ein buntes Kulturerlebnis!

… in der Hand der Ratten: bekömmliches Ratatouille im Kino

Die Walt Disney-Productions sind nicht gerade für Mainstream-Kritik bekannt, doch seit die Pixar-Leute die Kreativabteilung des alten Comic-Schlachtschiffes übernommen haben, bekommen die Filme zumindest einen kritischen Unterton. Meisterlich gelungen ist dies, beim Anti-Fast-Food-Massengeschmack-Film „Ratatouille“. Kritik und Vermarktbarkeit gehen hier eine nie gekannte Einheit ein.

Zum Film:
Die geschmacklich abgestumpfte Rattenkolonie ernährt sich von Müll, ist nur am Nährwert interessiert und will von Gaumenfreuden lieber nichts wissen. Sie könnten ja den sündigen Geschmack der Kultur haben. Es ist nicht zu verkennen, dass diese Rattenkolonie den American Way of Eating lebt. Doch mitten in dieser konformen Masse gibt es einen einsamen Widersache, der mit hoch sensiblen Geruchs- und Geschmachsnerven ausgestattet ist. Nach der Devise „man ist, was man isst“ will er nur das Feinste vom Feinen essen und Koch werden, um den anderen zu zeigen, was Essen sein kann: ein Fest der Sinne (im Film wunderschön synästhetisch dargestellt). Statt dessen wird er zwangsweise in den Geheimdienst der Kolonie gesteckt, um mit seinen Fähigkeiten der Terrorabwehr (Rattengiftangriffe) zu dienen. Doch zum Glück kommt alles anders. Auf wundersame Weise gerät unsere kleiner Held Remy nach Paris, wo er in einer hervorragenden Küche, dem talentfreien Küchenjunge zur Hand gehen kann. Diese für beiden Seiten hoch gefährliche Partnerschaft muss natürlich streng geheim bleiben. Als das Ganze doch auffliegt, stellt sich der inzwischen zum Chef des Restaurants avancierte Küchenjunge, vor seinen Rattenfreund und verteidigt ihn als den besten Koch weit und breit. Doch mit dieser Wahrheit kommen die anderen Teamkollegen nicht klar. Sie verlassen das Restaurant genau in dem Moment, in dem es sich vor dem größten Gourmet-Kritiker überhaupt beweisen muss. Jetzt schlägt die Stunde der Rattenkolonie, die nun mit vereinten Kräften unter Remys Anleitung ein erstaunlich bodenständiges Mahl zaubert. Der Kritiker wird vom großartigen Geschmackserlebnis dermaßen emotional überrollt, dass seine verkopften Grundwerte erschüttert werden. Völlig durchlässig für das Schöne und Gute, hält er selbst die Wahrheit aus, von einer Ratte bekocht worden zu sein. Er schreibt tagsdrauf in der Zeitung ein Loblied sondersgleichen und alles dreht sich zum Guten.

Nun ist die Filmhandlung allerdings nicht so einfach, wie hier zusammengefasst. Der Plott ist für einen Kinderfilm wirklich anspruchsvoll, schnell erzählt und voll von wirklich guten Pointen. Dabei gelingt es immerwieder Brüche und eine ganze Reihe von gut ausgebauten Charakteren mit ihren individuellen Entwicklungen zu integrieren. Auch technisch und ästhetisch ist Ratatouille ganz vorn. Es wird viel mit extrem kleinen Schärfentiefen gearbeitet, was den Blick immer auf der Ebene der Mikrowelt der Ratten hält. Alles verstömt eine wirklich wohlige Wärme, wie man sie vielleicht noch nie im Animationsfilm gesehen hat.

Versuch der Deutung des Filmgeschehens:
Die imperialen Ratten, unverkennbar Amerikaner (jedenfalls haben sie als einzige keinen französischen Akzent), lehnen die Werte der alte Welt (Frankreich = Land der Unwilligen) ab. Hier steht Puritanismus, Arbeitsethos und Gehorsam gegen Individualismus, Sinnesfreude und mystischen Katholizismus (falls es sowas gibt?). Der Küchenjunge passt eigentlich besser in die Welt der Amerikaner, wo man sich über seine Arbeit definiert und Leistung zählt. Er ist der Meinung, dass er diesen Job in der Küche nicht vermasseln darf, geht aber trotzdem das Wagnis ein, sich mit der sinnlichen Bestie (den Emotionen) einzulassen. Das Tier (in ihm bzw. die Ratte Remy auf seinem Kopf) übernimmt nach anfänglichen Schwierigkeiten sein Handeln und gemeisam sind sie zur Erschaffung von wahrer, vitalisierender Kunst fähig. Doch das Glück wird auf die Probe gestellt und in der herausfordernden Situation des Kampfes (Verteidigung der eigenen Werte) bekommen die als Künstler eingeführten Europäer in der Küche kalte Füße. Sie rennen verängstigt davon und zur Rettung des Abendlandes stehen nun nur noch die Amerikanier zur Verfügung. Sie betreiben auf Befehl des einen unten ihnen, den sie im Gegensatz zu den Europäern als herausragend erkennen, Nation Building und fechten den als Stellvertreter Kampf für die Grundwerte des Abendlandes aus. Letztlich ist dieser Kampf aber nur durch das Anerkennen zweier Wahrheiten zu bestehen. Erstens (psychologisch gesehen) gewinnt der Küchenjunge ab dem Moment, in dem er akzeptiert, dass er kein Talent zum Koch hat, sondern dass er zum Kellner, bzw. Diener oder Promoter des Kochs geboren wurde (wobei die Eigentumsrechte klar auf seiner Seite liegen). Zweitens (politisch gesehen) gestehen die Europäer ihre Schwäche und akzeptieren die amerikanische Schutzmacht zur Verteidigung der Freiheit. Diese Einsichten und die daraus resultierenden Handlungen werden der Gesetzesmacht (der vierten Gewalt) „gebeichtet“ und bei so viel seelisch, moralischer Offenheit (=Demokratie im Privaten) zeigt sich die kritische Öffentlichkeit nicht nur gewogen, sondern sogar selbst verwandelt. Sie anerkennt gleichzeitig das Gebot der persönlichen emotionalen Verantwortung und die amerikanische Schutzmacht für den globalen wie inneren Frieden (vgl. Begriff der Weltinnenpolitik) .

Wann gab ein Disney-Film je Anlass und vor allem Spielraum für solche Gedanken? Ich gebe zu, bei meiner Deutung verschmelzen psychologische und politische Motive, doch zusammen ergibt sich ein interessantes Gericht, mit verführerischem Duft. Für mich ist Ratatouille ein brilliantens neuzeitlichen Märchen, das (wie alle guten Märchen) vielschichtig deutbar und wirksam ist!
So ist zu vernehmen, dass viele Kinder jetzt unbedingt eine Ratte als Haustier haben möchten. Besser wäre natürlich, wenn sie nach dem Film gerne kochen würden und neugierig auf neue Geschäcker wären. Denkbar ist trotzdem, dass die Verwandlung (Wunsch nach besserem Essen) eher über einen guten Film (marketingorientierte Bedürfnisweckung) funktioniert, als (wie jüngst wieder einmal in Deutschland diskutiert) über ein verordnetes Schulfach „Kochen“.

Was der stern dazu schreibt.