
Auf dem rauchfreien Konzert, im Postbahnhof am Ostbahnhof, vergangenen Donnerstag gab es echte Musik mit echten Menschen und echt langen Stücken, echt laut und manchmal auch ziemlich leise. Selten habe ich einen Menschen so sensibel sein Mikrofon anbrüllen sehen. Kindliche Rebellion erfüllte den ganzen Raum, ging durch Auge und Ohren mitten ins Herz. Am Ende des Konzertes wollte man, fast etwas aufgeregt, das Heft selbst in die Hand nehmen; raus gehen und Rebell sein. John Cale hat es geschafft, jung geblieben alt geworden. Mit 66 Jahren Erfahrung ist er kein bisschen, … was weiß ich. Was man halt erwartet, wenn jemand nochmal und nochmal die Bühne besteigt: Das reine Elend oder Nostalgie. Aber hier? Ein bisschen melancholische Erinnerung. Wer wird nicht wehmütig bei Namen wie: Lou Reed, Velvet Underground und Andy Warhol, Patti Smith, John Cage, Brian Eno. Sie alle verbindet John Cale. Überall hat er seine Spuren hinterlassen. Aber das Konzert hier war reine Gegenwart. Da überkam den Besucher das Gefühl, dass es sich auch heute gar nicht anders leben ließe, als freundlich rebellisch. So anregend und virtuos die kräftigen Stücke waren, so gern gutierte man die leisen Töne: Die Songs, die die scheinbar banalsten Erfahrungen und Wahrnehmungen mit gleichsam scheinbar banalen Mitteln interpretierten, so dass sie zu den schönsten und tiefsinnigsten Stücken wurden, selbst wenn es nur um die Mittagssonne auf der Haut ging oder um eine Wolke. Darüberhinaus kenne ich niemanden, der so würdevolle, großartige Abschiedslieder schreiben, singen und brüllen kann, wie Cale. Dennoch, das großartigste ist meiner Ansicht nach, dass er in keine Schublade passt. Dass er ein wenig unpraktisch ist und dabei so schöne Musik macht.
Kommen wir zu den Äußerlichkeiten. Durfte man auf dem Konzert keinerlei Fotos machen, so lässt es sich doch beschreiben: Die Falten im Hemd zeugten davon, dass John Cale nicht besonders gut Koffer packen kann. Die 5 bis 7 auf der Krawatte verstreuten Pantoffeltierchen hatten genausoviel Spaß überm Keyboard, wie das Publikum vor der Bühne. Sie machten jeden Richtungswechsel, jede Bewegung flexibel mit, tanzten auch mal gekonnt aus der Reihe und kamen gelegentlich mittig zur Ruhe. Die dezent angepunkte Frisur erinnerte kaum an Zeiten, in denen Cale mit eher englischer Pop-Haarpracht glänzte, während andere Bier als Haarfestiger für sich entdeckten. Die Frisur war ein bißchen wie in ..little Nemo in Slumberland.. auf dem letzten Bild jeder Geschichte. Und mit dieser Frisur singt er um sein Leben. Und ich bekomme das Gefühl, er singt auch um mein Leben …oder um dein Leben. Es tat gut, mal wieder Musik von einem Menschen zu hören, der ist, was er singt. Der ..schamlos.. und gleichzeitig so professionell mit Themen und Stilen jongliert und direkt umsetzt, was ihm passt. Diese Unmittelbarkeit hat einen frechen Zauber, mit dem uns Cale hoffentlich noch ein paar Jahre beehrt.
25-Feb Hamburg Fabrik www.fabrik.de
26-Feb Stuttgart Rurhe www.roehre-konzerte.de
28-Feb Frankfurt Batschapp www.batschkapp.de