit annähernd menschlichem Charakter auftritt. Die Rolle, die dem Tier zukommt, ist dabei immer eine, in die es vom Menschen gedrängt wurde. Walton Ford bleibt explizit konkret: Er zeigt ein einzelnes Tier, mit seiner Geschichte und seinem Bezug zum Verhalten eines bestimmten Menschen und weist so beispielhaft doch immer auf die Art, bzw. Gattung.

Heute denken wir (automatisch) bei einem Bildnis eines Eisbären an das Schicksal seiner Art in der abtauenden Arktis der Gegenwart. Walton Ford zeigt hingegen einen ganz bestimmten Bären, der in einem historisch dokumentierten Kampf gegen einige Expediteure, radikal und brutal deren Leben verzehrte. Der Bär steht mit bluttriefendem Maul auf den Insignien des Todes und der Vergänglichkeit (Schädel, Sanduhr, zerbrochenen Säbeln) und trotzdem ist es überdeutlich, dass der siegreiche Bär der Verlierer im Lauf der Zeit sein wird. Wir Menschen entziehen ihm die Lebensgrundlage, als hätten wir das Recht uns die Welt (samt Bären) Untertan zu machen.

Die Beziehungen zwischen Tieren und Menschen in Fords Bildern sind allesamt von ungeheurer Brutalität und Gewalt geprägt. Ein zunächst friedlich wirkendes Bild, wie „Bula Matari“ (am Kopf dieses Textes), zeigt bei genauerem Hinsehen ein Tier, im Moment seines bevorstehenden Tod. Es ist dem Menschen auf den Leim gegangen und schleckt nichts ahnend an einer Schussfalle, die zudem mit einer Fotoapparatur verbunden ist, so dass der Moment der Tötung im nächsten Augenblick auch noch dokumentiert sein wird. Hat man die Gerätschaften im Bild entdeckt, erweitert sich die Naturstudie schlagartig zu einem Abbild des (eigenen) menschenlichen Wesens. Man fragt sofort „Wer macht denn so was Abscheuliches?“ und erkennt sich selbst als Teil der Antwort: Menschen machen so was! So wie das Bild des Tieres immer auf seine Gattung verweist, verweisen die Artefakte auf uns Menschen.

So gesehen sind die Bilder altmeisterlich aquarellierte Parabeln auf das bestialische Wesen des Menschen, wobei uns der Spiegel nicht vordergründig moralisch, sondern eher sachlich, dokumentarisch vorgehalten wird. Zusätzlich erscheint eine merkwürdig aktuelle, textliche Ebene in den Bildern: Da sind z.B. in kleinen Kritzeleien an den Bildrändern Botschaften zum wirtschaftlichen Erfolg von Bill Gates zu lesen, als würde hier eine neue Geschichte angerissen, die in 150 Jahren ein anderer illustriert, um die dann zeitgenössische Kunst ebenso herauszufordern, wie es Walton Ford mit unserem ästhetischen Empfinden tut.

Ich stand der Ausstellung „Walton Fords Bestarium“ im Vorfeld eher skeptisch gegenüber, konnte dann aber schnell erkennen, welche enorme Wucht die Bild- und Geschichtenwelt des Walton Ford entwickelt, gerade weil er sich dem üblichen Gestus der Stilmittel der Avantgarde so radikal verwehrt. Auch die kollossale Größe der detaillierten Werke nimmt einen in den Bann, denn die Hingabe mit der sich Ford seiner langwierigen Arbeit widmet, verleit den Bildern in der Rezeption eine fast naive, reine Kraft. Als müsste er die menschliche Schuld, die wir uns in unserer phylogenetischen und stets gewalttätigen Geschichte gegenüber den Tieren aufgeladen haben, durch seinen malerischen „struggle for life“ abarbeiten, schafft er Bilder von mytisch symbolischem Gehalt.

Nur noch bis 25. Mai!!!

