Vernebelung im politischen Raum

In Berlins Straßen liegen teils noch die Überreste der Silvesternacht. Verkohlte Pappen in schlammiger brauner Pampe stinken vor sich hin. Die lauteste Nacht des Jahres hinterließ in Berlin und Umgebung eine erschütternde Bilanz: Mindestens fünf Menschen verloren durch Feuerwerkskörper ihr Leben, darunter ein 21-Jähriger in Kremmen, der an den Folgen einer Kugelbomben-Explosion starb. Zahlreiche weitere Personen erlitten teils schwere Verletzungen; allein das Unfallkrankenhaus Berlin behandelte 15 sogenannte Bölleropfer, darunter fünf Schwerverletzte durch Kugelbomben. Erschreckend waren auch die Angriffe auf Einsatzkräfte: In der Hauptstadt wurden mindestens 37 Polizisten verletzt, einer davon schwer, als er von einem mutmaßlich illegalen Feuerwerkskörper getroffen wurde. Die Polizei nahm rund 400 Personen fest. Diese Ereignisse haben die Debatte um ein generelles Böllerverbot neu entfacht.
Auswirkungen auf die Umwelt
Die Silvesternacht bringt erhebliche Umweltbelastungen mit sich, die in verschiedenen Bereichen spürbar sind: Jährlich werden in Deutschland rund 2.050 Tonnen Feinstaub (PM₁₀) durch das Abbrennen von Feuerwerkskörpern freigesetzt, der Großteil davon in der Silvesternacht. Am ersten Tag des neuen Jahres ist die Luftbelastung mit gesundheitsgefährdendem Feinstaub vielerorts höher, als alle Belastungen des ganzen Jahres summiert.
Die lauten Knallgeräusche von Feuerwerkskörpern verursachen bei Tieren erheblichen Stress. Haustiere geraten in Panik, Wildtiere reagieren mit Fluchtverhalten, was besonders im Winter lebensbedrohlich sein kann, da die Flucht unnötigen Energieverbrauch bedeutet. Vögel fliegen in Panik auf und können dabei desorientiert werden oder gegen Hindernisse prallen.
Feuerwerkskörper enthalten Schwermetalle und andere Schadstoffe, die nach dem Abbrennen als Rückstände auf Böden und in Gewässern landen. Diese Stoffe können in den Nahrungskreislauf gelangen und somit die Gesundheit von Tieren und Menschen beeinträchtigen. Zudem bleibt häufig Müll von Feuerwerkskörpern in der Landschaft zurück, was nicht nur Wildtiere, sondern auch landwirtschaftlich genutzte Flächen betrifft.
Angesichts dieser vielfältigen Umweltbelastungen wird zunehmend diskutiert, inwieweit traditionelle Feuerwerkspraktiken noch zeitgemäß sind und welche alternativen Feierformen umweltfreundlicher gestaltet werden können.
Auswirkungen auf die Debatte
Aktuelle Umfragen zeigen eine wachsende Ablehnung gegenüber privatem Silvesterfeuerwerk in Berlin. Laut einer Forsa-Umfrage empfinden 74 Prozent der Berliner die Knallerei zu Silvester als “mittlerweile zu viel”, was einen Anstieg gegenüber 62 Prozent im Vorjahr darstellt. Zudem befürworten 62 Prozent der Berliner ein generelles Verbot von privatem Silvester-Feuerwerk. Laut einer YouGov-Umfrage aus dem Januar 2023 befürworten 57 Prozent der Befragten ein generelles Verbot von privatem Feuerwerk. Diese Zahlen verdeutlichen, dass die Mehrheit ein Umdenken in Bezug auf private Feuerwerke längst vollzogen hat.
Trotzdem scheuen die demokratischen Parteien davor zurück, das Thema offensiv anzugehen. Meiner Meinung nach liegt das daran, dass sie befürchten, als „Verbotsparteien“ abgestempelt zu werden. In Zeiten, in denen populistische Strömungen persönliche Freiheit über alles stellen, wird selbst die vernünftigste Maßnahme schnell diskreditiert. Die Debatte verdeutlicht einmal mehr, wie Umweltschutzmaßnahmen mit einem verdrehten Freiheitsbegriff kollidieren und politische Entscheidungen erschwert werden. Der Populismus wirkt und verhindert Entscheidungen, die im Interesse der Allgemeinheit liegen. Die signifikanteste Äußerung kommt dazu von Bundeskanzler Olaf Scholz, der sagte: „Böllerverbot finde ich irgendwie komisch.“ Das ist das Niveau des politischen Berlins.
Mehr Durchblick im Museum
Kulturelle Reflexion: Feuerwerk im Wandel der Jahrhunderte
Während das politische Berlin irrlichtert zeigt das kulturelle Berlin, wie differenziert und bereichernd man das Thema Feuerwerk aufarbeiten kann. Die Ausstellung „Durchgeknallt und abgebrannt: Feuerwerkskünste aus fünf Jahrhunderten“ bietet glitzernde Einblicke im Kontrast zum dumpfen Schall und Rauch aus der Politik.
