
Viele wissen es längst, für einige ist es neu: Bobby McFerrin tourt als Dirigent von symphonischen Orchestern durch die Lande und verdrängt seine Sangeskunst fast ganz in den Bereich der Zugaben, die er aber sowohl vor und nach der Pause gibt. Gestern war er mit dem Münchner Rundfunkorchester (quasi sein deutsches Stammorchester) in der Berliner Philharmonie und führte durch ein Programm von Mozart über Ravel bis zu Mendelssohn Bartholdy, das vom Publikum hingenommen wurde um seine Solo-Improvisationen abzuwarten. Sobald er dann aber das Mikrophon in die Hand nahm, schien die Musik wie beseelt zu werden von seiner feinen und doch kehligen Stimme.
Vor dem Konzert sprach ich kurz mit einem der Orchestermusiker, der mir freien Eintritt in das Konzert bescherte (nochmal vielen Dank dafür!!!) und dieser sagte dazu: „Es macht schon Spaß mit Bobby McFerrin zu arbeiten. Einfach deshalb, weil er mehr Rhythmus im kleinen Finger hat, als die gesamte deutsche Dirigentenriege während ihrer ganzen Karriere entwickelt.“ Ja, deshalb kommen die Leute in seine Konzerte, weil sie hoffen, einem Abend beizuwohnen, bei dem die menschliche Stimme als Grundeinheit für Klang und Rythmus erlebt werden kann. Da gehen längst durch sprachliche und musikalische Erziehung wegkultivierte Urklänge und vertrakte Bebob-Harmonik so gespenstisch glatt ineinander, dass auch die haltlos kitschige Pavane von Gabriel Fauré darin Platz hat. Aber ich sollte von vorne beginnen:
Zunächst hörte man ein frühes Stück, vom erst 11jährigen Mozart komponiert, die Symphonie G-Dur, bekannt als die „Alte Lambacher“, mit der „der kleine“ Wolfgang Amadeus als längst gefeiertes Wunderkind, ein paar experimentierende Federübungen zu Papier brachte. Unter der Leitung von McFerrin klingt es wie reine Tanzmusik, was durch den visuellen Eindruck des Dirigenten noch deutlich verstärkt wird. McFerrin dirigiert (welch optische Wohltat) auf den Takt und swingt juvenil durch die Register, wobei er mit seinen langgliedrigen Armen wedelt. Den Zuhörern, die Bobby McFerrin wohl nur als Jazzer kennen und zum ersten Mal in einem klassischen Konzert waren, musste er mit mahnenden Gesten das Klatschen zwischen den Sätzen verbieten. Sowas passiert, wenn man konsequent das Crossover lebt: Es kommen Menschen aus sich meist getrennt gegenüber liegenden Welten zusammen, die von den Normen der anderen nicht viel wissen. Ich fand es erfrischend und erhellend, hielt ich es doch auch immer ein wenig gekünstelt, sich die Begeisterung des ersten Satzes aufzusparen bis der letzte Ton des dritten Satzes endlich verklungen ist. Doch muss man mehrsatzige Werke natürlich als ein zusammenhängendes Ganzes hören, das wird besonders dann klar, wenn plötzlich jemand dazwischen klatscht und den Fluss der Musik zerreißt.
Beim nächsten sechsatzigen Werk von Maurice Ravel hatte es das Publikum dann ganzteilig begriffen, wann es klatschen darf. Doch die Spezialisten für derartige Musik (ich saß neben einem) waren am Schluss nicht so recht begeistert von der spielerisch rhythmischen Darbietung, denn jeder einzelne Satz dieser Suite mit Namen „Le Tombeau de Couperin“ wurde von Ravel einem im ersten Weltkrieg gefallenen Freund gewidmet. Von einer solchen Grabesnähe war allerdings nicht viel zu spüren.
Bei der folgenden Pavane von Gabriel Fauré setzte dann Bobby McFerrin „endlich“ zum Gesang an, in dem er einzelne Instrumentenstimmen teilweise übernahm und dann wieder an die Flöte oder die Violinen übergab. Doch was war das? Der erste wirklich hohe Ton in seinem Falsettgesang war nicht zu hören, er kam einfach nicht aus ihm heraus. Ein Schrecken überschauderte das Publikum: Sollte er seine Stimme verloren haben? Bobby McFerrin überspielt es mit ein paar flüchtigen Bewegungen, die anzeigen sollten, dass der Ton davongeflogen ist und die weiteren angestimmten Noten blieben dann auch im Raum hörbar, bevor sie sich verflüchtigten.
Nun begann der eigentliche Boby McFerrin Abend. Das Orchester zerstreute sich und der Mann, der sich das Dirigierstöckchen als Haarnadel in die coolen Treadlocks gesteckt hatte, setzte sich im T-Shirt auf einen Stuhl am vordersten Bühnenrand. Nun strömten Töne und Geräusche aus seinem Mund, begleitet von einem perkussiven Klopfen auf die Brust mit dem er den Wechsel von Brust- zu Kopfstimme geschickt anpulste. Doch dieser nahtlose Registerwechsel bei gleichzeitigem unglaublichen Tonumfang hat ohnehin etwas unheimlich Perfektes. Gepaart mit dem selbstverständlichen Rhythmusgefühl wird es zu einer schamanischen Klangorgie, in der Obertöne erklangen und Luftgeräusche ins Rollen kamen, so dass man wirklich mitgerissen wurde. Zum Glück gab der Maestro dann auch schon im ersten Teil nach drei Solostücken eine Zugabe, die als Reprise auf die Pavane von Fauré erklang.
Nach der Pause dann ein Stück aus der Abteilung Classic Hits: Felix Mendelssohn Bartholdys Symphonie Nr 4 „Die Italienische“. Schon beim ersten Takt hatte man das Gefühl, versehentlich in das Programm von Classic Radio geschaltet zu haben, wo nur derartige Knaller abgefeiert werden. Mein Nebensitzer war fast schon aufgebracht darüber, wie wenig Tiefsinnigkeit dem Stück entlockt wurde. Er meinte, wenn man schon so einen Reißer ins Programm nimmt, dann muss man doch versuchen, dem Werk etwas Besonderes zu entlocken.
Sehr schön waren dann wieder die Zugaben. Bei der ersten wurde das Orchester zum Chor umfunktioniert, das die Begleitung zu McFerrins Gesang bildete, wobei auch das Publikum mitsingen sollte, was es erstaunlich gut konnte (ich hielt mich zurück). Und dann kam nochmal ein langer Soloteil, der zum Teil parodistische Elemente enthielt. McFerrin sang plötzlich in schmetternder Opernstimme und machte sich (so habe ich es verstanden) über die Crossover-Leute aus der anderen Richtung lustig (zum Beispiel Thomas Quasthoff, der jetzt ein Jazzalbum veröffentlichte). Am Schluss ließ er es richtig grooven, sang schnarrende Bassläufe in lockeren Jazzarrangements und alle waren begeistert. Als Sänger ist er ein unerreichtes Genie, als Dirigent einer unter vielen.