
„Planet Prozess“ heißt die derzeit größte Street Art Schau in Berlin: 40 Künstler aus 12 Nationen werden auf 4 Etagen vereint und man darf bei solch einer Gelegenheit erwarten, dass sich einige erfrischende und leicht anarchische Ideen den zur Verfügung gestellten Raum greifen. Man spürt nur vereinzelt, dass die Kunst, die sich ansonsten in städtische Zwischenräume drängt, noch gewisse Aklimatisierungsprobleme hat, wenn sie ausdrücklich bekommt, was sie sich sonst einfach nimmt: Raum. Es ist in gewisser Weise ein selbstentfremdender Schritt, wenn Straßenkunst in einen Ausstellungsraum tritt, denn ein wesentliches, sinnstiftendes Merkmal geht dabei verloren: Die „Reclaim“-Attitüde zieht nicht, wenn Straßenkunst nicht den Hauch des Verbotenen hat. In der Galerie oder im Museum kann diese Kunst keine Kunst gegen die als öde und wüst empfundene urbane Umwelt sein, sie muss sich ohne aufmüpfische Intervention gegenüber dem Vorgefundenen behaupten, was den meisten Künstlern der Ausstellung auch bestens gelingt.
Im Text zum Ausstellungskonzept zeigen die Macher der Schau dagegen, dass sie diesen notwendigen Schritt der Emanzipation gegenüber dem Antidenken noch nicht gehen möchten. Wir lesen: „Am Anfang war die Stadt wüst und leer. Dann jedoch wurde die Straße zur Galerie, die Zwischenräume füllten sich mit Kunst und Leben: In 21 Tagen erschaffen wir eine Ausstellung über Straßenkunst, die sich entwickelt wie die Stadt selbst. […] Ihr Völker der Welt: Schaut auf diese Stadt!“
Natürlich war die Stadt trotz äußerlich augenscheinlicher Lebensfeindlichkeit schon immer ein Ort verdichteter Lebendigkeit und der Kulturakkumulation, auch ohne Straßenkünstler nach moderner (wie es oben klingt „revulotionärer“) Lesart. Aber sei’s drum, die Künstler selber sind schon weiter.
Wenn man an die Ecke Schlesische Straße/Cuvrystraße kommt irritiert schon von Weitem das größte der Exponate den Blick. Der italienische Aktivist blu (er ist auch mit einer filmischen Aktion im Haus Bethanien vertreten) hat zusammen mit seinem französischen Kollegen JR ein gigantisches Motiv an die riesige Brandwand der gegenüber des ehemaligen Senatsreservespeichers liegenden Baulücke gezaubert. Die pure Größe und die nicht dechiffrierbaren Gesten der beiden verdrehten Figuren hat magische Anziehungskraft. Dieses Werk funktioniert hervorragend als künstlerischer Sprengsatz im Stadtgefüge. Es zieht die Aufmerksamkeit an sich, holt uns Stadtmenschen mittels einer paradoxen Intervention aus dem Alltagstrott und öffnet einen Raum, der ja eigentlich schon lange offen stand, den man nur nicht wahrgenommen und nicht in Anspruch genommen hatte. Das ist genau die Arbeitsweise des künstlerischen „Reclaim the streets“-Gedanken. Kunst nimmt in diesem Sinne den Raum nicht in Besitz, sondern weitet den ästhetischen Anspruch der Allgemeinheit auf diesen Raum aus.
Fast schon im klassischen Sinne des „Denkmals“ gelingt das auch Cream, der auf der Oberbaumbrücke mit einem Schild „dringend“ um „erhöhte Aufmerksamkeit“ und „Mitdenken“ bittet, denn es geht schließlich „um unser aller Wohlergehen“.
Die Idee der Kunstausweitung kombinieren die New Yorker Künstlerinnen Alison & Solovei mit einer Art Bestellverfahren. In Klarsichtmappen zeigen sie viele liebenswerte Cutout-Motive von Tieren, Personen und märchenhaften Geschichten. Daneben findet man kleine Zettel, mit deren Hilfe man den Künstlerinnen mitteilen kann, wo in der Stadt man diese Motive denn gerne hintapeziert haben möchte. Nach Ablauf der Ausstellung gehen die beiden dann durch die Stadt und verteilen ihre „Informationsträger“ ganz nach Wunsch der Öffentlichkeit in der Öffentlichkeit. So entsteht eine „Public Public Libary“. Auch der abstrakt arbeitende Position aus Berlin erledigt in diesem Sinne Auftragskunst zum Nulltarif.
Ganz andere Wege druch die Stadt geht der Holländer Willem Besselink. Er verfolgt zufällig ausgewählte Passanten, verzeichnet deren zu Fuß begangene Strecken auf einem Plan und überträgt die so abgelaufenen Wege in eine maßstabsgetreue, dreidimensionale Plastik, die während der gesamten Ausstellungsdauer fortlaufend weiter aufgebaut wird. Die Visualisierungstechnik erinnert an eine virtuelle 3D-Vector-Welt, doch sie ist absolut handgemacht. Hier sägt einer feine Holzleisten, die er anschließend mit der Heißklebepistole verleimt.
Bei all den beschriebenen Projekten ist von einer Antihaltung zur „öden“ Stadt zum Glück nichts mehr zu spüren. Die wird dann aber nochmal so richtig im letzten Teil des obersten Stockwerks breitgetreten. Einige Räume wurden zur allgemeinen Ausgestalltung freigegeben und in der Manier eines hübsch destuktiven Happenings hauen hier alle nochmal fröhlich auf die Kacke. Umgeschmissene Sofas, zersplitterte Spiegel, bekleckerte Pornos, zerstörte und übereinander getürmte Möbel. Alles fügt sich zu einer „spontanen Skulptur“. Mein Gott wie aktuell. Wie rebellisch. Hier sieht man gut, dass eben nicht alles was irgendwie heftig ist, schon an sich den richtigen Impuls der Veränderung zum Guten in sich trägt. Diese Räume sind einfach nur langweilig und das Gegenteil von skandalös. Insofern schaffen es diese Räume auch nicht, von der ansonsten sehr ineressanten Ausstellung abzulenken.
Die Ausstellung läuft nur noch wenige Tage und zum Abschluss wird zu zwei Großevents eingeladen:
Finale & Blockparty: 11. August, 14:00 Uhr
Finissage: 19. August, 14:00 Uhr
Vor einiger Zeit erschien übrigens ein interessanter Artikel von Diana Artus zum Thema Streetart in der Jungle World. Sie geht der Frage nach, ob es denn der Street Art Bewegung wirklich gut tut, wenn sie immer mehr in den Galeriebetrieb drängt, oder auch gezogen wird.
Mehr dazu auch noch in einem Interview (hier zum Reinhören) mit ihr bei Radio Corax aus Halle.