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… contemporary: 29 Künstler finden eine neue Heimat in der Berlinischen Galerie

Neue Heimat - Berlin Contemporary in der Berlinischen Galerie

Zum Abschluss der 30jährigen kuratorischen Arbeit von Ursula Prinz, will sich die verdienstvolle Kuratorin der Sammlung der Berlinischen Galerie mit einer frischen Ausstellungsidee und -konzeption in die Diskussion um die zeitgenössische Kunst in Berlin einmischen. Die entstandene vielseitige und vielgesichtige Schau wird mit ihren unterschiedlichen Positionen sicherlich viel Aufmerksamkeit erreichen, denn unter dem Motto „Neue Heimat – Berlin contemporary“ wurden hier reihenweise neue (13 extra angefertigte) Arbeiten der Künstler/innen aufgefahren. Mit dem Begriff der Heimat, stellt die Kuratorin genauso Fragen nach Herkunft, Vergangenheit, Kindheit und Häuslichkeit wie nach dem Verlassen, Hinausgehen, woanders Ankommen und der Orientierungslosigkeit in den Raum. Damit wird ein zentrales Thema der Kunst des 20. Jahrunderts weitergeführt. Es geht um die Ortsbezogenheit bzw. Ortlosigkeit des zeitgenössischen Menschen oder zumindest Künstlers im Angesicht der Anforderungen der Globalisierung. Die 29 Künstler/innen nutzen das Thema zur Verortungen im weiten Feld zwischen Heim/Haus und Fremde/überall. Dabei fällt auf, dass viele Arbeiten eigentlich der Visuellen Kommunikation bzw. dem Design zuzuordnen sind. Vielleicht kommt dies dadurch, dass die Ausstellung sehr stark vom inhaltlichen Grundgedanken der Kuratorin zusammengehalten, wenn nicht gar dominiert wird. Die Künstler/innen werden durch diese starke Vorgabe zu Auftragnehmern, denen ein Briefing gestellt wird, das sie mit ihrer Arbeit erfüllen wollen, damit sie auch ja gut beim Auftraggeber ankommen. So arbeitet normalerweise ein Designer, der vielleicht künstlerische Mittel verwendet, aber doch immer ein angewandter Dienstleister bleibt. Diesen Vorwurf kann und darf man den vertretenen Künstler/innen nun auf keinen Fall machen, aber man spürt schon eine gewisse Gefahr der Korrumpierbarkeit. Gerade wenn Arbeiten entstehen, die ganz anders sind, als das bisherige Werk eines Künstlers oder einer Künstlerin.

