
Mitten in der Alten Nationalgalerie hängt ein sehr großes unvollendetes Bild von Adolph Menzel, der mit seinen Werken noch einige weitere Räume füllt. Von dem unfertigen Bild „Ansprache Friedrichs II. an seine Generäle vor der Schlacht bei Leuthen (1757)“ (Öl/Leiwand, 318 x 424 cm) wird man gewissermaßen in die Moderne katapultiert und die Bilder in der Umgebung erscheinen nur noch wie demütige Historienmalerei. Allein die Rohheit der nicht ausgemalten Flächen und die damit verbundene Möglichkeit als Betrachter diese Lücken gedanklich selbst zu füllen, geben dem Werk eine enorme Präsenz durch das Öffnen von Assoziationsräumen. Genau diese (hier gar nicht beabsichtigte) Aufforderung „erschaffe das Bild für dich neu, in dem du es ansiehst“ ist ein Konzept der Moderne. Menzels Bild ist quasi ein moderner Unfall im Umfeld des Deutschen Realismus.
Adolph Menzel begann das Bild, wie die Mehrzahl seiner Werke, aus eigenem Antrieb, also ohne Auftrag Friedrich des Großen, für den das Gemälde später dann fertig gestellt werden sollte. Die Szenerie um seinen Vorgänger Friedrich II. zeigt die Schlacht bei Leuthen selbst nicht im Bildmotiv. Der alte Preußenkönig ist im Gegensatz zu seiner gesellschaftlichen Position nicht bildbestimmend, zentral positioniert, sondern das Gefühlsleben der Generäle ist das vordergündige Thema des Bildes. In ihren Gesichtern sehen wir nicht treue Gefolgschaft, sondern vielmehr Unsicherheit, Zweifel sogar Unaufmerksamkeit und Ungehorsam.
Mit diesem Bildaufbau wagte sich Menzel auf dünnes Eis, denn der feinsinnige Flöten-König Friedrich war durchaus in der Lage, ein Bild wie dieses zu lesen. Es gab dann eine Art Präsentation vor dem König, in deren Verlauf das Bild deutlich umgeplant wurde, wovon noch heute einige Kreidezeichnungen zeugen, die das Bild überlagern.
Zu der mit Friedrich besprochenen Bearbeitung des Gemäldes kam es allerdings nie. Adolph Menzel hatte das Bild über ein Jahrzehnt zur „Fertigstellung“ in seinem Atelier stehen, doch schließlich verlor er die Geduld. Er wollte die Szene nicht staatstauglich historisierend gestalten und so kratzte er in einem Anfall von Wut und dem Gefühl des Scheiterns einigen der dargestellten Personen die Augen aus. Er schändete sein eigenes Bild, behielt diesen Ausdruck seiner verletzten Gefühle aber dennoch als künstlerische Aussage. Damit ist es ein modernes Bild, in dem das Werk und das Leben des Künstlers zu einem unteilbaren Ganzen verschmilzt.