ein buntes Kulturerlebnis!

… im Stahllabyrinth: Jannis Kounellis in der Neuen Nationalgalerie

Die ganze obere Halle des Mies van der Rohe Baus ist mit einer riesigen Installation ausgefüllt. Jannis Kounellis entwickelte diesen „Einbau“ nicht im Atelier mit einem Modell, sondern er ging in der tempelartigen Halle herum und klebte mit Tapeband die Grundrisslinien für die später errichteten Metallelemente auf den Boden. Es ist also weniger ein Entwurf, als ein Entlauf. Motiviert ist dieses Vorgehen durch die Idee des mythischen Bauwerks des Köniks Minos, der in Knossos auf Kreta in einem Labyrinth seinen Sohn den Minotaurus, halb Mensch halb Stier, versteckt bzw. gefangen hielt, damit dieser auf seinen Schrecken verbreitenden vier Beinen nicht entlaufen konnte. Schon die Antiken Schriftsteller waren sich nicht sicher, ob das Bauwerk je bestanden hatte und so gibt es auch die Deutung, dass die typischen Labyrinthlinien eher die Aufzeichnung eines Tanzes darstellen könnten. Auf solchen Pfaden tanzte Kounellis also durch die Neue Nationalgalerie und ließ hinter sich einen 2,35 Meter hohen Stahlelementgarten errichten, durch den die Besucher nun schlendern können, um den Raum, eine Auswahl von Kounellis Werken, die Arbeiten aus allen Schaffensperioden präsentieren, sich selbst, andere Besucher und die schrulligen Wärter zu erleben.

Kounellis sagt, sein eigentliches Thema ist die Metamorphose. Wenn man jetzt zur Tür der großen Glashalle eintritt, bemerkt man schon die erste Verwandlung. Die Luft ist anders. Durch die großen Mengen Stahl und Kohle „schmeckt“ die Nationalgalerie anders als sonst. Wie eine verdreckte Wunde, die man sich beim Aufräumen in Omas Keller aufgerissen hat. Dabei fördert man einiges zu Tage und man erhascht dabei einen Eindruck von vergangenen Leben und Ideen in der eigenen (Vor-)Geschichte, die vielleicht zu Geistern oder Gedanken in unseren Geistern geworden sind.
Das Labyrinth und der van der Rohe Bau stehen in einer wunderbar kraftvollen Spannung zueinander. Die klare, übersichtliche, kaum eingrenzende Struktur der Architektur umfasst das verkantete, unergründliche, antistrukturell verschlungene Kunstwerk. Während man den Bau mit einem Blick erfassen kann, um dann unendlich viele Ideen zu entwickeln, wofür er nutzbar wäre, gelingt es einem bei Kounellis Werk auch nach 1000 Blicken nicht, die eine Idee zu erfassen, die hinter allem stecken könnte. Was könnte man alles zur fröhlichen Deutung heranziehen(?): Industrielle Revolution, archaische Agrarwirtschaft, französische Revolution, Aufklärung, Freiheit, Tot, Krieg, Raub der Antike, Anknüpfen an die Antike, Leben aus dem Ei oder Frühstücksei zum Kaffee. Ist es ein Auffanglager der Kriegsgefangenen der kulturellen Evolution?
Am besten man lässt die Deutung einfach beiseite und versucht sich mit der Kraft zu verbinden, die im Werk steckt.
Es gibt nur einen Schönheitsfehler, der sich daduch erklärt, das die Stahlelemente nicht ursprünglich für die Ausstellung in diesem Raum gemacht sind: Die Stahlelemente sind ungefähr einen halben Meter niedriger als die Holzeinbauten für die Kasse und die Garderoben. Das lässt das eigentlich viel gewaltigere Material an manchen Stellen (gerade beim Eingang) merkwürdig schwach aussehen.