Hier noch ein Video-Portrait über das Arbeiten des Künstlers:

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3. März 2010 14:27:23

… gezupft: Ukulelescope – The Ukulele Orchestra of Great Britain vertont live historische Kurzfilme

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Es ist eine schöne Tradition, historische Stummfilme mit Live-Musik zu begleiten, und im Babylon Mitte kann man solches Treiben dankenswerter Weise häufiger erleben. Am 2. März war das The Ukulele Orchestra of Great Britain mit einem Filmprogramm, das aus dem Archiv des BFI (British Film Institute) zusammengestellt wurde, auf der Bühne. Sie zeigten eine schwarz-weiße und trotzdem bunte Mischung aus merkwürdigen Lehrfilmen für junge Damen, rätselhaften Kurzspielfilmen und allerlei Dokumenten wissenschaftlicher oder privater Art. Das Orchester spielte einen perfekt synchronisierten und sehr amüsanten Soundtrack und eröffnete so ein vertonten Blick in die Zeit vor rund 100 Jahren, wie durch ein altes Kaleidoskop das man bei Oma auf dem Dachboden gefunden hat.

Der eigenwillige, leicht schepperige Klang der verschiedenen Ukulelen passt perfekt zu den rumpeligen Filmen, unter denen echte Perlen sind. Z.B. eine Aufnahmen, gedreht mit einer alten Hochgeschwindigkeitskamera, die schon in den 1920ern 1200 Bilder pro Sekunde machen konnte, und die heute mit den vielen Artefakten ein Dokument der in mehrfacher Hinsicht verdichteten Zeit geworden ist. Man sieht in ein und derselben Bilderfolge eine tatsächliche Sekunde gedehnt auf knapp eine Minute Zeit und 100 Jahre Lagerung komprimiert auf die selbe Minute. Dazu spielt das Orchester ein Stück, dem sie den Titel des Film gegeben haben: „Movements quicker than thought“ (siehe meine olle Handy-Aufnahme).

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Für mich war das ein großartiger Abend, da gleich mehrere Vorlieben auf einmal bedient wurden: Ukulele spielen (bzw. hören), Filme sehen, Zeitrafferaufnahmen bestaunen und ältere englische Menschen bei leicht absurdem Tun beobachten. Auf meiner persönlichen Wertungsliste alles ganz vorne!

 

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23. Februar 2010 23:31:21

… wo man berlinert: Boxhagener Platz im Kino

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Der Film Boxhagener Platz von Matti Geschonneck wird auf den Plakaten als „Heimatfilm“ vermarktet und auf den ersten Blick könnte man denken, das hätte so seine Richtigkeit. Es wird richtig schön ostig berlinert, es gibt eine Liebesgeschichte, man isst deftig und mault ordentlich. Also allet jut, wa – trinkwa noch een. Aba nee, haltma: Dit is ja der Osten! Und ooch noch 1968. Dit macht die Jeschichte nu nich einfacher.

Ich habe den gleichnamigen und autobiografisch beeinflussten Roman von Torsten Schulz nicht gelesen, aber da er selbst auch das Drehbuch zum Film geschrieben hat und mit Matti Geschonneck einen sensiblen Regisseur gefunden hat, der ungefähr auf der gleichen Wellenlänge schwingt, nehme ich an, der Film ist so, wie es sich die Macher gewünscht haben. Ich glaube es geht ihnen um die Darstellung des lebendigen Kontrastes zwischen Privatheit und Öffentlichkeit (bzw. Staatlichkeit) – ein großes Thema all derer, die gerne über 1968 schreiben und reden.

In jenem Jahr wurden die politischen bzw. gesellschaftlichen Systeme in Ost und West in Frage gestellt, Kommunismus und Kapitalismus stehen in unterschiedlichen revolutionären Prüfungen, aber die beiden Seiten werden doch vom selben Beben erschüttert. Der Film schaut dabei konsequent aus dem Privaten ins Öffentliche, in dem er beobachtend an der Seite des jüngsten Mitglieds der Familie bleibt: Der Enkel „Holger“ begleitet seine Oma „Otti“ (großartig gespielt von Gudrun Ritter), die sich noch vor dem Ableben ihres fünften Mannes, den sie in einem Nebenzimmer verstaut hat, in den alten Spartakusbund-Kämpfer „Karl Wegener“ (ungewöhnlich konzentriert gespielt von Michael Gwisdek) verliebt. Je oller, je doller sagt ihre Tochter (Meret Becker) und alle fragen sich, wie die Oma das macht, dass sie immer neue Männer bekommt, die dann auch noch so praktisch versterben, wenn man sie los haben will, oder die Liebe eben wieder verflogen ist. Doch obwohl im Laufe des Films zwei alte Männer sterben (einer wird sogar ermordet), ist es kein Krimi. Es ist eher ein Gesellschaftsbild, das in Sepia gefärbt und als Komödie getönt, zeigen will, wie die DDR durch seine Organe (Stasi, Schule, Polizei) als Staatsmacht in das Leben seiner Bewohner einwirkte. Die Menschen mussten sich allein durch den Einordnungsdruck irgendwie zum „System“ positionieren. Wobei in der DDR leben zu lernen bedeutete, allzeit und überall zwischen privater und öffentlicher Einstellung unterscheiden zu lernen. Das legt zumindest der Film nahe und der aufwachsende Holger hat so seine Probleme mit den allgegenwärtigen Halblügen. Die einzige, die von all dem unbeschadet und quasi völlig unberührt von irgendwelchen staatlichen Ordnungsprinzipien ihr Leben eigenmächtig führt, ist Oma Otti. Darum ist die Frage, wie sie das mit den Männern macht, eigentlich die Frage nach dem Geheimnis, wie sie es macht, sich nicht gegenüber der Staatlichkeit zu positionieren, und mit diesem Kunststück auch nicht von deren Organen berührt zu werden.

