ein buntes Kulturerlebnis!

… gegensätzlich: Hermann Nitsch vs. Rebecca Horn im Martin-Gropius-Bau

Zur Zeit kann man im Martin Gropius Bau zwei große Künstlerkonzepte in parallelen Ausstellungen erleben: Hermann Nitsch gegen Rebecca Horn, zweite Etage gegen erste Etage, Blut gegen Schmerz, Orgie gegen Psychologie, Theater gegen Poesie, Spiel gegen Ernst, Mann gegen Frau, Außen gegen Innen, Österreich gegen Deutschland. Besser könnten die Pole kaum liegen – ein Lob auf die Programmbelegungsplaner!Hört man „Hermann Nitsch„, denkt man an Blut und Provokation. Man sieht sofort das Bild eines dicken Österreichers, der im Almöhi-Look, Schlachtfieh und nackte Menschen an christliche Kreuze schlägt und mit allerlei Natursäften herumspritzt. Anlässlich der Promo zur Ausstellung im Martin-Gropius-Bau hörte man ihn nun aber unentwegt in jedes Mikrofon sagen: „Ich bin kein Provokateur und ich war nie einer.“ Um nun die Vorurteile mit der Realität abzugleichen, ging ich in die Ausstellung, die sich als Retrospektive angekündigt. Gleich neben dem Eingang hängen große Fotodokumentation seines „Orgien Mysterien Theaters“ und sofort springt mir etwas unerwartetes ins Auge: Dieser Mann ist ein Spiele-Designer! Die Aufstellungen der Beteiligten „Schauspieler“ erinnern sehr an Spielbrettmuster, wie man sie von Mensch ärgere dich nicht, Malefitz oder Halma kennt. Symetrie, Ordnung und das Festlegen von Ereignisdramaturgien geben dem Spiel die äußere Form. Es geht sehr grafisch, wenn nicht gar ikonografisch zu bei Nitsch und alles folgt seinen Spielregeln, die er in Form von Partituren niederschreibt und mit den Akteuren abspielt. Die Themen sind österreichisch schwermütig und gehen immer aufs Ganze: Er denkt in Zyklen von Geburt, Leben und Tod oder von Schuld, Aufopferung und Vergebung und inszeniert seine Initiationsrituale um jeden einzelnen Schritt eines solchen Zyklus überdeutlich „erfahrbar“ zu machen. Dazu werden alle Sinne angesprochen (was man in der Ausstellung leider nicht erfahren kann), denn zu jeder Einzel-Handlung (Eucharestie, Orgasmus, usw.) werden streng festgelegte Mengen von Flüssigkeiten mit bestimmten Eigenschaften (Farbe, Geschack, Geruch) verschüttet, um die Sinnlichkeit auf ein höchstmögliches Maß zu steigern. Er will absolute Intensität. Er legt das existentielle Ritualbedürfnis (Wunsch nach einer appolinischer Strenge in der kontrolliert dionysische Ausbrüche möglich sind) von uns Neuzeitler frei (aus dieser Quelle ist wohl auch der Esoterik-Hype zu erklären) und befriedigt es mit starken Affekten. Er überdeckt die Antwort auf die zentralen Fragen nach dem Warum und Wozu mit extremen Erlebnissen. Da er sein Schaffen als Kunst und nicht als Therapie verkauft, sehe ich darin kein Problem und auch keine Provokation (im Gegensatz zu solch fragwürdigen Verfahren wie z.B. der Familienaufstellung, die Lebenshilfe sein wollen und auch nur Emotionstheater sind). Nein Nitsch will nicht heilen, er will anstoßen, wie es sich für einen ordentlichen Künstler gehört. Manchmal engleist ihm dieses Vorhaben allerdings, etwa wenn er in seinen Partituren Menschenmassen über Schlachfelder führt (wenn ein Österreicher so was macht, bekomme ich spontan Angst), oder wenn er während seinen Aufführungen herumrennen muss, um die Darsteller am all zu lang ausgedehnten Wühlen in blutigen Innerreihen (Blutrausch) zu hindern. Sein Werk ist eindrucksvoll und mehr will er wohl auch nicht. Man sieht und fühlt Intensität zum Sellbstzweck und sollte sich nicht all zu viel dabei denken.

Und Rebecca Horn? Sie erlebte Intensität ohne Theater. Die Ausstellung zeigt es mindestens ebenso eindrücklich, wie die Blutorgien ein Stockwerk höher. Einige ihrer Bilder und Zeichnungen sind Abbilder der körperlichen und geistigen Schmerzen der Künstlerin. Man sieht wie sie beim Malen selbst auf der Leinwand oder dem Papier lag, wie sie ihren Schmerz mit bloßen Fingern in den Untergrund drückte. Hier gibt es Ähnlichkeiten zwischen Rebecca Horns Werk und den Bildern bei Nitsch – es sind Spuren oder übriggebliebene Relikte von einem künstlerischen Geschehen. Bei Nitsch von Außen provoziert, bei Horn von Innen, von sich heraus fließend. Rebecca Horn lotet den Körper im Raum aus, erst geometrisch, dann inhaltlich und später geht sie an die Schnittstelle zwischen Innen und Außen, kratzt, sticht und durchdringt Oberflächen, hinter denen immer ein Innen liegt. (Das ist in Berlin in diesem Winter ja so wie so das Leitthema der Kunstschauen – siehe KW „Into me. Out of me.„).
Alle ihre Arbeiten sind poetische Werke, die meistens weniger Worte bedürfen, als sie ihnen mitgibt (da kommt es dem Kitsch manchmal sehr nahe). Ihre kinetischen Maschinen spielen mit den Prinzipien der Ordnung und des Chaos (wie bei Nitsch der Einfluss Apollos und Dionysos), doch bei ihr ist die chaotische Spur reine Poesie. Wellen spiegeln einen Lichtstrahl zufällig aber wunderschön an eine Wand (fraktale Mathematik als Kusterlebnis) oder eine Farbspritzmaschine sprüht schwarze Farbe mit göttlicher Sicherheit genial auf eine Wand. Bei Nitsch wäre sie nur bekleckert.

Beide Ausstellungen sind sehenswert!