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17. September 2016 21:27:47

… außerhalb der Kategorien: Die Kunstmesse Positions in der Berlin Art Week 2016

Texte zur Promotion von Kunstmessen sind meistens Kunstwerke im Verbinden des Unverbundenen und in sofern ganz nah am eigentlich Wortsinn des Textens – dem Schaffen von Texturen. Auf der Website des Berlin Art Week steht über die „Positions Berlin“: „Bei den hier ausgestellten Kunstwerken geht es nicht darum, den Trends hinterher zu laufen, sondern um Relevanz und Aktualität. Starke junge und etablierte zeitgenössische Arbeiten sowie Werke der klassischen Moderne werden nebeneinander präsentiert, überholte Kategorisierungen schüttelt die Messe somit ab und eröffnet lieber neue Perspektiven.“

Auffällig beim Gang über die Messe sind ganz klassische Galerien, die trotzdem neu Perspektiven anbieten:

Die Sardac Gallery aus London baut in der Präsentationsbox einen überzeugenden Kunstraum für Stephen oder Steve Goddard. Seine versehrten Schädel bringen die menschlichen Wundmale des frühen letzten Jahrhunderts eindrücklich mit den menschlichen Verwerfungen der Gegenwart zusammen. Die Menschen, die heute vor den traumatisierenden Kriegen flüchten, kommen genau aus den Ländern, die am Ende des 1. Weltkriegs nach den Machtinteressen des Westens auf dem Reißbrett entworfen wurden. Der Schrei nach Empathie kommt einem in der dunkelbraunen Galeriebox trotz des ganzen Kunsttrubels drumherum erstaunlich nahe.

Baby by Steve Goddard

Ein von galerie sardac (@sardacgallery) gepostetes Foto am

Die kleine Galerie Mönch aus der Berliner Vorstadt beim Übergang nach Spandau zeigt einen jungen interessanten Künstler, der offene Fäden von Moholy Nadge und Roman Signer aufnimmt. Friedrich Gobbesso baut Experimentieranlagen in denen Wasser, Licht, Töne undSchwarzpulver aufeinandertreffen und erzeugt so Fotogramme, die Abbilder des Unsichtbaren sind: Wir sehen Schwingungen und Kraftlinien.

fritzgobesso-wellenstrukturen

Ich freue mich auf die Vernissage im Nachgang zur Positions in der Galerie schon am 1. Oktober.

 

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16. September 2016 14:42:42

… arty: Zum Reinkommen in die Berlin Art Week 2016 – Die Berliner Liste 2016

Wie fast in jedem Jahr arbeite ich mich bei den Kunstmessen während der Berlin Art Week von Tag zu Tag qualitativ nach oben. D.h. der Weg führt dieses Jahr vom Kraftwerk mit der nicht offiziell zur Art Week gehörenden „Berliner Liste„, die sich als „Kunstmesse für Endecker“ versteht über den Postbahnhof, wo die „Positions Berlin Art Fair“ stattfindet zur „abc art berlin contemporary“ in den Hallen am Gleisdreicek. Das fühlt sich dann an wie eine Wanderung, bei der man im Tal anfängt und aus dem man manchmal einen schönen Blick genießen kann, dann über Pässe und Höhenwege geht, die schon viel Schönes haben, um dann später in der Gipfelregion ein paar wirklich spektakuläre Ein- und Aussichten zu genießen.

Im Sinne einer Wanderkarte für Nachgehende erwähne ich kurz die bisherigen Höhepunkte des ersten Teils der Route:

Über die Berliner Liste sollten Interessierte schnellen Schrittes gehen und können gezielt ein paar Galerien und Künstler aufsuchen, ohne sich lang ablenken zu lassen. Mir sind aufgefallen:

Kalashnikovv Gallery aus Johannesburg, South Afrika – Die Galerie wird demnächst in Berlin neu eröffnen und ausschließlich Künstler/innen aus Afrika vertreten. Damit füllt die Galerie wahrscheinlich die letzte existierende Lücke im Berliner Kunstmarkt und dafür wird es in diesem Fall auch endlich Zeit! Die Galerie zeigt auf der Berliner Liste unter anderen den Künstler Jason Bronkhorst, dessen Bilder mühelos aus allen anderen herausstechen. Für mich die stärksten Bilder auf der ganzen Messe! Ich bin sehr gespannt auf die Eröffnung der Galerie im Herbst.

 

Die Künstlerin Marie-Lou Desmeules dürfte schon einigen bekannt sein, weil ihre Kunst schon ziemlich durch die sozialen Netze gepusht wurde. Sie ist eine der Vertreterinnen des neueren Body Paintings, das grundsätzlich die Kleidung mit als Malgrund verwendet. Bei Ihren Promi-Portraits wird wunderbar überhöht, in welch selbstsüchtigen Abhängigkeitsverhältnis die Beteiligten (Promi und Künstlerin) bei diesem Prozess stehen. Künstliche Bedeutungsaufladung durch Kunstüberformung. Eigentlich verlieren alle dabei einschließlich der Betrachtenden und das hat gemeinsame Größe, denn wir sind ja alle längst jenseits der Peinlichkeit.


