
„Die Zeit“ ist eines der wenigen deutschen Blätter, das es geschafft hat, seine Leserschaft in den letzten Jahren kontinuierlich zu steigern. Im Gegensatz zu den vielen Magazinen und Zeitungen, die in einem ständigen Prozess des inneren Wandels versuchten sich den mutmaßlichen Wünschen der Leser anzupassen, fuhr „Die Zeit“ ein unangepasstes Konzept, das wegen seiner Sperrigkeit im deutschen Markt als einzigartig erkannt wurde und dementsprechend durch eine wachsende Leserschaft honoriert wurde. „Die Zeit“ ist die einzige Wochenzeitung in der diskursiv argumentiert wird. Man kann hier öfters zwei oder mehr zum Teil deutlich unterschiedliche Positionen zu einem Thema lesen.
Nun hat das Blatt festgestellt, dass gerade die Anteile der jüngeren Leser und der weiblichen Leserinnen in der letzten Zeit stark zugenommen haben. Um dem Rechnung zu tragen, wurde nun eine alte Idee wiederbelebt. Vor Jahren, als es der Zeit wirtschaftlich schlecht ging und eine Phase der Konsolidierung folgte, wurde das damals existierende „ZEITmagazin“ eingestellt. Die Kosten waren zu hoch, die Leserschaft zu gering und das Magazin zu anders gegenüber der soliden Wochenzeitung. Jetzt glaubt man in der Redaktion, die passenden Leser wieder bei der Stange zu haben und genügend Geld gibt es anscheinend auch wieder. Was liegt da näher, als das alte Magazin wieder neu aufzulegen.
Doch was für ein Irrtum liegt dieser Entscheidung zu Grunde! Schließlich wuchs die Leserschaft der Zeit ja gerade ohne ein reich bebildertes Magazin. Die jungen und weiblichen Leser und Leserinnen goutierten das textbasierte Heft, sie interessierten sich für die oft seitenlangen Texte und die hintergründigen Reportagen und eben nicht für Lifestyle-orientierte Themen, mit Shopping-Giude, Wellness-Ecke und in rosa gehaltenen Illustrationen.
All das, mit möglichst kurzen Texten, müssen wir Leser nun in Form des neuen (alten) „ZEITmagazin Leben“ wieder ertragen. In der ersten Auflage ist nur an einer Stelle eine echte Spezialität zu finden, die die besondere Form des Magazins nutzt: Die Mittelseite zum Ausklappen gibt ein wirklich beeindruckend großes Foto der Bühne und des Zuschauerraums der Semper Oper in Dresden frei und es wird versprochen, dass es hier immer einen Blick auf Deutschland von oben geben werde. Weiter sind ein paar Geschichten drin, die ich gerne in der Zeit selbst gelesen hätte (die Wallraff-Story, das Ackermann-Interview und die schöne Rubrik „der Traum“), aber den ganzen Rest brauche ich und vermutlich auch die bislang wachsende Zeit-Leserschaft nicht. Wir wollen keine Tipps für den Mann lesen, welche Sonnenbrille er zu tragen habe und bitte auch keine Schauspielerinnen-Interviews ohne erkennbaren Inhalt.
Das Layout des ca. Dina4-großen Hefts ist geradezu erschreckend Old-School, kombiniert mit ein paar aktuellen Vorlieben der Editorial Designer (z.B. kursive Serifenschriften in Versalzeilen – bäh!) und – natürlich Plicht im Fach Magazindesign – größeren Weißraumflächen. Harald Martenstein (der inzwischen vor lauter Vielschreiberei und Videoblogging leider auch nur noch über sein eigenes Schreiben sinniert) bringt es in seiner Kolumne auf den Punkt: „Der Artdirektor [schrille Schreibweise!?] verhält sich zur Kunst des sich schriftlich Ausdrückens wie […] die kalte Dusche zur Erotik oder wie die Klimakatastrophe zu den Gletschern der Alpen.“
Ich freue mich schon auf die nächste Konsolidierungsrunde.
Im Meinungsportal zum Zeitmagazin Leben herrscht übrigens auch nicht gerade eben Begeisterung.