Leider sind die Außenaufnahmen zum Teil im Studio Babelsberg in der völlig abgenudelten „Berliner Straße“ gedreht, die einfach nie authentisch wirkt. Langsam verschwimmen die vielen hier gedrehten Szenen der verschiedenen Filme zu einem allgemeinen psydo-städtischen Idyll, das gegen jegliche Speilfilmhandlung gefeit zu sein scheint. Es zwängt sich der Eindruck auf, dass das alte Berlin von ca. 1900 bis 1970 nur aus zwei Straßenecken bestand, in denen sämtliche geschichtlichen Tragödien der Deutschen stattfanden ohne nur die geringsten Spuren zu hinterlassen. So intensiv die Schauspieler diesen Ensemble-Film prägen, so lau sind die (zum Glück nicht all zu häufigen) Außenaufnahmen im Studio. Darum: Bitte liebes Studio Babelsberg: Baut endlich eine neue Berliner Straße mit mindestens 3 neuen Ecken, die nicht in diesem unverwechselbaren schrägen Winkel in die Tiefe fluchtet, den wirklich jeder mit ein bisschen räumlichem Vorstellungsvermögen wiedererkennt! Erlöst uns von der Geschichts- und Geschichten-resistenten Berliner Straße! Filme wie dieser hätten es verdeint.

Boxhagener Platz ist ab Anfang März in den Kinos. Ich durfte den Film schon im Rahmen der Reihe „Berlinale goes Kiez“ im Union in Friedrichshagen nebst eingeladener Filmprominenz sehen. Die Veranstaltung und das schöne alte Kino haben mir sehr gefallen. Bei Nacht sah es da draußen aus, als hätte man den Film auch dort drehen können.

 

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Deutschland | Geschichte | Kino | Politik

 

21. Februar 2010 18:23:29

.. raumsichtig: Avatar von James Cameron

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Wahrscheinlich bin ich der letzte, der zum teuersten und erfolgreichsten Film aller Zeiten noch weas zu sagen hat, aber Langsamkeit ist ja manchmal auch eine Stärke.

Die neue 3D-Technik-Aufnahme- und Abspieltechnik, mit der „Avatar – Aufbruch nach Pandora“ von James Cameron höchst aufwändig produziert wurde, ermöglicht tatsächlich eine neue Form des Sehens. Das Film-Sujet des Körperwechselns, also des Hineinschlüpfens in den Körper eines Anderen bei Erhalt des eigenen Geistes, kann in der 3D-Rezeption des Films selbst erlebt werden. So wie der Held (und einige andere) in speziell entwickelte Naturvolk-Körper (=Avatar) hineinschlüpfen und die Welt dann mit den physischen Fähigkeiten des künstlichen Körpers erleben, so schlüpfen wir Betrachter in den Kopf des Kameramanns, der für uns den Blick steuert, bzw. uns seinen Blick aufzwängt. Natürlich ist das im Prinzip auch beim herkömmlichen 2D-Film der Fall, bei dem unser Bilck auch geführt, geleitet oder verleitet wird, doch durch das dreidimensionale Sehen, bei dem wir im alltäglichen Leben gewohnt sind, selbst den Fokus in der Tiefe des Blickfeldes zu setzen, bekommt die Blickführung durch die Kamera natürlich auch eine neue Dimension. Wir sehen nicht wie sonst im Kino mit starrem Fokus auf die Leinwand und sehen eine 2D-Projektion der 3D-Welt, sondern wir sehen eben wirklich 3D. Nur man kann nicht selbst entscheiden, was genau man gerade scharf sehen möchte. Das hat die Kameraführung für einen entschieden. So entsteht das Gefühl, im Körper eines anderen zu stecken. Man sieht durch die Augen eines anderen.