Bei Urban Spree Galerie ist Hendrik Czakainski zu sehen, der in Berlin auch schon im Rahmen des Andropozän Projekts im HKW prominent zu sehen war. Seine Modellbauten von ausufernden Slam-Siedlungen sind gleichermaßen faszinierend und bedrückend. Für mich einer der Künstler, der den Trend zur stark dreidimensional erweiterten Leinwand überzeugend anführt.

Und ich möchte auf Xavier Krylik aufmerksam machen, der in streng konzeptioneller Kühle mehrere Ebenen der urbanen Gegenwart in seinen Bildern übereinander schichtet. Den Grund bilden entweder die eher abseitige Architektur Berlins oder gleich vermüllte Ecken in den Kiezen. Dort gefundene Gegenstände – oder sind sie doch eher aus der großen 3D-Datenbank des Web? – legt er präzise frei, sortiert sie säuberlich nebeneinander und projiziert darauf omnipräsente (Marken-) Zeichen unserer Warenwelt und der Protestkultur.

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5. September 2016 13:50:52

… ein Diagramm: Wie sind Nichtwähler*innen zu verstehen?

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Wenn die „Nichtwähler*innen“ in den Grafiken zum Wahlergebnis in Mecklenburg-Vorpommern dargestellt würden, fielen die Analysen der Politprofis vielleicht etwas realistischer aus. Überall ist zu hören, dass „die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes“ kein „weiter so“ mehr wollten, weswegen sie ihren Unmut dadurch ausdrückten, dass sie die AfD wählten – nicht um deren Politikvorstellung zu unterstützen, sondern um den „etablierten Parteien“ einen Denkzettel zugeben.

Was für ein Quatsch: Mehr als 85 % der Menschen hatten kein Bedürfnis Rechtsextreme zu wählen. Sie wollten weder einen umständlichen Denkzettel verfassen, noch sonst wie ihre Dummheit ausstellen. Die allergrößte Gruppe scheint der Politik einfach keine Aufmerksamkeit zu schenken, was man eher mit einer generellen Zufriedenheit und nicht mit dem Gegenteil erklären kann. Umfragen, die repräsentativ alle Bürger*innen im Land erfassen – und nicht nur die, die zum Wählen gehen! – haben für MeckPomm bestätigt, dass eine übergroße Mehrheit mit der Entwicklung des Landes zufrieden ist. Diese Menschen sind zuversichtlich genug, sich einfach nicht um Politik zu kümmern.

Damit will ich auf keinen Fall das Problem kleinreden, dass immer mehr Menschen in Deutschland offen rechtsextreme Positionen vertreten, sondern deutlich machen, dass die üblich gewordene Verallgemeinerung „das Volk“ hätte die Politik generell abgewatscht, nicht zutrifft. 

Wir alle dürfen der sprachlichen Verzerrung der Fakten nicht auf den Leim gehen. Die Medien reden immer den Skandal und den Umbruch herbei – das war bei den Höchstergebnissen der Piraten nicht anders. Nur dass es bei den rechten Recken ungleich gefährlicher ist. Wenn es in zwei Wochen in Berlin ein Ergebnis zu beurteilen gibt, mögen wir daran denken …

Artikel dazu bei Die Welt lesen …

Um die Relationen zu wahren

Ungefähr zwei Promille der Deutschen haben in Mecklenburg-Vorpommern AfD gewählt. Das ist zwar nicht schön, aber es zeigt vor allem, dass nicht einmal im Ansatz das Gerede von „der Bevölkerung, die in großen Teilen gegen die praktizierte Flüchtlingspolitik aufgestanden ist“ gerechtfertigt ist.

MV-Wahlergebnis-2016

Also liebe Politstrategen: Ganz ruhig bleiben, schön auf dem Boden des Grundgesetzes bleiben und bestenfalls zum Wohle aller Menschen, die in Deutschland sind, weiterarbeiten!

 

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Alltägliches

 

21. Juni 2016 15:56:08

… überspitzt: Not und Spiele – Flüchtlinge fressen

Das Zentrum für Politische Schönheit inszeniert gesellschaftliche Skandale als herausfordernde Show-Events, die bewusst polarisierend und umstritten sind. Wie immer man das moralisch finden mag, die Aktionen bringen auf jeden Fall brennende Themen in den Diskurs. Als neuestes „Projekt“ haben sie sich einen Missstand vorgenommen, bei dem Recht nicht im Sinne der Gleichheit aller Menschen gilt, sondern explizit zur Unterscheidung von Menschen in welche mit und andere ohne Rechte. Es geht darum, warum es Menschen, die laut Flüchtlingskonvention eindeutig als Kriegsflüchtlinge bei uns und in allen anderen EU Ländern Asyl bekommen müssen, nicht direkt nach Deutschland (oder in ein anderes EU-Land) eingeflogen werden können. Warum können solche Flüchtlinge nicht einfach in der Izmir einen regulären Flug nach Stuttgart buchen und herfliegen – zu ganz normalen Preisen, ohne Schlepper bezahlen zu müssen, und ohne ihr Leben auf einer ungewissen Flucht erneut zu riskieren?

