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19. November 2012 14:26:41

… drei in eins: Stefanidad, Stefanie Giersdorf, Steff Hengge – offenes Atelier am Wochenende

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Erst- und letztmals öffnet die Künstlerin ihre weitläufige Kreuzberger Atelierwohnung und zeigt sämtliche Werkzyklen der letzten 10 Jahre in einer Ausstellung. Mitten im Gentrifizierungsprozess setzt Steff Hengge der monetär geleiteten Verdrängung, von der sie selbst betroffen ist, eine poetisch künstlerische Geste der Einladung entgegen. Im Spannungsfeld zwischen Marktdruck (Gewinnmaximierung) und Freigeist (Fülle aus Kreativität) notiert sie Gedanken, Bleiernes und leichte Skizzen, was in einem in Sanierung begriffenen Objekt besondere empathische Momente ermöglicht.
„Nichts steht geschrieben“ spielt und dokumentiert mit Bildern und Vorstellungen von (Im)Mobilität, Ewigkeit, Verstetigung, Verfall und dem Glauben an Erneuerung. Die Ausstellung schält eine ikonografisch-mythische Substanz aus dem täglich aufbrausenden Schwall an Nachrichten über Katastrophen, Banalitäten und Gefühligkeiten.
Parallel zum Austausch der Bewohner des Viertels wechselte auch Steff Hengge ihre künstlerischen Identitäten: Stefanidad, Stefanie Giersdorf, Steff Hengge.

Nur am Wochenende 24./25.11.2012 in der Skalitzer Staße 49, 10997 Berlin: Unbedingt anschauen!

Siehe Bilder, Objekte und Hefte auf der Website …

Mehr Fotos von der Ausstellung …

 

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14. November 2012 12:48:32

… Pulp Fiction: Rick de Marinis – Götterdämmerung in El Paso

<hübsch-hässliche Cover hat er immer schon />Eine Freude hat der sonst eher erfolglose Privatermittler JP Morgan aus Rick de Marinis’ Pulp-Perle Götterdämmerung in El Paso am Ende dann doch: seine alte Mutter, in Dauerkontakt mit der Jungfrau Maria, lebt wieder mit ihm zusammen. Bis dahin, und seit ihn sein Freund, der übergewichtige, ewig kiffende und mindestens genauso erfolglose Schriftsteller Luther Penrose damit beauftragt hat, dessen Freundin zurückzuholen, geht’s rund in JPs Leben, und dass er hier und da Prügel einstecken muss, ist dabei noch sein geringstes Problem. Kopfgeldjäger, Nazi-Dumpfbacken und die Ordnungshüter setzen ihm von allen Seiten zu, und als er schließlich im Folterkeller von Dr. Selbiades mit ansehen muss, wie selbiger von Hector, vom wahnsinnigen Chirurgen zur Frau umoperiert, in Stücke geballert wird, ist ihm schon wohler. Jetzt kann er sich wieder um seine Mutter kümmern …
Alles klar? Egal. Der Wahnsinn lauert überall, und in potenzierter Form an der texanischen Grenze zu Mexiko, wo allerhand Welten aufeinander stoßen und viele mit JP Morgan das post-cartesianische Lebensmotto „Mich kotzt was an, also bin ich“ teilen. Rick de Marinis, Pulp Fiction-Meister der Sonderklasse, macht daraus grandiose Genre-Opern in Romanformat, und Frank Nowatzki vertreibt die deutschen Übersetzungen rezeptfrei im Berliner pulp master-Verlag. Heißeres gibt es diesen Winter nicht mehr!

Rick de Marinis: Götterdämmerung in El Paso; Roman; Pulp Master Berlin 2012; 320 S.; 13,80€

 

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Literatur | Themen

 

16. Oktober 2012 15:55:05

… philosophisch: Die erste Theoriekantine in der Vierten Welt mit uneingeschränktem Urteilsvermögen

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Dirk Stetton, Dirk Cieslak, Maria Muhle, Ludger Schwarte


Am Kotti gibt es abgelegene Ecken, in denen sich theoretisierende Bürger zum angeregten Diskurs in der Theoriekantine treffen. Diese findet man natürlich in der Vierten Welt, einer performanten Parallelwelt, in der man sich einer so dringenden Fragen widmen kann, wie zum Beispiel: Wie schaffen wir es unserer Rechtsprechung mit den Anforderungen einer wirklichen (auch genannt „radikalen“) Demokratie zu verbinden?