„Feuerwerk ist eine Kunst des Augenblicks, von der nichts bleibt als schöne Erinnerung und sehr viel Müll. Seit Jahrhunderten ist sie die materialintensivste und teuerste Kunstform überhaupt.“ So startet der erklärende Text zur Ausstellung auf der SMB-Website. Aber in der Schau wird Feuerwerk nicht als reines Mittel des Lärms und der Zerstörung gezeigt, sondern als historisch und künstlerisch bedeutendes Phänomen. Wissenschaftlich fundiert und historisch untermauert, beleuchtet die Schau die Ursprünge und die Entwicklung der Feuerwerkskunst. Dabei werden die symbolischen Bedeutungen, die technischen Innovationen und die gesellschaftlichen Kontexte, in denen Feuerwerke genutzt wurden, anschaulich dargestellt.



Von höfischer Kunst bis zur modernen Pyrotechnik
Feuerwerk war über Jahrhunderte ein Symbol für Prachtentfaltung und Machtdemonstration. Besonders in der Barockzeit wurden kunstvolle Inszenierungen des Lichts genutzt, um politische oder religiöse Botschaften zu transportieren. Natürlich wurden die Feuerwerke von zentralen Plätzen aus extra errichteten Prunkbauten abgeschossen. Die Ausstellung zeigt beeindruckende historische Drucke, die Feuerwerksfeste an europäischen Höfen dokumentieren. Diese Werke illustrieren, wie Feuerwerk als Medium für Geschichten, Ästhetik und Botschaften diente. Schon damals galt: Wer am meisten Raum macht, hat den größten …
Von Roman Signer, dem größten Feuerteufel der internationalen Kunstszene sind einige Arbeiten in fotografischer Dokumentation zu sehen. Einen effektvollen Zusammenschnitts seines Werks gibt es von arte:TRACKS
Auch wissenschaftliche Entwicklungen kommen in der Ausstellung nicht zu kurz: Von den frühen chemischen Experimenten mit Schwarzpulver bis zur hochkomplexen Pyrotechnik der Moderne wird deutlich, wie sehr Feuerwerk Innovation und Technologie prägte. Und genau da ist auch die Abzweigung, die für die politische Diskussion eine Lösung anbietet. Feuerwerk, wie wir es derzeit aus Millionen Privathaushalten abbrennen ist von vorgestern. Heute ist was ganz anderes „hot“: Dronen-Schauen! Ich China wurde das Jahr des Drachen entsprechend eingeläutet.
Ein Angebot zum Dialog
Die Ausstellung schafft es, Feuerwerk als kulturelles Phänomen neu zu betrachten – sachlich, informativ und mit einem Bewusstsein für die Schattenseiten. Sie lädt dazu ein, sich jenseits der lauten Debatte mit der Bedeutung und dem Wandel von Feuerwerk auseinanderzusetzen. Diese Art von Reflexion zeigt, dass es Alternativen zur hitzigen Polarisierung gibt, und bietet eine differenzierte Grundlage für eine Diskussion, die auch den Blick in die Vergangenheit einbezieht.
Daten:
Durchgeknallt und abgebrannt, Feuerwerkskünste aus fünf Jahrhunderten
08.11.2024 bis 09.02.2025, Kulturforum, Sonderausstellung der Kunstbibliothek – Staatliche Museen zu Berlin
Quellen für den Text:
- Berliner Kurier: Unfall-Horror! Fünf Böller-Tote in der Silvester-Nacht
- t-online: Berliner Silvesternacht Kugelbomben-Explosionen, Verletzte – und 400 Festnahmen
- Berliner Zeitung: Silvester in Berlin: Polizei und Feuerwehr ziehen Bilanz
- Umwelt Bundesamt: Feinstaub durch Silvesterfeuerwerk
- Nachrichten AG: Feuerwerk zu Silvester: Gefährdung für Tiere und Umwelt alarmiert Experten
- Silvester: Wieso Feuerwerke so schädlich für Tiere und Natur sind
- WELT: 26-Jähriger kritisiert Männer fürs Böllern – und wird ins Gleisbett gestoßen
- Berliner Zeitung: Umdenken in Berlin: Knallerei wird immer unbeliebter
- Debatte nach Toten und Verletzten an Silvester – Deutliche Mehrheit der Länderminister lehnt Böllerverbot ab
- Sonntagsblatt: Umfrage: 57 Prozent der Deutschen für Verbot von Böllern an Silvester
- Berliner Zeitung: Böllerverbot in Berlin: Gewerkschaft der Polizei übergibt heute Petition dafür
- ZDF: Scholz zu Böller-Debatte : „Böllerverbot finde ich irgendwie komisch“