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Analogie zum politischen Handeln

Bei der Aktion „Flüchtlinge fressen – Not und Spiele“ wird daraus eine Art Mitmach-Reality-Container-Show, bei der die vermeintlichen Protagonisten wie Stars aufgebaut werden, in deren Leben man als Mitspielende hineinschlüpfen kann. Auf allen Ebenen können Menschen Teil der Aktion werden:
Ganz oben als Imperator – „Jetzt können Sie Thomas de Maizière sein“ – so werden Unterstützende angeworben, die in seine Rolle schlüpfen sollen, um 100 Flüchtende auszuwählen, die eingeflogen werden könnten. Die Anzahl begründet sich darin, dass der Innenminister im April dieses Jahres Deutschland nicht in der Lage sah, mehr als 100 Menschen pro Monat aufzunehmen.
Ganz unten als Schlachtvieh – „Wir suchen Flüchtlinge, die […] bereit sind, sich öffentlich fressen zu lassen“ – so werden Menschen mit „Flüchtlingshintergrund“ gesucht, die „ihr Leben für eine größere Sache opfern“. In Berlin ist zu diesem Zweck eine Arena aufgebaut, in der vier libysche Tiger darauf warten mit Menschenfleisch gefüttert zu werden. Die Tiere sollen „Gastgeschenke des großmütigen türkischen Sultans“ sein, die dieser „zur Feier des EU-Türkei-Deals“ nach Berlin bringen ließ.

Der Bundespräsident Joachim Gauck wird als der mögliche Retter aufgebaut, der Messias-gleich gemeinsam mit dem Papst die unmenschliche Abweisepraxis mit einer einzigen Rede am 24. Juni 2016 (siehe Tagesordnung der 180. Sitzung des Deutschen Bundestages – letzter Punkt) beenden könnte. „Wird er die Flüchtlinge vor den Tigern retten?“ Für das erwartete Ausbleiben der Rettungstat, ist nun alles hergerichtet. Das Blut wird fließen.

Der Aufbau von „Not und Spiele“ ist als Analogie zum politischen Handeln gedacht, das von den Medien geradezu lüstern begleitet wird, doch die Vergleiche hinken gewaltig. Natürlich ist der EU-Türkei-Deal ein Skandal, denn spätestens die praktische Realität der Verfahren zeigt deutlich auf, dass der Deal kein Pakt für Menschenrechte ist, sondern ein Pakt zur Entrechtung von Menschen. Das Ziel der Politiker*innen, die diesen Deal ausgehandelt haben, ist es, Menschen aus der EU rauszuhalten und diese aktive Ausgrenzung den Bürger*innen im eigenen Land als Erfolg „gegen den Flüchtlingsstrom“ zu verkaufen. Besonders die konservativen Parteien (in Deutschland) haben fürchterliche Angst, dass „das Volk“ (tatsächlich ist es nur eine Minderheit von nationalistisch eingestellten Dummköpfen) sich gegen die Regierung erheben würde. Der Deal ist ein Versuch, dem dunkel-deutschen „Merkel muss weg“-Geschrei ein „wir haben verstanden“-Slogan entgegenzustellen und das ist zweifellos ein zutiefst unmenschlicher – vielleicht sogar unpolitischer – Schachzug, der sicher nicht zum Gewinn der Partie führt. Ja, auch durch den EU-Türkei-Deal wurde alles so hergerichtet, dass jetzt wieder das Blut fließen wird.

Eventisierung menschenverachtender Politik

Dennoch: Bedarf es wirklich dieser Inszenierung um das Thema „medial heiß“ zu machen? Werden mit der Überhöhung der Politik in die Sphäre des reinen Show-Biz nicht Rollen-Stereotypen weiter zementiert und wird durch den offensichtlichen Zynismus der Aktion der politisch überformte Zynismus nicht eher verdeckt als entblößt? Die Aktion ist in ihrer krassen Erscheinungsform so widerlich und abstoßend, dass viele Menschen sich eher vor dem Politischen weiter abwenden, statt sich mit der Thematik zu befassen. Niemand will, dass Tiger eingesperrt sind. Keine*r will einzelne Menschen auf einer Kandidatenliste bevorzugen und andere abweisen. Wer will dabei zusehen, wie sich Menschen opfern und gefressen werden? Theaterpublikum vielleicht?
Ich denke, die Aktion soll den Menschen zeigen, dass Politik und Medien symbolischen Aktivismus vortäuschen, doch ich werde ich das Gefühl nicht los, dass die Aktion selbst eine Vortäuschung von politischem Aktivismus ist. Die Realpolitik bleibt „leider“ nicht im Symbolischen, die Aktion aber ganz bestimmt.

Die rechtliche Grundlage ist Unrecht

Ich habe den Eindruck, auch die Macher*innen des Polit-Event-Designs sind von ihrer Inszenierung selbst nicht ganz überzeugt, denn sie ziehen in ihre Aktion dann doch noch eine Ebene ein, die ganz ohne Überhöhung auskommt und genau hier treffen sie auch das Niveau der sachlichen Auseinandersetzung: Die rechtliche Grundlage, die verhindert, dass Flüchtlinge mit einem normalen Linienflug nach Europa kommen können, ist der eigentliche Skandal aber der Zusammenhang mit dem EU-Türkei-Deal ist leider sehr konstruiert.