Drei Philosophen sitzen da mit einem Theatermacher im freundschaftlich, zänkischen Gespräch, um ihre Positionen aneinander zu reiben. Ludger Schwarte veröffentlichte unlängst bei Merve das Buch Vom Urteilen, das Gegenstand der ersten öffentlichen Diskussion bildet. Dirk Setton stellt das Buch vor und kritisiert es gleichsam, unterstützt von einer hinterfragenden Maria Muhle. Ludger Schwarte gerät in eine Verteidigungshaltung, aus der er aber sogleich vom plenum-artig hinzugezogenen Publikum geogen wird. Schnell wird verhandelt, wie Praxis-tauglich oder zumindest theoretisch funktionierend die Ansätze sein oder werden könn(t)en. Dirk Cieslak (Macher der Vierten Welt) ordnet unschwer die Gesprächsströme.

Ich hab selten einen so interessanten Gesprächsabend erlebt, bei dem Podium und Publikum sich auf gegenseitig anregendem Niveau Bälle zuspielten.
Die nächste Theoriekantine findet am 15. Dezember statt.

 

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8. Oktober 2012 11:06:49

… uked: The United Kingdom Ukulele Orchestra im Tipi


Für einen Ukulelen-Fan kann’s kaum besser kommen: Sieben Ukulelen und ein Bass vor singenden Briten. Da kommt im Tipi zusammen, was zusammen gehört. Ein fröhlicher Mix an Songs, von J.S. Bach über The Beatles und The Queen zu Heidi aus den Bergen, wird in ein sehr unterhaltsames Gesamtprogramm eingebaut, das mit dem Klischee des biederen Briten mit ausgeflipptem Hobby spielt. Der Abend hält genau, was er verspricht und passt hervorragend ins Tipi.

Mehr Infos zu The United Kingdom Ukulele Orchestra im Tipi.
Noch bis 14. Oktober.
Mehr zum Orchester

 

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13. September 2012 09:08:08

… kantig: Genau wie Josef Joffe

Will mal schreiben wie der Joffe. Das Orakel der Zeit. Sätze, die stehen bleiben. Wie eingemeißelt. Geschrieben wie geschrieen. Gespickt mit einem „Bonmot“ hier und einem Präsidentenzitat da. „Yes we can“.
Denn es ist Krise. Da braucht es klare Aussagen. Das Volk will wissen woran es ist. Wir haben keine Zeit mehr. Andere ziehen vorbei und wir warten auf Karlsruhe. Dabei ist alles wie immer. Alle haben es gewusst und keiner hat was getan. Auch Angela Merkel nicht. Dabei stand es doch schon lange in der Zeit. Immer wieder in jedem Artikel von Joffe konnte und kann man es lesen.
So viel zum Theoretischen, jetzt mal konkret: So könnte es gehen: Erstens: Lesen muss sein. Man muss es nur wollen. Jetzt und in Zukunft. Und zweitens: Wer liest muss Joffe lesen. Da steht es. Steht alles – das Problem, die Wahrheit, die Lösung.
Komplexität ist überbewertet, wir brauchen was zum Festhalten. Einen Knüppel. Nur nicht in den Händen der EZB. Diese Bank, die vergessen muss, was ihre Aufgabe ist. Denn Aufgeben geht nicht. Dranbleiben ist das Motto. Frau Merkel weiß das.

Ach könnte ich doch nur so schreiben … Mein Blog würde bestimmt von irgendwem gelesen.