Gerade die phantasievolle Natur des fremden Planeten, die wir quasi im Körper des Avatars erleben, erscheint so wirklich bezaubernd und das Design der äußerst vernetzten und interaktiven Flora und Fauna wirkt geradezu beglückend. Natürlich steht man sofort auf der moralischen Seite des Urvolkes, genannt Navi, das sich nie von seiner Umwelt emanzipiert hat. Diese Humanoiden leben noch im Paradies – sie haben es geschafft vom Baum der Erkenntnis zu essen, ohne mit der Erbsünde dafür bestraft worden zu sein. Sie sehen ihre Nacktheit und erkennen sie als die gleiche Verletzlichkeit, mit der auch alle anderen Teile der Welt miteinander (inter)agieren. Deshalb gibt es keine Scham auf Pandora, sondern ganzheitliche Fürsorge. Die Navi sind im Gegensatz zu uns Menschen noch immer integraler Bestandteil der Natur und wollen das auch bleiben. Eine Welt voller blauer Blumen geschaffen nach dem romatischen Ideal eines Novalis.

Da der Mensch in der Zukunft, in der dieser Film spielt, noch immer nichts dazu gelernt hat, kommt es zum unausweichlichen Konflikt zwischen den beiden Lebensprinzipien, der aufeinander stoßenden Arten: Dem menschlichen Streben nach Profit und dem urvölkischen Nicht-Streben in der Ballance. Nun hat sich Romantik immer nur als eine andere Art der Zerstörung erwiesen und so geschieht es leider auch in diesem Film. Als das Naturvolk schon besiegt scheint, bäumt sich die gesamte Natur in gemeinsamer Anstrengung gegen die Aggressoren auf und zerstört diese ihrerseits. Fraglich welche Botschaft wir Menschen daraus ziehen.

Den Rest der äußerst üblichen Geschichte (siehe Trailer) kann man möglichst schnell vergessen.

 

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Kino

 

22. Dezember 2009 20:25:29

… geblaecht: Woody Allens Whatever works

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Ach der Woody Allen: Viele sagen seine größte Zeit wären die späten 70er gewesen, in der er die New York Triologie mit Filmen wie Der Stadtneurotiker machte, die alle samt recht hysterisch und wortgewitzt daher kamen. Sein neuestes Werk Whatever works stammt aus dieser frühen Schaffensphase des Meisters, denn das Drehbuch hatte er im Wesentlichen schon damals dem bekannten Schauspieler Zero Mostel auf den Leib geschrieben, der dann aber leider 1977 starb. Nun fand sich drei Jahrzehnte später ein passender Ersatz, nämlch Larry David (Miterfinder von Seinfeld, Sitcom-Author und kultiger ShowMaster), der im tatsächlichen Leben ähnlich miesepetrig drauf ist, wie die Kunstfigut Boris Yellnikoff, die die Hauptrolle in Whatever works einnimmt. Man sollte also meinen, dass hier nichts mehr schief gehen könnte.

Boris ist ein konsequent schlecht gelaunter Typ, der skrupellos kleine Kinder, denen er im Park ein bisschen Schach beibringen soll, als schwachsinniges Ungeziefer beschimpft und dabei gleich noch deren Mütter als Geburtshelferinnen der Dummheit verflucht. Er selbst sieht sich als pensioniertes Genie, denn er war früher Quanten-Physiker, der mal fast den Nobelpreis bekam. Die Architektur seines Lebensentwurfs steht auf einem festen Sockel, der vom gigantischen intellektuellen Abstand zwischen ihm und seinem Umfeld gebildet wird. So kommt es, dass nur er allein „das ganze Bild“ sieht und in diesem Gesamtbild sieht er auch auf uns, die Zuschauer im Kino herab. Mehrfach im Film wendet sich Boris so direkt durch die Kamera ans Publikum, was die anderen im Film spielenden Personen als alberne Marotte des Sonderlings abtun, denn sie sehen eben nicht „das ganze Bild“. Durch dieses mutwillige Abbrechen der Filmfiktion bekommt alles eine unfreiwillig wirkende Künstlichkeit. Man fühlt spontan die Mikros, Kabelträger, Beleuchter und ScriptGirls auf dem Set und die Schauspieler wirken wie Knallchargen, in einem schlechten Bühnenstück. Die aufgebaute Filmwelt fällt so in sich zusammen ohne irgendetwas dabei hinzuzugewinnen.

