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… scheinwandelnd: Mariechen Danz performt ›Stubborn Shadows‹ in der Berlinischen Galerie

Die Performance ›Stubborn Shadows‹ von Mariechen Danz in der Berlinischen Galerie ist mehr als ein visuelles Spektakel. Sie ist eine Einladung, unsere Vorstellungen von Wissen, Wahrnehmung und Wahrheit grundlegend zu hinterfragen. Inmitten realer, gemalter und performter Schatten eröffnet Danz einen Erfahrungsraum, in dem Licht nicht bloß aufklärt, sondern irritiert – und Schatten nicht das Verborgene, sondern das Wesentliche sichtbar machen.

Schattenbilder: Realität und Illusion

Zentrales Element der Ausstellung sind Schatten – einige durch Taschenlampen und Körper erzeugt, andere täuschend echt an Wände und Böden gemalt. Die Grenze zwischen physischem Lichtspiel und gemalter Illusion verschwimmt. Diese sogenannten ‚Fake-Shadows‘ erzeugen eine Irritation, die weit über den Moment hinausreicht. Sie sind Behauptungen im Raum, erfahrbare Metaphern für ein Grundproblem der Erkenntnis: Wahrnehmung ist nie neutral, sondern stets vermittelt durch unsere Denksysteme. So entstehen Zweifel: Was ist echt, was ist Projektion? Wer lenkt das Licht – und zu welchem Zweck? In einer Welt, in der Desinformation und politische Framingstrategien gezielt mit dem Schein arbeiten, werden solche Schatten zu bildmächtigen Kommentaren.

Beleuchtung von Anton Filatov.
Musik in Zusammenarbeit mit Gediminas Žygus
Performance mit Saleh Yazdani, Gabriela Lesmes Lopez, Anne Bolena und Jacqueline Silva

Das Höhlengleichnis und die Beharrlichkeit des Wissens

Mariechen Danz greift bewusst auf das Motiv des Höhlengleichnisses von Platon zurück: Die Betrachter*innen sehen verzerrte Schatten eines Tänzers, der durch Lichtquellen in übergroßen Projektionen erscheint. Die reale Bewegung tritt hinter die illusionäre Wirkung zurück. Der Performance-Raum wird zur Höhle, die Besucher*innen zu suchenden Wesen zwischen Schattenwelt und Erkenntnis. Doch anders als bei Platon gibt es hier keine endgültige Wahrheit jenseits der Schatten – sondern nur immer neue Schichten von Interpretation, Projektion und Erfahrung.

Ritual und Aura: Die Rolle der Künstlerin

In der Performance betritt Mariechen Danz selbst die Bühne – nicht zurückhaltend, sondern als strahlende Figur auf gefährlich hohen Schuhen, silbrig geschminkt und in ein metallisch fließendes Gewand gehüllt. Sie erscheint wie eine Hohepriesterin zwischen den Welten, eine liturgische Akteurin mit ritueller Präsenz. Ihr quasi-religiöser Gesang entfaltet eine Atmosphäre zwischen sakraler Feier und kritischer Inszenierung. Mit geometrischen Gesten umrundet sie Glasobjekte, die an innere Organe erinnern, als gelte es, eine unsichtbare Aura in den Raum zu wedeln. Die Anmutung eines geheimnisvollen Rituals steht im Raum – und bleibt doch offen, tastend, ambivalent.

Wahrnehmung als Interferenz

Danz’ Kunst basiert auf der Überzeugung, dass Erkenntnis nicht nur kognitiv, sondern auch körperlich, affektiv und situativ geschieht. Wahrnehmung entsteht in Verhältnissen – zwischen Dingen, Menschen, Stimmen, Gesten, Schatten. Die Position eines Gehirns auf Bauchhöhe ist kein Fehler, sondern Ausdruck einer Verschiebung: Wo beginnt unser Denken, wo endet unser Fühlen? In dieser Offenheit liegt auch eine Gefahr: Die Nähe zum Esoterischen, zur Überhöhung des Unerklärlichen. Doch Danz bewegt sich bewusst auf diesem schmalen Grat – sie zeigt, dass Offenheit nicht Naivität bedeutet. Vielmehr ist ihre Kunst eine Form des tastenden Denkens, das das Unsichere nicht tilgt, sondern ernst nimmt.

Fake-Shadows, Fake-News – und die Verteidigung kritischer Systeme

Die ‚Fake-Shadows‘ in Danz’ Werk gewinnen vor diesem Hintergrund eine aktuelle Brisanz. Sie stehen nicht nur für optische Illusionen, sondern für epistemische Unsicherheiten in einer Zeit, in der auch das, was als Wahrheit gilt, zunehmend zur Verhandlungssache geworden ist. Danz lässt uns spüren, dass Erkenntnis mehr braucht als bloße Beleuchtung – sie braucht Geduld, Kontext, Prüfung. Der Begriff ‚Stubborn Shadows‘ lässt sich darum auch als Verteidigung lesen: gegen die schnelle Meinung, gegen vorschnelle Auflösung. Er erinnert an die Stärke wissenschaftlicher Systeme: an die Fähigkeit, Thesen zu halten, zu überprüfen, zu falsifizieren. Nicht jeder Lichtschein bringt Erkenntnis. Manchmal ist es der Schatten, der uns länger begleitet – und tiefer prägt.

Ein poetisches Fazit

Mariechen Danz‘ ‚Stubborn Shadows‘ bleibt ein Spiel mit Licht, aber keines, das auf schnelle Erleuchtung zielt. Vielmehr geht es um das beharrliche Fragen, das Zulassen von Mehrdeutigkeit, das Verweben von Klang, Körper, Geste und Bild. Die Schatten bleiben – hartnäckig, störrisch, schützenswert. Und vielleicht erinnern sie uns daran, dass auch unsere eigenen Überzeugungen immer ein Schattenwurf sind: sichtbar gemacht durch das Licht anderer.


Ausstellung

Mariechen Danz, ›edge out‹; GASAG Kunstpreis 2024
Ort: Berlinische Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur
Alte Jakobstraße 124 – 128, 10969 Berlin
Öffnungszeiten: 13.9.24 – 16.6.25, Mi – Mo 10 – 18 Uhr

Quellen

Danz, Mariechen – edge out. GASAG Kunstpreis 2024, Berlinische Galerie (Ausstellungstext); Schindler, Alicja – Mariechen Danz: „Anatomiegeschichte ist hilarious“, der Freitag; Karrasch, Ferial Nadja – Was es über das Wissen zu wissen gilt, art-in-berlin; Berlinische Galerie – Performanceankündigung Stubborn Shadows; Project Arts Centre Dublin – Ankündigung Stubborn Shadows; Wikipedia – Dibutade.

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