ein buntes Kulturerlebnis!

… eine Frage: Braucht die Welt ein Blog, das von mir geschrieben und publiziert wird?

Als faire Geste gegenüber den gemutmaßten Lesern, will ich diese Frage als erste versuchen zu beantworten. Und ich denke, eine solide Selbstversicherung (Selbstberechtigung) kann auf einem ungewissen Weg sehr helfen.

Die Frage weist auf viele Ansatzpunkte: „Brauchen“ was ist das? Wann braucht man etwas? Wer braucht etwas? Wer ist die Welt, die hier etwas brauchen soll? Richtet sich das Publizieren überhaupt an die Welt? Warum gerade in Form eines Blogs? Was macht das Blog zum Blog? Warum sollte gerade ich schreiben? Warum sollte die Welt gerade meine Niederschriften lesen? Muss das Publizieren auf schreiben beschränkt sein? Was ist überhaupt Publizieren? Publikum? Warum glaube ich einem Publikum etwas schreiben zu müssen?

Das ist nur der Klärungsbedarf, der sich direkt aus der Frage ableitet. Darüber hinaus stellen sich Fragen nach dem Inhalt des Geschriebenen bzw. des zu Schreibenden: Worüber werde ich schreiben? Warum werde ich darüber schreiben? Ist es sinnvoll, über etwas zu schreiben, über das andere auch schon geschrieben haben? Muss man über etwas schreiben, über das andere noch nicht geschrieben haben? Reicht es aus, der eigenen Subjektivität Ausdruck zu verleihen? Objektivität gibt es ohnehin nicht.

Nun, da das Bloggen als Spielart des Tagebuchschreibens zu sehen ist, in dem eine Person ihr Erlebtes aufschreibt, geht es wohl zu einem gewissen Teil um mich als das schreibende Subjekt. Das Ich als subjektive Erzählquelle meiner Erlebnisse, oder als subjektiv filternder Spiegel ist für eventuelle Rezipienten zur Einordnung des Geschriebenen von Bedeutung. Darum gibt es weiter Informationen zu meiner Person.

Ein Blog ist als Meinungsveröffentlichung zu verstehen. Die Artikel werden meine Meinungen zu verschiedenen Themen widergeben und alles, was ich schreiben werde, wird auf mich zurückfallen. Mein Schreiben, nur als meine Meinung zu betrachten, missfällt mir jedoch sehr, weil ich keine gute Meinung von Meinungen habe. Eine Meinung kann völlig frei von Argumenten gebildet werden, was sie für mich zu etwas Willkürlichem macht. Man wird z.B. bei dem grandios furchtbaren Claim der Bildzeitung „Bild dir deine Meinung“ darauf gestoßen. Die veröffentlichten Meinungen sind in diesem Blatt allerdings trotz marginaler Argumentation massenwirksam. Das wiederum würde mir gefallen, wenn sich meine Meinungen auf andere Menschen (und deren Meinungen) auswirken würden, da ich meine (schlechte) Meinung als geradezu wertausrichtend betrachte. Nach dem Karikaturenstreit durch die Veröffentlichung der Mohammed-verhöhnenden Zeichnungen in der dänischen Zeitung „Jyllands Posten“ konnte ich in ‚Die Zeit’ lesen, dass man, gegenüber der westlichen Welt akzeptieren muss, dass hier Religion und besonders der eigene Glaube, auf das Niveau einer Meinung zurecht gestuft ist. Das akzeptiere ich voll und ganz und, dass es so ist, erhöht meine Meinung von der Wertigkeit einer Meinung sehr. Ich denke also, dass es in Ordnung ist, wenn dieses Blog als meine Meinungsäußerung verstanden wird.

