Nun ist es also auch in der Politik angekommen. Das nicht nur sprachliche (Miss)verständnis, dass man sich selbst entschuldigen könne. Gerade bei einem Ministerpäsidenten der christlichen Partei, bei dem man eine gewisse Nähe und Erfahrung zur Beichte voraussetzen könnte, hätte ich mehr erwartet, wenn es um die oft bemühten Grundwerte geht, zu denen man getrost die Empathie zählen kann. Auch ein Herr Günther Oettinger kann sich nicht entschuldigen, er kann höchstens um Entschuldigung bitten. Und wenn das ernst gemeint ist, dann ist es an denen, die er beleidigt und verhöhnt hat, ihm die Entschuldigung zu gewähren, so sie beim Bittsteller erkennen, dass dieser Einsicht in die Fehlerhaftigkeit seines Handelns zeigt und Reue gelobt.
Günther Oettinger musste von Angela Merkel nach Berlin zitiert werden und es musste ihm aufdoktriniert werden, dass er sich von seiner Aussage am Grab des Exministerpräsidenten Filbinger, dieser sei „ein Gegner des Nationalsozialismus gewesen“, zu distanzieren habe. Einsicht in die eigene Fehlerhaftigkeit kann ich in diesem Vorgang nicht erkennen. Er sagte anschließend: „Ich distanziere mich von meiner Aussage“. Merkwürdig, wie man sich von den eigenen Aussagen distanzieren kann? Kann man eine Distanz zwischen sich und seine Aussagen bringen? Abstand vom Selbst? Hoffentlich spaltet Herr Oettinger nicht demnächst sein Über-Ich völlig von seiner Persönlichkeit ab.
Frau Merkel „erwartet jetzt“ übrigens, dass wir (die Öffentlichkeit) Oettingers Entschuldignung „akzeptieren“. Sie hat sich von der Grundidee eines Entschuldigungsvorgangs also noch nicht ganz distanziert. Sie weiß immerhin noch, dass es um Akzeptanz geht. Doch bitte Frau Bundeskanzlerin, erwarten dürfen auch Sie das nicht von uns!
Das „wir“ uns angesprochen fühlen ist übrigens sehr angebracht. Man glaube nicht, dass Oettingers Aussage nur eine Verhöhnung der Opfer des Nationalsozialismus gewesen sei. Diese Opfer sind nicht die Opfer einer längst verflossenen Ideologie, die es einmal gab. Es sind die Opfer von Menschen, die unsere Großväter und Väter, Großmütter und Mütter waren oder noch sind. Uns, die wir es besser wissen, als Herr Oettinger und die vielen heute lebenden und denkenden Deutschen, die sich für Abkömmlinge der anscheinend so zahlreichen Nazi-Gegner halten (laut Emnid-Umfrage sind 49% der Befragten Deutschen der Auffassung, dass ihre Angehörigen dem Nationalsozialismus sehr negativ oder eher negativ gegenüberstanden), uns alle hat er beleidigt. Das wäre die angebrachte Opfersicht, mit der Frau Merkel auf das „Dritte Reich“ schauen möchte. Ein Blick mit dem Wissen, dass die Täter aus unseren Familien kamen.
Vielleicht bin ich im christlichen Sinne unbarmherzig, aber ein baden-württembergischer Ministerpräsident, der in für ihn typischer, kalter Berechnung einen (korrekterweise mindestens als Nazimitläufer zu betitelnden) damaligen Militärrichter posthum rehabilitieren will, damit er von (leider nicht ganz vor dem Ableben stehenden) „rechts-konservativen“ Kreisen in der eigenen Regionalpartei ein Schulterklopfen erntet, den sollten wir nicht so schnell entschuldigen. Der soll noch eine Weile bitten und ein paar Bücher lesen.