
Gestern zur Premiere im Saalbau Neukölln: Volles Haus, kompaktes Programm. Die Kammeroper Berlin führte die Kammeroper „Blond Eckbert“ der britischen Komponistin Judith Weir in der „pocket version“ von 2006 auf, nach dem Kunstmärchen „Der blonde Eckbert“ von Ludwig Tieck . Das einaktige Stück dauert nur wenig mehr als eine Stunde. Eine Stunde, die musikalisch auf sehr hohem Niveau ausgefüllt wird und inszenatorisch ausgehalten werden muss.
Das Libretto hält sich an das Tiecksche Werk, mit entsprechender Erzählverschachtelung. (Siehe dieses Schaubild, für den Schulunterricht von Ulrich Koch. Immerwieder toll, was man mit MS-Word alles anstellen kann.) Die wirklich bedeutsamen Dinge im Leben des Ehepaars Eckbert und Berthe liegen lange zurück und werden im Märchen, wie in der Oper lediglich erzählt. Sie leben abgeschieden und recht einsam. Eine einzige treue Seele kommt sie ab und zu besuchen. Es ist Walter, dem sie eines Tages erzählen, welche schlimme und wundersame Kindheit Berthe hatte. Sie wurde als uneheliches Kind geboren und bald zu einer alten Frau in die „Waldeinsamkeit“ gegeben. Diese Zeit war die glücklichste in Berthes Leben, doch beim Heranwachsen zerstörte sie schließlich ihre romantische Umgebung unwiederbringlich durch schnöde Habgier und gemeinen Wissensdurst. Denn es gab in ihrer Kinderwelt einen Vogel, der statt Eiern Diamanten legte und diesen riss sie samt den schönen Steinen an sich und floh in die Fremde zu Eckbert ihrem treuen Mann, mit dem sie seither in aller Bescheidenheit vom Erlös der Edelsteine lebt. Das schöne Sehnsuchtsbild ihrer unschuldigen Kindheit ist so weit weg, dass sie sogar den Namen des lieben Hundes vergessen hat, den sie damals beim Abschied so schlecht behandelt hat. Doch seltsam, seltsam: der Gast Walter weiß den Namen des Hundes „Strohmian“. Schon bereut das Ehepaar davon erzählt zu haben. Es wird misstrauisch, Berthe wird krank und schließlich tötet Eckbert vom Wahn getrieben den wissenden Freund. Doch jetzt kommen die verdrägten Ängste und Verbrechen der Vergangeheit erst recht ans Licht, bzw. ins Bewusstsein, ohne sich jedoch aufzuklären. Letzlich erscheint Eckbert die alte Frau, die von Berthe bestohlen wurde. Eckbert, der selbst Nutznießer dieser Untat ist, ahnt schon, was ihm nun enthüllt wird: Berthe ist seine Halbschwester, vom gleichen Vater und die Beziehung zu ihr ist eine Inzestehe. Eckbert erkennt sich nun als furchtbar einsam(?) und stirbt wahnsinnig an der schlimmen Schuld.
Also unverkennbar: ein frühromatischer Unfug mit stramm anti-aufklärerischer Grundhaltung und der Verklärung des anscheinend naturnahen Zustandes des Kindes.
Die Komponistin sagt dazu: „Die ganze Erzählung ist ein Geschenk für den Komponisten. Viele Dinge darin werden durch Töne und nicht visuell geschildert. Außer dem zentralen Leitmotiv des Vogels gibt es das Hundegebell, das Rauschen der Bäume… Es ist eine sehr impressionistische Geschichte.“ (Die bessere Wortwahl wäre wohl „bildhaft“, statt „impressionistisch“. Aber egal.) Man spürt in diesem Zitat, dass ihr die Grundhaltung und die Moral der Geschichte missfallen und sie sich deshalb auf die musikalische Umsetzung der Metaphern gestürzt hat. Sie komponierte eine auf modernen Arien aufgebaute Oper, die sehr interessant anzuhören ist, aber vielleicht ein wenig Spannung vermissen lässt. Sollte man doch denken, der alles verändernde Moment, als Walter den Namen des Hundes Strohmian von sich gibt, sollte auch als Umbruch in der Musik zu hören sein, es geht allerdings recht gleichbleibend weiter.
Das zehnstimmige Orchester musiziert sehr fein, nuaciert und präsent. Die Sänger treten stimmlich klar und überzeugend auf, doch auf ihnen lastet schwer der theatralische Gestus, der ihnen von der Inszenierung aufgebürdet wird. Die armen Bühnenakteure stehen in Caligari-mäßigen Kostümen herum und müssen ganz doll verstört, misstrauisch oder getrieben gucken. Besonders die Titelfigur, der blonde Eckbert, kann einem Leid tun, da er fast permanent, mit den Händen die Luft greifend, auf der Bühne stehen muss. Die anderen erscheinen als recht eindimensionale, schablonenartige Figuren, mit typisierenden Kostümen (zum Teil sehr schön!), deren Auftritte zwar mit einer gewissen Handlung belegt sind, die aber eher als unterbewusste Kräfte oder Bilder in Eckberts und/oder Berthes Seele zu verstehen sind.
Die Bühne ist eigentlich kühn reduziert – zwei große drehbare Projektionsflächen dominieren bzw. modulieren den Raum fortwährend – doch das Potenzial dieser räumlichen Variabilität wird nur spärlich ausgenutzt. Es gibt einige visuell sehr starke Szenen (der erste Auftritt Walters, die Jagdszene, nach der Walter erschossen wird), in denen die Sänger mit den Projektionswänden und deren Bebilderung interagieren. Meist jedoch sieht man auf den Flächen nur typisch videokünstlerische Hintergründe, überlagert mit Zeichnungen oder Handschriften. Zum Beispiel: Als Bertha einen Abschiedsbrief schreibt, sieht man auf der Projektionswand ein Gekritzel, das ja ach so künstlerisch kalligrafisch sein will. Kein wirklich origineller Einfall und derartige Dopplung des Geschehens sieht man oft.
Zusammengefasst: Die SängerInnen und das Hörerlebnis machen die Schwächen der Inszenierung wett und darum lohnt es sich. Vielleicht sollte der Regisseur Kay Kuntze als letzte Anweisung sagen: „Bitte jegliche Gestik und Mimik einstellen!“ Dann wäre schon viel gewonnen.
Weitere Vorstellungen am 26., 27. und 30. Oktober 2007 jeweils um 20 Uhr.
Werkeinführung jeweils um 19.30 Uhr