Paragraph-63-Auszug

Der Passus im deutschen „Aufenthaltsgesetz“ §63 ist die Umsetzung einer EU-Richtlinie, die Europa-weit die Flüchtlingsentrechtung in geltendes Recht verwandelt. Die Staaten verschieben mit dieser Richtlinie (2001/51/EU) die Verantwortung von den Regierungen auf die Fluggesellschaften. Faktisch wird die Einzelfallprüfung, ob es sich bei den Einreisenden um geschützte Flüchtlinge handelt oder eventuell doch um Menschen, die versuchen illegal einzureisen, auf die Fluggesellschaft abgewälzt. Wenn eine Fluggesellschaft eine Person nach Europa bringt, bei der sich später herausstellt, dass sie keinen Anspruch auf Asyl hatte (durch Ablehnung des Antrags), muss sie „die entstandenen Kosten tragen“. Die Fluggesellschaft muss für alles aufkommen – Unterkunft, Verwaltung, Gerichts und Reisekosten.
Mit der dargestellten Regelung im deutschen Aufenthaltsgesetz werden die Fluggesellschaften zusätzlich bestraft, in dem es ein „Zwangsgeld für die Beförderungsunternehmen“ vorsieht. Durchschnittlich ca. 2000 Euro müssen diese bezahlen, wenn der Asylantrag einer zuvor transportieren Person abgelehnt wird. In der Folge nehmen alle Fluggesellschaften keine Flüchtlinge mit an Board. Der Berliner Ratschlag für Demokratie hat zur Aufklärung über das Thema „Flugverbot für Flüchtlinge“ von studio adhoc ein Video produzieren lassen.

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Protest könnte auch Lösungen aufzeigen

Will die EU ein Verbund von Gesellschaften sein, die sich auf die ratifizierten Werte der Menschlichkeit gründet, die z.B. in der Flüchtlingskonvention festgehalten sind, dann muss die EU-Richtlinie überarbeitet werden. Wir alle brauchen eine praktische Regelung, damit Menschen sicher und direkt aus den Krisengebieten, oder aus unmittelbar angrenzenden Regionen, ausgeflogen werden können. Die Einreiseländer müssen in Eilverfahren vor dem Transport und Vorort die Beförderung der Menschen als Flüchtlingsbeförderung einstufen, so dass nicht länger den Fluggesellschaften das finanzielle Risiko aufgebürdet wird. Es geht tatsächlich nur um einen Stempel im Pass, der den Flüchtenden den Weg eröffnen würde.
Die Kosten, die Flüchtende derzeit aufbringen müssen und das Risiko, dem sie sich aussetzen müssen, um sich in Sicherheit zu bringen, stehen in keinem Verhältnis zu den Kosten, die eine menschenwürdige Lösung verursachen würde. Außerdem kann mit einer Neuregelung dem illegalen Geschäft der Schlepperorganisationen endlich nachhaltig etwas entgegengesetzt werden. Dem Geschäftsmodell wäre der Boden entzogen und den Menschen auf der Flucht blieben viele zusätzliche Traumata und Verluste erspart.

Zugegeben: Dieser eher juristisch begründete Protest macht lange nicht so viel Wirbel, wie vier Tiger in einem Käfig in Berlin Mitte, denen Flüchtlinge zum Fraß vorgeworfen werden sollen. Allerdings bezweifle ich stark, dass der Wind, der hier gesät wird, eine tragfähige Lösung zum Fliegen bringt. Ich hoffe nur es verunsachlicht den Diskurs nicht noch unnötig, indem es den Bundespräsidenten in eine Lage zu bringen versucht, die diesem nicht zusteht. Die Politik braucht keinen Erlöser im Gauckschen Format, sondern die existierende Mehrheit in der Gesellschaft, die menschliche und faire Verfahren wünscht, muss erfahren mit welchen Tricks bei uns Recht verbogen wird, um Flüchtende zu entrechten.

Termine

6.6.-28.6.2016, täglich. Die Arena ist jeweils von 10h – 22h geöffnet und es gibt ein umfassendes Programm.
Es gibt mehrere Web-Cams über YouTube.
18.45 Uhr: Not und Spiele – Die Show (Arena)
19.30 Uhr: Zentrums-Salon: Intellektuelle, Politiker, Künstler und Journalisten im Gespräch zur Aktion (Garten Maxim Gorki Theater). Mehr auf www.gorki.de

 

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25. Mai 2016 17:25:42

… jenseits: Miriam Vlaming zeigt die Ausstellung „Eden“ in Leipzig

„Eden“ – ein Begriff, in dem der Ursprung der Welt (Genesis) und die unendliche Ewigkeit (Apokalypse) paradiesisch zusammenfallen. Er repräsentiert den Ort, wo alles herkommt und alles hingeht und die Kunstgeschichte ist voll von Interpretationen dieses Gedankenbildes. Miriam Vlaming zeigt in vielen Bildern Bezüge zu berühmten Werken etwa von Lucas Cranach d. Älteren mit „Adam und Eva im Paradies“Hieronymus Bosch mit dem Tryptichon „Garten der Lüste“ oder Henry Rousseau mit „Der Traum“ und stellt sich damit selbst-bewusst in die Reihe dieser Meister-Künstler.