So geschehen z.B. bei Christina Dimitriadis, die für diese Ausstellung hübsch freigestellte Details aus Fotos auf kleine weiße Leinwände gedruckt hat. Damit verwendet sie nicht nur eine im Mainstream angekommene Grafik-Design- bzw. Dekorationstechnik, die man beinahe in jedem CopyShop machen lassen kann, sondern gerät auch motivisch etwas zu lieblich. Vielleicht ist heimelige Melancholie ja ihr Verständnis von Heimat, doch das Ganze ist so harmlos, dass man es sich auch in großen Auflagen im IKEA-Sortiment vorstellen kann.
Dass man die Frage nach dem zeitgenössischen Heim allerdings fast gar nicht ohne IKEA denken kann, zeigt Birgit Ramsauer. Sie installiert ein Werk aus IKEA-Möbeln, in dem auf zwei Monitoren der Film „The 9 Screws“ (Die neun Schrauben) zu sehen ist. Es ist ein Film auf den Spuren des schwedischen Krimiautors Henning Mankell, dessen Wallander-Geschichten in Ystad (Südschweden) spielen. Im menschenleeren Film werden nun die schwedischen Möbel zu Tätern, Opfern und Zeugen, genau wie im täglichen Leben der weltweiten IKEA-Kunden. Die Installation ist genau in die Mitte des Ausstellungsraums gebaut, wo der zentrale Stützpfeiler des Hauses, wie ein Baum aus einem durchdrungenen Bett wächst, von dessen Kante man nun die kriminalistische Verfilmung quasi als Bettlektüre genießen kann.
Die Dialektik des Begriffs Heim in Bezug auf heimelig und heimlich, bzw. unheimlich arbeiten gleich mehrere Künstler/innen aus. So auch Martin Dürbaum, der vollständig im 3D-Programm entstandene Bilder zeigt, die alle wie menschenleere Nachtaufnahmen an irgendwie verdächtigen Orten aussehen. Die abgebildeten Orte existieren wirklich, sie bekommen aber durch den virtuellen Nachbau eine Künstlichkeit, die durch das Hineinsetzen von seltsam deplazierten Objekten noch gesteigert wird.
Das Spekulieren darüber, ob es sich um Tatorte handelt, wird in dem von Brigitte Waldach blutrot monochrom gestalteten Raum „Heimatfilm“ dann endgültig zur Sicherheit. Sie spürt der Nähe zwischen den beiden Genres Heimatfilm und Horrorfilm nach, wobei das filmische Element der bewegten Bilder durch die Bewegung des Besuchers im Raum umgesetzt wird. Brigitte Waldach malt aus berühmten Filmszenen entnommene Bilder an die Wand – die Gänge aus Kubricks Film „Shining„, der Blutfleck aus Hitchcocks „Psycho“ – und kombiniert sie mit Posen einer Frauengestalt, die aus einer eigenen Performance mit Fritzi Haberlandt stammen. Dazu gibt es auch noch einen Soundtrack, der den Besuchern von beweglichen Kinosesseln eingeflüstert wird, auf denen sie die zitierten Kamerafahrten nachempfinden können.

Ganz ohne Kamerafahrt kommt die Videoarbeit „Schwellen“ von Maria Vedder aus. Sie beobachtet Menschen auf dem Weg von einem Ort zum anderen. Das Bild ist verschwommen und schwankt zwischen Erkennen und Andeutung, denn Maria Vedder richtete ihre Kamera nach oben durch eine Milchglasscheibenkonstruktion, über die Menschen gehen. Sie sind in einer Passage, einem Übergang, eben an einer Schwelle zwischen Vergangenheit und Zukunft, Vorhaben und Verwirklichung, Wunsch und Enttäuschung oder was immer man hineindeuten will. Bei der Pressekonferenz war die Künstlerin anwesend und auf die Nachfrage, wo denn das aufgenommen sei, blieb sie im Ungenauen: „An einem öffentlich zugänglichen Ort, einem Unort.“ Nun erkennt jeder etwas visuell aufmerksame Mensch, der schon mal nach München geflogen ist sofort, dass hier eine bauliche Situation am Flughafen München abgefilmt wurde, und dieses Bauwerk einfach etwas überheblich als Unort abzutun ist modisches Gerede. Ich hätte ihre Videoarbeit in ihrer poetischen Zugänglichkeit und formalen Strenge einfach schön finden können, aber durch diese leider zur Sitte (und nicht zur Unsitte) gewordenen Abwertung des öffentlichen Raumes, muss ich doch noch mal einhaken. Frau Vedder ist nicht die erste, die an diesem Ort einen Film dreht. Zum Beispiel in dem wunderbaren Filmportrait „Touch the Sound“ über die gehörlose Schlagzeugerin Evelyn Glennie findet sich eine prägnante Szene, die genau hier eingefangen wurde, und da frage ich mich doch, ob die offensichtliche visuelle und imaginäre Kraft des Ortes nicht vielleicht eine deutliche Aufenthaltsqualität darstellt? Ist das nicht viel eher ein hervorragend geplanter Ort, für den ein Architekt eine Vision hatte, die von filmisch arbeitenden Künstlern aufgenommen und vollendet wird? Ein Unort ist das jedenfalls nicht.

