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… opernhaft: Semiha Berksoy und die Inszenierung eines künstlerischen Lebens

„Semiha Berksoy. Singing in Full Colour”, Ausstellungsansicht Hamburger Bahnhof –Nationalgalerie der Gegenwart, 6.12. – 11.5.2025 © Courtesy der Nachlass Semiha Berksoy & GALERIST, Istanbul / Nationalgalerie – Staatliche Museen zu Berlin, Foto: Jacopo LaForgia

Kunst braucht Bühne: Die Inszenierung des eigenen Lebens

Am ersten Tag des neuen Jahres sahen wir im Hamburger Bahnhof – Nationalgalerie der Gegenwart die Ausstellung „Singing in Full Colour“ der türkischen Künstlerin Semiha Berksoy.

Der Ausstellungsraum beeindruckt sofort durch seine theatralische Inszenierung, die an ein opulentes Opernbühnenbild erinnert. Die Werke treten als Protagonisten auf, insbesondere die zahlreichen Selbstporträts Berksoys, die den Eindruck erwecken, als ob die Künstlerin persönlich im Raum präsent sei. Ganz hinten in der Tiefe des Bühnenraums läuft ein Informationsvideo, liebevoll gestaltet im Stil eines Stummfilms mit eingeblendeten Texttafeln, das stilistisch auf Berksoys frühe filmische Auftritte anspielt und eine etwas nostalgische Atmosphäre schafft.

Selbstbehauptung als künstlerisches Programm

Semiha Berksoy, geboren 1910 in Istanbul, ist in erster Linie eine gefeierte Opernsängerin und Schauspielerin. Sie gilt als Pionierin der Oper in der Türkei und ist die erste türkische Sängerin, die in einer europäischen Opernproduktion auftritt. In den 1930er-Jahren studiert sie an der Hochschule für Musik in Berlin und begeistert das Berliner Publikum. Ihre bildende Kunst begleitet ihre Opernkarriere und erhält durch die aktuelle Ausstellung einen besonderen Auftritt, der ihre Werke ins Rampenlicht rückt. Die Ausstellungsmachenden haben diese Leitidee hervorragend umgesetzt.

Ihre Gemälde zeichnen sich durch klare, leuchtende Farben und den häufigen Einsatz von Text innerhalb der Bilder aus. Auffällig sind die zentral platzierten Figuren, die den Fokus des Betrachters lenken. Die dominierenden Selbstbildnisse verdeutlichen, dass Berksoy sich selbst als Mittelpunkt ihres künstlerischen Universums sah, was eine starke feministische Aussage der Selbstbehauptung auf hohem künstlerischen Niveau vermittelt.

Interessanterweise nutzte sie oft einfache Materialien wie schäbige Kartons oder Hartfaserplatten als Malgrund, was ihren Werken eine erdige Materialität verleiht.

„Semiha Berksoy. Singing in Full Colour”, Ausstellungsansicht Hamburger Bahnhof –Nationalgalerie der Gegenwart, 6.12. – 11.5.2025 © Courtesy der Nachlass Semiha Berksoy & GALERIST, Istanbul / Nationalgalerie – Staatliche Museen zu Berlin, Foto: Jacopo LaForgia

Der Riss im Bild – Kunst zwischen Tradition und Modernität

Semiha Berksoy, Nude (Self Portrait), 1996; Öl auf Hartfaserplatte, 70 x 50 cm; © Courtesy der Nachlass Semiha Berksoy und GALERIST

Aus den vielen Werken sticht für mich ein minimalistisch gestalteter liegender Akt in roter Farbe heraus. Dieses Werk demonstriert Berksoys meisterhafte Linienführung; es strahlt Leichtigkeit und Humor aus und fügt sich dennoch kraftvoll ins Format ein. Im Selbstbildnis des Akts ist eine spielerische, vielleicht selbstverliebte Körperlichkeit zu spüren.

In vielen anderen Bildern verwendet Berksoy eine starke horizontale Linie, die oft Kopf und Körper in zwei Bildflächen bzw. Bildräume trennt: ein darüber und ein darunter. Der obere Raum ist der freie Luftraum der Gedanken, die in die Unendlichkeit der Zeit streben, während der untere Raum des Körpers die erdverbundene Materie darstellt, die zur Erde zurückstrebt. Diese Linie in den Bildern lese ich als Grenze der möglichen gesellschaft­lichen Verspieltheit in der Kunstfigur Semiha Berksoy. Sie markiert eine Bruchkante im Spannungsfeld zwischen künstlerischer Nacktheit, identitäts­bildender Geschlecht­lichkeit und dem gesellschaft­lichen Leben in einem muslimischen Land. Berksoy malte in einer Zeit des Umbruchs, in der traditionelle muslimische Werte mit den Bestrebungen nach Säkularisierung und Modernisierung kollidierten – genau wie heute nur leider eher in anderer Richtung. Ihre Kunst spiegelt das wider und zeigt ihre mutigen Positionen in diesem Spannungsfeld.

Die Ausstellung “Singing in Full Colour” ist noch bis zum 11. Mai 2025 im Hamburger Bahnhof zu sehen und bietet einen tiefen Einblick in das vielseitige Schaffen dieser außergewöhnlichen Künstlerin, die einzigartig Malerei und Performance verbunden hat. 


Weitere Informationen zur Ausstellung finden Sie auf der offiziellen Website der Staatlichen Museen zu Berlin.

Ein lesenswerter Artikel zur Ausstellung wurde kürzlich auf rbb24 veröffentlicht.

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