Klimaanpassung lässt sich schwer bebildern. Was zeigt ein Foto, wenn sich ein Dorf an den Klimawandel anpasst? Eine neue Regenrinne? Ein leerer Platz, der früher bebaut war? Eine ältere Frau mit Gartenschlauch, eine junge mit Wärmepumpe? Die Ausstellung Ästhetik der Anpassung in der Heinrich-Böll-Stiftung versammelt fotografische Blicke auf zwölf solcher Projekte in ganz Deutschland – und stellt dabei unbeabsichtigt eine komplexe Frage: Was sehen wir, wenn wir „Anpassung“ sehen? Und: Wessen Blick sehen wir dabei?
Die eingeladenen Fotograf*innen – allesamt Studierende an der Ostkreuzschule für Fotografie – haben nicht nur dokumentiert, was dort geschieht. Sie zeigen uns, wie sie auf diese Realität blicken. Mal liegt der Fokus auf den Menschen, die sich in der veränderten Umgebung zurechtfinden. Mal sehen wir die bauliche Maßnahme selbst. Mal blicken wir auf etwas, das gar nicht mehr da ist – weil Anpassung auch bedeuten kann, sich zurückzunehmen, Raum frei zu machen, nicht einzugreifen. So wird die Ausstellung zu einem Kaleidoskop des Sehens: Jeder Bildessay ein anderer Zugang zur Frage, wie sich ein fotografischer Blick mit dem Thema Klimaanpassung verbinden lässt – oder eben auch reibt.
Stadtwald Lübeck – Waldumbau als ästhetische Zurückhaltung
Wie sieht ein Wald aus, der nicht mehr genutzt, sondern nur noch entwickelt wird? Der Stadtwald Lübeck gilt europaweit als Modell für eine naturnahe, klimaresiliente Waldbewirtschaftung. Bereits seit den 1990er Jahren werden dort standortgerechte, vielfältige Mischwälder aufgebaut – mit Blick auf Artenvielfalt, Bodenqualität und Langfristigkeit. Dabei geht es nicht um radikale Wildnis, sondern um eine neue Form der Forstwirtschaft, die den Wald als lebendiges System versteht, das Unterstützung braucht – aber keine Kontrolle.


Die Fotografien aus Lübeck zeigen genau diese Gratwanderung: Das Sichtbare ist oft unspektakulär – ein Weg, ein Baumstumpf, ein Blick ins Dickicht. Kein plakativer Umbau, keine Maschinen im Einsatz, keine Umzäunung der Veränderung. Die Bilder fragen eher leise: Was passiert mit einem Raum, wenn man ihn nicht mehr als Ressource, sondern als Beziehung versteht?
Hier wird Anpassung nicht durch sichtbare Eingriffe markiert, sondern durch ein zurückgenommenes Handeln – oder besser: durch ein achtsames Nichthandeln. Die Fotograf*in beobachtet eine Ästhetik des Übergangs, in der die frühere forstliche Ordnung noch spürbar ist, sich aber allmählich auflöst. So wird der Wald selbst zum Bildträger eines kulturellen Wandels: vom Besitzstand zur Prozessbegleitung, vom Rohstofflager zum Partner im Wandel.
Stelzenhaus Rechtenfleth – Anpassung oder Abgrenzung?
Auf den ersten Blick ein Idyll: ein Ferienhaus an der Weser, hell, modern, gut gebaut. Doch wer genauer hinsieht – oder das Gelände kennt – erkennt die eigentliche Botschaft des Hauses: Es steht auf Stelzen. Nicht aus architektonischer Extravaganz, sondern aus Notwendigkeit. Die Region gilt als Überflutungsgebiet, und mit jeder neuen Sturmflut steigt das Risiko, dass der Fluss sich das Land zurückholt.


Die Sanierung des alten Hauses wurde zur Anpassungsaufgabe – und zur architektonischen Speziallösung. Es brauchte Fachwissen, Geld, Planung. Und so steht das neue Haus nun erhöht über dem Gelände, sichtbar vorbereitet auf eine Zukunft, die anderen Nachbarhäusern möglicherweise den Boden entziehen wird.
Die Fotografie zeigt das Haus nicht in heroischer Pose, sondern mit lakonischem Blick: rechts und links die flach gebauten Nachbarn, die das Wasser nicht halten werden. Es ist dieses Nebeneinander, das die Ästhetik der Anpassung plötzlich kippen lässt – ins Soziale, ins Politische. Wer kann sich wie vorbereiten? Wer wird geschützt? Wer bleibt zurück?
Im Bild steht das Haus nicht nur auf Stelzen, es hebt sich auch symbolisch ab. Und so stellt sich die Frage: Ist das noch Anpassung – oder schon Abgrenzung? Eine Ästhetik der Selbstrettung, sichtbar gemacht in architektonischer Überlegenheit?
Zwischen Konzept und Kontrolle – Wer eignet sich den Raum an?


