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… rechtzeitig: ›Auf See‹ Roman von Theresia Enzensberger

Wenn die Freiheit ertrinkt

Theresia Enzensbergers Roman Auf See erschien 2022, wurde viel besprochen – und doch ist jetzt der perfekte Moment, um ihn noch einmal zur Hand zu nehmen. Denn was damals als Zukunftsszenario wirkte, erscheint heute bedrückend gegenwärtig: Libertäre Milliardäre, die sich anschicken, den Staat nach ihrem Gusto umzubauen oder gleich ganz abzuschaffen.

Im Roman manifestiert sich diese eskapistische Idee in der künstlichen Insel „Vineta“, einer vermeintlich autarken, schwimmenden Utopie in der Ostsee, die zwei sehr unterschiedliche Gruppen zusammenbringt. Auf der einen Seite: über Krypto-Währungen reich gewordene Venture-Capital-Investoren und ihre Tech-Jünger, die sich eine nachhaltige, aber vor allem staatenfreie Lebensweise aufbauen wollen – frei von Regulierung, Bürokratie und Aufsicht. Auf der anderen Seite: Menschen, die chancenlos einem Aufstiegsversprechen folgen und sich in eine Vertragsabhängigkeit als moderne Sklaven begeben.

Enzensberger macht keinen Hehl daraus, dass diese Freiheitsfantasien zum Scheitern verurteilt sind. Das große Versprechen einer gerechten, funktionierenden Gesellschaft ohne Staat zerfällt, modert, veralgt. Ohne soziale Verantwortung bleibt von der „großen Vision“ der männlich dominierten Ingenieurswelt nicht viel übrig – ein Gedankenexperiment, das letztlich unter seinem eigenen Gewicht versinkt.

Gefangen in der künstlichen Freiheit – Yada und ihre Suche nach der Mutter

Enzensberger erzählt die Geschichte auf zwei Zeitebenen und aus der Perspektive von Yada, der Tochter des Inselgründers, und ihrer Mutter Helena. Yadas Vater hat in einem Sorgerechtsstreit gegen Helena ihre Anwesenheit auf Vineta erzwungen, um sie in einem geschlossenen System großzuziehen. Er sorgt für eine Erziehung durch bedeutende Professoren, die alle seiner libertären Ideologie entsprechen, und hält Yada von der Welt außerhalb der Plattform fern. Yada wächst als Insel-Prinzessin auf, doch die Liebe zu einer Lehrerin öffnet ihren Körper und Geist. Schon bald empfindet sie ihr Dasein als tiefgreifende Täuschung und ein Gefühl der Gefangenschaft, verstärkt durch die unerreichbare Distanz zur Mutter. Schließlich gelingt ihr die Flucht auf das für sie fremde Festland. Dort landet sie in einer alternativ wirtschaftenden Kommune im Tiergarten, einer improvisierten, naturnahen Siedlung. Von hier aus beginnt sie die Suche nach ihrer Mutter.

Helena wiederum hat sich in eine radikal andere Richtung bewegt, um ihr Trauma zu verarbeiten – den Verlust der Tochter an den superreichen und übermächtigen Tech-Visionär. Als Künstlerin erschafft sie eine fiktive Sekte, die sie als hedonistisch orakelndes Medium leitet, allerdings ohne echte Kontrolle über die entfachte Dynamik. Auch ihr wächst die Struktur über den Kopf. So scheitern letztlich alle Versuche gesellschaftlicher Einflussnahme: Die technokratische, hyperkontrollierte Welt Vinetas ebenso wie der naive Gegenentwurf einer erfundenen spirituellen Autorität.

Warum dieses Buch jetzt gelesen werden sollte

Auf See ist kein prophetischer Roman, sondern eine kluge, durchkomponierte Erzählung, die uns eine Möglichkeit zeigt, wie die aktuellen Entwicklungen weitergehen könnten. Dass libertäre Tech-Milliardäre nach der politischen Macht greifen, ist längst keine Science-Fiction mehr.

Der Clan der Superreichen (Big Money und Big Tech vereint) um Donald Trump machen es gerade vor, wie sie den Staat zu ihren Zwecken umfunktionieren können. Weil eine Mehrheit in der neoliberal-kapitalistisch orientierten Demokratie in reichen Menschen diejenigen zu erkennen glaubt, die Wissen wie man reich wird und folglich doch wohl auch wissen, wie die Demokratie funktioniert, wird ihnen der Staat überlassen. Dazu müssen sie heute noch nicht einmal autarke Plattformen gründen, sie übernehmen einfach die Realität, welche sie mit ihrer Medienmacht in einer Flut aus Fake und Fäkalien so sehr dekonstruiert haben, dass die Mehrheit nicht mehr weiß was wahr und richtig ist und Verschwörungs­erzählungen als authentisch empfinden.

Im Buch scheitern die Apologeten an ihren komplizierten Familien­verhältnissen.
Wem dabei einfällt, dass Elon Musks ein schwieriges Verhältnis zu seiner Trans-Tochter hat oder, dass das toxische Machtgefüge innerhalb des Trump-Clans alles andere als harmonisch wirkt, muss nur wenig über die Handlung des Buchs hinausdenken. Auf See liest sich wie ein Kommentar auf die Entkopplung von Macht und Verantwortung, wie sie in der realen Welt längst stattfindet.

Und genau deshalb ist dieses Buch vielleicht gerade jetzt so wichtig: Es entlarvt die großen Versprechungen dieser neuen, alten Männer­fantasien – und zeigt, dass echte Alternativen nicht auf Plattformen gebaut werden, sondern wahrschein­lich eher in Beziehungen entstehen.


Dazu passend: Die Sendung zum Thema Freiheit vom ZDF Magazin Royal mit Jan Böhmermann

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Hier als Ausschnitte die Schlussansprache in der Sendung vom 7.2.2025, die deutlich auf Charlie Chaplis berühmte Schlussrede im Film ›Der große Diktator‹ eingeht, aber es lohnt die ganze Sendung anzusehen.