
Warum reden die Raumfahrtbefürworter unserer Tage plötzlich immer von der imensen Kulturleistung, die mit der Exploration des Alls verbunden wäre? Ganz besonders die bemannte Raumfahrt gilt neuerdings als enorme kulturelle Errungenschaft.
Ich kann mir nicht helfen, es klingt für mich wie die einzige übrig gebliebene Erklärung, die den aufgeklärten Abendländern noch bleibt, wenn sie etwas vollkommen Unsinniges und Verschwenderisches für sich selbst begreiflich machen möchten. Wenn es also unglaublich teuer und annähernd nutzlos ist, dann muss es Kunst sein. Es kann sich nur um eine Kulturleistung handeln, wenn der Mensch sich über seine natürlichen Grenzen erhebt, wenn er seinen Geist auf außerirdische Spielplätze führt und unglaubliche Mittel aufbringt, um enthobene Ideen mit technischen Umsetzungen zu verbinden. Es ist das letzte, unendliche Feld, in dem waaghalsige Visionen, einfach nur wegen ihrer absurden Verstiegenheit reizvoll erscheinen.
Doch die Schlussfolgerung, dass die Verbindung von technischer Herausforderung mit monetärer Verschwendung zwingend …als Kulturleistung zu verstehen ist, ist ein Kurzschluss. Dass es so einfach nicht ist, ist den Raumfahrtbefürwortern, die auf der Kulturschiene argumentieren auch klar. Sie haben sich einen ganzen Baukasten zurecht gelegt, mit dessen Hilfe sie scheinbar schlüssige Argumentationskonstrukte bauen.
Unter dem Titel „Die Zukunft der Raumfahrt – ihr Nutzen und ihr Wert“ publizieren einige Referenten einer Fachtagung ihre Vorträge. Die Texte zeigen sehr klar, wie die neuen Argumentationslinen verlaufen.
Darunter der Text von Carl Friedrich Gethmann „Bemannte Raumfahrt als Kulturaufgabe*“ (Seite 7 – 22 im PDF). Er schreibt, dass man außerhalb der Bundesrepublik die rein „utilitäre“ Sichtweise (Kosten/Nutzen-Perspektive) auf die bemannte Raumfahrt nicht teile, und dass z.B. in den USA, in Russland, Frankreich etc. die „nicht-utilitären Zwecke“ zur positiven Argumentation Gehör fänden. Er argumentiert, dass es „eine der Aufgaben der Philosophie“ sei (Philosophie ist dabei anscheinend ganz utilitär zu betrachten), „derartige verborgene Prämissen und Präsuppositionen aufzudecken“, um daraus schön griffige Argumente für die Weiterführung der Raumfahrt abzuleiten. Diese ließen sich dann kulturell begründet kommunizieren, was die ganze Unternehmung weniger angreifbar mache.
Der deutsche vorzeige Astronaut Thomas Reiter sagte in einem Zeit-Interview „Bemannte Raumfahrt ist ein Gütesiegel für die industriellen Fähigkeiten eines Landes, ein Beweis, dass man mit bestimmten Hochtechnologien umgehen kann.“
Leider lassen sich nationale und internationale Geldgeber von derlei Geraune wirklich leiten, doch wenn man sieht, wie lange die Europäer brauchen, um das viel vordringlichere, alternative Satelitennavigationssystem „Galileo“ zum amerikanischen GPS zu installieren, dann kann doch niemand ernsthaft behaupten, dass die bemannte Raumfahrt Ruhm bringt, wo man mit wirklich praktischen All-basierten Lösungen, die ganz ohne Menschen im Weltall funktionieren, immer knapp an der Blamage vorbeischrammt. Zu erwartender „Ruhm“ als Selbstzweck, ist an Dummheit ohnehin kaum zu übertreffen. Interessanterweise erkennen die fortschrittlichen Denker unter den Raumfahrtbefürwortern dies auch selbst. Der oben zitierte Gethmann schreibt in seinem bereits erwähnten Aufsatz zum Thema „Demonstration der Überlegenheit eines Gesellschaftssystems“: „Da hier der Klassenstandpunkt ausdrücklich zum Programm gehört, ist es offenkundig, dass diese Zwecksetzung potentiell konflikterzeugend und daher ethisch zu verwerfen ist.“ Was Herr Reiter also wirklich denkt, wird ihm von den Kulturbeauftragten der Pro-Raumfahrtbewegung verboten.
