ein buntes Kulturerlebnis!

… kurzweilig: Von der Oper zur Demo in einer Minute

Puccinis „La Bohème“ hat es nach Kreuzberg geschafft. Als „Die Boheme am Kottbusser Tor“ wurde die Oper auf eine etwas mehr als einstündige Fassung zusammengedampft, wodurch das schwülstige Werk auch mehr Druck entwickelt. Mit fünf Sänger/innen und einem kleinen Orchester, das im Sound durch ein Bandoneon, eine Baglama (eine Art orientalische Laute) und ein E-Piano aufgefrischt wurde, bespielt das Team den Festsaal Kreuzberg, mehr oder weniger in seiner derzeitigen Existenz, als vorgefundenes Bühnenbild. Schließlich entwickelt sich der Plott ja in einem ärmlichen Künstlermilieu, das man in diesem Raum wahrscheinlich als angestammt vermutet.
Zunächst ist es schon etwas befremdlich, wenn die Künstler und die Zuschauer rein visuell nicht voneinander zu unterscheiden sind, denn Oper war doch bisher etwas Erhabenes mit tollen Kostümen in aufwändigen Produktionen. Hier ist das anders, man nuckelt an der Bierflasche und hört dazu eine schmetternde Arie nach der anderen, denn die unspektakulären Zwischenteile der Originaloper sind auf dem Weg nach Kreuzberg vom Laster gefallen. Macht aber nichts, denn die Qualität der Sänger und des kleinen Orchesters (jede Stimme nur einmal) unter der Leitung von Jens Lietzke füllen den Abend und vor allem den kleinen Raum voll aus. Mehr wäre hier gar nicht machbar und in keinem Fall besser.
Was allerdings in der heißen Enge des Partybunkers nicht so recht rüberkommen will, ist das Leitmotiv der Kälte – die Kälte des Winters und die Kälte zwischen den Menschen mit ihrer Unmöglichkeit sich zu lieben. Dafür wird einfach zu viel geschwitzt im Raum.
Dennoch: Es macht Spaß, diese Kurzoper am Kottbusser Tor zu besuchen. Es wird ein bisschen mit orientalischen und elektronischen Klängen experimentiert und manchmal klingt es, als würde Elton John am E-Piano sitzen. Es ist nicht nur im Konzeptionellen, sondern auch im praktischen eine frische Öffnung der Oper Richtung Kiezbewohner und ich, als Kiezbewohner, finde, dass es gelungen ist.

Die letzten Termine sind heute Abend und 24. Juni, jeweils 20.00 Uhr. Ich glaube man kann einfach hingehen ohne vorher zu reservieren.

Übrigens ist der Kontrast zur Außenwelt, also der Nicht-Oper, wenn man auf die Straße tritt, dann auch bei aller Alltagsnähe der Inszenierung, doch immer noch erstaunlich hoch. Man geht 100 Schritte um die Ecke in die Oranienstraße und schon stampft eine Hunderschaft Polizisten im Kampfanzug vor einer Demo vorbei. Es wurde gegen die Polizeiaktionen im Vorfeld der Protesttage rund um den G8-Gipfel demonstriet, die sich auf den Paragrafen zum Verbot der „Bildung einer terroristischen Vereinigung“ stützen.