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Sie zieht das entrückte Sujet aber auch auf die Schlachtfelder des aktuellen irdischen Paradies’, an den Ort, der von den abrahamitischen Religionen als Wiege der Menschheit angesehen wird und im heutigen vorderen Orient verortet wird: Israel – Syrien – Persien. Diese „fruchtbarer Halbmond“ genannte Region erscheint aus heutiger Sicht alles andere als paradiesisch, sondern zeigt sich als Schauplatz erbitterter Glaubens- und Systemkriege, vor denen Millionen von Menschen fliehen, weil fanatischer Hass, Rassismus und Menschenverachtung ein friedliches Zusammenleben zwischen den Kulturen derzeit dort unmöglich machen. Der Frieden scheint nun im tendentiell ungläubigen Westen zu finden zu sein, wo allerdings trotz überbordendem Wohlstand eine großer Teil der Menschen mit Angst und Ablehnung auf die Ankommenden reagiert. Fremdheit, Selbstentfremdung und Fremdschämen treffen aufeinander.

Bei Miriam Vlaming kulminiert solcherlei menschliche Historie und moderne Geichzeitigkeit in überlagernden Schichtungen. Alltägliche Familienfotos und mythische Traumbilder fallen als phänotypische Geschichte zusammen auf die Leinwand. Sie fokussiert dabei auf Handlungsweisen, deren prozessuale Gesetzmäßigkeiten eine ewige Konstante in der Menschheitsgeschichte darstellen. In merkwürdig exotischen und doch vertrauten Ritualen sehen wir Menschen, die sich gemeinsam schmücken, verkleiden, baden, feiern oder auch mal ganz im Jetzt zusammen „chillaxen„.

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Sie verwischt das Merkmal Herkunft und macht dadurch eine Zuordnung der Dargestellten unmöglich: Sehen wir auf dem Bild mit dem Titel „Initiation“ Afrikaner beim traditionellen Stammestanz, eine besoffene Gruppe junger Männer beim Jungesellenabschied im Rheinland, eine extreme Gruppe des Ku-Klux-Can, oder eine gemischte Gruppe von Einheimischen und Geflüchteten bei einem Willkommensfest einer dörflichen katholischen Kirche? Man weiß es nicht – alles wäre möglich – vielleicht auch alles auf einmal, denn sie zeigen sich höchst komplex als einfache Menschen.

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Mit der Arbeit „Human Nature“, die aus zwölf Gesichtsstudien besteht, die unsere Menschlichkeit in unterschiedlichen Melanin-Dichten auffächert, wagt sich Miriam Vlaming auf das verminte Feld der Physiognomik. Doch reflektiert sich hier keine verquere Rassenlehre, die sich an Unterschiedlichkeiten festbeißt, sondern die tiefere gemeinsame Natur, wenn nicht gar gemeinschaftliche Spiritualität, tritt hervor.

Noch bis 20 Juni 2016 in der Galerie Dukan, Spinnereistraße 7, Halle 18.I in 04179 Leipzig

 

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Kunst | Malerei | Skulptur/Plastik

 

24. März 2016 12:33:48

….kühl: Roland Schimmelpfennigs erster Roman

Man sagt, es gebe außer historischen Krimis keine guten neuen Berlin-Romane. Hier ist einer: Roland Schimmelpfennigs „An einem klaren, eiskalten Januarmorgen zu Beginn des 21. Jahrhunderts“ – ein Blitzlichtroman, der für einen kurzen Moment eine Luke aufmacht, durch die wir das Gewusel der großen Stadt sehen, bevor sie wieder zugleitet. Dahinter gehen, schlendern, laufen, schießen, stolpern vorbei: ein Junge und ein Mädchen auf der Flucht aus Brandenburg, Agnieszka und Tomasz aus Polen, Jacky und Charly aus dem Späti, die zornige Nadine, die Väter, die Mütter, und und und, allesamt Getriebene und Festgezurrte gleichermaßen, denn die Gegenwart pulsiert, während die Vergangenheit eine Last ist, von der sich niemand befreien kann. Nur der Wolf aus dem Osten schnürt frei.

<br />Der Zufall regiert, nur der Wille hat ihm etwas entgegenzusetzen. So ergeben sich Geschichten, wie sich in Schimmelpfennigs Stücken immer Geschichten erst langsam zusammenfügen, aus Hingetupftem, aus Begegnungen, aus dem Zusammenspiel von Zufall und Notwendigkeit, the possibilities are endless, wie Onkel Lou singt, hier herrscht die Demokratie der Möglichkeiten, bedroht nur – Schimmelpfennig ist nicht naiv – von Egoismus, Gier und den sozialen Fliehkräften. Der angemessene Stil ist ein kühler impressionistischer Realismus des Partikularen, seine Begleitmusik ein untergründiges Vibrieren. Man muss Geduld haben mit diesem Schreiben, es ist nicht hektisch, es gleitet, es liest Dinge auf unterwegs, es verharrt – nichts ist endgültig, panta rhei, jemand macht kurz das Licht an, wir werfen einen Blick, machen uns ein Bild, dann wird es erneut dunkel.

