
In der Neuen Nationalgalerie sind im unteren Nebenraum zur Zeit Neuerwerbungen der Sammlung zu sehen. Darunter sind einige großformatige Fotografien von Vanessa Beecroft, die 2005 in der Nationalgalerie gemacht wurden. Zu der damaligen Performance wurden im völlig leeren oberen Raum des Gebäudes von Ludwig Mies van der Rohe hundert (und ein paar mehr) Frauen zu Gruppenaktaufnahmen inszeniert, deren Fotoverewigung nun durch den Verein der Freunde der Nationalgalerie angekauft wurde. Frau Beecroft sagt selbst Nacktheit mache ihr Angst und sie selbst kann zur Erklärung des Werkes nicht sehr viel beitragen, außer dass es eine Bearbeitung ihrer Ängste sei.
Die Interpretationsmöglichkeiten sind allerdings sehr klar, so dass es eine gedankliche Vorarbeit durch die Künstlerin kaum braucht. Wir sind mit viel Körperlichkeit in Form von nackter Haut konfrontiert, wie man sie sonst nur in perfekter Schönheit in der Werbung vorgeführt bekommt. Darum erschrickt man zunächst auch etwas vor Selbstverständlichkeit, mit der uns hier die Imperfektion von unterschiedlich großen Brüsten, schrägen Gesichtern, in Strupfhosen abgeklemmten Wülsten, dicken Hüften oder hängendenHautfalten gezeigt wird. Doch es dauert nicht lange, bis wir die Schönheit in den Menschen erkennen (oder zumindest vermuten) und diese sogar an der ganz normalen äußeren Form versuchen abzulesen.
Es ist einfach furchtbar interessant, die Andersartigkeit der vielen Körper zu studieren, ganz ohne Lust an der Nacktheit, die man als Erniedrigung oder Voyeurismus (dieser Vorwurf ist absurd) bezeichnen könnte. Man wird als Betrachter beinahe automatisch zum vergleichend arbeitenden Forscher, fast schon zu einem Arzt, der die menschlichen Ausformungen interpretieren möchte. Dieser neugierige, kalte Blick kann übrigens ebenso, wie die Haarfarbensortierung nach Nationalfarben, auf die Naziideologie der Rassenlehre verweisen, in der die Verfestigung von Stereotypen zur Überhöhung des eigenen Volkskörpers staatlich vorexerziert wurde.
Frauen stehen ja auch derzeit wieder im Mittelpunkt der gesellschaftlichen Diskussion um den Volkskörper, Krippenplätze, Überalterung und Geburtenzahlen. Die vielfache Mutter, die es bis zur Ministerin geschafft hat, die kinderlose aber von selbstzweifeln geplagte Akademikerin oder die rauchende Schwangere, die von Hartz IV lebt. Sie alle sehen nackt aus wie diese 100 Frauen: Vollkommen verschieden! Es ist einfach abwegig irgendwelche Aussagen und Planungen über oder für „Frauen als homogenes Ganzes“ zu machen. Im Mittelpunkt der Diskussion muss die Herstellung von persönlicher Wahlfreiheit jedes Menschen stehen, das Leben so zu gestalten, wie er oder sie es möchte: 7 Kinder bekommen, Karriere machen oder beides zusammen. Begriffe wie Rabenmutter, Heimchen oder Gebärmaschine gehören endlich gesellschaftlich geächtet, so dass es eben keine stereotype Verfestigung von ideologisierten Lebensmodellen mehr geben kann, die aus solchen „Wert-Vorstellungen“ heraus genährt werden.
Vanessa Beecrofts Bilder sind eine großartige Arbeit! Gut, dass sie in Berlin zu sehen sind! Alle FamilienpolitikerInnen können sich zur Abprüfung ihrer Vorstellungen ja mal davor versammeln. Vielleicht sogar nackt, dann sähe es mit der Konsensfindung bestimmt anders aus.