Parallel zur Ausstellung wurde auch der GASAG-Kunstpreis vergeben, der unter künstlerischer Leitung der Kunstfabrik am Flutgraben durchgeführt wurde. Die Drei Preisträger wurden in die Ausstellung integriert. Das Verfahren, das sich die Leute vom Flutgraben ausgedacht haben, um zur Auswahl der Künstler/innen zu kommen, ist sehr interessant. Es wurden 8 junge, international tätige Kuratoren gebeten jeweils zwei Künstler/innen vorzuschlagen und aus diesem 16köpfigen Personenkreis wählte dann die eigentliche Jury aus. Auch das zeigt deutlich, wie stark die Position der Kuratoren geworden ist. Ähnlich wie mit den Beraterstäben in der Wirtschaft, wird mit den Kuratorenhorden eine absichernde Zwischendecke eingezogen, die als Qualitätsfilter gedacht ist aber den Abstand zwischen Künstler/innen und und ihreren Wirkungsstätten (Museen) vergrößert.

Dass die ausgewählten Künstler dann aber doch nicht zwingend auf einheitlichem Niveau arbeiten, zeigt Mandla Reuter. Er ist mit zwei Werken in der Ausstellung vertreten, wovon eines großartig und das andere unnötig ist. Zum einen hängt Mandla Reuter einen profanen aber doch ungemein spannenden Schlüsselbund an die Wand. Es sind alle Schlüssel der Berlinischen Galerie, die hier dem möglichen Zugriff durch die Besucher ausgesetzt sind. Was für ein wunderbares, imaginationsstarkes Bild, das wie ein „Schlüsselerlebnis“ zum Ausdenken von möglichen Geschichten funktioniert. Die Arbeit tappt auch nicht in die Falle der guten Pointe, die nur einmal kickt und direkt nach dem Verstehen langweilig wird, denn die Spannung des Gebrauchs oder Missbrauchs der Schlüssel, bleibt während der ganzen Ausstellung bestehen. Jeder ist eingeladen, mit dem Wachpersonal zu spielen.
Zum Anderen hängen da aber um die Ecke noch fünf große Fotos von einem immer mehr entschwindenden Sonnenuntergang. Mandla Reuter hat sie bei einem Fotografen in Los Angeles/Hollywood in Auftrag gegeben, wodurch anscheinend eine wichtige Distanzierung zum klischeeüberladenen Werk und Aufnahmeort entstehen soll. Doch die im Ausstellungskatalog beschriebenen Situation, „in der sich der Betrachter dem Zusammenbruch von Erwartungen gegenübersieht“, ist eben doch nicht mehr als eine hochtrabende Formulierung für erlebbare Langeweile.

Ganz anders Jorinde Voigt, die den GASAG-Förderpreis bekam. Sie zeigt 14 Zeichnungen, deren Format sich von Blatt zu Blatt logarithmisch vergrößern. Darauf sind feine Zahlenstrukturen, mit denen sie Temperaturverläufe oder andere Geschehnisse mit mathematischer Akribie verzeichnet. Formal erinnert es an Notationen von John Cage und man hat den Eindruck als wollte Jorinde Voigt den fraktalen Ableitungen einer chaotischen Entwicklung mit Hilfe der künstlerischen Ästhetik auf die Schliche kommen. Stellt die Notation eine Abschrift eines Geschehnisses dar? Kann es nach seinem Ablauf wieder auf den Ursprung zurückgebracht werden? Ist es ein Plan, der eine Vorschrift darstellt, wie das Geschehnis abzulaufen hat? Diese Arbeit geht weit über das Ausstellungsthema des „Heimatlichen“ hinaus und weist doch auf den Kern: Das Sein und das Werden.

Es sind noch viele schöne, gigantisch große und sehr interessante Arbeiten in der Ausstellung zu sehen, die zu beschreiben, noch viele Seiten füllen würde, doch besser ist, man geht hin und beschäftigt sich selbst mit den Arbeiten. Es lohnt sich auf alle Fälle!
In diesem Sinne:
Alte Jakobstraße 124-128, 10969 Berlin
vom 13. September 2007 bis zum 7. Januar 2008