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30. März 2008 16:37:52

… gebrochen: Katastrophenalarm in der NGBK

Alarm bedeutet urspünglich (à l’armes) „an die Waffen“. Es ist das Signal, um nach einem verheerenden Treffer zum Gegenschlag auszuholen: Mobilisiert alle Kräfte – bekämpft den Feind! Beim Katastrophenalarm ist der Feind natürlich nicht zu fassen und genauso wenig bekämpfbar. Das Feindliche ist die übermächtige Bewegung der Natur und neuerdings die vom Menschen aufgewirbelte Natur. Das Zerstörungspotenzial der Katastrophe wird für uns Menschen allerdings gerade dann sehr schmerzhaft und bedrohlich, wenn sich die Naturkräfte mit ihrem Veränderungsdrang (alles fließt!) gegen das Menschgemachte richten. Dabei ist zu erkennen, dass selbst vom Wind umgedrückte Bäume im Wald, ein Flurschaden (= Kapitalschaden) also, als Zerstörung von bewirtschaftetem Land verstanden werden muss. Es ist die Beschädigung einer Ressource, die gleichsam eine Kulturlandschaft darstellt, die vielleicht sogar gegen Totalverlust versichert ist und irgendjemand muss diesen Schaden begleichen. So eine Gedankenkette (quasi eine Alamierungskette) kann einem in den Sinn kommen, wenn man die Großfotos „Nach dem Sturm/Kyrill“ von Claudia Mucha sieht. Deutsche Landschaft – per Definition romantikverdächtig – im Moment der Zerstörung fotografisch ästhetisiert. …

Christoph Draeger druckt ein Pressebild der überfluteten Stadt New Orleans aus der Financial Times auf 8 Seiten Börsendaten derselben Zeitung. Auch hier wird ein Schaden quantifiziert, einmal als Bild und einmal in Form von Marktdaten. Die Wasserflut, die der Hurrican Kathrina vor sich herschob, schwappte mit gleicher Wucht und Geschwindigkeit als Informationsflut durch die kapitalisierte Zivilisation. Das Leben hinter bzw. nach der Flutwelle kann allerdings nicht nur als Information verarbeitet werden. Hier muss tatsächlich gehandelt und geholfen werden. Geschieht dies nicht, (in)formieren sich neue Kräfte. Kräfte, die sich gegen die institutionalisierte (und ausgebliebene) Hilfe des Staates richten. Die katastrophalen Zustände und die mangelnde Versorgung der (besonders armen) Menschen in New Orleans gelten inzwischen als der große Wendepunkt, zum Einen, in der Beziehung zwischen dem amerikanischen Volk und ihrem Präsidenten George W. Bush und zum Anderen, im ökologischen Bewusstsein der amerikanischen Gesellschaft. Als Volkswirtschaft mit dem mit Abstand größten CO2-Ausstoß der Erde stellt sich hier ganz vordringlich die Frage nach der Verantwortung gegenüber den Folgeschäden des Klimawandels. Natürlich ist dies auch eine Frage der sozialen Schichten: Ist es gerecht, dass die ärmsten und immobilsten Teile der Gesellschaft von den Folgen am härtesten getroffen werden? Seit durch Kathrina diese Frage im inneramerikanischen Maßstab aufgerufen wurde, verändert sich auch der Blick auf die Welt, in der es ebenfalls am stärksten die Ärmsten trifft. So gesehen bekommt das Wort Alarm (à l’arme) eine wirklich bedrohliche Wendung und in New Orleans einer damals ebenso mit Waffen wie mit Wasser überschwemmten Gesellschaft wurde auch tatsächlich scharf geschossen. Man kann nur hoffen, dass sich hier keine Naturgewalt entladen hat.

Doch die Hoffnung wird uns durch die mediale Aufbereitung zum Zustand des Klimas und der Welt weitgehend genommen. Wir befinden uns in einer Daueralamierung und (er)leben eine Atmosphäre der Angst. Lisi Raskin sieht darin den bewussten Aufbau einer Drohkulisse zur Stärkung der bestehenden Machtverhältnisse. Sie analysiert und untergräbt mit den künstlerischen Mitteln der Performance („Tipping Point“ zur Finissage am 18. Mai 17.00 Uhr) die Mechanismen der „Expertokratie“, in der die Macht immer auf die Seite des Fortschritts und der Technik gezogen wird. Eine Lösung der Probleme darf man davon allerdings auch nicht erwarten.

Insgesamt sind 14 Arbeiten in der Ausstellung zu sehen, die das Thema aus ganz unterschiedlichen (inhaltlichen wie ästhetischen) Blickwinkeln betrachten oder bearbeiten. Zum Katalog gibt es eine Ausgabe der äußergewöhnlichen Zeitschrift „Spector cut+paste“ (deren Website leider unbenutzbar ist).

Die Ausstellung läuft bis zum 18. Mai 2008.
NGBK, Neue Gesellschaft für Bildende Kunst e.V
Oranienstraße 25 – 10999 Berlin

 

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