
Diese Ausstellung beschäftigt mich schon seit Tagen. Beim Betrachten der Fotografien von Cindy Sherman sind es zwei verbundene Deutungsebenen, die das Werk so interessant machen. Zum einen das Spiel mit dem Ich, der Selbstinszenierung, der Selbstwahrnehmung, dem Projezieren der Welt aufs Ich, um darüber herauszubekommen, welche Rolle die richtige für einen ist, und zum Anderen der umgekehrte Schritt, das Veröffentlichen des Ichs für die Projektionen der anderen, also das Anbieten der eigenen Person als Identifikationsfigur für andere Menschen.
Gestern lief auf 3sat ein Film über den von mir sehr geschätzten südafrikanischen Künstler William Kentridge (der nun schon in einigen meiner Artikel auftauchte) und er sagte: „Ich stelle mir selbst Fragen, die aber keine persönlichen Fragen sind.“ Genau das macht auch Cindy Sherman: Wer bin ich? Bin ich ihr? Bin ich wir? Seit ihr ich? (to be continued…)
In der Retrospektive „Cindy Sherman“ Martin-Gropius-Bau hängen Bilderzyklen aus allen wichtigen Schaffensperioden der Künstlerin seit 1975 bis 2005. Manche Arbeiten erscheinen ein bisschen wie die Begleitkunst zum Fach „Gender Studies“ (ich weiß das ist ein typisches Vorurteil, aber es kommt mir trotzdem so vor). Immer dann, wenn es um soziale oder gesellschaftliche Rollen(bilder) geht, z.B. in der Serie „Bus Riders“, in der die Künstlerin eine Vielzahl von sozial repräsentativen Typen in ihrem Studio in Szene setzt, in der Reihe „Hollywood/Hampton Types“, in der sie vergessene Schauspielerinnen darstellt, die mit diesen entstellenden Bewerbungsfotos wieder ein Engagement bekommen wollen, oder mit dem Zyklus „Horror and Surrealist Pictures“, bei der sie ziemlich heftig gegen die Idealisierung der Frau und ihrer Schönheit antritt. „Mit einer Art symbolischem Exorzismus bereitet sie der mythischen Verbrämung des Frauenbildes ein Ende.“ steht dazu im Begleittext.
Die Bilder werden in den Serien „Broken Dolls“ und „Sex Pictures“ noch drastischer. Verstümmelte Puppen und seltsam zusammenoperierte Prothesen zeigen eine Bilderwelt, die auf das kindliche Bewusstsein vor der Entwicklung von Moralvorstellungen anspielt. Es sind Zugänge zu einer triebgesteuerten Welt, deren Benutzung man als zivilisierter Bürger scheut, die in diesen Bildern aber als Möglichkeit oder dunkle Ahnung faszinierend sind. Andere Zyklen, die ganz ohne den Subtext der Gewaltdarstellung auskommen, treten dem Betrachter mit ebensolcher Intensität entgegen. So ist die Serie „History Portraits/Old Masters“ neben dem Abarbeiten der kunstgeschichtlichen Bezüge ein Versuch, sich in einem historischen Kontext zu entdecken. Cindy Sherman setzt sich selbst als ihre Ahnen ein und fragt nach dem immerwährenden Ich, das sich über Generationen entwickelt.
Die neueste „Clowns“-Serie erscheint dagegen sehr schwach. Hier verwendet die Künstlerin zum ersten Mal komplett digital erstellte Hintergründe und will damit psychodelisch wirken. Die Bilder verlieren darurch die ansonsten so anziehende Bild- und Phantasietiefe.
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