 

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Alltägliches | Politik

 

2. September 2012 15:25:49

… 775: Das Mittelalter ist unter uns

Spuren des Mittelalters zur 775 Jahrfeier in Berlin

Eher zufällig entdecke ich die Bodenbeschriftung mitten auf dem Gehweg: „Hier lag im 13. Jahrhundert der Hafen von Berlin.“ Sieh an, denke ich mir da. Ein paar Meter weiter auf dem Mühlendamm ist zu lesen: „Heute haben etwa 27 % der Berliner einen Migrationshintergrund. Vor 775 Jahren waren es 100 %.“ Holla, so viele. Na dann gehnwer doch ma ins Internet und schaunwer nach, watn dit nu wieder allet is, wa:

Web App Spuren des Mittelalters

Zum 775 Jahre Geburtstag Berlins wurden zahlreiche Botschaften im Zentrum der Stadt versprüht, die mal einfach nur informativ sind und mal die Auflösung einer Schitzeljagdt darstellen, die man mittels Web-App beim Stadtspaziergang bepirschen kann. Auf der Website „Spuren des Mittelalters“ bekommt man eine Vorstellung davon, wie Berlin einmal ausgesehen haben muss, denn in der heutigen Stadt lassen sich tatsächlich nur noch minimale Überbleibsel erkennen.

Alles sehr informativ, geschickt verschränkt zwischen realer Welt und Info aus dem Web und nett zusammengestellt. Mir gefällt’s!

 

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1. September 2012 17:32:18

… Ackerland: „Hungry City“ im Kunstraum Kreuzberg – Landwirtschaft und Essen in der zeitgenössischen Kunst

soilkitchen

Unter dem Pflaster liegt leider nicht das Meer, sondern glücklicher Weise Ackerland!
Allerdings ist der Boden im urbanen Raum oftmals durch die Vorbelastung aus der Geschichte des Ortes schwer kontaminiert. Eines der sozialen Kunstprojekte, die in der Ausstellung „Hungry City“ gezeigt werden, geht dieses Problem direkt an und gibt der städtischen Bevölkerung in Philadephia ihren Boden zurück: „Soil Kitchen“ verkocht nicht etwa Dreck aus dem Hinterhof, sondern untersucht für Bürger kostenfrei Bodenproben. So wird transparent, wie verschmutzt oder sauber die verschiedenen Standorte sind und die Aktionskünstler thematisieren, bei Suppe aus Gemüse vom eigenen Acker, biologisch-ethische Ernährungsfragen, um so auf die amerikanische Nahrungskultur einzuwirken. In diese „Re-claim your city“-Richtung gehen noch weitere Projekte: Beispielsweise kann man bei „Kultivator“ Wurmbomben beziehen und mit den kleinen Viechern subversiv den Boden mittels „Guerilla composting“ rekultivieren.

Interessant und kuratorisch bemerkenswert ist, dass nicht nur auf die aktuelle Welle des „Urban Gardening“ eingegangen wird, sondern auch Pionierprojekte aus den 1970er und 80ern gezeigt werden – noch dazu diesseits und jenseits des eisernen Vorhangs. So wird inhaltlich wie ästhetisch eine große Breite an verschiedenen künstlerischen Positionen erlebbar.

Einige Arbeiten begnügen sich damit landwirtschaftliche Praktiken zu dokumentieren, was vielleicht im Sinne der Speicherung von Kulturgütern ein positiver Ansatz ist, allerdings im Ergebnis so einschläfernd, dass wohl diese Dokumentation der landwirtschaftlichen Kulturpraktiken schneller vergessen wird, als die Praktik selbst. Hier wurde leider das Problem der Weitergabe und des Zugangs zum angelegten Speicher an Wissen und Kulturgut nicht gelöst. Beispielhaft möchte ich hierfür das Projekt „WeFarm“ nennen, dass auf der TYPO Berlin 2012 von Nat Hunter vorgestellt wurde (im Video bei 21:36).

In den Gängen zur Ausstellung wurden von einer lokalen Aktionsgruppe, den „Gegnern des Hühneressens“ Plakate geklebt. Hier wird die Anschlussfähigkeit von moralisch-ethischen Essenstabus thematisiert, die üblicherweise religiös geprägt sind. Aber warum sollten die Menschen nicht genauso diskussionslos aus persönlichen, rein kulturell oder global-wirtschaftspolitisch motivierten Gründen mit dem Essen von Hühnern aufhören, und sich zu einer „Glaubensgemeinschaft“ zusammenfügen, die glaubt, dass es richtig ist, Hühner nicht zu essen? Ethisch überzeugend ist sicherlich einzig der Verzicht auf jegliches industriell produzierte Fleisch, uns sicherlich ist es einfacher die Menschen erst einmal Schritt für Schritt zum Verzicht zu bringen, der sich dann sehr schnell zu einem großem Gewinn für alle wandelt. Fangen wir also doch einfach mal mit Hühnern an!

