Auf die Wand gemalte Animation von blu. Kaum eine andere künstlerische Bewegung hat in den letzten Jahren so viel Lebendigkeit und Kreativität hervorgebracht wie die „Street Art„. Denn unter diesem sehr offenen Gattungsbegriff ist seit Langem weit mehr, als nur Graffiti zu verstehen. In Fell gewandete Mülleimer (im Görlitzer Park), gestrickte Botschaften (Knitt-Graffiti), allerlei surreale Objekte, die unter Brücken oder aus Bäumen hängen (Heinrichplatz), hunderte Plakate mit wechselnden Motiven, die in ihrer gesamten Abfolge einen Film ergeben, all das und noch viel mehr, kann Street Art sein. Der Untertitel der Veranstaltung macht deutlich wie ausgeweitet der Begriff verstanden werden soll: „urban communication and aesthetics“. Allen Formen gemein ist die große Kommunikationsbereitschaft gegenüber den meist zufällig vorbeikommenden Betrachtern, denn Street Art will immer das gewohnte Stadtbild aufbrechen, erweitern oder für private bis künstlerische Botschaften zurückerobern. Mit dieser Haltung (Kampf um Aufmerksamkeit) ist eine deutliche Nähe zur Werbung und anderen kommerzialisierten Medien gegeben und es erklärt sich daraus auch der Versuch einiger Konzerne, die Street Art-Künstler und -Künstlerinnen zu vereinnahmen. Denn die produktive Antihaltung und der Drang dem Selbst, eine ungebrochene oder unverfälschte äußere Entsprechung zu geben („express yourself“), ist natürlich extrem cool, attraktiv und entspricht dem Image von vielen „Just do it“-Konzernen. Die Street Art hat die Coolness und Dreistigkeit, hinter der die hippen Marken geradezu herjagen. Große kooperative Arbeiten sah man dann auch während der Fußballweltmeisterschaft, als Nike in der Stadt mehrere Brandwände mit riesigen Street Art Bildern bemalen lies. Doch genau hier wird auch die Frage evident, wie man es als Street Artist denn halten soll mit den Konzernen. Ist eine Werbebotschaft besser, wenn sie von einem Street Artist gestaltet wurde? Ein Ausweg aus der Finanzierungslücke bietet die Aufwertung der Szene als anerkannte Kunstströmung, denn so werden für die eben noch Kriminalisierten plötzlich Stipendien und ähnliche Geldquellen anzapfbar. Hoffentlich spielen die verschiedenen Institutionen der Kunstförderung irgendwann mit. Die Ausstellung „Backjumps“ ist jedenfalls ein Argument dafür. Das neue „Life Issue #3“ des Magazins „Backjumps“ zeigt nun mit seiner dreidimensionalen Ausgabe (= Ausstellung im Kunstraum Kreuzberg) den aktuellen Stand des Street Art-Geschehens und stellt sich auch den zwei widerstrebenden großen Problemen, einerseit der Krimminalisierung und andererseits der Kommerzialisierung. Dies geschieht besonders mit dem deutlich ausgebauten Rahmenprogramm, bei dem sich die Möglichkeit bietet, an vielen verschiedenen Stadtbegehungen, Diskussionen und Workshops teilzunehmen.
Die Ausstellung verdichtet die Unterschiedlichkeit der Ansätze in einer Art Kaleidoskop, wobei die einzelnen Räume fast immer als eine zusammenhängende Arbeit oder zumindest als Arbeitszyklus aufbereitet wurden. War nach der ersten Ausstellung 2003 innerhalb von Stunden das gesamte Künstlerhaus Bethanien vollgetaggt, so wurden diesmal die langen Flure bis zum Kunstraum Kreuzberg komplett als Teil der Ausstellung gestaltet, vermutlich verbunden mit der Hoffnung, dass die schönen Arbeiten, die keinen Zentimeter Wand frei lassen, von den Taggern respektiert werden.
Besonders interessant fand ich die drei- und vierdimensionalen Arbeiten, nicht weil sie etwa eine völlig neue Formsprache bieten könnten, sondern einfach, weil sie über das bloße Oberflächliche des Übermalens oder Überklebens hinausgehen. Die Interaktion mit dem vorgefundenen Raum eröffnet erst die künstlerische Arbeit und neue oft humorvolle Interpretationsebenen. So wird z.B. durch das Aufhängen von zwei Lampions mit aufgemalten Punkten, eine Eingangssituation zu einem Gesicht mit rollenden Augen. Oder besonders prägnant, die Wände eines kleinen Raumes zeigen die Spuren einer Trickfilmproduktion. Die Einzelbilder wurden direkt auf die Wand gemalt, wobei das folgende Bild immer das davorliegende überdeckte (Vergleich > Arbeit von William Kentridge in der Schmerz-Ausstellung). In mitten des Raumes steht dann zum Zeitpunkt der Ausstellung ein Monitor, der den hier produzierten Film zeigt. (Siehe Video von „blu“ oben). Allerdings fragt sich, warum das noch als Street Art gelten sollte, denn der öffentliche Raum zur Vermittlung ist hier nicht mehr gegeben.
Diesem Übergang zu den „Fine Arts“ widmet sich übrigens die Galerie Tristesse Deluxe, die auch ins Programm integriert ist.
Sehr interessant sind die Arbeiten aus Süd- und Mittelamerka, wo meist eine Zuwendung zu sozialen Themen spürbar ist und die Kunst einen noch deutlicheren Aufklärungs- und Agitationscharakter besitzt. Fazit: Man muss diese Ausstellung gesehen haben, denn mit dieser Ausstellung wird Berlin wieder einmal (zumindest temporär) zum Zentrum der internationalen Street Art Szene.
Noch bis 19. August im Künstlerhaus Bethanien, Kunstraum Kreuzberg.