Nun fragt sich, ob die Welt meine Meinung braucht? Da wir ein Grundrecht auf freie Meinungsäußerung haben, ist es also zumindest legal, meine Meinung zu verbreiten. Bin ich aber auch legitimiert? Auch wenn etwas erlaubt ist, kann es trotzdem moralisch verwerflich sein und dadurch seine Legitimität verlieren. Das kann aber erst anhand des Inhalts des Blogs oder der einzelnen Beiträge entschieden werden. Ich habe also vorläufig das Recht zu bloggen, aber wozu eigentlich? Wer braucht das? Gelesen wird das Blog ja sicherlich nur von Menschen, die gewillt sind sich mit mir und meinen Meinungen auseinander zusetzen. Sind diese Leute identisch mit denen, die mein Blog eventuell brauchen? Wahrscheinlich kann das nicht im Voraus beantwortet werden. Kant würde sagen: Doch und zwar a priori! Ich soll zur Beantwortung die Logik benutzen. Wenn ich bei Kant bleibe und behaupte, dass meine Meinung und mein Handeln zusammenfällt und von mir aus als Maxime „jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten“ (Kant – Kritik der praktischen Vernunft, § 7) können, dann können andere Menschen dieses Blog brauchen. Es könnte sogar die Welt verändern.

Ich fühle mich also legitimiert, als Mensch, als Bürger, als Mann, als Person – Freund, Lediger, Familienmensch, Sohn, Kinderloser, Patenonkel, Kinogänger, Musikliebhaber, Fan, Bewunderer, Konzertbesucher, Leser, Schreiber, Designer, Grafiker, Programmierer, Erfinder, Künstler, Spieler, Kritiker, Europäer, Deutscher, Berliner, Kreuzberger, Großstädter, Landflüchtiger, Angestellter, Selbstständiger, Kleinunternehmer, Dienstleister, Ausbilder, Steuerzahler, Versicherter, Patient, Autofahrer, Radfahrer, Fußgänger, Vegetarier, Trinker, Ironiker, Satiriker, Amateur, Unwissender und Vergesslicher.

In allen meinen Eigenschaften, die mehr oder weniger gesellschaftlichen Rollen entsprechen, habe ich Erfahrungen und gewisse Vorstellungen, die den Bildungshintergrund (im Sinne einer Montage) für meine Meinungen ergeben. Mit Meinungen, die in diesen Zusammenhängen zustande gekommenen sind, können bestimmt viele Menschen etwas anfangen, die sich einen ähnlichen Rollenteppich gewoben haben. Oder aber Menschen, die gerade ganz andere Rollen einnehmen und deshalb einen deutlich anderen Blick auf die Welt richten. Mein Erlebnis-Background wird sich hoffentlich als ein Standpunkt erweisen, von dem aus ich die Welt aus einem Blickwinkel betrachten und beschreiben kann, aus dem nicht sowieso alle auf die Dinge schauen. Insofern kann ich vielleicht blickfelderweiternd tätig sein. Und das können sicherlich viele Menschen (einschließlich meiner Person) brauchen. Das gilt auch dann, wenn ich lediglich Zweit- oder gar Drittverwerter einer Nachricht sein sollte, und schon viele andere vor mir ihre Kommentare, Einsichten oder Meinungen in ihren medialen Kontexten kund getan haben.

Bleibt nur noch ein Fragenkomplex unbeantwortet – alles rund ums Publizieren: Die Kommunikation mittels Vervielfältigung an die Öffentlichkeit. Ich verstehe mein Schreiben als Sprechen zu anderen Menschen, die zusammen eine Öffentlichkeit bilden. Wie offen diese Öffentlichkeit ist, mein Blog zu lesen, muss sich zeigen. Ich stelle mich jedenfalls mit meiner Meinung in die Öffentlichkeit, spreche diese an und hoffe, dass die Kommunikation zu einem Dialog wird. Es soll ein Geben und Nehmen werden, was sich im Internet ja meist konkret durch Vernetzung zeigt. Hier liegt allerdings eine meiner Schwächen versteckt, die zum Thema Öffentlichkeitswirksamkeit eher hinderlich ist. Networking ist nicht gerade meine Lieblingsbeschäftigung. Ich hatte immer lieber wenige gute als viele oberflächliche Freunde. Außerdem hasse ich das übliche Namedropping, mit dem man sich gegenseitig Relevanz zuschreibt. Es wird sich zeigen, wie sehr sich das auf dieses Blog auswirkt.

Als Fazit zur eingangs gestellten Frage kann ich nun hoffentlich gut argumentiert sagen, es gibt keinen Grund, warum ich nicht bloggen sollte.