Hungry City, 1. September bis 28. Oktober 2012, im Kunstraum Kreuzberg (Bethanienhaus), Mariannenplatz 2, 10997 berlin

Kuratiert von Anne Kersten in Zusammenarbeit mit Stéphane Bauer.
KünstlerInnen: Jekaterina Anzupowa (UA/DE), KP Brehmer (DE), Agnes Denes (US), Leticia El Halli Obeid (AR), Fallen Fruit (US), Fernando García-Dory (ES), Futurefarmers (Amy Franceschini, Dan Allende, Lode Vranken) (US), Tue Greenfort (DK/DE) Kultivator (SE), Kristina Leko (HR/DE), MyVillages.org (NL/DE/GB), Heinrich Riebesehl (DE), Antje Schiffers & Thomas Sprenger (DE), Bonnie Ora Sherk (US), Lukasz Skapski (PL), Åsa Sonjasdotter (SE/NO/DE), Daniel Spoerri/Tony Morgan (CH, GB), Ève K. Tremblay (CA/US/DE), Insa Winkler (DE)

Es gibt ein umfangreiches Aktionsprogramm rings um die Ausstellung.

 

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27. August 2012 10:43:43

… am Meer: am Kolumbiadamm liegt der Strand

berlinmeer_rixdorf

Ach, wer hat nicht schon davon geträumt? Die beste Stadt der Welt ergänzt durch einen herrlichen Strand.
Nun kann man tatsächlich traumwandlerisch, zumindest mit dem Finger auf der Landkarte, über phantastische Uferpromenaden gehen – von der Treptower Insel bis zum Schöneberger Strand – und dabei so schöne Sachen besuchen wie das 3D-Alpenpanorama, den Buckminster-Fuller-Dom, die Ägyptische Pyramide oder das Aufstiegsfeld der Mongolfiere (die meisten Sehenswürdigkeiten als gewünschte Überbleibsel der Berliner Gewerbeausstellung 1896 in Treptow). Die Neuköllner Oper steht vor einem Opernplatz, wo man abends die Sonne im Meer versinken sieht (Sidney lässt grüßen), und die romantische Rixburg lockt verliebte Pärchen in die verwinkelten, mittelalterlichen Festungsmauern. Wie schön könnte es sein …

Jetzt zu haben bei Berlin am Meer.

 

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19. Juli 2012 15:24:17

… nüchtern strahlend: Atomkraft Fotografien von Thorsten Klapsch

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Heute Abend ist die Finissage einer bemerkenswerten Ausstellung in der Einsenbahnstraße, die im Wesentlichen aus einer Buchpräsentation besteht. Thorsten Klapsch hat über Jahre mit enormem Aufwand und beinahe erschreckender Genauigkeit alle deutschen Atomkraftwerke fotografiert. Das Buch, in dem diese Arbeit zusammengefasst ist, zeigt seine Annäherung aus dem Alltagsleben der Umgebung, über das Gelände in die inneren Flure bis hin zum Kraftzentrum, dem Reaktor mit seinen Schwerwasserbecken. Von dort führt der Weg über die Turbinenhalle und die Kühlanlagen wieder nach draußen in die Welt. Menschen sieht man in den Bildern nur außerhalb der Anlagen – drinnen ist nur Technik. Im Buch gibt es im Bilderteil keine weiteren Informationen zu den Bildern und die Fotografien aus den verschiedenen Kraftwerken stehen unkommentiert nebeneinander. So werden all die Anlagen zu einem symbolischen deutschen Meiler.

Es ist eine neutrale, wertungsfreie Fotografie, die den Blick freigibt für das Außerzeitliche der menschlichen Idee, auch extreme physikalische Energien technisch beherrschen zu können. Die deutschen Kernkraftwerke, allesamt zwischen dem Ende der 1950er und dem Anfang der 1980er gebaut, zeigen sich genau auf der Kippe zwischen Futurismus und beginnendem Verfall. Der kühle Blick durch die Kamera nimmt vorweg, wie künftige Generationen auf diese Technik schauen werden: Verwundert, neugierig, verwirrt und beängstigt.