Die Kultur-Argumentierer sehen eine Chance zum Punkten beim Widerspruch gegen das, aus ihrer Sicht nicht sinnvolle aber weitverbreitete, „Ethos der Selbstbescheidung des Menschen“, das von den Raumfahrtgegnern vorgebracht wird. Diese sagen, dass der Platz des Menschen eben die Erde sei und nicht der zutiefst menschenfeindliche Weltraum. Wichtiger als die Ausweitung der technischen Möglichkeiten über die Erde hinaus, wäre der verantwortungsvolle Umgang mit unserem Heimatplaneten, zu dem wir uns als Teil seiner Natur verbunden fühlen sollten. Die Raumfahrtbefürworter entgegnen (von zahlreichen anthropologischen Philosophen des 20. Jahrhunderts attestiert), dass der Mensch das am allerwenigsten an die Natur angepasste Wesen der Erde ist, und dass er nur wegen seiner kulturellen Leistungen überhaupt den Überlebenskampf gegen die Natur inzwischen als selbstverständlich hinter sich gelassen hätte. Insofern gäbe es auch kein Argument, die Grenze der irdischen Atmosphäre als natürliche Barriere zu akzeptieren. Wenn wir also auf der Erde schon nur mit Hilfe der Wissenschaft, Technik und Kultur überleben können, dann sollten wir auch versuchen, außerhalb dieses Planeten auf der gleichen Grundlage zu überleben. Das nennt man dann „Ethos der Transzendenz“. Na wenn das kein Argument ist?
Als ich beim Frühstück mit Steffi darüber sprach, sagte sie, es ist doch ganz einfach: „Unsere Weltordnung ist auf Verbrauchen ausgerichtet. Was könnte ein besserer Verbraucher sein als die Raumfahrt?“ Auch das ist eine kulturelle Sichtweise, die allerdings den Fokus auf etwas anderes legt. Alle großen Industrien brauchen Abnehmer und Verbraucher. Auch das abstrakte Gut Geld muss verbraucht werden, damit der Kapitalismus funktionieren kann. Es ist nicht zynisch, wenn man behauptet, dass dies in der bisherigen Weltgeschichte immer wieder durch den Krieg befördert wurde. Da das Kriegführen von uns Westlern aus „ethischen Gründen“ nur noch in der „dritten Welt“ geduldet und heimlich gefördert wird, braucht unsere Industrie (=Kulturindustrie?) einen anderen Kamin, in dem möglichst viel Geld und Leistung verfeuert werden kann. Das alles in den Weltraum zu blasen, ist doch eine grandiose Idee! Sie lässt sich nur so schlecht ethisch einwandfrei verkaufen. Aber das ist ja die Aufgabe der instrumentalisierten Philosophie (auch genannt Trendforschung).
Dass die Verschwendung allerdings die größte kulturelle Exportleistung des westlichen Lebensstils ist, ist auch klar. Nichts ist attraktiver für den Rest der Welt, als auch endlich im Überfluss verbrassen zu können. An diesem Punkt kommen die beiden Erklärungsmuster der kapitalistischen Notwendigkeit und der kulturellen Leistung dann auch endlich harmonisch zusammen.
Interessant zu Fragen der Raumfahrt-Gläubigkeit ist ein Gespräch bei 3sat-Kulturzeit mit dem Berliner Kulturwissenschaftler Thomas Macho.