Der Plott ist so Anti-Clichée-Clichée-mäßig, dass man ihn kaum zu erzählen braucht: Alter Großstadt-Misanthrop trifft vor seiner Haustür eine naive, äußerst hübsche Blondine, die gerade ihrem ländlich verklemmten Elternhaus entflohen ist. Er nimmt sie auf und ist alsbald von den Liebreizen der Süßen hingerissen, die ihrerseits doch tatsächlich von der Andersartigkeit des Alten und dessen vielen Lebensweisheiten derart beindruckt ist, dass sie wenig später heiraten. Als die nicht nur geistige Hypochondrie des silbernen Ekelpakets langsam an Glanz verliert, tauchen erst die Mutter und bald darauf auch der Vater der Schönheit auf. Zunächst noch Gott um Gnade anflehend merken beide ruckzuck und auf getrennten Wegen, welche sexuellen und künstlerischen Leidenschaften in ihnen bisher verschüttet waren, so dass sich Muttern zur männerverzehrenden Femme fatal und Vattern zum schwulen Hausmann entwickelt. Im Angesicht dieser Wendungen spürt langsam auch die immer weniger fröhliche Blondine, dass junge Männer viel hübscher sind als alte. Der Misanthrop nimmt es resigniert zur Kenntnis, stürzt sich wieder Mal aus dem Fenster und landet auf einer Psychologin, mit der er spontan glücklich wird. Am Ende feiern alle Neujahr und uns Zuschauern wird nochmal penetrant erklärt, dass es doch toll ist, wenn jeder nach seiner Façon lebt. Ja ja, so was gibt’s halt nur in New York.

Das ist soweit alles wegen der vielen Wortwitze noch ganz nett und unterhaltsam, wirklich schlimm ist aber das frisch gebleachte Gebiss von Hauptdarsteller Larry David. Es will nicht im Ansatz zu seiner Rolle als Boris passen. Denn dieser hält vom Leben und seiner Zukunft überhaupt nichts, neigt zur spontanen Selbstaufgabe, läuft in dazu passenden ollen Klamotten rum und seine Wohnung ist ein ziemlicher Schrotthaufen, doch warum nur leuchten in seinem Mund die optimistischsten Beisserchen, die man je auf einer Leinwand strahlen sah?

Besser Woody Allen arbeitet zukünftig weiter konsequent sein Spätwerk nach dem Vorbild von „Vicky, Christina, Barcelona“ aus, als dass er klebrige alte Kamellen aus den 70er versucht aufzuwärmen.

 

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Kino

 

