
Wie kommt es, dass in deutschen Talkshows in den öffentlich rechtlichen Kanälen plötzlich ganz neue Alternativverhaltensweisen ergriffen werden?
Beckmann schweigt mit Loriot, und nach Frau Hermans halb-unfreiwilligem Abgang bei Kerner, ging gestern Joachim Bublath bei Sandra Maischberger ganz aus freien Stücken aus dem Studio, weil er bei der „öffentlichen Therapiestunde“ nicht länger mitmachen wollte. Es ging um UFOs, Engel und ähnliche parapsychologische Phänomene und dem Ex-Physiker Bublath fiel die Rolle des vernunftorientierten Wissenschaftlers zu. Diese vertrat er auch eine Weile mit recht eisernem Willen gegenüber der Mehrheit der Bestrahlten um ihn herum. Nina Hagen wollte unbedingt einen möglichst großen Abstand zwischen sich und Herrn Bublath bringen, weil sie dessen negative Strahlung nicht aushalten könne und beschimpfte ihn im unnachahmlichen mimikintensiven Hagen-Stil. Inhaltlich an seiner Seite übernahm Sandra Maischberger eine für eine Moderatorin recht ungewöhnlich eindeutige Haltung ein, was sie aber natürlich nicht daran hinderte, einigermaßen emphatisch bei den (Leicht-)Gläubigen nachzufragen. Als Sabrina Fox von ihren bücherfüllenden Engelerfahrungen und Gotteserlebnissen erzählte, wurde es Herrn Bublath zu viel und er verließ die Versammlung der Wirrtätigen.
Doch das war nicht besonders klug von ihm. Sabrina Fox machte es viel geschickter. Sie gab Wellness-betonte Akzeptanz-Floskeln von sich:Soll doch jeder glauben, woran er möchte, seine Meinungen und Vorstellungen aussprechen und die anderen sollen dies als seine Wahrheit akzeptieren.
Das klingt gut, verlockend mitfühlend, doch es hat ein gefährliches Moment. Herr Bublath hätte nicht einfach gehen dürfen, sondern er hätte sich für eine ethisch einwandfreie Haltung einsetzen müssen, die ein Mensch mit wissenschaftlich geprägtem Weltbild immer vertreten sollte.
Es ist nämlich ethisch nicht vertretbar, die Akzeptanz gegenüber jedem Glauben, dessen Lehren und Gesetzen als obersten Verhaltenskodex zu propagieren. Wenn wir eine allgemeingültige Ethik auf den Inhalten von „heiligen Büchern“ (seien sie von den großen Glaubensgemeinschaften oder von kleineren Gruppierungen) aufbauen, sind Ungerechtigkeiten und Konflikte zwischen Menschen und zwischen Menschen und deren Umwelt unvermeidlich. Dazu möchte ich aus dem Vorwort eines wirklich erhellenden Buches zitieren. Michael Schmidt-Salomon schreibt in „Manifest des evolutionären Humanismus“ folgendes:
„Angesichts der Gefahren, die aus der Renaissance unaufgeklärten Denkens in einem technologisch hoch entwickelten Zeitalter erwachsen, ist es eine Pflicht der intellektuellen Redlichkeit, Klartext zu sprechen – gerade auch in Bezug auf Religion. Fest steht: Wer heute ein logisch konsistentes (=widerspruchsfreies), mit empirischen Erkenntnissen übereinstimmendes (=unserem systematischen Erfahrungswissen entsprechendes) und auch ethisch tragfähiges Menschen- und Weltbild entwickeln möchte, muss notwendigerweise auf die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung zurückgreifen. Die traditionellen [oder esotherischen] Religionen, die bislang das menschliche Selbstverständnis prägten, können diese Aufgabe nicht mehr erfüllen. Sie sind nicht nur hinreichend theoretisch widerlegt, sie haben sich auch in der Praxis als schlechte Ratgeber für die Menschheit erwiesen, wie nicht zuletzt der islamische Fundamentalismus oder die ‚Kriminalgeschichte‘ des Christentums belegen.“
Es ist nämlich ein wirklich bedrückendes Problem der Gegenwart, dass die mehr oder weniger fundamentalistischen Vertreter jeder Couluer (siehe Sabrina Fox) in aller Selbstverständlichkeit die Früchte der Aufklärung (Meinungsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit, Wissenschaft, Technologie) für sich in Anspruch nehmen und bedienen, um auf diese Weise ihren antiaufklärerischen Glauben zu verbreiten und dies im schlimmsten Fall (siehe George W. Bush) sogar mit militärischen Mitteln. Einer wie der amtierende amerikanische Präsident ist der Herr über eine technologische Macht, die nie hätte entwickelt werden können, wenn sich alle mit dem naiven Kinderglauben des Herrn Bush zufrieden gegeben hätten.
So was in der Art hätte Herr Bublath sagen sollen, statt einfach zu gehen!
Das zitierte Buch sollte übrigens zur Pflichtlektüre für jeden Entscheidungsträger dieser Welt gehören. Man sollte es jedem Politiker zuschicken und das Thema in der Schule mindestens ebenso prominent durchnehmen wie die deutschen Romantik.
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