<br />Von Roland Schimmelpfennig waren in Berlin seit der Uraufführung von „Vor langer Zeit im Mai“ im Jahr 2000 an der Schaubühne zahlreiche Stücke zu sehen, zur Zeit hat das Deutsche Theater noch „Wintersonnenwende“ und „Idomeneus“ im Repertoire. (Foto: Heike Steinweg)

 

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Alltägliches

 

23. Februar 2016 12:57:14

…immer noch da: Peter Handke

„Alles schon gesagt, bloß noch nicht von allen“, eine alte Weisheit, die man müde und ernüchtert aus vielen Elternabenden mitnimmt und die sicher auch gelten wird, so sollte man meinen, für ein spätes Bändchen über die Gruppe 47, und eigentlich auch bloß über eine der zwanzig Tagungen zwischen 1947 und 1967, die berühmteste allerdings, vor 50 Jahren, 1966 in den USA: Jörg Magenaus „Princeton 66 – Die abenteuerliche Reise der Gruppe 47“ (Klett-Cotta, 223 S., €19,95). Von wegen, das Buch ist exzellent, weil Magenau das Fragliche perfekt auf den Punkt bringt, weil alle – auch und vor allen die Könige – ihr Fett wegkriegen, und weil es einen wundervoll feinen ironischen Ton hat.

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Berühmt wurde die Tagung ja nicht, weil sie das einzige „Auswärtsspiel der deutschsprachigen Literatur“ blieb, sondern weil am abschließenden Sonntag dieser schüchterne Österreicher mit der „schmächtigen Statur eines Kleiderbügels“, Peter Handke, der zuvor schon aus seinem ersten Roman „Die Hornissen“ gelesen hatte, dieser Vierundzwanzigjährige, der die Alten bislang etwas enttäuscht hatte, weil man sich dieses neue kulturelle Ding, über das alle redeten und das er doch verkörperte, wie man gehört hatte, diesen „Pop“, etwas anders vorgestellt hatte, aufrührerischer, markanter, lebendiger, weil dieser Handke also am Sonntag nochmal aufstand und der Gruppe und gleich der ganzen deutschen Literatur schnell und zack die Leviten las: „Ich bemerke, dass in der gegenwärtigen deutschen Prosa eine Art Beschreibungsimpotenz vorherrscht“ – ein unglücklich gewählter Begriff, wenn man seine analytische Seite nimmt, denn Handke meinte eigentlich das Gegenteil: nicht dass keiner mehr beschreiben könne, sondern dass alle nur noch beschrieben! Perfekt gewählt allerdings dann doch, denn der schreibenden Elite (außer Böll, Walser und Koeppen waren alle da) mit dem Vorwurf der, räusper, Impotenz zu kommen, holla! – „Man sucht sein Heil in einer bloßen Beschreibung, was von Natur aus schon das Billigste ist, womit man überhaupt nur Literatur machen kann. Wenn man nichts mehr weiß, dann kann man immer noch Einzelheiten beschreiben.“ Und dann: „Es ist eine ganz, ganz unschöpferische Periode in der deutschen Literatur doch hier angebrochen.“ Vorne erstarrten Grass, Enzensberger, Weiss, Johnson, Lettau, Handkes späterer Erzfeind Reich-Ranicki, Jens, und wie sie alle hießen.

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Was wollte der Schnösel eigentlich? Das sollte sich anderthalb Monate später in Frankfurt zeigen, als sein neues Stück „Publikumsbeschimpfung“ am 8. Juni im Theater am Turm Premiere hatte. Regie: Claus Peymann [hier eine Fernsehaufzeichnung der Inszenierung]. Da lag es dann auf der Hand: Er wollte eine „Hinwendung zur Sprache und ihren Bedingungen“, wollte „Ideologiekritik betreiben, lange bevor dies … zur Großdisziplin werden würde“, denn wie Handke selber gleich in der Zeitschrift konkret dazu schrieb, „Es wird vernachlässigt, wie sehr die Sprache manipulierbar ist, für alle gesellschaftlichen und individuellen Zwecke“.
Fünfzig Jahre später ist er immer noch da, Peter Handke, sein neuestes Stück „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“ hat am Samstag im Wiener Burgtheater Premiere; Regie: wieder Claus Peymann.
Und derzeit kann sich, wer will, an den Berliner Theatern sein eigenes Handke-Festival zusammenstellen: „Kaspar“, sein Spiel über die Zurichtung des Menschen per Sprache, hat das Berliner Ensemble im Repertoire, sein später Geniestreich „Immer noch Sturm“ ist immer mal wieder auf der Hinterbühne der Kammerspiele des Deutschen Theaters zu sehen, „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“ dann als Gastspiel im Mai am Berliner Ensemble. (Im Spielzeitheft 2015/16 des DT ist für den 24. März die Premiere einer Inszenierung der „Publikumsbeschimpfung“ in der Regie von Jette Steckel verzeichnet – auf der Homepage nicht mehr. Schade.)
Und vorher natürlich unbedingt Jörg Magenaus exzellentes Buch lesen!

 

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Alltägliches

 

19. November 2015 14:37:06

… relativ: ”Transcendence“ im English Theatre Berlin über Albert Einstein, Max Planck und darüber wie der Nobel Preis verhandelt wird

Erschreckend wie viele gesellschaftliche Aspekte in den 1920er Jahren den heutigen Verhältnissen ähnlich sind: Die Zeiten scheinen im Umbruch zu sein, verlässliche Systeme brechen zusammen, die Finanzmärkte spielen verrückt, der Nationalismus erscheint vielen als Lösung der globalen Probleme. Dazwischen sind einige Forscher/innen, die in großen Schritten den technologischen Fortschritt begehen – heute spricht man vom Einsatz „disruptiver Technologien“. Erschreckend ist dieser Befund deshalb, weil wir wissen, dass nach der Zeit des Experimentierens im letzten Jahrhundert der europäische Faschismus die Oberhand gewann und die Nazis sich mit ihrer Schreckensherrschaft über alle andern erhoben.