Zwei Außenräume, zwei Haltungen zur Klimaanpassung: In der Berliner Rummelsburger Bucht wird Regenwasser nicht nur technisch verarbeitet, sondern gestalterisch integriert. Die offen geführten Rigolen, Mulden und Versickerungsflächen strukturieren das Viertel sichtbar. Wege, Grünflächen und Aufenthaltsorte richten sich nach dem Wasser – nicht umgekehrt. So entsteht ein Stadtraum, der Durchlässigkeit lebt. Das Klima wird nicht reguliert, sondern mitgedacht. Es bleibt Platz für das Ungeplante: Pflanzen, Bewegung, Aneignung. Die Fotografie fängt diese Offenheit ein – als Wechselspiel von Gestaltung und Wachstum.


Anders im Garten der Villa am Schlossberg in Merseburg. Auch hier ist Klimaanpassung Thema – Hitze soll gemildert, der Aufenthalt im Freien ermöglicht werden. Helle Beläge, Hochbeete, Schattenzonen. Für die Bewohner*innen des Pflegeheims bedeutet das: ein Ort, an dem sie sicher draußen sein können. Ein Fortschritt, ganz praktisch. Doch der Garten bleibt funktional. Er ist nicht belebt, sondern durchgeplant. Kein Ort, der wachsen oder wuchern darf. Kein Raum für Tiere, kaum ökologischer Wert. Es ist ein Grünraum, der entlastet – für Pflegende, für Bewohner*innen. Aber keiner, der mehr will als das.
In der Gegenüberstellung wird deutlich: Beide Orte passen sich an. Doch nur einer entwickelt daraus eine neue Qualität des Raums. Der andere hält die Veränderung auf das Notwendige beschränkt. Und auch das ist eine Aussage über unsere Zukunft.
Was sehen wir – und was sehen wir nicht?
Die Ausstellung Ästhetik der Anpassung zeigt Projekte – aber vor allem zeigt sie Blicke. Blicke von Fotograf*innen, die versuchen, in das Unspektakuläre vorzudringen, in das Alltägliche, in das, was sich ändert, ohne dass man es sofort sieht. Dabei wird klar: Die Ästhetik, um die es hier geht, ist keine Stilfrage. Es ist eine Frage der Haltung. Was wird betont, was bleibt unscharf? Was sehen wir – und was sehen wir nicht?
Im Blick der Fotografierenden entstehen unterschiedliche Narrative: Anpassung als Rückzug, als Gestaltung, als Vorsorge, als Distinktion, als gemeinschaftlicher Prozess. Und im Betrachten dieser Bilder können wir diese Blicke mitgehen, mitfühlen, mitbewerten. Klimaanpassung ist dabei nicht nur eine technische Reaktion auf ein Problem, sondern ein kultureller Ausdruck – und damit offen für ästhetische Deutung. So unterschiedlich wie die Orte, die Mittel, die Mittelmäßigkeit oder der Mut, so unterschiedlich ist auch das Bild, das wir uns davon machen können.
Vielleicht liegt die Stärke dieser Ausstellung gerade darin, dass sie keine Antwort gibt, was die Ästhetik der Anpassung ist. Aber sie öffnet einen Raum für Wahrnehmung – und für Zweifel. Und das ist, gerade beim Thema Klimawandel, vielleicht wichtiger als jedes fertige Bild.
Ausstellungsinformationen:
Ästhetik der Anpassung – Fotografien zu Klimaanpassung in der Praxis
Heinrich-Böll-Stiftung Berlin, Schumannstraße 8, 10117 Berlin
Noch bis zum 19. Juni 2025, montags bis freitags von 9 bis 18 Uhr
Der Eintritt ist frei.
Alle Projekte der Ausstellung mit Hintergrundtexten finden sich unter:
www.boell.de/zeigen-was-geht-klimaanpassung-der-praxis