Andy Warhol ist einer dieser Überkünstler des 20. Jahrhunderts – wie Picasso, wie Beuys. Er hängt in Museen weltweit, seine Siebdrucke zieren Postkarten und Hotelzimmerwände. Ich habe ihn gesehen: mehrfach, großformatig, im Original, in allen Schaffensphasen. Und trotzdem frage ich mich immer wieder: Was bleibt eigentlich von Warhol?

Vielleicht sind es weniger Antworten als Fragen, die haften bleiben: Was bedeutet Originalität in einer Welt der Reproduktionen? Was hat der Mensch vom Fame? Wie entsteht Relevanz – und wann ist alles nur noch Pose? Ist das Brechen von Erwartungen längst zur Erwartung geworden? Und vor allem: Muss sich ein Künstler überhaupt um irgendetwas scheren?
Warhol auf der Bühne – geht das überhaupt?
Genau diese Fragen – und noch viele mehr – stellt auch das Stück „POP! Andy Warhol & The Velvet Underground“, das derzeit im English Theatre Berlin läuft. Es ist eine kluge, witzige, auch zerstreitende Auseinandersetzung mit dem Warhol-Mythos, inszeniert als meta-theatrales Spiel: Eine Chefkuratorin verlässt das Museum und will noch eine letzte Show inszenieren. Eine richtig große. Doch kann man das überhaupt mit Warhol? Oder ist seine Persona längst so durchinszeniert, dass jede neue Show erstens nur noch eine Wiederholung altbekannter Bilder ist und zweitens den Zugang zum Kern des Werks noch weiter verbaut.

Was dann folgt, ist ein performativer Wirbel zwischen Reflexion und „ich tanze Jesus Christus“. Fünf Performer*innen verhandeln live auf der Bühne, was Warhols Werk heute noch bedeutet. Dabei entsteht so etwas wie eine Ausstellung über eine Ausstellung – eine Show über die Idee einer Show in der die eine oder andere Idee mal ausprobiert und verworfen wird.

Velvet Underground war zeitweise so was wie die irgendwie immer anwesende Band in Warhols Kunst-Factory. Im Stück ist es die Band RED LARGO und sie bringt den Sound der Zeit in neu instrumentierten Fassungen ins Heute – wie abgewetzte Samtsessel, die einen bequem in sich aufnehmen. Die alten Songs, ikonisch und roher als man sich oft erinnert, erscheinen nahbar werden zu den Songs der Figuren. Sie strukturieren den Abend, ohne ihn zu dominieren. Auch das ist Warhol: Präsenz durch Distanz.

Die visuelle Sprache der Inszenierung zitiert konsequent die bunte Ästhetik der Pop Art. Klare Farbflächen, Kostüme im Siebdruck-Stil – alles wirkt ein bisschen wie durch einen Warhol-Filter gesehen. Filmaufnahmen entstehen live, werden projiziert, brechen den Raum. „Underground Filming“ als Selbstzitat. Der Wunsch der Figuren, „die Welt so zu sehen wie Warhol“, wird in Form und Technik umgesetzt – zumindest für Momente. Das wirklich Abgründige, das Düster-Melancholische, das man bei Warhol manchmal fast überblättert – das kommt an diesem Abend auch nur am Rand vor: Der elektrische Stuhl. Der Tod, der Dreck. Warhol war eben nicht nur der Chronist der Suppendosen, sondern auch der Banalität des Grauens sowie des grauenhaft öden Banalen.
Die unterhaltsame Inszenierung von Günther Grosser schafft es, einerseits die Nonchalance und Ambivalenz der 60er Jahre sowie die alles kuratierende Wichtigtuerei und Gefühligkeit der Jetztzeit auf die Bühne zu holen – und lädt dabei das Publikum ein, sich selbst darin zu spiegeln: Sind wir nicht längst alle Teil der Factory? Drehen wir nicht alle unsere Filme, tagtäglich, ständig? Ist nicht alles Pop – oder alles ein Theaterstück? Sind wir nicht alle Andy?
„POP! Andy Warhol & The Velvet Underground“ ist Teil der Reihe „A Conversation with a Cultural Icon“, in der das English Theatre Berlin Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts auf die Bühne bringt. Frühere Produktionen widmeten sich u. a. „JAWS“ und „Bowie in Berlin“. Das Stück läuft noch bis zum 19. April 2025, Vorstellungen beginnen jeweils um 20 Uhr. Tickets sind ab 11 Euro erhältlich.
ENGLISH THEATRE BERLIN | INTERNATIONAL PERFORMING ARTS CENTER, Fidicinstraße 40, 10965 Berlin