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Albert Einstein 1921Mit der Uraufführung „Transcendence“ im English Theatre Berlin bringt der Autor Robert Marc Friedman diese Zeit des Umbruchs mit vielen kurzen Szenen auf die Bühne. Albert Einstein arbeitet an seiner Allgemeinen Relativitätstheorie, Max Planck an der Quantentheorie und damit entsteht eine völlig neue Art des Denkens, die die Welt in den Grundwerten verändert erscheinen lässt. Das mathematisch-philosophische Spekulieren und Theoretisieren wird wissenschaftlich und löst das dagegen banal wirkende Messen und Überprüfen ab. Parallel explodiert das ästhetische Empfinden, was besonders in der Entstehung der „Neuen Musik“ ihren Widerhall findet. Autoren wie Franz Kafka gehen den Schritt vom Fabelhaften zum Psychodelischen, und Sigmund Freud fügt der Menschheit die dritte große Kränkung zu (nach 1. Kopernikus: Die Erde ist nicht der Mittelpunkt der Schöpfung – 2. Charles Darwin: Der Mensch ist nur ein weiterentwickelter Affe) nämlich in „Das Ich und das Es“, dass der Mensch noch nicht einmal Herr des eigenen Willens ist.

Gesucht wird also die Leitlinie, an der sich die Welt und jede/r Einzelne entlanghangeln könnte. Hilft der Rückgriff auf Kant noch? Was bedeutet relativ meine eigene Verantwortung? Gibt es eine gültige Ethik? Wer soll darüber verhandeln und wie soll man sich entscheiden, wenn man vor die Wahl gestellt wird: Mach mit und gestalte die Welt oder privatisiere als Gutmensch. Stellt man sich derzeit nicht genau diese Fragen wieder?

Im Stück werden solche Entscheidungsprozesse im Fokus der Vergabe des Nobel Preises verhandelt: Politische und strategische Interessen kämpfen im Nobel Komitee gegeneinander. Auch das kommt einem auch aus heutiger Sicht sehr bekannt vor, wenn man an die Vergabe des Friedens-Nobel-Preis für Obama und die EU denkt. Wer hatte da wohl mit welchem Interesse die Finger im Spiel? Und wie „neutral“ sind die Schweden da mit der Vergabepraxis?

Premiere von „Transcendence“: Freitag, 20. November 2015 im English Theatre Berlin (Sprache: englisch!)

Kleine Anmerkung: Günther Grosser, der auch Autor in diesem Blog ist, ist der Regisseur der Inszenierung. Ich bin bei der Produktion im Designteam beteiligt – alle Videoprojektionen und die Musikauswahl sind von mir.

 

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4. Oktober 2015 09:56:57

…. immer noch!! : 50 Jahre „Satisfaction“

Anfang Mai 1965 hatte der 21jährige Musiker Keith Richards, Gitarrist bei der englischen Rhythm and Blues-Kapelle The Rolling Stones, während der zweiten Amerikatournee des Quintetts die Idee zu einem neuen Song, dessen einleitende Akkorde und die erste Textzeile er am nächsten Tag seinem Bandkollegen Mick Jagger vorspielte. Jagger schrieb den Song zu Ende, ein paar Tage später nahm man eine akustische Version in Chicago auf, die endgültige mit elektrisch verstärkter Gitarre dann am 12. Mai in Los Angeles. Die Plattenfirma warf den Song noch im selben Monat als Single auf den Markt, ohne dass man Richards oder Jagger dazu gefragt hätte. Das Lied wurde zum Hit, zur Hymne, zur musikalischen Ikone.

<br />The Rolling Stones 1965 in Oslo

The Rolling Stones 1965

Es war kohlschwarz: Eine rasiermesserscharfe Gitarre wiederholt ein simples Riff wieder und wieder, das Schlagzeug fällt ein und pumpt zusammen mit dem Bass den Rhythmus, bis der Sänger schließlich ohne um den heißen Brei herumzureden mit der Tür ins Haus fällt: „I can´t get no Satisfaction“. Das war eindeutig nicht mehr die musikalische Welt von Doris Day und auch nicht von Frank Sinatra, das war dieses rhythmusorientierte Zeugs aus den Schwarzenvierteln, das seit ein paar Jahren Furore machte. Die amerikanischen Plattenbosse und die Radioleute mochten es, wenn weiße Jungs schwarze Musik machten – das hielt die Schwarzen auf Distanz und füllte trotzdem mit ihrer Musik die Kassen. Elvis hatte es vorbildlich gemacht, Buddy Holly, Bill Haley, dann die englischen Jungs, die Beatles, die Kinks gerade mit „You Really Got Me“ und jetzt eben diese Rolling Stones. Der Civil Rights Act war erst ein paar Monate alt und heftig umstritten, Martin Luther King hatte einen Traum, klar, und in Selma, Alabama marschierten sie seit März diesen Jahres für ihr Wahlrecht, aber noch passten schwarze Hautfarbe und grüne Dollars nicht zusammen – allerdings ließ sich schwarze Musik sehr gut verkaufen, dieses frivole Gemisch aus Rhythmus, elektrisch verstärkten Instrumenten und doppeldeutigen Texten, das die Körper derer, die seit einiger Zeit Teenager hießen und einen sehr interessanten neuen Markt bildeten, in Schwung brachte, und so setzte man auf den Rhythm and Blues der weißen Jungs.
Der Song kletterte einen Monat nach seiner Veröffentlichung auf die Nummer 1 der US-amerikanischen Hitparaden, kurz darauf auch in England. In Deutschland dauerte es bis zum 15. Oktober, bis die Rolling Stones den knuddeligen italienischen Trompeter Nini Rosso mit „Il Silenzio“, seiner schwülstigen Version des Zapfenstreichs, von der Spitze der Hitparade verdrängten. Dort hielten sie sich sechs Wochen, bis sie dem ersten erfolgreichen Versuch weichen mussten, die neue sogenannte Beatmusik und den guten alten Schlager zu verbinden: Drafi Deutscher und seinem (grammatikalisch wackligen) „Marmor, Stein und Eisen bricht“.

