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… streitlustig: „Freud – Jenseits des Glaubens“ und das Duell zwischen Wissenschaft und Glaube

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Gestern sah ich „Freud – Jenseits des Glaubens“ im York Kino, eine Verfilmung des Theaterstücks Freud’s Last Session von Mark St. Germain, das 2009 uraufgeführt wurde. Der Film, der 15 Jahre nach der Premiere des Stücks entstanden ist, greift ein fiktives Treffen zwischen Sigmund Freud und C.S. Lewis auf. Im Zentrum stehen eine intensive Diskussion und die Gegenüberstellung zweier Weltsichten: Freuds wissenschaftlich fundierte Psychoanalyse und Lewis’ stark religiös geprägte Weltanschauung. Doch der Film hinterlässt, trotz beeindruckender schauspielerischer Leistungen, einen zwiespältigen Eindruck.

Herausragende Schauspielleistungen mit konzeptionellen Schwächen

Anthony Hopkins verkörpert den alternden Freud mit beeindruckender Intensität. Sein Freud ist streitlustig, vom Leben und seiner Krankheit gezeichnet, jedoch mit einem Übermaß an Pathos dargestellt, das ihn beinahe zu einer Karikatur des „gottgleichen Übervaters“ macht. Diese Überzeichnung erinnert an eine Bühnenfigur, deren Wirkung vor allem aus der großen Gestik und Lautstärke kommt.

Matthew Goode hingegen spielt C.S. Lewis mit einer wohltuenden Zurückhaltung, fast minimalistisch. Er bringt eine ruhige, analytische Note in das Geschehen, die als Gegenpol zu Hopkins’ intensiver Performance gut funktioniert. Liv Lisa Fries überzeugt in ihrer Rolle als Anna Freud und verleiht der Nebenhandlung eine emotionale Tiefe, die den Film spürbar bereichert. Ihre Darbietung ist subtil und glaubhaft und bildet eine willkommene Ergänzung zu den hitzigen Hauptdialogen.

Liv Lisa Fries als Anna Freud und Antony Hopkins als Sigmund Freud

Das Problem der scheinbaren Gleichwertigkeit

Was den Film jedoch problematisch macht, ist seine Inszenierung der zentralen Debatte. Freud und Lewis werden als gleichwertige Vertreter ihrer jeweiligen Positionen dargestellt. Diese dramaturgische Entscheidung erinnert fatal an die Mechanismen moderner Talkshows: Dort stehen wissenschaftlich fundierte Positionen und absurde Mythenerzählungen Seite an Seite, unter dem Deckmantel einer „ausgewogenen“ Diskussion. Ein demokratisches Prinzip – alle Meinungen verdienen Gehör – wird instrumentalisiert, um überprüfbare Fakten zu relativieren und ernsthafte Themen zu verschleiern.

Besonders im medialen Diskurs wird dieses Prinzip häufig von rechten Akteuren genutzt, die fordern, nationalistische oder verschwörungstheoretische Erzählungen auf dieselbe Ebene wie wissenschaftliche Fakten zu heben. Der Effekt: Alles wirkt gleichwertig, was letztlich dazu führt, dass auch belegte Erkenntnisse entwertet werden. Der Film transportiert genau dieses Gefühl: Als sei Psychologie nur eine Meinung von Freud – keine Wissenschaft, die auf Beobachtung, Analyse und Empirie basiert.

Die Stärken und Schwächen der Wissenschaft

Dabei hätte der Film eine hervorragende Gelegenheit gehabt, Wissenschaft als das darzustellen, was sie ist: ein dynamischer Prozess, der Wissen schafft, aber auch altes Wissen hinterfragt, revidiert und fortschafft. Freud hat die Psychoanalyse quasi erfunden, doch viele seiner Theorien wurden inzwischen verändert, relativiert oder widerlegt. Das ist keine Schwäche, sondern die Stärke der Wissenschaft, die sich selbst korrigieren kann – im Gegensatz zu einem Glauben, der häufig auf unveränderbaren Dogmen basiert.

Der Film zeigt Freuds Schwächen durchaus. In seiner Beziehung zu seiner Tochter Anna Freud verneint er lange Zeit die Wahrheit. Ihre lesbische Beziehung zu Dorothy Burlingham wird von ihm missinterpretiert oder nicht akzeptiert, weil sie nicht in sein Konzept passt. Hopkins spielt diesen „blinden Fleck“ Freuds überzeugend: den alten Mann, der in seinen Überzeugungen gefangen ist und das Unangenehme lieber ignoriert. In der letzten Einstellung gibt Freud jedoch nach. Er signalisiert Zustimmung zur Beziehung seiner Tochter – eine kleine, aber bedeutungsvolle Kapitulation, die sich wie ein Einverständnis auch zur Existenz Gottes lesen lässt. Liv Lisa Fries verleiht dieser Nebengeschichte Glaubwürdigkeit und sorgt dafür, dass sie einer der stärksten Aspekte des Films bleibt.

C.S. Lewis und die Grenzen des Glaubens

Auch C.S. Lewis bleibt nicht ohne Ambivalenz. Er gibt zu, dass er „nicht weiß“, ob Gott existiert, entscheidet sich jedoch dennoch für den Glauben. Dies erinnert an eine wissenschaftliche Methode, die eine These aufstellt – jedoch ohne den nächsten Schritt der empirischen Überprüfung zu machen. Stattdessen führt ihn dieser Ansatz später in die Fantasy-Literatur, wo er seine Vorstellungen kreativ auslebt. Der Film zeigt Lewis als charmanten, fast naiven Charakter, der dem Zuschauer leicht sympathisch erscheint. Doch auch hier bleibt eine kritische Auseinandersetzung mit den Grenzen des Glaubens aus.

Fazit: Fesselnd, aber gefährlich neutral

“Freud – Jenseits des Glaubens” ist ein Film, der durch die schauspielerischen Leistungen und die klugen Dialoge überzeugt. Doch die gleichwertige Darstellung von Wissenschaft und Glauben – zwei grundsätzlich unterschiedlichen Herangehensweisen an die Welt – ist problematisch. Sie lässt den Eindruck entstehen, dass alles nur Meinung sei, und verkennt die fundamentalen Unterschiede zwischen empirischer Forschung und religiösem Dogma. Der Film hinterlässt damit ein zwiespältiges Gefühl: fesselnd und anregend, aber letztlich auch enttäuschend in seiner mangelnden kritischen Tiefe.

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