8. November 2009 13:07:27

… am Grenzkontrollpunkt dadara: Einreise ins Traumland

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Das klingt nach einem verführerischen Ort der Freiheit und des Wohlbefindens: Dreamland, das Land in dem alle Träume wahr werden, an dem es keine Ungerechtigkeit, keine Angst und keine Ausgrenzung gibt. Glaube nur fest an deinen Traum, habe ihn klar vor Augen und er kann hier Realität werden.
Dieses Land zeigt sich beim Wunsch es zu betreten oder es zu bereisen schnell als wehrhafter Staat. Die Kunstaktion „CHECKPOINT DREAMYOURTOPIA“ – A Border Control Checkpoint to Enter Your Own Dreams – tritt erst einmal reserviert auf. Einreisende haben sich fast völlig zu entblättern und müssen nach den Regeln Border Patrol tanzen. In einem zweiseitigen Formular sind zum Teil intimste Angaben zu machen, zu denen man in einem langwierigen und höchst willkürlichen Prozess befragt wird. Da bei neigen die uniformierten Grenzposten zur Übergriffigkeit und Schikane, sie spielen konsequent die Macht aus, die ihnen von den Einreisenden zugestanden wird. Man wird von einer Wartereihe in die nächste bugsiert, muss zur Unterhaltung eines Grenzers Lieder singen, grade stehen ohne sich an die Wand anzulehnen, wird nochmals kontrolliert, bekommt Handy und Schlüssel abgenommen, wird wieder an den Anfang zurückgebracht, oder ganz im Gegenteil einfach vor allen anderen Wartenden drangenommen, zieht so die Verärgerung von anderen auf sich usw. In diesem irritierenden, teils sehr lustigen, teil aber auch etwas beängstigenden Verfahren werden Gruppen geteilt und Fremde einander näher gebracht. Man erlebt eine Grenzerfahrung im doppelten Sinne: Einmal weil sich das typische Gefühl der nervösen Ergebenheit einstellt, das auch an echten Grenzposten auftritt, sei es bei der Einreise in die ehemalige DDR oder heute beim Betreten der USA, und zum anderen, weil man mit lauter Unbekannten herausfordernde Aufgaben zu lösen hat. Das ganze hat den Charakter eines stressigen Accessment Centers. Man bewirbt sich und muss sich bewähren.
Wir gingen zu viert ins Stadtbad Wedding und jede/r von uns erlebte in den Grenzbaraken eine ganz unterschiedliche Geschichte. Es kommt darauf an, ob man bereit ist die Rolle anzunehmen, die einem in der Kunstaktion zugewiesen wird. Nimmt man den tatsächlichen Entzug des freien Willens persönlich und verweigert sich dem schikanösen Gebaren, eckt man sofort an und man braucht ewig im Abfertigungsprozess, (wenn man nicht gar gleich vorher aufgibt). So kam von uns vieren nur ich bis ins Ziel, bekam den hübschen Dreamland-Pass und durfte in die sagenhafte Lounge. Der Witz ist natürlich, dass hinter der Grenzanlage alles genauso ist wie davor. Es ist natürlich die reine Farce. Wo sollte das Traumland denn sein, wenn nicht in einem selbst und wie absurd zu glauben, man könnte dort, an einem realen Ort einreisen. Und doch zeigt sich hier, wie stark Menschen getrieben werden, allein durch die Hoffnung es könnte wo anders besser sein. Es ist der Glaube an Erlösung und der Wunsch bei denen zu sein, die alles haben, alles dürfen, alles können, der uns freiwillig zu schwachen Spielfiguren im Theater der Machtverteilung werden lässt. Man nimmt alles in Kauf, egal was passiert nur um hier raus zu kommen und dort rein zu gelangen.

Die Aktion könnte nicht besser terminiert sein, als jetzt am Wochenende vor den Feierlichkeiten zum 20. Jubiläum des Mauerfalls. Es ist eine großartige künstlerische Ergänzung und eine Erinnerung an die Teilung der Welt in Ost und West, und eine eindringliche Mahnung daran, dass noch längst nicht alle Mauern eingerissen sind. Natürlich sind die Ähnlichkeiten zu den Einreiseformalitäten der USA unverkennbar. Der amerikanische Traum und der inbegriffene Ethos des „sei dein eigener Herr“ mit seinen zwei widerstrebenden Ansätzen „setz dich durch“ und „pass dich an“, die beide konkurrenzorientiert sind, ist förmlich greifbar.


Tipp zur Einreise: Nehmen Sie allerlei Bestechungsmittel mit. Zigaretten, Bier, Süßigkeiten, kleine Püppchen oder sonstigen glitzernden Krimskrams. Das kann vor so mancher verschlossener Tür helfen. Und die Reflexe der Befehlskette funktionieren immer von oben nach unten. Ich habe mir z.B. eine halbe Stunde Wartezeit gespart, weil ich in einer unübersichtlichen Situation einfach zu der zentralen Gittertür ging und behauptet habe, dass ich 10 Meter weiter hinten von einem anderen Grenzer mit vielen Abzeichen gebeten wurde direkt in die Einlassbarake zu gehen und beherzt durchging.

Unbedingt hingehen!!! Nur noch heute am 8. November 2009, im Stadtbad Wedding, Gerichtsstraße.
Nicht vergessen: Vorher Einreisepapiere ausdrucken und ausfüllen!

