Hans Weingartner hat Sendungsbewusstsein. Nach die „Fetten Jahre sind vorbei“ ist jetzt „Free Rainer – Dein Fernseher lügt“ im Kino.
Die Geschichte ist einfach und spielt im Fach moderne Mythen: Ein skrupelloser und seit Jahren zugekokster TV-Produzent wird von einer Leidtragenden seiner Pseudo-Information-Shows zur Strecke gebracht. Beide erleiden bei dem heftigen Zusammenstoß einen Zusammenbruch, der für beide einen neuen Zusammenanfang möglich macht. Er erkennt wie falsch sein Handeln in der Verdummungsindustrie war und kämpft fortan mit allen Mittel gegen den Hauptfeind: Die TV-Quote. Denn im Leitmedium Fernsehen wird nun mal produziert, was die Leute am meisten gucken. Qualität ist kein Maßstab. Die Idee zur Lösung des Problems: Die Quote muss manipuliert werden. Kultur und echte Information werden aufgewertet, Beauty-Shows und Container-Formate runtergezogen. Das zwingt die Sender dazu Qualität zu senden, denn wie gesagt, produziert wird, was geguckt wird. Am Ende gelingt der Coup trotz Enttarnung des Betrugs und die Medienlandschaft wurde tatsächlich nachhaltig umgekrempelt. Denn die Menschen wollen weiter nur das sehen, was sie nach einigen Wochen manipuliertem HighQuality-TV gewohnt sind: Kulturfernsehen. Eine schöne Vision!
Richtig super ist der Film immer dann, wenn er den Wahn der bestehenden TV-Welt zeigt bzw. parodiert. Die menschenverachtenden Shows, die der TV-Produzent macht, die idiotischen Kandidaten, die sich ganz toll wähnen und das tumbe, auf Befehl gröhlende Publikum. Da hat man als Zuschauer das Gefühl, dass die Realität eigentlich kaum überzogen wurde. Zugegeben, ein etwas verstärkter Blick, aber nur um klar zu sehen. Wirklich großartig sind auch die ersten Minuten, in denen der nervige Moritz Bleibtreu mit seinem Jaguar durch Berlin brettert, in einen Wagen voller Nazi-Muskel-Typen kracht und als Zugabe seinen eigenen Wagen mit dem Baseball-Schläger zerlegt. Die Muskelprotze sind davon dermaßen beeindruckt, dass sie sich respektvoll zurückziehen. Das sind Bilder, die unserere TV-verblödete Gesellschaft sehr schön illustrieren.
Auch das Casting und die Schauspieler sind klasse. Besonders Milan Peschel als soziophober Nerd und Gregor Bloéb als Programmchef sind grandios. Ziemlich farblos bleibt dagegen die einzige wichtige Frauenrolle, gespielt von der allerdings sehr süßen Elsa Sophie Gambard. Die ganze Geschichte rund um ihre Person scheint nur in den Film eingefügt zu sein, damit halt eine hübsche Frau mitspielen kann, die ein bisschen Gefühl in den Film bringt. So bringt sie dem Ex-TV-Produzenten z.B. das Schwimmen bei und lehrt ihn, sich für andere einzusetzen, was dazu führt, dass auch er sich fallen lassen kann. Eine ziemlich konstruierte Anbiederung an die Vermarktbarkeit des Films und damit also an die Quote.
Schwächen hat der Film außerdem in manchen Dialogen, wenn die aufklärerische Botschaft ach so überdeutlich aufgesagt wird. Das ist ein Problem, das man auch bei „Die Wolke“ und einigen anderen rise-awareness-Filmen beobachten kann. Da werden dann plötzlich oberlehrerhafte Texte in Rollen transponiert, die ansonsten mächtig auf cool machen. Das geht einfach nicht wirklich zusammen. Trotzdem: Das Kinopublikum war sehr begeistert, es gab viele jubilierende Jauchzer und sogar Szenen- bzw. Schlussapplaus. Als ich mich nach dem Film umgesehen habe, hatte ich allerdings das deutliche Gefühl, dass die meisten von den hier Sitzenden sowieso keinen Fernseher zuhause haben. Gesehen im Filmtheater Friedrichshain.