Ein besonderes Erlebnis ist es außerdem, mit Thorsten Klapsch über seine Erlebnisse in den Atomanlagen zu sprechen. So wird die Neutralität der Fotos noch durch das persönliche Erzählen bereichert: Er wurde permanent und in allen Kraftwerken von zwei Aufpassern begleitet, einem Strahlenschützer und einem Menschen von der Öffentlichkeitsarbeit. In heiklen Momenten gingen die aber auch schon mal raus oder um die Ecke, damit sie nicht so viel Strahlung abbekamen. Ein anderes Mal wurde ihm trotz Foto-Erlaubnis von der Polizei das Auto auseinandergenommen – den Beamten kam die große Kamera zu verdächtig vor. Oder er erzählt von einer Anwohnerin, die beim Location Scouting auf die Frage ob man aus ihrem Garten die Kühltürme sehen würde sagte, sie müsse erst mal kurz rausgehen und nachschauen. Dabei merkt man wie ambivalent das Leben mit Kernkraft ist: Es schwankt permanent zwischen gewöhnlicher Normalität und dem totalen Ausnahmezustand menschlicher Bedrohung.

Absolut empfehlenswert:
Stage Brother’s Inn, Eisenbahnstraße 12, 10997 Berlin
17:00 – 20:00 Uhr

 

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24. April 2012 13:53:34

… verbindend: Großer Abend mit Jordi Savall im Konzerthaus Berlin

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Am Sonntag war ich seit Langem mal wieder im Konzerthaus Berlin in dem Konzert Mare Nostrum das unter der Leitung und Mitwirkung des bekannten Multiinstrumentalisten Jordi Savall im Rahmen des des Festivals „zeitfenster, VI. Biennale Alter Musik“ stattfand. Der Abend war als Dialog der christlichen, sephardischen, ottomanischen und arabo-andalusischen Musik im Mittelmeerraum angelegt, und wurde zu einer musikalischen Rundreise ums Mittelmeer, das die Römer zur Zeit ihres „Weltreiches“ Mare Nostrum nannten. Tatsächlich fühlte ich mich zeit- und räumlich in eine andere, entfernte und doch ganz nahe Welt entführt. Die vorwiegend modal aufgebaute Musik, gespielt von einem hervorragenden Ensemble, hatte zumindest auf mich einen ähnlichen Effekt wie das Reisen selbst, bei dem man auch oft zwischen aufregenden Erlebnissen (neue Eindrücke, Sehenswürdigkeiten, fremde Bekanntschaften) und schläfrigem Halbbewusstsein (monotones Fahren, verarbeiten der Eindrücke) hin- und herschwankt.

Drei Musiker aus dem Ensemble möchte ich besonders hervorheben: Natürlich Jordi Savall selbst, der auf verschiedenen Geigen-artigen altertümlichen Instrumenten die führende Melodiestimmen spielte, mit viel Wärme, instrumentalen Nebengeräuschen und klarer Leitung für das Ensemble. Der Sänger Lior Elmaleh gab besonders den sephardischen Liedern mit wunderbar modulierender Stimme, mit der er mühelos ebenso reich schmerzliche wie heitere Lieder interpretierte, große Präsenz, und der Kaval-Spieler Nedyalko Nedyalkov, der ein wirklicher Meister dieser Flöte ist, und die Schnittstelle zwischen der Alten Musik und modernem Jazz gekonnt und rhythmisch raffiniert bespielte.

Ein gelungener Abend mit großartiger Musik, der nur an einer Stelle merkwürdig gebrochen wurde: Kurz vor Schluss des regulären Programms ging die Musik in eine Einspielung der im letzten Jahr verstorbenen Frau von Jordi Savall über, die über lange Zeit als Sängerin prägend für den bekannten Klang verantwortlich war, für den Jordi Savall berühmt geworden ist. Doch die Stimme der erst vor wenigen Monaten Verstorbenen inmitten der bis zu diesem Zeitpunkt höchst lebendigen Veranstaltung, mutete doch etwas befremdlich an. Savall rahmte diese Einspielung mit dem bekannten Sprichwort ein, dass jemand erst dann wirklich gestorben ist, wenn keiner mehr an ihn/sie denkt. „An jemanden denken“ umschließt allerdings nicht unbedingt die Art von Auftritt, die hier ins Konzert eingefügt wurde.

 

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