 

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1. November 2009 22:59:29

… gebastelte Erinnerung: Thomas Demand konstruierte eine Nationalgalerie in der Nationalgalerie

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Thomas Demand „Studio“, 1997; C-Print, 183,5 x 349,5 cm; © Thomas Demand, VG Bild-Kunst, Bonn 2009

Thomas Demand und sein Helferteam konstruieren und inszenieren Modelle aus Papier und Pappe, manchmal ergänzt durch ein bisschen Kunstoff oder einen vorsichtigen Aufdruck. Ich sehe die kunstvollen Bastelarbeiten als Modellversuche, mit denen Demand versucht eine stimmige, kollektive Erinnerung der deutschen Baby-Boomer-Generation zu erhalten. Eine Erinnerungskonstruktion, auf die sich viele einigen können. Details, die für einzelne in einem Moment von Wichtigkeit (gewesen) sein mögen, werden zu Gunsten des für alle stimmigen Gesambildes weggelassen. Die so erzeugten Simulationen, die als gigantische Fotoprints in der Ausstellung zu sehen sind, sind schlecht geeignet für Abbilder von individuellen Erfahrungen, sondern eher für gesellschaftliche Projektionen. Über die Bildbauten wird visionär in die Vergangenheit eine Erinnerung konstruiert. Es wird so lange daran gebastelt, bis die Erinnerung in einen erfassbar logischen und ungebrochenen Plot bis zur Gegenwart passt. Das entspricht genau unser aller Gehirntätigkeit beim Prozess des Erinnerns wobei jeder weiß, dass man sich noch nicht einmal auf die eigenen Erinnerungen bei einer Analyse des zweifelsfreien Wahrheitsgehaltes verlassen kann. Thomas Demand lügt uns also eine Erinnerung vor, die uns plausibel vorkommt. Verführt durch die warme Künstlichkeit der Papieroberflächen hat man das Gefühl, man könnte die vorgelegten Erinnerungen in die Hand nehmen, um eigene Gedanken auf den Blättern zu notieren. So kann das Bild zur Gedankenvorlage werden. Doch genau diese leichte Zugänglichkeit über das eigene Basteln mit Papier erschwert vielleicht auch die Beschäftigung mit den Themen der Ausstellung. Ständig stehen Leute vor den Bildern, die darüber diskutieren, wie man wohl das Sitzpolster des Stuhls hier oder den Wasserspiegel in einer Tasse dort aus Papier basteln könnte. Auf dieser Ebene verkommt die Bildgestaltung des Thomas Demand zur Masche. Zum Glück sind die Bilder und Themen stark genug, um sich gegen diesen Vorwurf durchzusetzen.

Alles Offizielle auf der Sonderseite zur Ausstellung …
Artikel über die Ausstellung bei Spiegel online …
Noch bis 17. Januar 2010

 

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28. Oktober 2009 13:40:16

… fast vergessen: Auch über Polen flohen 1989 viele aus der DDR

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Die Freudenfeste zum Fall der Mauer vor 20 Jahren sind vielfältig. Im Kino Arsenal wird am 6. November um 19.00 Uhr der Dokumentarfilm „Tschüss DDR! Über Warschau in die Freiheit.“ gezeigt, der einen inzwischen fast vergessenenen Aspekt im finalen Zusammenbruch des staatlichen Sozialismus beleuchtet.

Im Spätsommer 1989 wagten Zehntausende die Flucht über den Osten in den Westen. Der Film erzählt die kaum bekannte deutsch-polnischen Geschichte des Wendejahrs, als DDR-Bürger nicht nur über die westdeutschen Botschaften in Prag und Budapest ausreisten, sondern auch über Warschau den Weg in die Freiheit suchten. Im  55-minütigen Dokumentarfilm des Regisseurs Krzysztof Czajka erzählen erstmals die damaligen Botschaftsflüchtlinge ihre Erlebnisse. Auch politische Zeitzeugen kommen zu Wort. So erzählen der erste nichtkommunistische Ministerpräsident Tadeusz Mazowiecki und sein Außenminister Krzysztof Skubiszewski über die schwierigen Verhandlungen der polnischen Regierung mit Ostberlin, um das deutsch-deutsche Drama möglichst konfliktarm zu lösen.

Der Film wird mit deutschen und polnischen Untertiteln gezeigt.

 

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Alltägliches

 
 
 

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