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Alltägliches

 

6. Juli 2015 22:29:20

… zum Einschlafen: Montiverdis »Orfeo« von Sasha Waltz

Ich wollte ja eigentlich keine schlechte Kritiken mehr schreiben, weil irgendwie immer Beziehungen damit gefährdet werden. Aber in diesem Fall bin ich so enttäuscht, dass ich andere warnen möchte.

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Foto: Monika Ritterhaus

Wer nichts dafür kann:
Das Freiburger Barockkonsor ist ein sehr authentisch klingendes Orchester, das meisterhaft auf historischen Instrumenten spielt. Wenn man schon hermetische und geradezu banal unterkomplexe Barockmusik mit der harmonischen Raffinesse von öden Weihnachtsliedern hören möchte, dann am besten so.
Den Sängern ist nichts vorzuwerfen und die arabesken Koloraturen des Orfeo (Georg Nigl) ließen einen kurzzeitig mal aufwachen.
Der Plot des Stücks ist so zäh wie er halt ist – über Stunden gibt es nur eine minimale Handlung: Orfeo verliebt sich in Euridice und diese wird alsbald von einer Schlange gebissen, woran sie stirbt. Orfeo will ihr in die Unterwelt folgen, singt den Wächter in den Schlaf, geht ins Totenreich, bekommt sie aber nicht zu sehen. Er sieht ein, dass es eine schlechte Idee war, geht wieder zu den Lebenden und lässt sich preisen. Also typischer Opern-Quatsch auf Kindergarten-Niveau – wär ja nicht schlimm, wenn die Inszenierung was draus machen würde.

Was wirklich schlimm ist:
Sasha Waltz fällt nichts mehr ein und sie wagt nichts mehr. Wer ihre Stücke kennt, braucht dieses nicht anzusehen, denn man hat alles schon früher besser gesehen. Die Art der Bewegungen, die Kostüme, das Spiel mit den Zweigen, die Wasserpfützen … es ist halt Sasha-Waltz-like – nur auf Sparflamme.
Der Tanz bleibt die ganze Zeit nur Illustration einer total langweiligen Story. Wenn Euridice Blumen pflückt, werden ihr Blumen gereicht, wenn sie von einer Schlange gebissen wird, bewegen sich einige schlangenartig. Wäre die Musik wenigstens metaphorisch oder anstrengend oder irgendwie anspruchsvoll, dann würde man die banale, bestenfalls kitschige, Interpretation ja noch akzeptieren, aber es gibt einfach keine Kraft und Kontraste in dieser Inszenierung.
Nur einmal nach der Pause gibt es eine Szene, die nicht völlig einschläfernd ist: Es wird getanzt ohne Musik. Wenigstens einmal – ein Einfall, doch auch diese Szene bleibt beliebig und geht einfach wieder über ins gleiche ermüdende Allerlei wie zuvor und danach.
Das Drolligste ist das Finale: Mehr oder weniger unbewegliche Musiker versuchen zwischen den umher hüpfenden Tänzern und Sängern ein bisschen lauter aufzuspielen. Leider verliert dadurch das Spiel auch noch die Konzentriertheit und es verkommt zur blöden Hopserei, die versucht ein Finale zu simulieren.

Sasha Waltz hat sich mit ihrem Orfeo zu einer Helene Fischer des Tanztheaters entwickelt. Nett und vollkommen langweilig. Inhaltslos und gefeiert von einem bräsigen Publikum, das sich in einer anspruchslosen Schönheit ergötzt.
Helene Fischer wäre übrigens parallel bei ihrem Konzert im Olympia Stadion fast vom Blitz erschlagen worden. Donnerwetter!

Das einzige was überraschend war:
Der Chor der Tänzer/innen. Es ist ungemein erfrischend mal Stimmen zu hören, die nicht total geglättet in möglichst reinen Intervallen barockes Heißa von sich geben. Plötzlich bekommt das ganze Kraft und Authentizität, die man ansonsten in allem vermisst.

Wirklich sehr schade das alles.
Aber zum Glück kann man in dieser Spielzeit auch nicht mehr hingehen.

Gesehen:
ORFEO – Favola in Musica in einem Prolog und fünf Akten von Claudio Monteverdi
Libretto von Alessandro Striggio, eine Choreographie von Sasha Waltz,
in der Staatsoper im Schiller Theater

 

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Musik | Oper | Tanz

 
 
 

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